(Beilage Mittwoch, II. Juli 192»
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Rund um das Moltkehaus. Wir pilgern an einem heißen Sommertag durch den Tiergarten hindurch zu Karl Sevcring, dem neuen Rsichsinnen-, Polizei- und Derfassungsminister am Platz der Republik . Breit spannen sich die Baumäste de« Parks über die Spazierwege und Reitbahnen Wil- Helms des Zwoten und über die breite Asphaltstrahe, durch die eine endlose Kolonne von Autos nach dem StadtiNnern oder nach dem Berliner Westen rast. Da steht der rote Steinbaukasten, den das Reichsinnenministerium nach dem endgültigen„Ausverkauf"' des Großen Gcncralstabes bezogen hat, vor uns. Rechts vorn, in weißen Stein gehauen, das Moltke-Oenkmal. Reglos steht er da oben, an seinen Sockel gelehnt, in Ueberrock und Mütze— während ringsum die richtigen Majestäten mit der Pickelhaube auf ihren steinernen Rössern sitzen— reglos schaut der„große Schweiger", dem die liohenzollern ihr Kaiserreich militärisch zu ver- danken hoben, nach dem Bismarckschcn Regierungsviertel hinüber und ein skeptisches Lächeln spielt um den ganz unsaldatischen Ge> lehrtenkopf. Zu seiner Linken Wilhelms des Zweiten Lieblinzsspielzeug— Das Gcncralsiabshaus. Em vlereckiger Kasten mit roten Sandsteinrabatten und festungs- ortigen Zinnen, von denen kriegerische Löwen ihre Mäuler herunter- zeigen. Die ganze Vorderfront ist mit Wappenschildern maskiert: Immer ein großes„W" und dann dos HoHenzollernsche l)auswappen, wie eine in Abständen angebrachte Eisentiahnreklame, die der neu- gierige Passant immer wieder zu lesen Hot, bis er sie endlich kapiert. Das Ganze ist überragt von einer kriegerisch ausgeputzten Frau am Giebel, die drohend zum Reichstag und zum roten Berlin hinüber ein scharfkantiges Messer schwingt. Im übrigen ist das Gebäude, als.' Reliquie von Wilhelms: Soldatenlaiserherrlichteit bis in alle Details mit einer rührenden Pietät kmeferviert. Im gepflasterten Hof die Ställe der Generalstabspserde,«in Ziehbrunnen, Modell 1871, und eine Art Aufzug, der Vorläufer eines sogenannten List, der außen an dem roten Kommißkasten so stabil angebracht ist, als ob er einem halben Dutzend von Fliegerangriffen hätte standhalten müssen. Vor der Tür ober weht die schwarzrotgoldene Fahne am grünen Ministerauto freundlich im Winde. Ein Sommerfrischler, ein kleiner Mann aus der Provinz mit wettergebräuntem Gesicht, spricht mich zaghaft an: „Was ist denn das für ein Bau?"—„Das Reichsinnenministe- rium!"—„Ah! Sevcring!', haucht er ganz glücklich und voller Hoffnung vor sich hin. IfcudcU verabschiedet sich. Ich frage den Portier:„Gestatten, Herr Ministerialsekretär? Um 1 Uhr erwartet mich der Herr Minister! Könnte ich unterdessen nicht mal dos Moltke-Zimmer sehen?'—„Ree, da wern Se woll kein Glück haben, mein Herr! Erstens ist Einzelpersonen am Werktag der Besuch nicht gestattet—"—„Ich bin aber doch von der Presse, Herr— Herr—'—„Deswegen sind Se ooch Einzelperson!' schnarrt er mich an,„und zweetens ist der Herr Amtmann X. im Bibliotheksaal und verabschiedet sich eben vom Herrn Minister von Keudell—" —„OH pardon, da will ich nicht stören bei dieser Feierlichkeit!" Irgendwer führt mich ins Wartezimmer des Herrn Ministers hinein. Ich nehme an einem Schreibtisch Platz. Donnerwetter! Der Tisch ist voll brauner Schreibmappen, jede mit einer mächtigen Kaiserkrone verziert. Hier herein hat also der Wind der Republik noch nicht geweht! Ich klappe auf— ein Zirkel der Saxo-Borussen aus der ersten Seite— in der dritten Mappe ein„Wettschein"? 