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Morgenausgabe

Nr. 303

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45.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Freitag

29. Juni 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Df.

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Das neue Kabinett ernannt.

Wissell Arbeitsminister. Koch Justizminister.

Amtlich wird mitgeteilt:

Der Herr Reichspräsident hat den Reichskanzler a. D., Reichsminister a. D. und Abgeordneten Hermann Müller- Franken zum Reichskanzler ernannt. Auf Vorschlag des neuernannten Reichskanzlers hat der Herr Reichspräsident die bisherigen Reichsminister Dr. Stresemann( Auswärtiges  ), Dr. Curtius( Wirtschaft), Groener  ( Reichswehr  ), Schätzel( Reichspost)

in ihren Aemtern bestätigt und ferner

Reichsminister des Innern,

den preußischen Staatsminister a. D. Severing zum den Reichsminister a. D. Abg. Dr. Hilferding zum Reichsfinanzminister,

den Reichsminister a. D. Wissell zum Reichs­arbeitsminister,

den badischen Minister a. D. Dietrich Baden zum Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, den Reichsminister a. D. Koch Weser zum Reichs­justizminister und

den Geheimen und Oberregierungsrat Abgeordneten v. Guérard zum Reichsverkehrsminister ernannt. Reichsminister v. Guérard ist gleichzeitig mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsministers für die besetzten Gebiete beauftragt worden.

Die neuen Minister.

Mit Ausnahme der Abgeordneten Severing, v. Guérard und Dietrich haben alle Minister des Kabinetts Müller Reichs­

fabinetten angehört.

Der Zentrumsabgeordnete von Guérard, der die Ministerien für den Verkehr und die besetzten Gebiete übernommen hat, wurde 1863 in Koblenz   geboren. Nachdem er die Rechtswissenschaften studiert hatte, war er von 1898 bis 1905 Landrat des Kreises studiert hatte, war er von 1898 bis 1905 Landrat des Kreises Monschau   und ist seitdem als Geheimer und Oberregierungsrat im Oberpräsidium zu Roblenz tätig.

Der Ernährungsminister Hermann Robert Dietrich  

( Dem.), geboren in Oberprechtal  ( Baden  ) 1879, war von 1905 bis 1908 Stadtrechtsrat in Karlsruhe  , darauf Bürgermeister in Kehl  und ist seit 1914 Oberbürgermeister von Konstanz  . Im November 1918 wurde er Mitglied der vorläufigen badischen Boltsregierung und war von 1919 bis 1920 badischer Minister für Auswärtige An­gelegenheiten.

in Preußen und Baden das Geschäft des Regierens gelernt,| ganze Partei ist es! Auf die Probe gestellt ist die poli­der siebente, der heute zum erstenmal ein Ministerportefeuille, tische Urteilsfähigkeit eines jeden einzelnen Parteigenoffen. oder richtiger gleich zwei, unter dem Arm hält, Herr von Man spricht von einer Uebergangsregierung. Ja, es ist die Guérard, hat als Fraktionsvorsitzender des Zentrums in Regierung eines Uebergangsstadiums, das vielen Barlamentsschlachten strategisches und tattisches Ge- auch wir zu überwinden wünschen. Soll es mit all feinen schick gezeigt. Unzuträglichkeiten und Unzulänglichkeiten überwunden wer­ Der   Mann, der an der Spite steht, unser Genoffe Her- den, dann muß die Sozialdemokratie stärter mann Müller, ist durch das Vertrauen unserer aus ihm hervorgehen. In diesem Sinne heißt es jetzt nicht Fraktion und unserer Partei dorthin gestellt worden. Wenn nur für unsere vier Genoffen in der Regierung, sondern für die sozialdemokratische Reichstagsfraktion nach der Einigung uns alle: An die Arbeit! Don Nürnberg rasch zu einer vollkommenen taktischen Ein­heit wurde und eine Disziplin entwickelte, um die fie an­geringen Teil Hermann Müllers Verdienst. Die Raftlosig dere Fraktionen mit Recht beneiden, so ist das zu einem nicht Zentrum, Vizekanzler, Reichspräsident.  feit, mit der er alle Fragen der Politit, meist bis in die flein­sten Einzelheiten hinein, durchdringt und bewältigt, die nüch­terne Sachlichkeit seines Urteils, feine ausgeprägte Abnei­gung gegen Phrase, Geste, Pose und scheindiplomatische Winkelzüge haben ihm auch die Achtung der Gegner er­worben.

