MAVIC 989
Beilage Mittwoch, 4. Juli 1928
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ир Durch die Walder durch
die Huen
,, Hinaus in die freie Natur!" ist die Parole der von Beruf und Großstadtleben abgespannten Berliner. Von den Lippen der Sangesfreudigen flingt es: ,, Denn in dem Wald, juchhei, find alle Wege frei!" Doch mit der Freiheit der Natur ist das so eine eigene Sache wenigstens in Deutschland . Es ist einmal sehr treffend gesagt worden: In Deutschland ist alles verboten, was nicht erlaubt ist, in England alles erlaubt, was nicht verboten ist und in den flawischen Ländern alles erlaubt, was verboten ist." Da nun einmal das Berbot vorherrscht, starren den friedlichen Naturfreund an allen Eden und Enden Verbotstafeln an.
Es soll hier nichts gegen den Schutz von Weiden , Anlagen, Wäldern und Schomungen gesagt werden, auch nichts gegen die leider bestehende Notwendigkeit, gewisse„ Naturfreunde" an Ort und Stelle an den Schutz der Natur zu erinnern. Nur gegen die Art, in der das geschieht, soll heute einmal Stellung genommen werden.
Wie manches schöne Landschaftsbild, manch herrlicher Ausblid wird von diesen häßlichen Schildern und Tafeln verunziert. Scharfe Worte und schlimme Drohungen schreien den ahnungslosen, unschuldigen Ausflügler in schlimmstem Behörden oder Amtsdeutsch an und meden unliebsame Erinnerungen an die dumpfe Luft der Bureau und Amtsstuben. Man tann durch Beobachtung leicht feststellen, daß die meisten Schilder überhaupt nicht gelesen werden, und wenn schon ob sie nicht oft wie die verbotenen Früchte, die ja am besten schmecken sollen, wirten? Der Bauer, an dessen Weide eine schlichte Tafel verkündete: ,, Das Betreten der Wiese ist nur dem Rindvieh gestattet!" hat sicherlich mehr Erfolg gehabt. Biel mehr Beachtung als Berbote findet z. B. auch der folgende Vers, den man, sehr geschmackvoll geschrieben, zuweilen in der Mart Branden burg findet:
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,, Lieber Leser, mert dir das:
Beh' auf dem Weg und nicht im Gras, Damit man leicht und ohne Müh
Dich unterscheiden tann vom Bieh."
Der frische Windstoß, der die dumpfe Luft unserer Amtsstuben fäubern foll, ist vorläufig nur als leichtes Säufeln vernehmbar. Wer feine Ohren hat, merkt immerhin schon an einigen Orten vorfichtige Versuche dazu. Die Verbindung zur Welt, zur Bevölkerung wird gesucht. Die Amtsstube will wieder volkstümlich werden. Wer durch die Mark wandert, kann schon einiges davon spüren. Es sei zur Anregung hier erzählt:
An einem beliebten Lagerplatz war folgender Spruch zu lesen: Stullenpapier und Eierschalen
Bereiten dem Schönheitsdurftigen Qualen.
Zuletzt sei noch von einem besonderen Beispiel erzählt: An einem schönen Ausblick in der Märkischen Schweiz liegt ein großer Stein. Findling nennt man dieses Ueberbleibsel der Eiszeit. Seine Vorderseite ziert eine weiße, schwarz umrahmte Fläche, die diesen zwar derben, aber wahren Ausspruch trägt:
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Wem das Großstadtleben die Nerven zermagt, Wen Kummer und schlechte Laune plagt, Der sucht hier Ruhe, der haßt Gebrüll! Drum haltet die Schnauze und wandert still." Ob sich nun so ein lärmender ,, Naturfreund" getroffen fühlte oder ob ein besonders zart besaiteter Wanderer das derbe Bort anstößig fand, ist nicht bekannt. Aber die Schnauze" war eines ausgefragt. Und was geschah? Das Wort wurde Lages fort nicht erneuert und durch Strafbestimmungen das erneute Radieren verboten. Der Verantwortliche war fein Bureaufrat, er tennt die Menschen, weiß sie zu behandeln. Etwas höher, unerreichbar, hängt nun unmittelbar darüber ein schlichtes Täfelchen mit dieser Antwort: Wer hier das Wort Schnauze hat ausradiert, Der hat ein töricht Stüd vollführt;
Daß die Schnauze das Größte im Berliner Gesicht, Weiß die Welt, mur der Radierer nicht."
Ob sich nicht bald in vielbesuchten Orten und Gegenden Freunde finden, die mit der Verunzierung der Landschaft durch Berbots tafeln ein Ende machen und diesen Weg einmal versuchen? Wahre Naturfreunde werden es freudig und dankbar begrüßen.
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Hunde als Badegäste.