108 581 des Buchmachers T. für das Rennen in P. Aha! Der Bohrwurm des Kaiserreichs, der Graf Holstein, die„graue Eminenz' und Börsenkanone in einer Person geht also immer noch um— am ehemaligen Königsplatz. Lei Severing. Ein großer Eckraum im Moltke-Haus. Rot« Tapeten, em großer roter, den ganzen Fußboden überspannender Tcppich— am Schreibtisch Karl Severing . Der kluge, fein gewölbte Kopf mit der grau melierten Mähne, dem energischen Mund und den lebhaften Augen, für die sich zuzeiten auch bürgerliche Reporter zu begeistern pflegen. beiigt sich interesiiert über den großen Schreibtisch hinweg. Der ist jetzt— um«in Uhr mittag— von allen Aktendeckeln reingefegt. Hinter ihm zwei Bücherschränke mit kostbaren Bänden. An den Wänden zwei Oelgemälde: ein alter niederländischer Herr mit Spitzenkragen und Pluderhose von einem Amsterdamer Meister, rechts ein Kind, ein Iackie Coogan oder Kaspar Hauser aus dem 16. Jahrhundert. Wilhelminische Embleme sind hier ausverkauft. Wir sprechen über die groß« Bedeutung des Reichsinnenministe- riums für die innere Politik. Ueber die wichtigen hier bearbeiteten Rechtsgebiete: Verfasiungsabteilung, Beamtenabteilung, politisch« und Reichskriminalpolizei. Reichswehr , Landesverrat, Spionageabwehr- und Waffenfragen. Kulturabteilung. Filmprüfstelle. Reichstunstwart, Reichsarchw usw „Ja, und wie denken Sie sich«ine Revidierung der von ihrem Vorgänger hier eingeleiteten deutschnqtionalen Personalpolitik?" "�Oh-- die Zeit deutschnationaler Detternwirtschaft in diesem Hause ist natürlich vorbei— seit ich hier bin. Darüber wird sich hier wohl jedermann im klaren sein. Hier wird nur mehr sachlich gearbeitet. Für die Republik , wie ich in meiner Begrüßungsrede im die Beamtenschaft deutlich genug betont habe, nichl für einen imaginären Staalsbegriff——
„Und fürchten S!« kein« Widerstände im Beamtenkörper de? Ministeriums?" „Sobald ich merke, daß sich da oder dort in dieser oder jener Abteilung Widerstand gegen meine Anordnungen rührt, daß man obstinat ist oder passiv« Resistenz übt, dann greise ich sofort«in und räume aus. Sobald ich mir darüber klar bin, daß dieser oder jener Herr, den man aus rein politischen Gründen hier hcreingesetzt hat, seinen Aufgaben nicht gewachsen ist, entferne ich ihn." „Eine Generalabrechnung mit der politischen Aera Ihres Herrn Vorgängers halten Sie nicht für---?" „Ich habe hier die Leitung übernommen und setz« meinen Willen durch. Eine Gehcimwirtschoft dulde ich nicht. Ebensowenig wie ich sie in Preußen geduldet Hobe! Ein festgeführter Blaustift und ein« kurz« Entscheidung:„Zurück! Wiedervorlage am soundsovielten" wirkt oft vielmehr als ein langer Dortrag über Personalpolitik. Meinen Willen setze ich durch, glauben Sie mir. Was ich hier aber aufbaue, soll von Dauer sein." „Gewiß. Wir oll« haben das Vertrauen zu Ihnen---* „Vertrauen muß sein! Das Vertrauen zwischen uns und den Millionen, die hinter uns stehen, ist ja das Geheimnis all unserer Regierungskunst."