Wenn trotzdem Erfolg und Dauer der neuen Regierung nicht ohne weiteres als gesichert erscheinen, so liegt das sicher nicht an einer Unzulänglichkeit der Personen. Die Schärfe der Klassengegensäge, die Zerrissenheit des deut­ schen   Parteilebens bilden für sie eine Gefahr. An dieser Re­gierung sind zwar nicht durch Abmachungen aber durch Per­sonen fünf Parteien gebunden, die von sehr verschiedener Geistesrichtung sind und sehr verschiedene Ziele verfolgen. .Dabei sind einige dieser Parteien selber nicht einheitlich und ohne straffe Führung. Das gibt ein weites Feld für parla­mentarische Zwischenfälle, die übrigens auch durch feste Ab­machungen zwischen den Parteien nicht zu bannen sind.

Darum ist es auch nicht ohne weiteres ein Schaden, wenn alle beteiligten Parteien erklären, daß sie in ihrer Haltung gegenüber der neuen Regierung und ihren Vorlagen frei sind. Im großen ganzen hängt die Lebensfähigkeit des Ka­binetts davon ab, daß die Zusammenabeit der Führer in einer Zusammenarbeit der Parteien ihre Ergänzung findet. Für einzelne Vorlagen aber fann die Regierung froßdem die Mehrheit nehmen, wo sie sie findet, und das fann unter Umständen auch ein Borteil sein.

Die Regierung steht unter sozialdemokratischer Führung. Nicht nur der Reichskanzler ist ein Soglal demokrat  , sondern auch drei der wichtigsten Ministerien sind in sozialdemokratischen Händen. Wenn unsere Fraktion nicht darauf bestanden hat, im Kabinett eine sozialdemokratische Mehrheit zu schaffen, so hat sie lug daran getan, denn die Sozialdemokratie hat gar nichts davon, wenn sie die Bürger­lichen im Kabinett überstimmt, solange sie nicht dasselbe auch im Reichstag   tun kann. Vielmehr müßte die Verschieden heit der Mehrheitsverhältnisse im Kabinett und im Reichstag automatisch zu Reibungen und Mißerfolgen führen.

Erflärung der Reichstagsfraktion des Zentrums.

Aus der Zentrumsfraktion des Reichstags wird offiziös folgendes mitgeteilt:

Ueber die Unterredung, die der Herr Reichspräsident am Mitt­woch, dem 27. Juni, abends mit dem sozialdemokratischen Fraktions­führer Müller- Franken hatte, wird in der gesamten Presse folgende amtliche Mitteilung verbreitet:

Der Reichspräsident erklärte, daß er an sich ein Bedürfnis für die Besetzung des in der Verfassung und in der Geschäftsordnung der Reichsregierung nicht als regelmäßige Einrichtung vorgesehe­nen Amtes eines Bizekanzlers nicht anerkennen könne, es im übrigen auch ablehnen müsse, in Ausübung seiner verfassungs­mäßigen Rechte sich von einer Fraktion für die Zusammen­segung des Reichskabinetts bindende Vorschriften machen zu laffen. Er ersuchte den Abg. Müller- Franken, diese seine Ent­schließung der Zentrumsfrattion mitzuteilen."

