Beilage
Freitag, 13. Juli 1928.
Erziehung der Gefangenen.
Der ,, Verbrecher" und die Gesellschaft.
Der Berbrecher ist ein Außenseiter der Gesellschaft. Er erkennt ihre Gesetze nicht an, sei es, weil er ein Gemeinschaftsleben in den bestehenden Formen ablehnt, oder weil er überhaupt ein unjozialer Mensch ist, der sich gegen jedes Gemeinschaftsleben wendet. Jede menschliche Gesellschaft hat ein Interesse daran, wesentliche Störungen, die ihre Entwicklung auf irgendeinem Gebiet gefährden können, zu beseitigen. Sie versucht, sich vor dem Verbrecher zu schützen, indem sie ihn bestraft". Die Furcht vor Strafe soll ihn von künftigen Untaten abschrecken? Erst der Einfluß der Religion hat der Strafe diese Ausdeutung gegeben. Ursprünglich handelte es sich hier um einen einfachen Racheaft. Die Gesellschaft tat dem etwas zu leide, der sie irgendwie geschädigt hatte, und da die Gesellschaft- sobald sie den Berbrecher gefaßt hatte die mächtigere war, so war die Strafe meist sehr viel grausamer als die Tat.
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Diese Grausamkeit läßt sich auch dann scheinbar noch recht.
fertigen, menn man sie mit der Abschredungstheorie begründet. Je grausamer die Straße, desto größer die Furcht, sie heraufzubeschwören.
Wo ist die Schuld der Gesellschaft?
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
haftierung nur eine Zeit des Sichbefinnens bedeuten, für die es also feinerlei Sonderbestimmungen braucht. In den meisten Fällen wird eine solche Strafe allerdings überhaupt überflüssig sein. In der Hauptsache wird das Gefängnis ein Erziehungsheim werden müssen, in dem den Insassen auch die Möglichkeit gegeben wird, einen Beruf zu erlernen, der ihren Fähigkeiten und Neigungen ent= spricht, oder sich in ihren Berufen zu vervollkommnen. Eventuell muß nach Ablauf der Straffrist die Fertigausbildung in Uebergangsheimen ermöglicht werden. Besser und richtiger allerdings wäre es, menn die Gefängnisse überhaupt soweit ihren Strafanstalts= charakter verlören, daß ein Aufenthalt darin über die vorgeschriebene Zeit hinaus ohne weiteres möglich wäre.
Alle diese Menschentypen, die natürlich wieder völlig verschiedene Einzelindividuen zusammenfassen, werden nach den heute geltenden Bestimmungen völlig gleich behandelt, durch Strafe" von weiteren Untaten" abgeschreckt und von geistig oft recht wenig hochstehenden Man darf hoffen, daß es wenigstens noch einige StrafanstaltsBeamten ,, erzogen". Man müßte denken, daß angesichts dieser Teiter gibt, die sich wie Dr. Weiß für eine grundlegende Aenderung grotesten Tatsache fein vernünftiger Mensch sich der Erkenntnis ver- des Gefängniswesens einsetzen. Es wird Aufgabe der neuen Volksschließen würde, daß eine Aenderung des ganzen Strafvertretungen im Reich und in den Ländern sein, zu zeigen, daß der apparates von Grund auf notwendig ist. Eine der größte Teil des Volkes dafür ist, und die Strafanstaltsleiter zu ersten Untersuchungen bei jedem Vergehen müßte es fein, festzu- zwingen, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Von manchen Seiten stellen, wo die Schuld der Gesellschaft liegt und wie groß diese wird allerdings der Einwand gebracht werden, daß hier Unmögliches Schuld ist. Auf dieser Erkenntnis könnte sich dann eine wirksame gefordert wird. Es ist derselbe Einwand, der es verhindern will, Form der Strafe", d. h. der Erziehung und Hilfe für den straf daß die Mauern um die Erziehungsanstalten für Jugendliche fallen. Trude E. Schulz. fällig Gewordenen, aufbauen. Für manche soll die Zeit der In
Das iſt richtig. Nur darf man nicht annehmen, daß ein beab Hier zerschellte der Ozeandampfer ,, Angamos"
fichtigtes Bergehen deshalb unterbleibt. Der Täter wird nur einen immer größeren Haß gegen die Gesellschaft empfinden und vers fuchen, immer bessere Mittel ausfindig zu machen, um sie zu schädigen, sich selber aber vor dem Bestraftwerden zu schützen. Eine Art Bettrüsten zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschaftsfeind entsteht. Die Gesellschaft schafft sich immer neue Gefängnisbollwerke und Heerscharen von Beamten. Der Verbrecher überwindet diese Verteidigungsschranken doch, und seine heimliche Tat explodiert plöglich irgendwo wie eine Bombe..
