Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Sonnabend, 14. Juli 1928.

Der Ab p n d

Spalausgabe des Vorwärts

Miquel als Revoluzzer

Ach! ein bayrisches Guldenstück 3st fein preußischer Taler; Darum folge nur Cäsars Glüd, Nationalliberaler! Herwegh  .

Wenn Seine Exzellenz, der fgl. preußische Finanzminister v. Miquel im Parlament für den Zusammenschluß der staats­erhaltenden Kräfte" die Trommel rührte, warf er für die Einge­weihten einen Schatten, der merkwürdig einem Heckerhut glich, und

wenn er gegen die Mächte des Umsturzes metterte, blickte ihm das

Gespenst der eigenen Vergangenheit höhnisch über die Schulter auf das Papier, von dem er seine Phrasen ablas. Daß der hohe Herr in jungen Jahren selbst in Umsturz gemacht hatte, mußte man zum mindesten seit 1893, da Bebel auf dem sozialdemokrati­schen Parteitag in Köln   einen Brief Miquels an Karl Marg perlas und bald darauf auch im Reichstag auf beider Beziehungen anspielte. Daß derart ein heller Lichtstreif auf eine Begstrede seiner Entwicklung fiel, die er selbst ängstlich im Dunkel gehalten hatte, war dem Bielverschlagenen äußerst peinlich; in einem Schreiben an Wil helm II. entschuldigte er spisfindig die Sünden feiner ,, unreifen Jugend", um von der Burg Hohenzollern   ein faiserliches Beruhi­gungstelegramm zu empfangen, das dröhnendes Blech war: Bom Feis zum Meer, von Jugendträumen zur Mannestat, das ist Ihres Königs Antwort vom Hohenzollern  ."

Das Rezept für ehrgeizige Umstürzler.

T Als freilich Eduard Bernstein   1914 in der Neuen Zeit" auch die übrigen Briefe Miquels an Marg veröffentlichte, ward alle Welt gemahr, daß jenes Beschäftigung mit Revolution und Sozialismus doch nicht nur eine beiläufige Episode seiner grünen Jahre gewesen war, aber erst durch den fürzlich erschienenen ersten Band der groß angelegten Monographie Johannes Miquel  ", die Wilhelm Mommsen  ( bei der Deutschen Berlagsgesellschaft, Stuttgart  , Berlin   und Leipzig  ) herausgibt, tritt die Revoluzzerrolle dessen, der nachmals ein ausgefochter, eisfalter Reaktionär wurde, plastisch und drastisch hervor. Mommsen ist feineswegs, wie es oft Biographen widerfährt, in das Objekt seiner Darstellung ver. liebt, aber er bemüht sich, wie es die Pflicht gebeut, die politischen Bandlungen Miquels, die man grob als schäbiges Renegaten­tum abtun tönnte, psychologisch aufzuhellen. Die angeführte Er­flärung, daß der Eindrucksfähige leicht dem Einfluß seiner Umwelt erlegen sei, daß ihn der Wille zur Macht besessen habe, vor allem, daß er den Drang zum Handeln in sich gespürt habe, in seiner Un geduld unfähig, auf das Reifen seiner Ideale zu harren, mag schon ftimmen, und ein höchft fomplizierter, schwer faßbarer Charafter", ein doppelbodiger, doppelpoliger Mensch war er sicher, aber viel­leicht traf auch in Einfalt ein findlich Gemüt das Richtige, als der Göttinger Polizeirat Rüppel ihn 1865 in einem amtlichen Bericht einen ,, falt und schlauberechnenden Menschen" nannte, von dem ein Kenner seines Charafters versichert habe: Berschaffen Sie Miquel eine seinen Neigungen und seinem Ehrgeiz ent­sprechende Stellung, und er wird seinen demokrati schen Liebhabereien entsagen!"

Miquel, Hecker und Marx.

