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Nr. 319 43. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag, S.Luti-ms

Aujlefe. im JÜBuhche JtwrtdcardwgH

Die Treibhausluft de, Juli hat endlich die Klagen verstummen gemacht: Eswill diesmal gar nicht wachsen! Natürlich kann der Hochsommer nicht die Frostschäden ausgleichen, aber man ist doch froh, von dem kalten Winde erlöst zu sein. Laube und Siedlung. Man hört wohl oft, wenn von Fro st schaden die Rede ist: Bei mir ist nichts erfrorenl Wer in der Lage ist, auf einem größeren Umkreis Ausschau zu halten, weiß, wie individuell das einzelne Grundstück der Wirkung der Kalle ausgesetzt ist. All- gemein kanu man sagen, daß zwischen Berlin und dem Land« eine Differenz von 2 bis Z Grad in der Nachttemperatur besteht, was natürlich dem dicht an der Peripherie gelegenen Laubenland zugute kommt, das zudem noch durch natürliche oder künstliche, den Wind abhallend« Erhöhungen. Dämme, Bauten usw. wetteren Schutz gewinnt. Aber auch draußen, wo die Siedler frei- liegende Aecker haben, ist oft nur der eine Teil de» Landes vom Frost bedroht, der andere nicht. E» find gewissermaßen Kälte. straßen vorhanden, die vielleicht durch Gehölz. Buschwert, aber auch Wafier bedingt find. Jedenfalls tut der Siedler gut daran. sich solche gefährdeten Stellen zu merken und auf ihnen keine besonders empfindlichen Pflanzen, wie Bohnen, Gurken, Dahlien usw. zu ziehen. Die Slaskulwr. Der März- und der starte späte Maifrost diese, Jahre« lassen erkennen, welchen Wert die jetzt durch staatliche und städlische Kreditgewährung betriebene Kultur von Frühgemüse für unser« rauhen Gegenden hat. Aber dem kleinen Mann, der nicht für 55 000 M. einen Morgen Land unter Glas bringen kann, ist damit nicht geholfen. Er steht unter dem Zwange, möglichst früh Ware auf den Markt zu bringen, denn später �ohnt es nicht*. Aber es fehlt ihm die Kraft, der meist schon vorher erkennbaren Frostgefahr zu begegnen: man weiß, daß Raucherzeugung die Wirkung der Kalle auf die Pflanzen verhindert. Aber soll er, der tagsüber sich abrackert, noch die Nacht sich mit Raucherzeugung abquälen? Man wird bei ollen gärtnerischen Fragen, die sich nicht auf den Großbetrieb beziehen, immer wieder auf das genossenschaftlich« Prinzip hingewiesen: sollte es nicht möglich fein, eine Frostwehr aus solcher Basis einzurichten? Ansummen wirk- ichajtlicher werte würden erholten bleiben, wenn e, gelänge, diese Schäden abzuwehren. Ueberoll hört man in diesen Jahren vom Versagen der Stachel- und Johannisbeeren welch großer Verlust für den einzelnen und für die Volksgesundheit! Solange nicht solche durchgreifenden Schutzmaßnahmen und nicht Vorkehrungen für ein« einigermaßen gerechte Entlohnung des kleinen Produzenten getroffen find, muß der Siedler bemüht sein, durch eine seinen Mitteln entsprechende bescheidene Glaskultur dos Problem zu lösen. Die Heranzucht von Kohlpflanzen im Herbst und dos Ueberwintern im Glaskasten gibt ihm die Möglichkeit, früh abgehärtete Kohlpflanzen ins Laim zu bringen und dem-