Auch ein Wettrüften.
Wer sich gegen das Wettrüsten der Nationen wendet, muß grundsätzlich auch ein Gegner dieses Wettrüstens innerhalb der Staaten sein. Schon aus wirtschaftlichen Gründen. Denn wie jede Bewaffnung foftet auch diese ungeheure Summen, die völlig unproduktiv, im Grunde sogar gesellschaftsschädigend, angelegt werden. Was aber soll an die Stelle der Kampfbereitschaft treten? Soll die Gesellschaft dem Verbrecher das Feld freigeben? Sie soll es nicht, schon weil sie es aus Gründen der Selbsterhaltung überhaupt nicht tann. Sie muß vielmehr danach streben, diese Feinde der Gesellschaft zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen. Diese Forderung wurde in den letzten Jahren bereits von vielen aufgestellt, und besonders laut ist sie in Deutschland geworden, feit dem hier die Verhandlungen um das neue Strafgesetz begonnen haben. Aber sie fann wirkliche Erfüllung erst dann finden, wenn die Stellen, auf die es beim Strafvollzug antommt, die Notwendig teit dazu einsehen.
Hier scheint freilich noch vieles im argen zu liegen. Kürzlich hielten die Pädagogen der preußischen Fürsorgeerziehungsanstalten eine große öffentliche Tagung ab. Strafanstaltsleiter, die auf dem richtigen Standpunkt stehen, daß auch ihre Gefangenen" nur erziehungsbedürftige Zöglinge sind, hätten für die auf der Tagung behandelten Fragen, die sich alle um den Kernpunkt drehten, wie die Anstalt am besten lebenstüchtige Menschen erziehen fönne, das größte Interesse haben müssen. Aber nur der Leiter der beiden braunschweigischen Strafanstalten, Oberregierungsrat Dr. Weiß, war erschienen. Er führte in der Diskussion lebhafte Klage über die völlig unzureichende Borbildung der Strafanstaltsbeamten, die in großem Maße heute noch dem Militärberuf entstammen, also ehemalige Feldwebel sind. Sie können treue, forrefte Beamte sein, doch nie Erzieher. Nur Menschen mit einer gründlichen päd agogischen Vorbildung dürften auf diesem schmierigsten Erziehungsgebiet Verwendung finden. Wie diese Vorbildung im einzelnen beschaffen sein muß und welche Erziehungsziele zu erstreben sind, dafür gab die Tagung mancherlei Hinweise. Es ist bedauerlich, daß nur ein deutscher Strafanstaltsleiter sie für sein Arbeitsgebiet für wichtig hielt.
Achtung vor dem Menschenfum!
Allerdings sind durch gesetzliche Bestimmungen den Anstalts. leitern noch sehr die Hände gebunden. Die Achtung vor dem Menschentum, die das erste ist, was dem Gefangenen beigebracht werden müßte und die bei der Achtung seines Menschentums anzu fangen hätte, wird von diesen Vorschriften völlig ignoriert. Die Gefangenen schlafen zum Teil noch in großen Sälen, in denen ihre einzelnen Rojen wie vergitterte Raubtiertäfige eingebaut find. Sie dürfen in der gemeinsamen Bause auf dem Gefängnishof kein Wort miteinander wechseln. Wenn sie auch noch in Einzelhaft arbeiten müssen, so sind sie also zur völligen Stummheit verdammt. Nur die knappen dienstlichen Bemerkungen der Beamten hören sie. Eine Fülle von Einzelbestimmungen legt den Gefangenen außerdem Fallstricke in den Weg und macht es von dem guten Willen und der Erkenntnisfähigkeit ihrer Hüter abhängig, ob die eigentliche Strafe noch alle möglichen Verschärfungen erfährt oder nicht.