Aus dem Ostseebad Ahlbed wird uns geschrieben: Nicht von dem Kleiderlurus soll geredet werden, der in den Modebädern getrieben wird. Nicht das üppige Mahl in den exklusiven Hotels soll unter die Lupe genommen werden, einige andere Dinge feien geschildert.
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" Tausend und eine Nacht in orientalischer Beleuchtung“,„ Ein Abend am Rhein " mit schwarzweißroten Fahnen natürlich, Italienische Nacht mit wundervoller Dekoration"," Bettrauchen mit Prämienverteilung",„ Ein lustiger Abend in Kalau . Jeder Ralauer wird prämiiert". So und ähnlich lauten die Anpreisungen an die elegante Belt" dieses Bades. Ein Lautsprecher, der stündlich seine verrostete Stimme ertönen läßt, unterstützt die marktschreierische Reklame. Man lebt. Jazzband sorgt für die nötige Stimmung. Das Geld rolliert. Der Morgen sieht verfaterte Ge
fichter.
Man führt seine Hunde in das Seebad. Es soll den Vier
füßlern wirklich nicht geneidet werden, wenn sie ihren Herrn auf
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der Badereise begleiten dürfen. Auch ihr tägliches warmes Seebad" gönnt man ihnen, auch die ausgewählte Betöftigung, die sie mit Heulen oder Gebell, je nach der Erziehung, einnehmen. Man empfindet sogar ein gewisses Mitleid, daß die getreuen Vierfüßler nicht den Badestrand betreten dürfen, obwohl sie doch die Kurtage bezahlen müssen. Aber die Sache nein ihr Herr wirkt nicht nur fomisch, sie ist auch soziologisch interessant. Dort in dem kleinen Café sitt ein Dämchen. Zwei Stühle neben ihr sind besetzt. Da träumt auf dem einen weltverloren ihr weißer Spiß. Der seidene grüne Schal der Gnädigen" dient als Sitzkissen, eine blauseidene Dede behütet das Hündchen vor Erkältung. Mittlerweile schlabbert der zweite der weißen Spize seine Schlagfahne. Auf der Kurpromenade führt ein junges Mädchen ein ganzes Koppel von Dackeln, drei Stüd, spazieren. Man überrechne: die Dadel verursachen Transportfosten, verlangen entsprechende Beföftigung, ihre Unterbringung ist nicht einfach und der Besitzer hat bie Kurtare zu bezahlen. Die beträgt in vielen Bädern 50 Prozent der Tage für eine erwachsene Person. Bei einem Aufenthalt von drei Wochen eine Summe von 10,50 Mark pro Tier, für die Koppel rund 30 Mart. Wer tann sich das leisten?
Deutschland ist arm! Hunderttausend Kinder gehen jährlich an Unterernährung zugrunde! Aber für die Modehündchen ist in den Seebädern gut gesorgt.
Die sichtbare Besatzung.
sinis
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Besuch im besetzten Gebiet.
Nach 26 Jahren wieder einmal in Mainz ! Damals als junger Fant, nachsichtig lächelnd, in die Pferdebahn steigend, die ein Gaul heute zunächst einmal den vom Bahnhof bis zum Rheinufer zog Dom besuchend, mit dessen Ausbesserung man bald fertig sein will. Einstweilen tobt noch Maschinenlärm durch die heilige Halle. Beton wird in die Fugen der fausend jährigen Steinmauern und bogen gefpritt- modernfte Technik an der frühmittelalterlichen Stätte! Doch wie anders, wie viel heller und heiterer ist der
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roter Armbinde dauert eine Weile faft so lang als der Bummelzug in Bingen stehen bleibt. Gerade als er weiterfährt, unverständliche Romamndos, etwa, bööö- böppp", morauf die Flinten auf die Schultern fliegen. Was wollen die in Bingen , an der Nahemündung in den Rhein ? Die gehören doch nach Alderschot in Tommy. Atkins' lebungslager. Uebungslager. Aber dieweil die blauen Horizonte nicht in Châlons- sur- Saone , sondern in Mainz und in der Pfalz liegen, bleibt auch der Englishman in Wiesbaden , das jetzt auch am Rhein
Drum pergnüglich hier deine Mahlzeit faue, romaniſche Dom als die katholischen Großkirchen gothischen Grnftes liegt, feitdem es Biebrich in bas
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Er murde gelesen, belacht und behalten. Einer machte den anderen darauf aufmerksam, und das Verslein wurde bekannt. Gerade größeren Gesellschaften, Gruppen und Vereinen wird leider mit Recht nachgesagt, daß sie Waldwiesen als Lagerstellen gern benutzen und in fürchterlichem Zustand zurücklassen. Ein Förster hat es ihnen mit folgendem Gedicht sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben:
Es flaunt der Hafe am Waldesrand;
Ein Wunder geschah in der Lichtung,
Der Brombeerstrauch ward zum Beitungsstand
Bon jeder Farbe und Richtung
Die Blümlein schaun so verändert drein,
Bananenschalenbelastet...