entsprechend eine frühe Ernte zu hallen. Man weiß, wie nach der langen Frühsommerpause der Konsument sich aus den ersten Wirsingkohl freut... Auch Schoten sind begehrt und sind nicht allzu empfindlich: zu ihnen gehören bekanntlich junge Mohr- rüben, die schon früh gesät' werden können. Kohlrabi sollte man in 14-Tog-Abständen pflanzen, damit ein Daucrabsotz möglich ist. Das gleiche gilt für den Salat. Die preise. Man spricht setzt in Gärtnerkreisen nur noch von Ratio»«- iS.fi'-4 lisierung und Standardisierung. Das Fachblatt ent- hält bewegliche Aufrufe, sich zusammenzuschließen, um berechtigt« Forderungen auf Grund der sorgfältigen Auslese der Ware durchzusetzen. Nach der Erklärung eines hervorragenden Fachmannes ist Standardisierung in Obst dieEinführung einer einheitlichen ehrlichen Packung* mit Oualitätsbezeich- nung. Väterchen Skaal sorgt z. B. im freien Amerika dafür, dich der Verkäufer hält, was er oerspricht. So macht es Holland mit Frühkartoffeln, wie Dänemark mll seinen landwirtschaftlichen Produkten: Butter irnd Eier. Dem genossenschaftlichen Zusammen- schlich der Produzenten steht die genossenschaftliche Macht in der Preisbildung zur Seite, und es ist nicht anzunehmen, daß Bohnen z. B., wie zeitweise in Berlin , für 3 Pf. das Pfund an den Händler abgegeben werden müssen, während da. Pflücken sich auf etwa 2 Pf. stellt. Organisation des Absahes. Das Geld, das Staat und Gemeinden für die Hebung der Produttion geben, wird um so wertvoller sein, wenn es von Maß- nahmen staatlicher oder kommunaler Art beglettet ist, die geeignet sind, die von der Sozialdemokratie stets geforderte Organisation des Absatzes der Bodenprodutt« ins Leben zu rufen. Daß gewisse Qualitätswaren schon heut« ihre Anzucht lohnen, lehrt das Beispiel der Gurken und Tomaten, die unter Glas herangezogen werden. Für deutsche Tomaten sind höhere Preis« erziell worden, als für ttalienische, spanische und afrikanische Ware, da die Oualttät irrste rer Treibhauserzeugnisse von ihnen nicht erreicht wird. Ueb erhaupt ist in diesem Jahre der

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llebepfluß, der sich sonst bei Eintritt der Ernte aus dem freie» Lande einstellt, nicht so zu spüren gewesen, da das kalle Frühjahr: allenthalben die Produktion ungünstig beeinflußte. So ist es namenttich beim Spargel gewesen, bei dem auch noch die Kon- jervensabrit« als Abnehmer stark i» Frage kommen., « Für das Publikum, die große, Masse der Hausfrauen, die miß kleinem Budget wirtschaften, müssen die diesjährige» Preise hoch erscheinen. Die alle Erfahrung, daß die vielfache» Zwischenstufen des Handel» hier die Preisspanne erhöhen, sollt«! ebenfalls zur Schaffung eines direkten Verkehrs zwische» Produktton und Konsumenten anregen. Ueber den Ausfall dest diesjährigen Gesamternte läßt sich jetzt schwer ein Urteil fällen. Man kann den Stand gut nennen, doch sollte Wärme und Ab� nähme der Regengüsse sich für längere Zeit einstellen. In de» Blumengärten prangt jetzt der S o m m er f l o r in reichstei» Farbenschmuck. Es ist erstaunlich, wie immer neue Züchtungen Form und Farbe verbessern, so bei Pewnien, Rosen. Leokojen, Dahlien, Hortensien usw. Leider haben viele Rosen durch dip Kalle ihr Leben einbüßen müssen: selbst Rankrosen sind vielfach abgefroren, so daß nur die neuen Sprossentriebe das noch oo« handene Leben anzeige».

Feuer iu einer Wagenfabrik. Sine Montagehalle völlig zerstört. Durch ei» Großfeuer wurde am Sonnabend nachmittag die große Montagehalle der Zahrzengsabrik Fritz Ganbschat in der walterfir. 32/3« in Renkölln zerstört. Die Feuerwehr war mit einem großen Aufgebot znr Stelle und fast sieben Stunden mit den Lösch- und Auf- räumungsarbeiten beschäftigt. Auf dem Grundstück Walterstr. 32/38 befinden sich die Fabrt- kationsgebäude der bekannten Fahrzeugfabrik Gaubschat, die«inen größeren Komplex bilden. Inmitten der Werksanlagen ist ein« etwa 35Met«rlange und fast ebenso breite masfiveMontage» Halle, m der die Stellmacher«! untergebracht war. Beim Schweißen eines Dampfrohres gerieten durch einen Luftzug glühende Eisenteilchen in das Dachgebälk, das im Nu Feuer fing. Von den Arbeitern der Belegschaft wurden sofort Löschversuch« angestellt, die jedoch ohne Erfolg waren. Als die Feuerwehr mtt drei Löfchzügen an der Brandstätte eintraf, stand der größte Teil der Montagehalle bereits in hellen Flammen. Auf den Alarm.Großfeuer besonderes* wurden deshalb fünf weitere Löschzüge herange- zogen. Don der Halle konnte wenig gerettet werden: denn die

