Beilage
MAVIC 31 ma
Donnerstag, 21. Juni 1928.
Man soll nie eine Jugendliebe auffrischen, wenn sich die mit tausend Jugendträumen verflärte Jungfrau ver. heiratet, wenn sie fünf Kinder geboren hat, oder umgekehrt: wenn der in der Jugend geliebte Mann sich einen Schmerbauch angefüttert hat.
Man soll nie eine Burg leibhaftig beschauen, die man seit seiner Jugendzeit als Inbegriff alles Heldischen und Märchenhaften in sich herumgetragen hat. Dann zerrinnt das Idol, und übrig bleibt ein alter Backsteinbau und ein geschäftstüchtiger Fremdenverkehrs
verein.
Die Wartburg ist für die in der füdbayerischen Diaspora" lebenden fränkischen Protestanten eine Art Heiligtum gewesen. So eine Art Anti- Petersfirche in den Thü ringer Bergen, deren stolze Zinnen und Mauern aus den Bäffchen unserer Pastoren und aus den bunten Fenstern unferer Kirchen hervorlugten, ein feste Burg", die man nur an ganz hohen Feiertagen aus dem Gesangbuch zog und hinausschmetterte, als gälte es, das Luthersche Rebellenlied gegen eine Welt von Feinden" in Schuß| Aber immerhin: Der kleine Mann erschauert vor soviel Heldenzu nehmen. haftigkeit!
7'
Die Wartburg ist weiter für jeden nicht stocktauben oder völlig unmusikalischen höheren Sohn" oder„ höhere Tochter" die Burg aller fünstlerisch- musitalischen Sehnsüchte gewesen. Richard Wagner hat sie mit seinen heldischen Lichtgestalten" verklärt und sie uns allen zur Gralsburg" förmlich in die siebente Dimension hinaufsuggeriert.
Kein Wunder, daß manch einer mit flopfendem Herzen und mit ehrfurchtsvoll geneigter Stirn die Stufen der Wartburg er flimmt. Gleich oben, dicht hinter dem bratwurstgeschwängerten, burschenschaftdurchtränkten Eisenach geht jedoch schon die Enttäu. fchung an
Am Burgtor.
Am Burgtor der Wartburg stauen sich die Maffen. Erstens kostet der Eintritt eine Mart
find abzugeben; fein Mensch weiß, warum.
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Stöcke und Schirme
Zweitens hat man hier den ersten schönen Blick über das Thüpro ringer Land. Unten Eisenach mit seinen Hotels und Kneipen. Drüben die Eisenbahn Frankfurt - Berlin , wie eine wohl ausgegir felte Reißbrettfigur. Ringsum der Wald, der herrliche Bald.. Das schönste an dieser zwischen Wiesen und Buchen eingebetteten Burg.
Drittens: Zugbrüde und Feldschlangen, die erste Sehenswürdig. keit. Ich betrachte mir die Brückenketten. Sie sind sehr solide und zweifellos echt.
Ein Reichswehrsoldat steht daneben:
,, Na, das hättet ihr wohl rajch weggepulvert, das alte Beugs?" Der grinst stolz über sein Metier: Und ob! Ich bin von der Artillerie, ich weiß Bescheid!"
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Wir betrachten die alten Kanonen, die neben der Brücke stehen. Sorgfältig hat die Wartburggesellschaft" hölzerne Ueberzüge über die Bronzerohre gestellt, damit sie ja nicht im Regen Schaden leiden. Gemütlich streden die Feldschlangen ihre Mäuler unter dem Regendach hervor. Der Führer erklärt: Hier zur Linken die Feldschlangen Kurfürst Augusts von Sachsen , sie haben in der Schlacht bei Lügen die Entscheidung gebracht!"
,, Dho," sagt der Reichswehrer, der sich offenbar hier in seinem Element betrachtet ,,, die haben ja Züge im Lauf! Die hat man erst in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erfunden!" „ Stimmt," pflichtete ich ihm bei, sagen Sie Ihrem Verein: „ Die Kanönchen haben ihm Jahr 1866 vermutlich dem letzten König von Bayern eine Zehe vom Bein gerissen bei Helmstedt , glaube ich. war die Keilerei!"