Der Verbrecher fann aus tiefster innerer Anlage ein gesellschaftsfeindlicher Mensch sein. Doch das ist ziemlich selten der Fall. Dieser Verbrecher ist geistig frant. Er fann nur durch dauernde Aufsicht an gesellschaftsfeindlichen Handlungen gehindert werden. Man nüßte ihn daher in irgendwelchen Heimen internieren und fönnte hier verfuchen, durch geregelte Lebensführung und ärztliche Behandlung seine Heilung zu erreichen. Die meisten straffällig Gewordenen dürften aus ihrem Lebensmilieu heraus zu Gesellschaftsfeinden geworden sein. Erzieht man sie zur Arbeit und kann man ihnen dann durch Tatsachen beweisen, daß sie damit nicht nur der Gemeinschaft nügen, sondern vor allen Dingen sich selber bessere Lebensbedingungen schaffen, so sind diese Verbrecher" für die Gefellschaft gerettet. Ein beträchtlicher Teil derer, die sich gegen das Gesez vergingen, ist aber überhaupt arbeitswillig und arbeitsfähig, fobald man ihnen entsprechende Arbeitsmöglichkeiten bietet.
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Die
Not es braucht nicht nur wirtschaftliche Not gewesen zu sein oder auch selbst ein Zufall hat ihr Bergehen verursacht. Endlich werden noch zahlreiche Menschen bestraft, die in keiner Weise ,, Verbrecher" genannt werden können. Wer wegen Gotteslästerung, politischer Meinungsäußerung oder ähnlicher Dinge im Gefängnis fit, mird Don feltenen Ausnahmen abgesehen ein achtbarer, an ftändiger Mensch sein, der mur seine Ueberzeugung verirat."
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Der Golf von Arauco vor Lebure D
Ein furchtbarer Sturm, der über dem Stillen Ozean wütete, hat den chilenischen Dampfer ,, Angamos auf die Riffe im Golf von Arauco geschleudert und dort zerschmettert. Fast dreihundert Menschen sind kaum 250 Meter von der Küste entfernt der entsetzlichen Katastrophe zum Opfer gefallen.
Soziale Fürsorge in Offelbien.
Ein altes schlesisches Volksmärchen erzählt: Einst flog der Teufel mit einem Sade voll Junker über die gesegneten Gefilde Ostelbiens. Rechts der Oder riß ihm der Sack und ein Teil seiner Ladung fiel auf die Erde und siedelte sich dort an. Diese Unfallstelle muß der Kreis Namslau gewesen sein, denn fast in jedem Dorfe der dortigen Gegend ist einer der Nachkommen after Raubrittergeschlechter zu finden.
Eine der größten Domänen dieses Kreises ist Naßadel, dem Dr. v. Heydebrand und der Laasa gehörend. Dieser Herr war Regierungsbeamter und ist ein eifriger Förderer und Führer des Stahlhelms.
Dem Besucher von Naßadel fällt ein prächtiges Schloß mit wohlgepflegtem Part auf, der genannten Junkerfamilie gehörend. Durch Heirat ist Herr v. Heydebrand in den Besitz eines noch größeren Rittergutes, Barks und Schlosses in Dammer, Kreis Namslau , gelangt. So sieht man die Besitzenden als Bewohner von Schlössern mit allem Komfort ausgerüstet. Dieser Lichtseite steht eine Schattenfeite gegenüber: die Wohnung der Aermſten! Eine Beschreibung des Armenhauses von Naßadel erübrigt sich; das nebenstehende Bild jagt alles. So sorgte dieser deutschnationale Mann und schwerreiche
Junker für die Unterkunft der Landarbeiter, wenn sie ausgepreßt wiz eine Zitrone waren. Man hatte ja seinen Gutsbezirk und die Gemeinde konnte für die Alten sorgen. Ein Glück, daß der preußische Landtag dieses vorfintflutliche Feudalunrecht beseitigt hat. Gilesivgraphia die Deutschen mit den Polen in folgenden Bersen Am Anfang des 17. Jahrhunderts hatte Senelius in feiner
verglichen:
Ein deutscher Untertan
Sich redlich quält und wacker, Baut Haus und Hof wohl an, Und richtet zu den Acker, Ist fleißig auf dem Feld, Klug, mühsam und bescheiden; Zu was man ihn bestellt, Berrichtet er mit Freuden. Was aber Slawen sind, Zu stehlen gerne pflegen; Doch haben Weib und Kind Bon diesen keinen Segen. Zur Arbeit sind sie faul, Und was sie heut erwerben, Muß morgen in dem Maul Auf einmal ganz verderben. Was sie vor Wirte sein, An bösen Häusern schaue, Und fället selbst es ein,
Go heißt es: Herrschaft baue!