Flammen fanden au Karosserien, Holzoorräten und der Halle « tt* richtung reiche Nahrung. Das brennend« Dach stürzte plötzlich i» seiner ganzen Ausdehnung krachend zusammen, doch kam glücklicher- weise niemond zu Schaden. Größte Gefahr bestand ei« Zeitlang für die angrenzende Maschinenhalle und mehrere Lagerräume. Es mußten deshalb zwölf Schlauchleitungen größten Kattbers in Tätig« kell gesetzt werden,«an ei« wettere Ausdehnung des Feuers, die zweifellos eine Betriebsstillegung zur Folge gehabt hätte, zu ver- hindern. Erst nach dreistündigem Wossergeben war die Gewalt des Feuers gebrochen und die Aufräumungsarb« iien konnten in Angriff genommen werden. Der Schaden ist hoch, jedoch durch Versicherung gedeckt. Wie die von dem Feuer btttrofte« Firma mitteilt, ist es mithin dem tat« kräftigen Zugreifen der gesamten Belegschaft z» verdanken, daß noch größeres Unheil verhütet wurde. Der Betrieb erleidet keine Störung, da gerade ei« neu« Montagehalle, die in diesen Tagen bezogen werden soll, fertiggestellt ist. * Am Nonnendamm 2 in Charlottenburg geriet ein größe« rer Schuppen, in dem Oelvorräte lagerten, in Brand. Wegen der starten Derqualmung- der Brandstelle gestalteten sich die Lösch- arbetteu der Feuerwehr sehr schwierig. Nach zweistündiger Arbeit tonnte da« Feuer niedergekämpft werden.

Aie Aachl nach dem Verrat. 21 Nomon von Liam O'Flaherty . (Aus dem Englischen übersetzt von K. Häuser.) Plötzlich erschien er wieder, um die Ecke des Bureaus herumkommend. Er trat auf den alten Mann zu und steMe sich vor ihn hin, die Hände in den Hüften, die Beine weit gespreizt. Seine sauberen blauen Hosen waren korrekt ge- bügelt. Er war in Hemdsärmeln, so daß seine diamantenen Hemdknöpfe und der große Brillant in setner Krawatte in dem Halbdunkel leuchteten. Sein Haar war mit par- fümiertem Oel dicht an den Kopf gelegt, der Geruch durch- drang den ganzen Raum. Er sah aus den alten Mann her- ab mit einer Mischung von Verachtung und Aerger. Die beiden anderen Allen fingen schmeichlerisch zu kichern an und oersuchten so zu tun, als ob sie den Allen mit den Lumpen absolut nicht kennten. Schließlich fand der zer- lumpt« Alle ein rotes Taschentuch, konnte aber in seiner Aufregung den Knoten nicht lösen, der es zu einem Ball zusammenband. Da ist es,* rief er,dadrin sind fünf Pennys und vier halbe Pennys. Ich kann's nur nicht aufknoten, weil die Finger alle steif sind vom Rheuma, könnten Sie's viel- leicht tun um Gottes willen?* Dann sah er offenen Mundes in dos Gesicht des Bureaumannes. Der, ohne von dem Taschentuch die geringste Notiz zu nehmen, starrte den. Alten an, als ob er ihn niederschlagen wollte. Der Alte fing an zu zittern. Mach', daß du'rauskommst!" brüllte der Aufseher plötzlich mtt Donnerstimme. Gleich stand er wieder regungs- los. Der olle Mann zitterte und stotterte. Er wandte sich und schlurfte die Stufen zur Tür hinunter) wie er ging, scheuerten sich ftine S chulterblätter an seinem Zeug. Er stieg zwei Stufen hinunter, machte unsicher hall und sah sich um. Dann stolperte er, nahm eine dritte Stufe, verlor das Gleichgewicht und glitt aus. Er rutschte auf dem Hinter- teil zur Tur. Die beiden anderen Alten fingen an zu lachen und zu kichern. Der Aufseher schalt sie aus. Was gibt's da zu lachen? schrie er. Sie hörten äugen- Ucklich auft Jfc du dal" fuhr er fort, de» Finger nach