Das macht, es hat ein Gesangverein
An dieser Stelle gerastet."
Die großen Bekanntmachungstafeln an öffentlichen Anlagen, Barts usw. mit den vielen, vielen Paragraphen, Bestimmungen und Verboten hat jeder schon gesehen. Aber gelesen haben sie die wenigsten Besucher. Ich habe doch einmal beobachten fönnen, daß eine solche Tafel von jedem Eintretenden bis zum letzten Wort gelesen wurde. Sie war auch äußerlich sehr geschmackvoll. Kein langweiliges Berbot, sondern der folgende Bers war darauf zu lesen:
Wo du in sede Buchenrinde
Das Rainsmol deiner Pfoten schreibst, Wo du mit Schreien und mit Johlen Dein lümmelhaftes Wesen treibst,
Wo deines Singfangs Echo widerhallt, Das nennst du deinen deutschen Wald? Im Wald und auf der Heide,
Da suchst du deine Freude
Mit Blumenfniden, Wildverhetzen,
Mit Tabafsquaim, Papieresfeßen? Sold Treiben ist, das merk dir, Bube, Das Zeichen schlechter Kinderstube!" Feuer anzünden strengstens verboten!" mahnt eine befannte Tafel.„ Sehr richtig!" denkt der Gleichgültige, geht weiter und zündet sich gedankenlos ein paar hundert Meter weiter seine Pfeife ant. Das Streichholz fliegt in hohem Bogen seitwärts. Die warnende Tafel hat er längst vergessen. Nachdenklich würde er doch, wenn er an einer fahlen Stelle der Märkischen Schweiz auf einem großen Stein diese Zeilen liest:
,, Betrachtet diesen wüften Ort!
Hier warf ein Mensch ein Streichholz fort Und ward durch dessen Funken Fahrlässig zum Salunken."
Es soll ia in der Natur auch Dinge geben, vor denen man mit Es soll ja in der Natur auch Dinge geben, vor denen man mit dem besten Amtsdeutsch und mit den verbogensten Baragraphen schlecht warnen fann. Ein Spaßvogel hat das mit diesem Bers fertiggebracht:
,, Geitab im Walde wohnt Klapperstorch! Drum Kind, geh' nicht hinein! Denn eh' du dich besinnen fannst, Beißt er dich schon ins Beint
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etwa in Wien , München und sonstwo. Das Tageslicht flutet von oben herein und einen Hof gibt es mit leuchtendem Grün an alten Bäumen, die wohl erst vor ein paar Wochen weiß und rosig in Blüte standen!
Halb Mainz ist Altstadt. Straßen von faum zwei Metern Breite wie in Alt- Frankfurt auch, wo sie vom Fünffingerplatz" hinter dem Römerberg wie die Finger einer Hand auslaufen dort, wo Friedrich Stolzes Wort gilt:
Trint mit A'dacht Aebbelwei Hier uf' n Römerberch
da wirst du bald viel fel'ger sei als jemals in der Kerch .
Na ja, wir wissen es schon
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Bon alle Städte in der Welt
mei Frantfort mir am besten g'fällt
es will mer net in' n Ropp hinei
wie fann nor der Mensch net vo Frankfurt sei! Und der weißtöpfige Mann, der da über den Römerberg geht er ist es wirklich und wahrhaftig, der Sohn Friedrich Stolzes, selbst schon im Patriarchenalter, selbst ein hochgeschätzter Schrift
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fteller.
Aber hier in Mainz , so nahe von Frankfurt , aber schon in Hessen , ist es nichts mit Aebbelwei, dafür sieht man gleich von der Bahn die französische Fahne. Du Blau- Weiß- Rot, Mutter aller romanischen und slamischen Tricoloren, Freiheitsfahne von ehedem, aber wir achten dich wieder nur auf fremdem, auf deutschem Boden haft du als Herrschaftszeichen nichts zu fuchen im tiefen Locarno - Frieden.
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Und es sind ja nicht nur Fahnen und französische Aufschriften an ehemals deutschen Kasernen und Palästen, Aufschriften wie ,, Flotille du Rhin" und" Cercle des officiers" und so. Wir sind ja im Hauptquartier der französischen Besazungsarmee, General Guillaumat fit im Schloß und feine blau angezogenen Burschen trifft man überall, einzeln und mehrere. Sie machen auch Bacheablösung mit immer demselben Hornistenmarsch und im schnellen, federnden Schritt der französischen Infanterie marschierend. Last autos mit Militärchauffeuren sausen, Kriegsflugzeuge treifen, Offiziere in Schwarz und Khaki mit ihren Angehörigen und Besuchern. Aber was Teufel, auch mit Peitschen. Die sollen fie in der Raferne lassen, wenn sie vom Ausritt zurückkehren! Benn schon nicht diese große Besatzung unsichtbar gemacht werden kann die die Peitschen sollten es endlich!