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Die Rüstfammer.
In der Rüstkammer aber ist das Prinzip der Zeitlosigkeit aller ,, Wehr und Waffen" auf die Spitze getrieben. Hier sieht man Ritter samt ihren Pferden in Turnierausrüstung unter Stahl und Eisen. Panzerhemden und Schwerter aus dem 9., 12. und 15. Jahr. hundert. Dazwischen ein Kavalleriefüraß, von einer Gewehrfugel durchbohrt am 18. Auguft 1870". Stahlhelme und Panzerplatten, in der Praxis vor ypern und vor Verdun erprobt. Steinschloß gewehre aus dem 16. Jahrhundert. Daneben ein paar moderne Selbstlader aus dem letzten Krieg.
Born auf der Tribüne der Feldharnisch Friedrichs des Weisen.
Der Abend 3Der
Spalausgabe des Vorwärts
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Donnerwetter, fagt sich der staunende Zeitgenosse. Die alten Herren mußten auf die Sicherheit ihres eigenen Leibes bedacht sein! Feld. harnisch? Wer weiß, ob die letzten Kriege ausgebrochen wären, wenn sich all diese Friedriche, Wilhelme und Nikolause erst einen Feldharnisch" hätten verpassen müssen. Drüben scheint ein recht wohlbeleibter Ritter seinen Harnisch dem Wartburgverein hinter. laffen zu haben. Sein Bäuchlein stößt, gemütlich mit Schweine. braten und Pfälzer Wein gefüllt und in Eisen gelegt mächtig vor, wie ein Eisenberg ! Ob man mit so einem Bauch noch besonders erfolgreich fechten fann? Immerhin Courage hat der Mann gehabt!
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Ueber der ganzen Kammer aber schwebt als besondere Gehensmürdigkeit der Rüraß unseres verewigten Herrn Großherzogs". Die Stimme des Führers beginnt vor Rührung zu zittern: Er war bis zum Jahr 1913 Kommandeur des Küraffierregiments in Deutz ."
Man greift sich an den Kopf. Hier in der Waffenkammer, zwischen dem alten Gerümpel, der Küraß von Deutz? Was soll bas, verehrter Wartburgverein? Nach dem nächsten Krieg wird wohl ein Sortiment Gasbomben aufgestellt zwischen Friedrich dem Weisen und dem Kommandeur von Deuz?
Die Lutherstube.
Ein fleines Stübchen, arg primitiv: Bett, Schreibtisch und Stuhl. Mein lieber Doktor Martinus, besonders komfortabel hat man es dir hier nicht gemacht!
Der Führer plärrt: ,, Kurfürst Friedrich der Weise hat ihn damals festnehmen lassen und in Schuzhaft behalten- Schutzhaft? Das hat es also schon vor 500 Jahren gegeben? Schutzhaft? Das war doch das Patentmittel, mit dem man im Weltkrieg und im Ausnahmezustand regierte!
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Ueber dem Ofen das Schwert des Junker Jörg" so hat man Dr. Luther hier oben geheißen ein etwas fümmerlich geratenes Messer, für ein Mönchlein" offenbar gerade gut genug. Die Wandstelle, auf der jener berühmte Tintenfled's gewesen sein soll, den der schußbehaftete Junker auf den Teufel abgefeuert hat, ist eine Handbreit tief weggefragt, so daß die Balken zutage liegen. Bietät muß sein!
Und doch ist es das Stübchen des theologischen Rebellen, das auf jeden Besucher den tiefsten Eindruck macht.
Der Zug rast längst schon über seinen Schienenftrang nach Norden und hämmert doch immer noch das zornige Rebellenlied vor sich hin: Von der festen Burg" und von dem Mansfelder Proletensohn, der hier neue Waffen zimmerte, größer und mächtiger als sie drüben in der Rüstkammer liegen, als der Harnisch Friedrichs des Weisen und als der Küraß des Herrn von Deutz! Hermann Schützinger.