dem Allen in den Lumpen ausstreckend, der jetzt draußen auf der Schwelle stand und unentschlossen rückwärts über seine Schullern guckte.Wenn ich dich noch mal erwische, aller Esel, dann bring' ich dich zur Polizei. Mach', daß du jetzt wegkommst, und geh ins Arbeitshaus, da wo du hin» gehörst. Marsch!* Der Alte zog sein affenartiges Gesicht zusammen zu einer Grimasse schmerzlicher Ueberraschung. Er warf einen erschrockenen Blick auf das hagere Gesicht McPhillips, das aus der Ecke links an der Tür ihn anstarrte. Dann murmelte er etwas und machte sich fort, die Straße hin- unter, in einem elenden Trott. Die anderen Allen fingen miteinander zu wispern an, sobald der Bureaumann den Rücken wandte und wieder in sein Bureau ging. 'Totschießen sollte man den Kerl, was?* Das sollte man,* wimmerte der andere,der Schuft, der dreckige so umzugehen mit einem.* Dann schlürften sie zum Schaller, um ihre Bettkarten zu holen. Der Clerk fluchte und gab ihnen Schimpfnamen, sie aber entschuldigten sich fortwährend und kicherten. Während die beiden Allen am Schalter ihre Bettkarten lösten, schlüpfte McPhillip lautlos durch die Tür und schlich durch den Raum. Den Durchgang untersuchend, sah er sich um. Dann wandte er sich rechts dem entfernteren Ende zu. Dort stand er still. Er lehnte sich wie zufällig an die Mauer, holte eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. Er sah um sich: es war ein breiter Gang mtt Zementfußboden und mit Wänden aus glasierten Kacheln. In regelmäßigen Abständen gingen Fenster hinaus auf einen großen Hof auf der Rückseite des Gebäudes. In den Alkoven, die die Fenster bildeten, waren Bänke. An der Wand gegenüber in je etwa drei Meter Abstand Spucknäpfe. Menschen standen in Gruppen in dem Gang, einige saßen auf den Bänken, in leisem Gespräch miteinander, andere gingen auf und ab, einzeln oder zu zweit, die Augen auf den Boden geheftet, die Hände rücklings unter den Rockschößen zu- sammenhallend. Sie waren olle zerlumpt und trübselig. Einige waren jung, aber ihre Gesichter besaßen bereits jenen trostlosen Ausdruck, den man im allgemeinen nur in de» Gesichtern von alten Leuten findet, die das Leben ent- täuscht hat. Langsam an seiner Zigarette ziehend, prüfte McPhillip diu Hall««od du Miwschun. die vorübergingen: mit der

gleichen flinken und geschärften Uebung wie vorhin die Straße. Wieder konnte er niemand erblicken, der sein Inter­esse erregt hätte. Wieder seufzte er leise und wandte sich nach rechts. Durch eine Drehtür betrat er einen großen Raum. Der Raum war Überfüllt. Er war mtt langen Tischen und hölzernen Bänken ausgestattet, wie ein Caf6 für Ar- better. Auf ein paar Tischen lagen Zeitungen, auf anderen Spielbretter und Dominiosteine. An allen Tischen saßen Menschen, einige lasen, andere beschäftigten sich mtt den Spielen. Die Mehrzahl indessen saß schweigend da, leer vor sich hin starrend, versunken in die Betrachtung ihres schrecklichen Lebens. Diejenigen, die keinen Platz finden konnten, standen um die Tische herum und beobachteten den Fortgang der Spiele, die Hände in den Taschen und im Gesicht den Aus- druck unerschütterlicher, geistesabwesender Gleichgültigkeit. McPhillip schlenderte von einem Tisch zum anderen, die Zigarette in der Linken, die Finger der Rechten am Drücker der Pistole zwischen den beiden Knöpfen des Regenmantels. Niemand nahm Notiz von ihm. Die traurigen Augen, die ftch zufällig hoben, um ihn anzusehen, sahen nur ein chäbiges Wrack wie sich selbst. Und selbst wenn irgendwie plötzlich durch eine laute Trompete den Menschen in diesem Räume seine Identität verkündigt worden wäre, blieb es zweifelhast, ob diese Neuigkeit bei mehr als einigen Er- regung verursacht hätte. Die Verbindung dieser Menschen, die zufällig Arbeiter waren, manche auch Verbrecher und verbrauchte alle Männer, mit der zivilisierten Welt, ihren Moralbegriffen und ihrem Abscheu vor Verbrechen war so lose und schwach, daß sie nicht imstande waren, das Interesse zu verstehen, das ein Mord in der empfindsamen Brust unserer Frauen und Schwestern erweckt. McPhillip durchspähte den Raum genau, ohne zu ent- decken, was er suchte, dann ging er wieder in den Gang. Er trat in ein anderes Zimmer, das von den Insassen des Heims zum Briefichreiben benutzt wurde. Dieses Zimmer war leer. Dann ftieg er eine Treppe hinab, die zu den Wasch- und Baderüumen führte. Hier waren Männer, die sich wuschen und rasierten. Er ging überall umher und ent- deckte niemand. Wieder kam er zu dem Korridor hinauf und betrat den Eßsaal.< (Fortsetzung folgt)