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7lr. 329* 45. Jahrgang

-1. Beilage des Vorwärts

-~ I

Sonnabend, 44. Juli 492S

Demi mit Nm ersten frühlingswarmen Sonntagen des Jahres die Saison der S o m m« r l o k a l e an der Peripherie der Troß- ftadt beginnt, dann beginnt mich die Sommersaison der edlen Tilde derB a u e r n s ä n g e r". Kein Jahr bildet eine Ausnahme: an den letzten Sonntagen hat man schon Vertreter der edlen Zunft im Truncwaldarbeiten" sehen. Was ist und was macht ein Bauernfänger? Unter der SammelbezeichnungBauernfänger" will der Kriminalist die Sorte Verbrecher verstanden wissen, die Ausplünde- rung und Schädigung ihrer Mitmenschen unter der Spekulation aus niedrigste menschliche Instinkte, wie Gewinnsucht und Spiel- trieb, häufig unter der Maske des Biedermannes, mit den primi- tivsten Mitteln, die bezeichnend sind für die Intelligenz der Opfer,«ewerbsmäßig betreiben. Es ist leider auch heute noch keine Seltenheit, daß sich in der Nähe der großen F e r n b a h n h ö f e. sei es nun der Anhalter, der Stettiner oder der Schlesische Bahnhof , oder der Bahnhof Alexanderplatz dem harmlos,provinziell" ausschauenden Reisen- den, zumal abends, wenn es dunkelt, eilenden Schrittes ein Mann nähert. Im Vorbeigehen stößt er im Flüsterton die nun schon bald geflügelten Dort« hervor:W oll'n Sie'nett Ring kaufen, eben frischgestoßen"(der terminus tcchnikus des Ver-

Oerechte*1 Ring.

brecherfargons fürgestohlen"). Dabei läßt er im unsicheren Sicht einen verführerisch blitzendetx Stein sehen. und es gibt Dumme und Tewiffenlose, die sich einreden lasten, daß der Ring ans einem Einbruch in ein Juweliergeschäft stamme, und die Gelegenheit, für ein Spottgeld in den Besitz eines Wertstückes zu gelangen, nicht ungenutzt vorübergehen lasten wollen. Diese Leute sind eigentlich, wenn sie später betrübt feststellen, daß ihr echter Brillant, zweiein- halb Karat groß und lupensrei, feinstes Offenbacher Erzeugnis, Ladenpreis 1,75 bis 2,50 Mk., ist, mit dem Verlust eine» Zwanzig- oder auch' Fünfzigmarkscheines lange nicht hart genug ge- straft, denn sie waren ja willens, Hehlerei zu treiben. Oos berüchtigte Kummelblättchen. Im Sonnner ist der Haupterwerbszweig der edlen Znnft K ü m m« l b l ä t t ch e n", da» bekonnte Kartenspiel. Kümmel, abgeleitet vom hebräischen gimmel drei, hat also mit dem mit Recht so beliebten Kornschnaps nicht das mindeste zu wn, sondern will mir darauf hinweisen, daß dieses Spiel mit drei Karten gespielt wird. Die drei Karten gewöhnlich drei Asse, zwei schwarze und ein rotes, genügen schon, um im Walde in der Nähe der großen Zugangsstraßen zu den besuchten Waldgaststätten und Rennbahnen im Handumdrehen ein Monte Carlo im kleinen entstehen zu lassen, das immer noch dank derer, die anscheinend nicht alle werden, seinen Mann ernährt. Die Handhabung des Spiels ist denkbar einfach: Der Bankhalter nimmt die drei Korten, nach- dem er sie mit dem Spiegel dem sich immer einfindenden, teils nur neugierigem, teils wettlustigem Publikum gezeigt hat, verdeckt auf, und läßt dann, ollen Zuschauern sichtbar, in der Hand die Lage der einzelnen Karten zueinander blitzschnell sich verändern. Auf­gabe des wettlustigen Zuschauers ist es, sich trotz der Geschwindig- teit, mit der diese Manipulation vorgenommen wird, die rote Gewinnkarte zu merken und dann auf sie mit einem größeren oder kleineren Betrage zu wetten. Hat er auf die richtige, die rote Kort« gesetzt, hat ergetroffen"= gewannen, so erhall er seinen Einsatz verdoppelt zurück, also beispielsweise für fünf Mark zehn Mark. Hat, er auf ein« der beiden schwarzen Korten gesetzt, so ist sein Einsatz an den Bankhalter verloren. GewinnouSficht 4: 3. Ein Mensch, der etwas vom Spiel versteht, kann es nicht be< greifen, wie ein mit fünf gefunden Sinnen ausgestatteter Mensch dieses Spiel, es fei denn als B a n k i e r, überhaupt spielen kann: eine Chance gewinnt, zwei verlieren, die Gewinnkorte zahl) Pari- Gest», die Gcwinnaussicht steht also 1: 3, dagegen ist ja das Räuberspiel" Roulette, bei dem sich die Bank mit der Vorgabe von V« und der des Zcro begnügt und damit schon immer aus die Länge gewinnen m u ß, geradezu eine zivilisierte Angelegenheit. Die Gewinnchance 1:3 aber ist, selbst wennauf glatt", dos heißt ehrlich gespielt wird, direkter Selbstmord für den Pointeur (Wetter). Damit nämlich das Geld aus den Taschen des Pointeurs auf dem raschesten Wege in die des Bankhalters gelangt, wird überdies auch nochhingelangt"_ falsch gespielt, und zwar wird durch einen recht einfachen Trick die rote Gcwinnkarte, die der Bank- Halter«tien noch allen umstehenden Personen deutlich zeigte und