T. Lindenwirtin du feine...
dungen.
3wefeinhalb Stunden von Köln rheinaufwärts liegt das reizende| am Rhein und Aennchen Ehrenmitglied vieler Studentenverbin Städtchen Godesberg . Dicht unter der verfallenen Burg Godesberg steht mitten im Städtchen ein Wirtshaus. Seit Jahrzehnten lebt dieses Wirtshaus in der Romantik als das Haus der
Lindenwirtin.
liches:
,, Reinen Tropfen im Becher mehr Und der Beutel schlaff und leer Lechzend Herz und Zunge; Angetan hat's mir dein Wein, Deiner Aeuglein heller Schein, Lindenwirtin du junge"
dichtete, ahnte er wohl faum, daß gerade dieses Kind seiner Muse eine Quelle des Reichtums für eine ihm unbekannte Frau und für eine G. m. b. H. werden würde.
Dieser Tage besuchten wir die Lindenwirtin. Die 68jährige Matrone hat heute einen Postkartenvertrieb und einen Buchverlag in Godesberg . Aeußerst rüstig noch, weiß fie sehr nett zu schildern, wie sie berühmt" wurde.
besungen hat; denn der Dichter war nie in Godesberg und hat Eigentlich ist fie gar nicht die Lindenwirtin, die Baumbach
auch Aennchen Schuhmacher, so heißt die Wirtin, nie in seinem Leben gesehen! Mit Baumbachs Lied ging es ähnlich wie
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,, Das gönn wer nich sage," meint nachdenklich der Kustos des Wartburgvereins" ,,, mer habe ja haubtsächlich fächsch und bayri- mit Heinrich Heines bekanntem Liebeslied: sches Bublifum!"
Der Gängersaal.
Der Burghof der Wartburg unterscheidet sich nicht von den Tausenden seiner Brüder: Türen, Treppen, Nischen, Ställe, Erfer, Fenster, Menschen! Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts: Arbeiter aus Thüringen und aus Sachsen , Kleinbürger und Bauern aus der Umgebung, Studenten in roten und gelben Müßen, wie Fliegenschwämme unter die graue Masse eingestreut. Der Führer brüllt seinen Vers, und dann geht es durch das Haupt gebäude" hindurch: Gemächer der heiligen Elisabeth. Die arme Frau! Mit vierundzwanzig Jahren ist sie schon gestorben, weil sie der Lümmel von einem Gemahl zu Tode geärgert hat! 1234 wurde sie heilig gesprochen! Da hatte sie ja schließlich auch nichts mehr davon.
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Burgkapelle: Ein stimmungsvoller Raum mit der breiten Behaglichkeit des Mittelalters und der mystischen Religiosität dieser doch so dumpfen und barbarischen Zeit. Rechts an der Wand das Schwert Bernhards von Weimar. Neugierig sehe ich mir die Plempe an. Ein kräftiger Kavalleriesäbel, Modell 1871 neuer Art. Sängersaal: In dieser kleinen Stube für kaum 50 Per sonen hat der weltberühmte Sängerwettstreit" stattgefunden? Oben die Estrade, unten das Parkett. An der Wand das berühmte Gemälde vom Sängerweitftreit" Der Führer vergißt nicht, auf den Henter hinzuweisen, der nach der Vereinbarung der Kon furrenten die unterlegene Partei vom Plaz weg hängen soll Ein richtiger Borkampf ist ja eine feine Sache; aber ein Sängerduell mit anschließender Hinrichtung die Sensation ist eben nur auf der Wartburg zu haben.
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Der große Festsaal: Ein pompöser Raum. Der Saalbau unter dem Giebel des Hauptgebäudes. Schwerter an der Decke, Schwerter an den Wänden, und damit der kriegerische Eindruck noch erhöht wird, hat der Wartburgverein die Galerie mit den Fahnen preußischer Infanterieregimenter aus dem Weltkrieg behängt. Sieht ehr schön aus! Im Krieg hatte man ja teine Berwendung dafür!