Diese amtlichen Berlautbarungen laffen darauf schließen, daß der Herr Reichspräsident über die zugrundeliegenden tatsächlichen Bor­gänge bei der Regierungsbildung nicht zutreffend unter­richtet worden ist. Weder die Zentrumsfraktion noch eines ihrer Mitglieder hat jemals daran gedacht, dem Herrn Reichspräsidenten  irgendwelche Vorschriften über die Ausübung der ihm durch die Reichsverfassung gegebenen Befugnisse zu machen. Der Vize­tanglerposten ist bei den Berhandlungen über die Große Roa­lition von dem mit der Kabinettsbildung beauftragten Abgeordneten Hermann Müller   dem Vorsitzenden der Zentrumsfraktion angeboten worden. Diese Tatsache berechtigte die Reichstagsfraktion des Zen­trums und ihre Unterhändler zu Berhandlungen über den Bize­tanglerposten, wobei ihnen die Absicht vollständig fern lag, in die verfassungsrechtlichen Befugnisse des Herrn Reichspräsidenten ein­zugreifen.

treffend unterrichtet war, ist festzustellen, daß diese Unter­Gleichviel, ob der Reichspräsident zutreffend oder unzu­richtung nicht durch den sozialdemokratischen Fraktionsvor fizenden und jetzigen Reichstanzler erfolgt ist. Wofern sich der Reichspräsident nicht selber Rat geholt hat, ist sie ver­mutlich auf seine juristischen Ratgeber zurückzuführen. Richtig ist, daß Hermann Müller   zu Beginn der Verhand lungen Herrn v. Guérard den Vizekanzler angeboten hatte. Ebenso richtig aber ist, daß er dann bald in Ueberein= Stimmung mit dem Zentrum von dem Gedanken einer Bizekanzlerschaft wieder abgekommen ist. Der Vorschlag einer Vizekanzlerschaft Wirths enthielt daher die Forde rung an Müller, eine Haltung, die er in Uebereinstimmung Troßdem hat Müller schließlich diese Forderung zu er mit dem Zentrum eingenommen hatte, wieder aufzugeben. füllen versucht. Mit der wiederholten Feststellung dieses Tat­bestandes wird man hoffentlich diesen Streit endgültig ab­

Der deutschnationalen Presse, die sich über die Dauer der Berhandlungen und über ihren Reichtum an zwischenfällen amüsiert, bleibe ihr Vergnügen unbenommen. Wir haben Der sozialdemokratische Reichskanzler und die drei an­dasselbe Vergnügen in noch reicherem Maße früher genossen, deren Parteigenossen im Kabinett fönnen den bürgerlichen wenn es galt, Regierungen mit den Deutschnationalen zu Miniſtern nicht den Willen der Sozialdemokratie aufzwingen. bilden. Damit ist gesagt, daß der Verlauf der letzten Ber- Erfolge im Sinne unseres Programms tönnen nur auf dem handlungen der durchaus normale und landesübliche war, Wege der Verständigung gewonnen werden. Allge­es ist nicht damit gesagt, daß er vorbildlich war und zur dem gegebenen Kräfteverhältnis ohne ein Verhandeln und es ist nicht damit gesagt, daß er vorbildlich war und zur meiner gesprochen steht ja die Sache so, daß bei Nachahmung reizt. Sichverständigen praktische Erfolge für die Arbeiterbewegung überhaupt nicht zu erzielen sind. Das gilt für gewerkschaft liche ebenso wie für politische Kämpfe, sie finden ihren Ausschließen dürfen. trag schließlich am Verhandlungstisch.

Auch daß die neue Reichsregierung als provi­sorisches oder Uebergangsfabinett gekennzeichnet wird, ist nichts Neues. Der Charafter eines Provisoriums haftet ihr in der Beziehung an, daß das Zentrum einstweilen in ihr zu schwach vertreten ist. Da aber jetzt ein Zentrumsminister, Herr v. Guérard, vorläufig zwei Aemter innehat, von denen später eines schmerzlos abgetrennt und einem feiner Fraf tionsfollegen übertragen werden fann, wird eine spätere Um­wandlung des provisorischen Kabinetts zu einem definitiven feine besonderen Schwierigkeiten machen.