Damals war er längst nicht mehr das gefährliche Subjeft", als das der Göttinger   Magistrat den Studenten Miquel abge­ftempelt hatte, sondern eben im Begriff, zum Bürgermeister von Osnabrück   aufzurücken, und gar nicht mehr fern davon, mit flie­genden Fahnen in Bismards Lager überzugehen. Seine Jugend­ideale lagen längst, zu Scherben geschlagen, im Mülleimer. Auf ihre Bildung hatte Johannes Miquels um zehn Jahre älterer Bruder 23 ilhelm nicht wenig eingewirkt, der, Gymnasiallehrer, nicht nur auf dem äußersten linken Flügel der vormärzlichen Demokratie stand, sondern auch der Sache des Sozialismus, wie er sie verstand, leiden­schaftlich zugetan war. Kein Wunder, daß auch der Jüngere einer der radikalsten unter den Radikalen war, als er sich an der Heidelberger   Universität dem Studium der Rechte überließ; und als gar die Märzrevolution aufflammte, hei! was war da, unter feinem breitrandigen Demokratenhut, der zwanzigjährige Miquel für ein Bursch! Hecker und Struve hießen seine Vorbilder; attiver Revolutionär zu werden hinderte ihn mur ein Zufall, und aus seinem eigenen Munde stammt das Geständnis, daß er nach Hannover   entsandt worden sei, um Bauernaufstände zu organisieren. Jedenfalls trieb er es in Göttingen  , wohin in sein Vater überzusiedein zwang, ebenin toll wie in Heidelberg  , pebärdete sich unter den Hochschülern als Wortführer der radikalſten Richtung, sammelte Unterschriften für eine Huldigungsschrift an Heder und entwarf auf dem Eisenacher Studententag zu Pfingsten 1848 eine Adresse, in der es ohne Umschweife hieß:

Wir wollen feine Vereinbarung mit den Fürsten  , denn die Nation hat sich selbst aus eigener Kraft geeinigt und wird aus ihren bewährtesten Patrioten schon den Mann finden, der nicht von Gottes Gnaden, sondern frei gewählt ihr Bundesoberhaupt sein wird. Mit einem Worte: Wir wollen die Republit als die einzige Staatsform, die eines edlen und gebildeten Menschen würdig ist, und die als ihr erstes Banier das teuer errungene Kleinod unserer Revolution, die gleiche Be­rechtigung aller, obenanstellt.

Spätestens seit dem Jahre 1848 verschlang Miquel auch heiß­hungrig alles, was er an sozialistischer Literatur auftreiben fonnte, und wenn er Fourier und Proudhon nicht verschmähte, so schlug ihn doch die kühne und zwingende Dialektik der Marr und Engels in Bann. Als er im Sommer 1850 zu Göttingen   der Rechtsanwaltsprüfung zusteuerte, wandte er sich denn, der Jüngere an den Meister, brieflich an Mary, indem er die Visitenkarte ab­gab: Kommunist und Atheist, will ich wie Sie die Dit tatur der Arbeiterklasse." Zugleich empfahl er, bei dem unvermeidlich kommenden Umsturz die revolutionäre But auf die Spitze zu treiben" und ging überhaupt stramm aufs Ganze.

Der partikuläre Terrorismus, die lokale Anarchie müssen uns ersezen, war uns im großen abgeht. Klaffenbewußt fein fehlt den meisten deutschen Arbeitern gänzlich, wir müssen den individuellen Haß, die Rachelust des Bauern gegen den Bucherer, die Erbitterung des Tage.

löhners gegen den Herrn" ausbeuten, wir müssen an allen einzelnen Stationen( da mir noch kein Zentrum haben) so rasch und eindringlich terrorisieren, daß wir den demokratischen Ausbeutern bei der Vollendung ihrer Organisation als vollkommen siegreiche Macht entgegentreten können.

Solcher Tatbereitschaft verschloß sich Marr nicht, und in der

"

Folge war Miquel tätiges Mitglied des Bundes der Kommu­nisten, gründete und leitete eine sechs Köpfe zählende Gemeinde" dieser Geheimorganisation, rief einen Arbeiterbildungsverein ins Leben, beides in Göttingen  , und wirkte 1851 durchaus als Ver. trauensmann von Marg in Deutschland  . Miquels Stube," schließt Mommsen ,,,, war anscheinend ein Zentralpunkt der ganzen Agitation in Deutschland  ."

Strohfeuer oder kämpferische Leidenschaft?

Der revolutionäre Eifer des späteren wilhelminischen Hand­langers mar schon deshalb kein rasch verfladerndes Strohfeuer, weil er sich mit der Flamme einer großen Liebesleidenschaft paarte. Seine Neigung zu Bertha Lewy, Schwester des Schriftstellers Julius Rodenberg  , sog nicht wenig Nahrung aus der fommunistischen Ueberzeugung, die der Mann wie das Mädchen teilten. An seine traffe und flare Materialistin" richtete Miquel klassenbewußt politische Liebesbriefe, die revolutionäre Kampflust schnoben; statt Don Nachtigallengefang und Beilchenduft schwärmte er der Geliebten

-

von der Zeit vor, wo wir all diesen Jämmerlichkeiten" nämlich der ganzen bürgerlichen Gesellschaft durch einen fräftigen Fuß­tritt den Garaus machen", und als Berthas orthodox jüdische Eltern ihr nicht umsonst geboten, von dem Christen zu lassen, stieß er, dem Bösewicht Franz Moor gleich, die zähneknirschende Drohung aus: ,, Die bürgerliche Gesellschaft zwingt mich, allein zu bleiben, ich werde sie dafür unter die Füße treren.