wodurch er mitunter auchAngestoßene"=- Mißtrauische zum Wetten veranlaßt, im entscheidenden Moment vertauscht, und der Pointeur, der ihren Fall genau mit den Augen verfolgt zu haben glaubt, ist der Dumme und ist sein schweres Geld los. Dabei wird dieser einfache Trick auch noch häufig so ungeschickt und plump ausgeführt, daß man über die vollendete Harmlosigkeit der Leutchen, die auf ihn hineinfallen, manchmal lächeln muß. Zugegeben: Die Verlockung ist groß, auf scheinbar risikofreie Weise, denn die meisten Polleure sind überzeugt, die rote Gc- winnkorte genau mit den Augen verfolgen zu können, und ahnen nicht einmal leise, daß hierZauberei" im Spiele sein könne, die Unkosten de« sonntäglichen Ausfluges respekttve denStart" für die Rennbahnanzuschaffen". Aber ist denn wirklich so viel Naivi- tot gestattet, daß man annimmt, jemand etabliere in der Waldein- samkeit ein Wohltätigkeitsunternehmen, das ihn mit dem Strafgesetz in Konflikt bringt? Denn Kümmelblättchen ist mit vol- lem Recht ein verbotenes Glücksspiel, und der Deron-

liier wird gewonnen!" stolter und mich die Teilnehmer machen sich strafbar. Dennoch finden die Männer non der schwarzen Kunst alle Jahre wieder zahl- reicheFreier", die sichauf den Karren laden" lassen; vielleicht trägt dieser Artikel dazu bei, ihre Zahl ein wenig zu ver­ringern. dann 1)0 1 er seinen Zweck erfüllt. Wie �gearbeitet'* wird. Gewöhnlicharbeiten" die Bauernfänger beim Kümmelbläti- chcn zu Dritt. Einer ist der Bankhalter, der zweite steht an der nächsten WrgkreuzungSchmiere", um eine Ueberraschung durch Polizei seinem Kollegen rechtzeitig durch Psifs zu melden, der Dritte mischt sich unauffällig unter die wettlustigcn Zuschauer und bemüht sich krampfhäst, selbst als solcher zu wirken: Er knüpft mit den Ilmstchendeu ein Gespräch an, erörtert die Chancen des Spiels, natürlich im(doppelt) positiven Sinne, setzt selber und ani- miert so zum Spiel, bis dieStubben" ihre Marie los find und betrübt weiter wandeln. Dann wirdauseinandcrgemacht", d. h.: oerrechnet, wobei natürlich die Beträge, die der dritte Teil- Haberfallchalbcr" gesetzt hat,von oben" abgerechnet werden,