Anfangs wollt ich fast verzagen Und ich glaubt, ich trüg es nie, Und ich habe es doch getragen, Aber fragt mich nur nicht wie?" Ursprünglich hieß dieses Lied:
,, Anfangs wollt ich fast verzagen
Und ich glaubt, ich trüg fie nie( usw.)" nämlich die zu engen Schuhe, die sich Heine gekauft hatte. Aus dem ursprünglichen Spottvers hat Heine dann später durch Auswechselung der Worte sie in es eines seiner schönsten Liebeslieder gemacht.
Seit 1747 ist 2 ennchens Familie in Godesberg ansässig. Ein einfaches Bauernhaus mit Landwirtschaft war früher der Gasthof. Dann famen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Touristen und die Bonner Studenten nach Godesberg . Als die Eltern starben, stand Aennchen, 18jährig, mit neun Geschwistern allein auf der Welt. Recht und schlecht schlug sie sich durchs Leben. Da sangen eines Tages die Studenten das schöne Lied Baumbachs von der Lindenwirtin, der jungen
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Mit einer tüchtigen Dosis Geschäftsfinn ausgestattet, merkte Mennchen sofort, daß mit diesem Lied für ihren Betrieb sich etwas machen ließe. Flugs dichtete sie einen neuen Vers dazu, der
da lautetete:
,, ißt ihr, wer die Wirtin war, Schwarz die Augen, fchwarz das Haar, Wennchen war's, die feine. Wißt ihr, wo die Linde stand, Jedem Burschen wohlbefannt, Zu Godesberg am Rheine ."
Hübsch und schmud, wie Aennchen damals war, fangen die Stu denten den neuen Vers in vielen Sommernächten in alle Winde. Jedem Besucher mußte Aennchen den Vers auf Karten schreiben und mit Unterschrift versehen. Als das zu mühselig und zeitraubend wurde, ließ Aennchen Karten mit ihrem Vers drucken. Bald hatte es sich herumgesprochen, wo die Lindenwirtin zu finden war. Aus es fich herumgesprochen, wo die Lindenwirtin zu finden war. Aus dem schlichten Bauerngasthof wurde eins der besuchtesten Lofale
Das ging so die Jahre hindurch. Studenten tamen und gingen und feierten Aennchen Schuhmacher als die Lindenwirtin, die den Wandersmann betörte. Vor lauter Geschäftsbetrieb tam Aennchen nicht zum heiraten, denn: 3ch hatte wirtlich teine Zeit dazu", versicherte schmunzelnd die heute 68jährige noch rüftige und hübsche alte Dame. Bis 1920 führte sie den Gasthof. Dann kam auch Besatzung in ihr Haus. 400 Ranabier wurden in das Wirtshaus, das inzwischen eine respektable Größe erreicht hatte, gelegt. Aennchen hatte genug. Sie verkaufte das Anwesen für 170 000 m. und baute sich wenige Schritte daneben ein neues
Hennchen
( 7 Jahre alt)
Heim, in dem sie einen Postkartenvertrieb und einen Liederbücher. verlag aufmachte. Dort fißt sie nun und schreibt den Käufern auf Wunsch ihren Namen auf die Postkarten und in die Liederbücher.
Ihre Geschäftsnachfolger waren noch tüchtiger als Aennchen. Flugs wurde der alte Namen der Wirtschaft Gasthof zum Godesberg" umgeändert in:„ Gasthof zur Lindenwirtin( Aennchen)" und weißgekleidete Kellner schwirren in den Weinzimmern und in dem Lindengarten, wo fast feine Linden mehr stehen, herum, die Befehle der Gäste abwartend.
Aennchen trauert daß sie die Wirtschaft zu früh aufgegeben hat. Mit Bleistift und Gesezesbüchern bewaffnet, sitzt sie in ihrem Heim, ausrechnend, was sie am Berkauf der Goldgrube durch die Inflation verloren hat, während auf dem Schild am Gasthof dick und fett die Worte prangen:
..Gasthof zur Lindenwirtin" G. m. b. 5.