Bom Revoluzzer zum Reaktionär. Theaterdonner! Denn ach! Wie schnell hatte die bürgerliche Ges fellschaft den gar nicht Widerstrebenden unter ihren Füßen, und mie rasch rutschte er dann immer weiter nach rechts, bis er als Sachwalter des oſtelbischen Junkertums endete! Das war kein Sonderschicksal und symbolisiert sich in einer Episode aus feiner Revoluzzerzeit. Als Miquel sich in den Tagen des Bor. parlaments mit einer Schar gleichgesinnter Kommilitionen, alle forch­terlich mit Menfurschlägern bewaffnet, von Heidelberg   nach Frank­ furt   aufmachte, um die Weltgeschichte ein wenig auf den Trab zu bringen, wurden von der besorgten hessischen Regierung die Eisen­bahnwagen mit den kühnen Freiheitshelden in Darmstadt   vom Zug abgehängt und auf ein totes Gleis geschoben, wo sich die aufgeregten Jünglinge, nicht zuletzt unter dem Einfluß reichlich verzapften Frei. biers, allgemach beruhigten. Das war das Los des 1848 rebellie­renden Bürgertums überhaupt: von den Machthabern auf ein totes Gleis geschoben zu werden, es sich schmecken zu lassen und den Auf­rührertrotz abzuschwören. Sagt doch selbst Mommsen, gewiß fein Sozialist, daß Miquels Entwidlung für die bürgerlich­liberale Generation der Zeit von 1848 bis Wilhelm II.   typisch sei. Hermann Wendel  .

Gesundheit durch das Bild.

Was uns das Arbeitsschutzmuseum sagt.

VORSICHT

,, Safety first" sagt man in Eng land, und dieses Wort ist dort eine fest­stehende Redewendung. Ueber alles die Sicherheit!" heißt das auf Deutsch  , aber leider erfreut sich dieser Ausruf noch lischen Wortbruder beschieden ist, und nicht der Popularität, die seinem eng lischen Wortbruder beschieden ist, und doch läßt sich gewiß nicht sagen, daß die Gliedmaßen eines deutschen Ar­beiters meniger wertvoll, weniger wichtig wären, als die seines englischen den ist die Unfallverhütungs­Arbeitskollegen. Unter diesen Umstän­propaganda, die die Berufs­genossenschaften konsequent und zwei­fellos mit Geschick betreiben, jegens beim Umschreiten von Ecken fellos mit Geschick betreiben, segens­reich und erfreulich. Natürlich ist es in erster Linie Sache der Unternehmer, dafür zu sorgen, daß ihre Maschinen, Apparate und Gerare mit allen erdenklichen Sicherheitsmitteln gestattet sind, daß an Bohrmaschinen, Drehwerten, Bandsägen, Wert­bänken nicht die Schutzkörbe und Absaugungsvorrichtungen für die Späne fehlen, daß die Hochspannungstabel einwandfrei isoliert, daß Asbestschirme vorhanden sind, die gegen die Ueberraschungen von Heizflammen feien, daß Treibriemen mit Gittern versehen und Gas rohre nicht undicht sind. In Berlin   existiert ein Benutze tändiges

Fainch

Richtig

unfallsichere

Holztritte od. Leitern 빼기

Ricine

aus

FALSCH

wonnen worden sind, jene Bilder zu sein, die den Augenblick des Unglüdsfalles darstellen, aber die Fol. gen, die er für den Verunglückenden haben wird, nur ahnen lassen und noch nicht festlegen. Dieser Art von Bils dern wohnt eine starke dramatische Kraft inne. Sie sind packend und zwin­gen dazu, selbständig meiterzudenken und das Angedeutete zu vollenden. Sie regen die Phantasie an, eine Visi­onenfolge abzuspulen, die bei dem Augenblick der Unvorsichtigkeit be­ginnt, und sich bis zu dem Zeitpunkt der Verletzung erstreckt.

