Morgenausgabe
Nr. 305
A 156
45.Jahrgang hrgane
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Sonnabend
30. Juni 1928
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Der Reichsinnenminister spricht.
Severing in der Vereinigung, Republikanische Preffe".
Die Vereinigung republikanischer Presse" feierte am reitag abend den Jahrestag ihrer Gründung in den Fest räumen der Presseabteilung der Reichsregierung. Als Gäste nahmen zahlreiche Mitglieder der Reichsregierung, der preußischen Regierung und der Behörden teil. Erschienen waren u. a. Reichskanzler Müller, die Reichsminister Severing, v. Guérard, Koch und Hilferding , die preußischen Minister Dr. Becker, Grzesinski , Dr. Hirtsiefer , Reichstagspräsident Löbe, Landtagspräsident Bartels, die Staatssekretäre Dr. Bünder, Dr. Weismann, Dr. Brecht und der Reichspressechef Ministerialdirektor Zechlin.
Im Mittelpunkt des Abends stand eine Rede des neuen Reichsinnenministers, Genossen Severing. Es ist ein günstiges Zeichen, daß die erste Rede aus der neuen Reichs
regierung bei der republikanischen Presse gehalten wurde!
Der Vorsitzende der Vereinigung, Ministerialdirektor Dr. Spieder, bezeichnete es in seiner Begrüßungsansprache als ein glückliches Omen, daß der erste Geburtstag der Vereinigung Republikanische Presse" zusammenfalle mit der Geburt der neuen Reichsregierung, die trotz Kleiner Schönheitsfehler bei ihrer Gründung doch so aussehe, wie sie sich immer gerade die republikanische Presse immer gewünscht habe. Der neuen Regierung, die das Vertrauen der Mitglieder der Vereinigung befize, wolle er nur wünschen, daß sie die gleiche Lebensdauer wie die Bereinigung„ Republikanische Breffe" habe; denn diese Vereinigung wolle noch recht lange zusammenbleiben und wirken am Aufbau und Ausbau der deutschen Republit. Nach der mit Beifall aufgenommenen Begrüßungsansprache führte
ersten Schritte zur Verwaltungsrefom und zur Demokratifierung der Verwaltung lieber nicht. Sie dürfen aber überzeugt sein, daß dieses Schweigen nicht Untätigkeit und Passivität bedeuten soll. Ich darf Ihnen versprechen, daß ich versuchen werde, aus meinem Ministerium ein affives Verfassungsministerium zu machen.( Lebhafter Beifall.)
Herr Ministerialdirektor Dr. Spieder hat davon gespro hen, daß e: der neuen Regierung ein ebenso langes Leben wünsche, wie der Bereinigung Republikanische Presse". Ich verzeichne diesen Wunsch mit Genugtuung und glaube im Sirine aller Mitglieder der Reichsregierung sprechen zu können, wenn ich hinzufüge, daß es unsere feste Absicht ist, recht lange in diefer Regierung am Leben zu bleiben.( Beifall.)
Man hat diese Regierung schon ein Ferienkabinett genannt. Ich vertrage Spott. Es ist mir lieb, wenn das graue Einerlei des Tages auch mit spöttischen Bemerkungen gewürzt wird; man soll sich doch auch gejagt fein laffen, daß man eine kurze Ferienpause auch lange Wir haben die Absicht, vier Jahre Ferien zu ausdehnen kann. Wir haben die Absicht, vier Jahre Ferien zu machen, Ferien von Regierungsfrisen, Programmentwürfen und Richtlinienberatung, um in den Ferien davon
vier Jahre praktischer Arbeit zum Aufbau der Republik zu leiffen. ( Lebhafter Beifall.)
Benn gesagt worden ist, daß dieses Ministerium ein Minifterium des Abbruchs, ober ein Ministerium auf Abbruch sei, dann möchte ich den Erfindern dieser Bezeichnung sagen, daß sie sich irren. Es ist nicht ein Ministerium auf Abbruch, aber man tann die Konzeffion machen, es ein Ministerium auf Umbau zu nennen. In einigen Monaten wollen wir dieser Regierung träftigere Tragbalten unterziehen, und ich bin der festen Ueberzeugung, mit diesen Tragbalfen wird es möglich sein, vier Jahre lang in mit herzlichen Kundgebungen empfangen, nach einer launigen Ein- der Tat praktische Arbeit zum sozialen und zum demokratischen leitung folgendes aus: Aufbau der Republit zu leisten.