Das Hundegrab. Wir gehen durch den Hof, dem Ausgang zu, große, breitäftige Linden überschatten den Pferdestall Wilhelms des Zweiten und seiner Adjutanten. Ein« Schmiede arbeitet immer noch: in der„Reichs- kartenstell«" benötigt sie irgendwer. Wie lange ist es her, da regierte hier noch Wilhelm mit seinem lauten Wesen und mit seinem takt- losen Gepolter. Wenn ein ganz wichtiges„Kriegsspiel" gedreht werden sollte, setzte man dem„Soldatenkaiser"� einen Floh ins Ohr: „Es gibt Masern im Moltk«-5)aus!" Dann war der alte Schweiger allein und dozierte ungeschoren seinen Feldzugsplan. Da— zwei Steinplatten im Rasen. Die„Hundegräber" Wil- Helms des„Großen":
Depkir Atem treuer Begleiter 1876-1886
Butterblumen und Unkraut wachsen über den verregneten Steinen, und aus den Autoschuppcn fließt mürrisch blaugraues Oel rn die Jahreszahlen hinein. Draußen, an der Tür aber, im Licht des Sommertages, steht immer noch der Mann aus der Provinz und schaut immer noch zu Karl Semrings neuem Amtszimmer empor. Di« Jungfrau am Dach mit dem krummen Säbel in der Pranke stört ihn nicht weiter dabei! Hermann Lckülringcr.
Wie Zeitungsleute arbeiten Was weiß die Öffentlichkeit davon?
Der Zeitungsleser hat gewöhnlich eine nicht ganz richtig« Vor- stellung von der Entstehung einer Zeitung. Am meisten verbreitet ist wohl der Irrtum von der täglichen Sorge des Redakteurs, wie er die vielen Seiten seiner Zeitung füllen soll. Di« wenigsten Leser wissen, daß es sich mit dieser Sorge gerade umgekehrt verhält. Nie ist nämlich so viel Raum verfügbar, daß der Redakteur alles unterbringen kann, was er für wichtig genug hält, es seinen Lesern mitzuteilen. Roch viel weniger aber weiß die Oeffentlichkeit vom pro- duktiven Schaffen des Redakteurs, davon, wie er arbeitet, w i e er schreibt. Wer außerhalb des Zeitungsbetriebes steht, kennt dos Hetztempo nicht, das die Redoktionsarbeit beherrscht, weiß nichts davon, daß der Redakteur zu jeder Tages- und Nachtzeit, ob er gut oder übel gelaunt, ob feine Großmutter gestorben, oder ob er selbst glücklicher Vater geworden ist.— kurz, daß der Redakteur immer und in jeder Situation und Stimmung die Fähigkeit haben muß, sich auf einen bestimmten Gedankenkreis zu konzentrieren und seinen Gedanken wirksamen Ausdruck zu geben. Schon daraus geht hervor, daß ein glatter Stil noch nicht den Redakteur macht und daß nicht jeder, der glaubt, ein geborener Journalist zu fein, sich zu diesem Beruf wirklich eignet. Erste Voraussetzungen sind: Gründliche Sachbeherrschung, schnelle Ausfassungs- und Kam- binationsgabe und starke Konzentrationsfähig- keit. Daß dazu noch eine gewandte und gute Ausdrucks- form gehört, versteht sich von selbst. Einen Blick in die Arbeitsweffe der Redakteure großer Zeitungen gestattet uns das Ergebnis einer Rundfrage, das der Reichsoerband der deutschen Presse in der Sondernummer seines Organs„Deuffche Presse" zu seinem Kölner Verbandstag« unter dem Titel„W i t ich schreibe...", veröffentlicht. Redakteure verschiedenster Parteizugehörigkeit tellen in ihren Antworten auf die Rundfrage mit, w i e sie schreiben und die nochstehenden Auszüge daraus geben ein interessantes Bild von der Verschiedenartigkcit der Temperamente und damit der Arbeitsweise. Es fällt ihm immer etwas ein. Wie ich schreibe?— Gar nicht! Denn ich diktiere meist, und ich bemüh« mich, den direkten Einfluß, den ein Redner auf sein« Zu» Hörer Hot, durch die Druckerschwärze nicht verloren gehen zu lassen. Ich diktier« schnell, und die Einfälle kommen mir. wenn sie kommen müssen, nämlich dann, wenn ich es für notwendig halte, meinen Lesern etwas zu sagen. Dafür, daß mir immer etwas einfällt, wenn ich es gerade hrauche, bin ich einem gütigen Gc- schick sehr dankbar, denn ich kann wirklich nichts dafür. Prof. Georg Bernhard ,„Vosfffche Zeitung". Er arbeitet am besten, wenn er keine Zeit hat. Ich bin der Sklave, nicht der Herr meines Stoffes. Es ist gleichgültig, ob ich ausgeschlafen oder übernächtigt, hungrig oder satt, arbeitsdurstig oder faul, heiter oder verstimmt bin, ob ich mit der Hand, Füllfeder oder Bleistift oder auf der Maschine schreibe, ob ich ins Stenogramm oder Telephon diktiere oder Telegrammstil einhalten muß, ob ich einen Leitartikel verfasse oder einen Bericht gebe, ob es Nacht oder Tag ist, Abend oder Morgen, Sommer oder Winter, Arktis oder Tropen, ob ich Ruhe habe oder von Lärm umgeben bin. Wichtig ist, daß ich die Materie durchaus kenne und daß ich eine bestimmte Absicht ohne Hemmungen verfolgen kann.