Sie Rächt nach demVenat. 71 z�oman von Liam O'Flaherty . (Au« dem Englischen überseht von K. Hauser.) 2. Fünfunddreißig Minuten nach sieben erschoß sich Francis Joseph McPhilli�, bei dem Versuch, aus dem Hause Nummer vierundoierzig in der Tittstreet, dem Hause seines Vaters, zu entfliehen. Das Haus war von dem Detektiv- fergeanten McCartney und zehn Mann umzingelt worden. Mit der linken Hand am Fensterbrett des rückwärts ge- legenen Schlafzimmers im zweiten Stockwerk hängend, schoß McPhillip zwei Kugeln in McCartneys linke Schulter. Als er zum dritten Mole feuern wollte, glitt seine Linke aus und verlor den Halt. Die Mündung der Pistole streifte die Ecke des Fensterbretts. Die Kugel entlud sich nach oben und drang durch die rechte Schläfe McPhillips ins Gehirn. Als sie ihn in der Apfelsinenkiste im Hinterhof, auf die er gefallen mar, entdeckten, war er schon tot. 3. Zwanzig Minuten nach acht verließ Gypo die Polizei- ftation durch eine Hintertür des Gebäudes. Er trug in der Tasche zwanzig Pfund in Schatzscheinen, die Belohnung für Angaben, den Francis Joseph McPhillip betreffend. . Er durchschritt eilig einen engen Durchgang, der in eine dunkle Straße führte. Die Straße war leer. Sie schien es jedenfalls auf den ersten Blick zu sein. Als aber Gqpo verborgen in dam Törwes eines alten, leeren Hauses stand und seine wilden Blicke sich in das Düsikel bohrten, hörte er Schritte. Die Tritt« schreckten ihn auf. Es war der erste menschliche Schritt, den er hörte, der erste Laut der Mensch­heit um ihn her, seit er zum Angeber geworden war und zum Aussätzigen. Unmittelbar empfand er. daß die Schritte drohend waren, als sei es gewiß, daß sie jemand gehörten, der ihn verfolgte. Wie seltsam.' In jenen neunzig Minuten war durck? irgendein schlimmes Wunder der gewohnte Laut eines menschlichen Schrittes Drohung geworden. Neunzig Minuten vorher würde sein Ohr nicht auf den Klang eines mensch­lichen Schrittes geachtet haben, so m«rtg wie er das Ge«

rausch beachtet hätte, das beim gewöhnlichen Atmen aus seiner Lunge kam. Jetzt aber spannte sich seine Aufmerksam- keit bei dem schweren Schlürfen, das sich von links her näherte. Sein Herz begann zu schlagen. Natürlich war es niemand von Bedeutung. Es war eine zerlumpte, alte Frau, übel beleumundet, mit oer- wüststem Gesicht und melancholischen Augen. In ihrer Trunkenheit blieb sie vor ihm stehen und murmelte etwas Unverständliches. Dann entblößte sie ihre Zahnlücken, spie aus und ging wortlos weiter. War das ein Zeichen? Gypo empfand nicht, daß, es eins war. Er lauschte nur auf den Klang der Schritte, die achtlos durch die Pfützen patschten. Verstohlen sah er vor sich und ging weiter, angestrengt lauschend und mit der stockenden Bewegung eines, der nachts in einem wllden Wald, in dem es Löwen gibt, allein geht. Eine Straßenecke umschreitend, fand er sich plötzlich in einer Geschäftsstraße, in der viele Menschen gingen, einer Flut von Licht gegenüber. Zuerst schlotterte er vor Furcht. Dann fluchte er und holte tief Atem. Was hatte er denn zu fürchten? Er kannte die Straße gut. Wer wollte mit ihm anbinden? Seine riesigen Fäuste ballten sich wie Pranken, und die Nacken- und Schultermuskeln wurden steif. Im Geist erdrosselte er diese Feinde, die ihn etwa angreifen wollten. Di« Pressung seiner Muskeln ließ ihn seine enorme Stärke fühlen, das beruhigte ihn. Er schob sein rundes Hütchen verwegen auf den Hinterkopf. Die Hände schob er in die Taschen. Er setzte seine Beine in Schwung und !jing wiegend wie ein Seemann aus der Gasse keck in das trahlende Licht der Straße. Mit der gleichen schwingenden und wiegenden Gangatt überschritt er die Straße mitten durch den Berkehr hindurch, ahne anzuhalten, ohne auszu- weichen, ohne rechts oder links zu sehe». Automobile. Karren, Räder und Wagen wichen vor ihm aus. Ohme sie zu sehen, ging er durch sie hindurch, wie ein riesiges Zster durch eine Wolke von Ameisen geht, die zu seinen Füßen weiter ihre sinnlose und unendliche Arbeit tun. Man fluchte ihm nach, aber denen, die sein Gesicht sahen, blieb der Atem stehen, und sie fuhren weiter in d,e Nacht hinein mit einem unterdrückten Fluch. Dies Gesicht mit seinen Beulen, die im Licht der Laternen glänzten, war wie eine seltsame Maske! Es war so so tot. Gerodeswegs ging er über das Pflaster auf eine Kneipe zu. Er stieß nttt dem Fuß die Tür auf, ohne die Hände au« dem Taschen z« nehmen, gen«, je wie er die Polige».