Der Arbeiter ist in besonders star­fem Maße von Gefahren umgeben. Im Jahre 1925 erstatteten die gewerb­en Betrieve ves veurschen Reiches 652 897 Unfallmeldungen, und nicht weniger als 5285 der Unfälle hatten den Tod des Verunglückten im Gefolge. Aber es lauert nicht nur auf den Arbeiter, sondern auf jeglichen Menschen überhaupt die Gefahr. Wer hätte nicht zu­weilen mit elektrischem Strom oder Gas zu tun, wer hantierte nicht gelegentlich mit Hammer, Meißel, Art, Spaten, wer bestiege nicht manchmal Leitern, wer öffnete nicht Risten, wer lüde nicht auf oder ab, wer höbe und trüge nicht hin und wieder! Vor allem: wer ginge nicht täglich auf der Straße! Natürlich ist das nicht so, daß Arbeits= alle diese Betätigungen sich dauernd unter schwerster Lebensbe= schußmuseum, das drohung für die Beteiligten abwickelten. Es hat feinen Sinn, zu durch Bilder und Mo­übertreiben und sich in einer wüsten Schwarzmalerei zu ergehen. delle darüber belehrt, Aber es ist gewiß, daß undichte Gashähne, schlecht isolierte Leitungen, was zu tun not ist und nachläffig aufgestellte Leitern, geöffnete Riften, aus denen die Nägel das auf dem laufenden nicht entfernt sind, falsch gehandhabte Werkzeuge schweres Unheil über den Stand der anzurichten vermögen. Es sind feine schwierigen Rezepte, die die Propagandabilder vorschreiben, sondern nur leicht einprägianie Grundregeln, deren Vernunft offen auf der Hand liegt. Eine wich­tige Warnung, die die Propagandabilder aussprechen, ist auch die: Niemals Laien am Körper herumturieren lassen! Der Arbeiter, der dem Kollegen einen Splitter aus dem Auge entfernen oder ihm die Wunde auswaschen will, womöglich sogar mit Seife, mag ja ein sehr wohlwollender Mensch sein, aber sicher ist auch, daß er vin der Heilkunst nicht das mindeste versteht und mit großer Wahrschein lichkeit das an sich harmlose Uebel nur verschlimmert Auch bei Kleinigkeiten zum Arzt oder wenigstens in die Unfallstation! Es lohnt sich!

Schutzvorrichtungstechnik

erhält.

Aber zweifellos ist nicht genug damit getan, daß der Unternehmer feine Pflicht erfüllt und Schutzvorrichtungen an seinen Maschinen an­bringt. Der Arbeiter muß sie auch benugen, und dazu gehört zunächst einmal, daß er sich im flaren über die Ge­fahren ist, die ihm drohen. Ein falsches den Mittel, auf diese Ge

fahren aufmerksam zu machen, ist die Verbotstafel, die fleingedruckt und mit Fliegendreck durchsetzt an einer verborgenen Ede des Be­triebes hängt und im echten Kasernenhofton soundsoviel Para­graphen aufzählt, die da anfangen: Es ist untersagt... Die Ar­Solche Aus beiter werden angewiesen... Es ist verboten hänge liest kein Mensch, und läse er sie doch, dann ärgerte er sich über die arrogante Kommandiererei, die aus solcher Literatur spricht. Nicht darauf kommt es an, zu drohen und Strafen zu verhängen, sondern darauf, den Arbeitern recht sinnfällig und anschaulich vor Augen zu führen, daß es im Interesse ihrer Gesundheit und in dem der unversehrtheit ihrer Gliedmaßen liegt, gewisse Borsichten walten. zu lassen.

Das Unfallverhütungsbild ist das richtige Mittel, auf Gefahren hinzuweisen und sie zu bannen. Wie soll es sein? Da wäre zunächst einmal das humoristische Bild, das sich des spaßigen Tonfalls befleißigt, um zu belehren. Dann wäre das fachliche Bild, das unterrichtet: So soll es sein! und so soll es nicht sein! Dann wäre das grausige Bild, das die fürchterlichen Folgen zeigt, von Am wirtsamsten denen Fahrlässigkeiten begleitet sein können. scheinen, nach den Erfahrungen, die bisher auf diesem Gebiet ge.

esd lis 2

pandiung

Eine Tatsache ist ferner, daß manche Arbeiter einen gewissen Ehrgeiz dareinseßen, ganz ohne oder doch mur mit unumgänglichen Schutzvorrichtungen aus zufommen, und daß sie fich beispielsweise ein­reden, das Auge des auto genen Schweißers ge­wöhne sich mit der Zeit an die grellen Lichtbögen könne daher der und entraten. Schutzbrille Stolz ist eine schöne

Sache. Aber nirgendwo ist er unangebrachyter, als gegenüber den Mitteln und Bestrebungen, die das einzige Kapital schüt­zen möchten, dessen der Arbeiter sich manchmal noch immer rühmen fann: seinen gesun den Körper. Hans Bauer.

delsern Lulegtetzen Sichern!