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Da geht auch ein Franzose mit rotem Turban vorbei ein ganzes Zuavenregiment liegt noch in Mainz : Berber aus Algerien , negroide Leute aus den afrikanischen Kolonien immer noch in Deutschland . Ist es nicht bald genug mit der Sabotage aller Berständigungspolitik durch das bloße Vorhandensein dieser Besatzung, mögen fich ihre Mitglieder jetzt auch noch so anständig benehmen?! Die Engländer in Wiesbaden sind viel geringer an Zahl und schon deshalb sieht man sie viel weniger. In Bingen stieg gerade eine britische Regimentstapelle aus dem Zug, eine Begleittruppe bazu, mit Gewehren und Tornistern. Die Aufstellung auf dem Bahnhof unter der Aufsicht eines biden Feldwebels mit weiß
Deutsch können sie allesamt nicht, es scheinen nur Berufschargen längere Zeit im besetzten Gebiet zu bleiben. Auf dem Hauptbahnhof sehe ich, wie ein Dfizier am Riost wortlos ein Päckchen Zigaretten nimmt und dem Berkäufer mit fragendem Gesichtsausdruck hinhält, um den Preis dann womöglich in der Fingersprache zu erfahren. Es war gerade Sängerwettstreit und auf einmal ertönt in der sonntäglich vollen Bahnhofvorhalle dröhnend der bürgerliche Sängergruß:
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Stimmt an mit hellem hohen Klang: Heil deutschem Wort und Sang!
Die Franzosen fahren nervös zusammen, das Publikum applaudiert begeistert. Muß das alles so sein?
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Borher in der. Straßenbahn größere französische Gesellschaft um einen Hauptmann mit drei goldenen Treffen am Räppi. Ein Zivilist, wahrscheinlich auch ein Offizier, denn sie gehen in Zivil, so oft fie nur fönnen, erklärt seiner Dame: ,, sed üc'est tset ou, alors ,, u" so erläutert er ihr wenigstens die deutsche Aussprache der Buchstaben. Im Zug von Bingen nach Bacharach fahre ich mit einem alten Herrn, der schon 40 Jahre im Rheinland lebt. Er flagt bitter, daß die Deutschen aus dem unbesetzten Gebiet, die fich eine Sommerreise leisten können, eher ins fernste Ausland gehen, als ins besetzte Deutschland . In der Tat, als wir in Berlin das französische Gratispisum für unseren nach Lyon auf Ferienaustausch gehenden Jungen holen, stehen Hunderte am Konsulat alle wollen sie nach Frank reich fahren. Daheim sind sie gewiß stramm rechtsparteilich. Patriotismus des Geldsacks!
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Der tätowierte Don Juan.
r. bn.
Der 25 Jahre alte Sohn des Blumenfabrikanten Douglans in Chitago hatte mit verschiedenen Arbeiterinnen seines Vaters ein Liebesverhältnis unterhalten. Die betörten jungen Mädchen, denen er seine Gunst später wieder entzogen hatte, fannen auf Rache. Bor ein paar Tagen erhielt Douglans jun. einen Brief, in dem ihm ein Mädchen, die seine Liebeswerbungen bisher abgewiesen hatte, ein Stelldichein in ihrer Wohnung bewilligte. Ueberaus glüdlich, endlich seinen Wunsch erfüllt zu sehen, leistete der junge Mann der Einladung Folge. Kaum aber hatte er das Haus betreten, da wurde er von seinen früheren zehn Bräuten umringt; ohne im Stande zu sein sich zu währen, schleppten die Mädchen ihn in ein Zimmer und fesselten ihn an Händen und Füßen. Douglans jun. glaubte, daß sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Doch so blutdürftig zeigten fich die Mädchen nicht, fie hatten sich eine andere Strafe ausgedacht. Eines der Mädchen, eine sehr gute Beichnerin, tätowierte ihm auf beide Wangen ein Herz mit lodernder Facel ein. Erst als die chinesische Tusche schon in die Stichwunden eingedrungen und nicht mehr abwaschbar war, ließen sie den einstigen Liebhaber laufen. Der so gekennziechnete Don Juan fonnte sich mit dieser Berzierung natürlich nicht bei seinen Freunden und Bekannten sehen lassen, schleunigst reifte er nach New York , wo er einen der berühmtesten Aerzte tonfultieren will, damit er wieder von der ihm entstellenden Tätowierung befreit wird.