mache betreten hatte. Er legte mit einem Platschen seiner flachen Hand eine Pfundnote auf die Theke und sagte nur das eine Wort:Pinte". Er startte auf die Theke, bis das Getränk kam, hob dann das Glas, machte sich den Hals frei und schüttete den Inhalt in einem Zug hinunter. Mit einem tiefen Seufzer gab er das Glas dem Barmann zurück. Er nickte. Als er das zweite Glas und das ge- wechselte Geld bekam, ging er in eine Ecke und setzte sich. Jetzt war er endgültig entschlossen, einen Plan zu machen. Das war immer so eine Gewohnheit gewesen von McPhillip und ihm. Jedesmal, wenn sie irgendeinDing gedreht hatten", gingen sie in die nächste Kneipe, tranken und überlegten sich Pläne für ein Alibi. McPhillips Sprichwort war immer:Bloß nicht vorher nachdenken, wie man aus dem Schlammassel kommt, bevor das Ding gedreht ist." Mit einem Male empfand Gypo, was für ein heller Kopf McPhillip tatsächlich gewesen sein mußte. Das Pläne- machen ging bei ihm so leicht. Blitzartig schoß ihm ein Plan nach dem anderen durch den Kopf. An Pläne hatte Gypo niemals gedacht. Mit einem seltsam glasigen Blick pflegte er oft zu McPhillip zu sagen: Mac, du beißt imnker von der weichen Seite im Käse ab. Ich muß die schwere Arbett tun, und du besorgst das Denken:'s scheint mir, du kommst gut dabei weg, Genosse." Jetzt zum ersten Male merkte er, wie schwer es war. ohne McPhillip einen Plan zu machen. Als er selber sich einen ausdenken sollte, erschien ihm das als eine teuflische Arbeit. Der Kopf wurde ihm ganz wirr davon, und er konnte nirgends einen Anfang finden. Er raffte sich ein »aarmal auf mit zusammengepreßten Lippen und mit steifem Rücken, wie ein Pferd sich anspannt zu einem mächtige» Ziehen an einer ungeheuren Last. Es half ober nichts. Er konnte das schwere Gewicht nicht überwinden. das sich jedesmal auf sein Gehirn zu legen schien, wenn sein« Sinne sich darauf richteten, sich probeweise von ihm Rat zu holen. Er saß auf einer Holzbank im Hintergrund der Bar. die Beine gekreuzt, das Glas in der Rechten vor sich haltend, langsam träufelte der Schaum des Bieres auf die Spitze seines hochgehobenen Schuhs: er starrte zu Boden in einer Agonie verworrenen Denkens. Se'tt zer- drückte? Hütchen, oben auf den Stuhl gestülpt, sah aus wie ein Zauberhütchen, mit Wissen und Verstand begabt, da; «bor seiner vohe» Starte Wache Hütt.(Forts, folgt.)

J.dxAL-. i /.