Reichsinnenminister Severing,
Ich glaube, es ist in der Tat ein gutes Dmen, daß Ihr Jahrestag zusammenfällt mit dem Geburtstag der neuen Regierung. Dieses Zusammentreffen veranlaßt mich zu der Bitte an Sie, den Irrungen und Wirrungen bei der Regierungsbildung feine allzu große Bedeutung in der nächsten Zeit beizulegen; denn wir müssen die gemeinsame Kampffront behalten. Es ist auch des wegen besonders schwer, heute abend zu reden, weil man über Fragen, wie Reichsreform und Demokratisierung der Berwaltung grundsätzlich sehr viel sagen und auch viel schreiben fann; wenn man aber versuchen wollte, über die ersten praktischen Schritte derartiger Reformen zu reden, dann würde sich in der Praxis bald ergeben das laffen Sie sich von einem Braftifer der Bezwaltungsarbeit sagen, daß die nächsten Tage diesen ernsten Schritten Barrieren errichten würden. Deshalb rede ich über diese
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Wir sind überzeugt, daß wir im Verein„ Republikanische Preffe" gute Gehilfen in dieser Arbeit finden werden. Wenn es dahin kommt, daß wir eine entente cordiale schließen zwischen den Vertretern der öffentlichen Meinung und den Vertretern der deut. schen Republik, dann muß es gelingen, dann werden wir in vier Jahren, also am 29. Juni 1932, Erfolge für die Republit buchen können."
-O
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Al" Smith.
Der Kandidat der amerikanischen Demokraten.
Auf dem Demokratischen Konvent in Houffon wurde bereits im ersten Wahlgang der Gouverneur des Staates New York , Alfred Smith , mit 849 von insgesamt 1100 Stimmen als Präsidentschaftskandidat nominiert. Mit der gleichen überwältigenden Mehrheit wie Her= bert Hoover auf dem Republikanerkonvent in KansasCity ist der Gouverneur des Staates New York , Alfred Smith , auf dem Demokratenfonvent in Houston gleich im ersten Wahlgang als Präsidentschaftskandidat nominiert worden. Es mag sein, daß das Bild der Einmütigkeit, das die regierende Partei soeben geboten hatte, als Ansporn auf die Oppositionspartei gewirkt hat. Bielleicht ist auch die Erinnerung an den deprimierenden Eindruck, den die Zerfahrenheit der beiden letzten Demofratenfongresse in den Jahren 1920 und 1924 hinterlassen hatte, eine heilsame Warnung gewesen. Oder hat gar die tropische Hize, die in der TexasStadt herrschte und die die Parteileitung veranlaßte, nur Nachtsizungen abzuhalten, dazu beigetragen, daß sich die Delegierten diesmal so schnell einigten, anstatt, wie vor vier Jahren, erst nach 102 ergebnislosen Wahlgängen einen Berlegenheitskandidaten aufzustellen. Vor allem aber dürfte die Perfon von Alfred Smith diese schnelle Einigung herbeigeführt haben.
Seit Wilsons politischem, physischem und schließlich geistigem Zusammenbruch im Anschluß an den Frieden von Ver sailles fehlte es den Demokraten an einer überragenden, anertannten Führerpersönlichkeit. Das machte sich nicht nur auf den legten Konventen, sondern vor allem bei den Wahlen selbst bemerkbar: 1920 erlitt der demokratische Kandidat Cor gegen Harding, 1924 der Senator Davis gegen Coolidge eine tatastrophale Niederlage, während die Demokraten a Is Bartei bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus wesentlich beffer abschnitten. Nun ist Alfred Smith , oder„ Al" Smith , mie ihn der Volksmund abkürzend nennt, bereits vor vier Jahren bei der Nominierungsschlacht im Demokratenkonvent unterlegen, weil die Anhänger des Schwiegerjohns von Wilfon Mac Adoo folange gegen ihn opponierten, bis in Ermangelung der notwendigen qualifizierten Mehrheit die Kandidatur Smith zurückgezogen und der Senator Davis aufge= stellt wurde. Aber gerade in den letzten Jahren ist die Po pularität von Smith außerordentlich gewachsen, während das Prestige der regierenden Republikaner in der gleichen Zeit start nachgelassen hat.
Ebenso wie Hoover ist Smith ein Mann, der sich aus Der Rede des Reichsinnenministers folgte stürmischer den kleinsten Anfängen zu den höchsten Stellen aus Beifall. eigener Kraft emporgearbeitet hat. In seiner Dankadresse an den Konvent von Kansas- City hat Hoover diese Tatsache mit Genosse Severing, der Nachfolger des Herrn von Keu- Stolz betont und bei dieser Gelegenheit behauptet, in feinem dell im Reichsinnenministerium, hat das Steuerruder eranderen Land der Welt wäre ein solcher persönlicher Aufstieg griffen. Er wird festen republikanischen Kurs möglich. Das letztere stimmt allerdings nicht: die neue steuern. deutsche Verfassung von Weimar gibt jedem deutschen Staatsbürger die gleiche Möglichkeit und der Name Frie drich Ebert ist dafür der schlagendste Beweis. Ein wesentlicher Unterschied liegt allerdings darin, daß in den Augen des amerikanischen Bürgertums die Tatsache, daß ein Präsidentschaftstandidat als Gärtnergehilfe mie im Falle Hoover oder gar als 3eitungsjunge wie im Falle Smith angefangen hat, teine Belastung", sondern umgefehrt ein Beispiel von besonderer Tüchtigkeit darstellt, während das deutsche Bürgertum...! Man dente nur an die Bigeleien unserer gebildeten Kreise über den ,, Sattlergesellen" und man vergleiche sie mit den bewundernden Biographin Hoovers und Smith's in den amerikanischen Zeitun= gen, dann empfindet man sofort den Unterschied zwischen der Untertanengeist, der noch in weiten Streisen des deutschen demokratischen Tradition der Vereinigten Staaten und dem Bürgertums herrscht.