Rund um die Liebe.
Die uralte Therese erzählte ihren großen Nichten Erlebnisse aus der Jugendzeit.
hr müßt nicht glauben," sagte fie, daß ich immer so ver huzelt ausgesehen habe wie jezt. D nein, ich habe richtig schön ausgesehen, und die Mannsleute sind mir nachgelaufen, so daß es schwer war für ein anständiges Mädchen, sich so zu halten. Einmal erinnere ich mich, kehrte ich in der Stadt von einer Besorgung heim. Da schloß sich mir ein sehr feiner Herr an und versprach mir einen wundervollen Schal, wenn ich mit ihm fäme."
Die Nichten staunten, und in ihren Mienen glomm so etwas wie leifer Zweifel.
Ja, Mädels, wenn ihr es nicht glauben wollt ich habe den Schal no ch," sagte Tante Therese.
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,, Das ist ein hübsches Boot, nicht wahr, Gretchen?" sagte der große, dunkle junge Mann.
,, Wirklich sehr hübsch, Karl," antwortete das hinten im Boot
fizende Mädchen.
,, Es hat nur einen Fehler," meinte der junge Mann. ,, So? Was für einen?" fragte das Mädchen.
,, Ja, weißt du, es ist sehr leicht gebaut, und wenn man darin ein Mädchen füssen will, so ist große Gefahr vorhanden, daß es um,, Wirklich?" sagte das Mädchen gedankenvoll und schwieg dann tippt, und dann fallen der Bursche und das Mädchen ins Waffer." eine Weile. Endlich fragte sie leise:„ Weißt du eigentlich, Karl, da s ich schwimmen tann?"
Jemand erklärte einer jungen Dame die Blumensprache und begann mit der Bedeutung der Farben: ,, Rot ist die Liebe," sagte er ,,, Blau ist die Treue, Grün ist die Hoffnung, Weiß ist die Unschuld, Gelb die Eifersucht, Schwarz die Trauer." Am anderen Tage fam er wieder und examinierte das junge Mädchen. Das Fräulein zählte alle Farben auf, nur vergaß es Weiß. Saphir , der Spötter, meinte: Wer fann alles behalten!"
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Ein Schüler hatte mit seiner Angebeteten, der Tochter des Rettors, einen Abendspaziergang gemacht. Plöglich sah er auf dem zum Glück schwach erleuchteten Wege den Rektor tommen. Rasch verständigte er seine Begleiterin von der Gefahr, schlug seinen Mantel um fie, nahm sie auf seine Arme und trug sie eilig am Reftor vorbei. Der hatte ihn aber doch erkannt und rief ihm über den Weg zu: Wo fommen Sie denn her, Spencer?"
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,, Aus der Musikschule, Herr Rektor." ,, Was tragen Sie da?" Mein Cello, Herr Reftor."- ,, So, so! Ein schönes Instru ment, so ein Cello! Seien Sie nur recht fleißig damit!"
der
Die Armen von Naßadel waren Deutsche , besaßen also nicht die den Bolen angedichteten Schwähen; sie hatten niemals ein eigenes Haus, welches sie verfallen lassen konnten. Hatte es aber nicht für die Familie von Heydebrand schon seit Jahrzehnten geheißen: 5 er rfie ich aft baue? Theodor Müller- Breslau.
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Die Gnädige will helfen.
Minna," sagte die Gnädige zum Stubenmädchen ,,, haben Sie Köchin gejagt, daß ich ihr später helfen will?"
aber
Ja, gnädige Frau," antwortete das Gfubenmädchen, meint, ob's nicht vielleicht einen anderen Tag fein tönnte- heute hätte sie fooiel zu tun!"( Aus dem„ Mahren Jacob".)