Ich glaube, daß für die journalistische Wirkung die Form nichts, die Intensität des Wollens alles ist. Ich arbeite am besten, wenn ich keine Zeit habe. Rudolf Olden ,„Berliner Tageblatt". Er schreibt, wenn er den inneren Drang dazu spürt. Ich diktiere aus dem Stegreif oder an Hand von Stichworten, fünfundzwanzigmal schlecht gerechnet gestört durch Telephonote, Bc- sucher, irgendwelche Ansrager: ich stenographiere, wenn mich die Lust packt, im Eiscnbahnzug druckreif ein Manuskript zu einem Artikel oder Entrefilet. Ich kommentiere ebensowohl gelegentlich in Muße handschriftlich, wie in der Hätz der letzten Minuten in die Setzmaschine diktierend... Der Gedanke, zu genau festgesetzter Zeit unter allen Umständen mit einem Artikel zur Hand sein zu müssen, wäre mir ein Greuel und würde mir Stimmung und Tem- perament erschlagen. Ich schreib«� wenn ich den inneren Drang dazu spüre... Wilhelm Ackermann ,„Deutsche Tageszeitung". Mit einem Arm im Mantel. Sie meinen wohl die übel berüchtigte Nachtarbeit? Das geht sehr rasch, am Tage braucht« ich dreimal länger. Die Hauptarbeit geleistet auf dem Wege vom Theater zum Schreibtisch. Hier entsteht die Disposition der Hauptteile. Die kritischen Einfälle sind ja im Theater entstanden. Sie müssen nur noch geordnet werden. Auf dem Schreibtisch werden die Notizzettel ausgearbeitet und nichl an- gesehen. Dann wird in fieberhafter Eile losgeschrieben. Auf einmal kommt ein Satz, der mir mehr Zeit nimmt, als die letzte Spalt«. Eine Notiz wird gedeutet und verarbeitet. Dann schreibt's weiter. Nach vollbrachter Tat merke ich, daß der linke Arm noch im Mantel steckt. Es wird überlesen und Vergessenes«in- gefügt. Dann schlafe ich, so gut es geht nach so viel Konzentration. Am Morgen lese ich die Korrektur und bin gespannt, was der Kerl von gestern eigentlich geschrieben hat. Dr. Bernhard Dicbold,„Frankfurter Zeitung ". Nur mit Tinte und Feder. Don der vielleicht etwas kindlichen Einbildung, daß ein guter Artikel mit der Hand und mit Tinte geschrieben sein müßte, komme ich nicht los. Als die der intensiven Arbeit günstigste Zeit betrachte ich den Vormittag bis 11 Uhr oder irgendeine Nacht- stunde, welche den Vorzug hat, daß sie selten durch Besuche oder Konferenzen gestört wird. Meine Auffassung, daß diejenigen Artikel, die bei großen Ereignissen unter starken seelischen Eindrücken in einer Stund« geschrieben werden müssen, die besten sind, ist durch «ine langjährige Erfahrung befestigt. Max Horndasch,„Kölnische Volkszeitun� Nach alter Väter Weise. Ja. ich schreibe wirtlich noch. Schreib« mit der Hand und dem gegenüber der Feder ungleich beweglicheren Bleistift. In dieser— beinahe hätte ich gesagt, oltväterischcn— Methode liegt noch eine Ahnung jener handwerklichen Tüchtigkeit und Muße, die im Zeitalter des technischen Tempos, der Schreibmaschine, des Drktaphons immer mehr den Abglanz des Märchens gewinnt: es war einmal Rudolf Michael,„Hamburgifchcr Eorrespondcnt".