Gesicherte Mehrheit. - Kulturelle Zugeständnisse an das Elsaß .
Paris , 29. Juni. ( Eigenbericht.) In der Kammer wurde nach der Rede Poincarés die von dem Abgeordneten Danielou vorgelegte Resolution, die der Regierung das Bertrauen der Kammer ausspricht, mit 455 gegen 126 Stimmen angenommen.( Danach haben sich nur ganz wenige Radikale der Stimme enthalten, die meisten haben für die Regierung gestimmt. Red. d.„ B.")
wartete
das Vertrauen aussprechen. Die Beseitigung dieser Umstände liege nicht so bald in ihrer Macht. Gegen die Regierung wird diesmal tein Radikaler stimmen. Die Unentwegten enthalten fich der Stimme.
die
Smith's besondere Bolkstümlichkeit beruht nicht nur auf Im weiteren Berlauf seiner Ausführungen fam Poincaré auf seinem großartigen Aufstieg, sondern auch auf der Tatsache,
elfäffische Frage
zu sprechen. Wenn bestimmte Gesetze auf gewiffe Brovinzen nicht In der Freitag- Nachmittagsizung der Kammer stieg die lange er angewandt werden könnten, erklärte er, so handle es sich hier nicht um ein Berlassen des Prinzips der nationalen unteil politische Rede Poincarés. barteit. Das Elsaß habe niemals die gegennwärtige franzöfifche Gesetzgebung gefannt. Die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung, ebenso die protestantische wie die katholische, lehne die Trennung Don Staat und Kirche ab. Das Elsaß , das Frankreich wieder holt die rührendsten Beweise seiner Anhänglichkeit gegeben habe, hätte einen berechtigten Anspruch darauf, mit Wohl. wollen und Tatt behandelt zu werden. Die Regierung fönne unter diesen Umständen nichts von den ihr gegebenen Zusagen zurücknehmen.
Ihr Ton bewies, daß der Ministerpräsident sich wieder start fühlt. Die Regierung, erklärte er, wird ihre Politik weiter verfolgen, und sie wird sich auf alle die stützen, die diese Politik unterſtüßen. Sie wird denen die reue halten, die ihr die Treue halten. Also fein Gedanke mehr an einen Rücktritt. Der Rechten, die die Ausschiffung der Radikalen verlangt, wird ebensowenig entsprochen wie den Forderungen der Radikalen. Die Regierung, hatte Boincaré schon vorher festgestellt, tennt nur eine Mehrheit, die mehr heit derer, die ihr anhängen. Damit ist die Situation gefennzeichnet.
Die Radikalen finden sich vorläufig darein, so gut es geht. Sie haben am Freitag morgen beschlossen, vor der Abgabe des Vertrauensvotums eine Erklärung zu verlesen, laut derer sie nur unter den gegenwärtigen Umständen der Regierung
In der Vormittagsfitzung der Kammer hatten die Sozialisten die Streichung der Krebite für Marotto gefordert. 3hr Antrag wurde jedoch mit 415 gegen 163 Stimmen abgelehnt. Ein neuer Borstoß des Abgeordneten a four gegen die Kredite für die Levante - Armee( Syrien ) wurde ebenfalls abgelehnt, und zwar mit 405 gegen 171 Stimmen.
daß er in seinem Wesen und in seinem Auftreten sein 3 u- gehörigkeitsgefühl zu den untersten Schi ch= ten des Volkes stets betont hat. Während sich Hoover der besonderen Protektion der Truste, der Banken und überhaupt der meisten Großkapitalisten erfreut, ist Smith der Liebling des fleinen Mannes", was übrigens drüben feineswegs gleichbedeutend ist mit Arbeiterschaft. Ueberhaupt fann von einer einheitlichen politischen Stellungnahme der Arbeiterschaft nicht die Rede sein. Die sozialistische Bewegung stedt noch in ihren Kinderschuhen und ihr Kandidat Norman Thomas wird leider ebensomenig eine Rolle spielen können wie feine Vorgänger. Die Gewerkschaften sind politisch neutral und überlassen ihren Anhängern, für welchen Kandidaten sie ihre Stimme abgeben. Grundlegende politische Gegenfäge nennenswerter Art bestehen zwischen den beiden führenden bürgerlichen Parteien, den Republikanern und den Demokraten nicht, sondern höchstens Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die augenblicklich eine Rolle spielen und die mit Politik eigentlich nichts oder nur wenig zu tun haben. Im gegenwärtigen Wahlkampf dreht es sich zwar auch um die Hochschußzollpolitit