Bon den elf Mitgliedern der neuen Regierung ist keiner ein unbeschriebenes Blatt. Man tann diesmal mit mehr Recht als jemals von einem Kabinett der Persönlichkeiten oder der Köpfe sprechen.

Von den elf Ministern haben vier schon der früheren Re­gierung angehört: Stresemann  , Curtius, Groe ner und Schäße L. Stresemann befindet sich auf längerem Erholungsurlaub, seine Geschäfte werden inzwischen vom Reichskanzler geleitet werden.

Bon den sieben neuen Ministern sind vier Sozialdemo­traten, zwei Demokraten, einer ein Zentrumsmann. Sie Sie find alle der Deffentlichkeit genug bekannt und brauchen ihr nicht erst vorgestellt zu werden. Bier von ihnen, Müller, Hilferding  , wissel und Koch waren schon früher Reichsminister, zwei, Severing und Dietrich, haben

An dieser unbequemen Tatsache können die schönsten kommunistischen   Phrasen nichts ändern. Sie können auch nichts an der Tatsache ändern, daß wir in einer fapitalistischen Welt leben, deren innere Gesetze auch ein sozialdemo­fratischer Arbeitsminister nicht aufheben kann. Deflamieren ist leicht, dem Gegner auf dem Wege der Ver­ständigung praktische Erfolge abzuringen, ist schwer. Diese schwere Aufgabe hat die Sozialdemokratie auf sich genommen. So wie die Dinge heute liegen, hegt feine Partei zu diesem Kabinett selbst uneingeschränktes Vertrauen. Das Vertrauen einer jeden beschränkt sich auf die führenden Ber­fönlichkeiten aus den eigenen Reihen, denen sie den Ein­tritt gestattet hat. Die Sozialdemokratie hat vier ihrer besten Männer in die Regierung entsandt, Männer, deren Können und Charakter in jahrzehntelanger Zugehörigkeit zur Ar­beiterbewegung erprobt ist. Diese Männer verdienen, daß man ihnen das Vertrauen bewahrt, sie verdienen das um so mehr, als fie freundschaftlich gemeinter Kritit gewiß nicht unzugänglich sein werden.

Bergessen mir aber nicht: es sind nicht nur diese vier Männer, die auf eine schwere Probe gestellt sind- Männer, die auf eine schwere Probe gestellt sind die

Kritik am Zentrum.

Eine Stimme der Volkspartei.

Köln  , 28. Juni( Eigenbericht).

Die volksparteiliche Kölnische Zeitung  " sagt in ihrer Donnerstag- Abendausgabe zu der Neubildung des Reichskabinetts u. a. folgendes: ,, Es ist gewiß zu begrüßen, daß durch diese vorläufige Böfung einstweilen eine Regierungsfrise beendet worden ist, in der bisher nichts weiter geschehen ist, als die für die große Koalition zu Einen Hauptteil der vereinigenden Parteien zu trennen. Schuld daran trägt das Zentrum, das in fraktioneller Macht­haberei geradezu unmögliches geleistet hat. Das Zentrum hatte bisher als eine taktisch meisterhaft geführte Partei gegolten. Dieser Ruf hat inzwischen eine böse Beeinträchtigung er­fahren. Seitdem die alten Führer des Zentrums gestorben sind, hat sich in der Zentrumsführung feine entsprechende Autorität bilden fönnen, vielmehr haben sich im Zentrum die materiellen Ge­genfäße der einzelnen Gruppen gegenüber dem im tonfessionellen Interesse liegenden Ausgleich durch eine politisch verständige Führung durchgesetzt. Die Beweggründe, aus denen das Zentrum in den