Ztr. 331• 45. Achrgang
-1. Beilage des Vorwärts
Gonntag, 15. Juli 1923
.Blumen— och, damit können mir uns nicht viel abgeben I Die Arbeit kann man sich nid# auch noch machen!" Nicht nur einmal hat man die Antwort gehört, wenn Gartenbesitzer be- fragt werden, warum in ihrem sonst so schön gehaltenen Garten sich der ganz« Blumenschmuck auf ein paar Stiefkinder Flora» b«. schränkte, die irgendwo in der Nähe der Laub««in kümmerliche» Dasein führen. Dennoch gibt es blühende Gärten, die so gut wie gar keine Arbeit machen, und der Mann, der daran arbeitet, diese Gärten für faule Leute ständig zu vervollkommnen, lebt nicht gar so weit weg von Berlin . Ein kleines Paradies. Von Potsdam nach Bornim fährt das Pastauto in kaum zwanzig Minuten zum Schwarzen Damm: wer aber Zeit hat und dos Geld für das Auto sparen will, kann durch das Katha- rinenholz in einer guten Stunde auf schönem Waldwege das gleiche Ziel erreichen— die.Gärtnerei für winterharte Blüten- ftauden" des Herrn Karl Förster , des Sohnes von F. W. Förster. Man denke hier nicht an eine gewöhnliche Verkaufsgärt- n e r e i l Gewiß, man kann hier nach Bestellung auch Blüten- stauben kaufen— aber das Grundstück steht auch allen offen, die stch nur an der Schönheit der Blumen freuen wollen, und die ein- zige Formalität, die man zu erledigen hat, ist eine Eintragung in das Gast«buch. Vom Tor am.Sd>warzen Damm" aus unterscheidet stch die Gärtnerei freilich nicht viel von anderen ihrer Art, Beete mit blühendem Rittersporn und Helenium wechseln mit anderen ab, auf denen noch nicht blühende Pflanzen stehen oder die gerade brachliegen. Das lehle Viertel des vierzig Morgen großen Grundstückes aber ist zu einem kleinen Park umgeskaltel, den auf kleinstem Raum eine unglaubliche Fülle von Schönheit um. schließt. Vier Abteilungen umfaßt der Park: Den„Frühlings- w e g", an dem in allen Monaten des Frühlings die schönsten, in den Farben harmonisch zueinander abgestimmten Stauden blühen, den„S e n k g a r t e n", der ein Wasterbassin mit den verschiedensten Seerosen umschließt, den„N a tu rg arten" und den„Stein- garten". Im Senkgarten umschließen Laubengänge mit Kletten- rosen abschüssige Böschungen, die mit den verschiedensten, in der Zeit der Blüte abwechselnden Stauden besetzt sind. Jetzt führt da grade der Rittersporn das große Wort und entfaltet feine blau leuchtenden Blütenkerzen an den mannshohen Prachtstauden. die den Weg einfassen. Im Naturgarten leuchten zwischen über zwei Meter hohen Wacholdersträuchern blütenbesäte Heckenrosen vor Weihmutskiefern und einem Lärchenbaum von seltener Schönheit, während in der„L a u b w a l d a b t e i l u n g" Türkenbundlilien mit den lilagesprenkelten Turbanen nicken. Den größten Formen- rcichtum aber umschließt der Steingarten, auf dessen Steinterrassen kriechender Wacholder und wie„Krummholz" zu Boden ge-
beugte Mispel von meterhohen Gräsern überragt werden und. man- nigfaltige Formen von Sempervivum rotleuchtende Blüten- st er u e au» den mattgrünen Llattrosetteu schicken. Alle dies« Blütenwunder sind darauf gezogen, mit der denkbar wenigst» Pflege auszukommen, sozusagen als.Selbstversorger" zn leben und auch Zeiten des Hungers und der Dürre zu überstehen. Die große Ritterspornfrage. Wa« wissen wir vom Rittersporn?— Was wir in der Naturkundestund« lernten, ist natürlich längst vergeffea. und nur, wer irgendeinen Bauerngarten genauer tennengelernt hat. erinnert stch der enzianblauen Blütenkerzen, die auf meist recht zer- rauft aussehenden Stiel» schwanken. Die Llummzüchter hob» nun freilich bald die Wandlungsfähigkeit der schönen Blume erkannt und ste in den verschiedensten Färb» gezüchtet. Da aber kam der große Feind de» Rittersporn», der Mehltau, und viele der neu- gezüchtet» Eort» gingen daran zugrunde; andere trug» die Blütenkerz» auf schwank» Stengeln und brachen bei geringstem Winde mn. Welch schwerer Kummer da- für GartenfremGe ge- wesen sein muß, ersteht man wohl am best» daraus, daß diese große Ritterspornsorge in England sogar eine neue Zeitschrift in» Leben rief:.For better Delphinum"— für besseren Rittersporn! Ja der Gärtnerei Förster ist man darum dazu übergegangen, durch Auswahl der Tüchtigst» wind- und mehllausefle Pflanz» zu ziehen, und die Methode ist ganz interessant. Aus der groß» An- zahl der aus Samen gezogenen Pflanzen werden besonders schöne ausgewählt und zu„Müttern" der kommenden Rittersporn- generation bestimmt. D»n die Zucht aus Samen liefert nach dem Mendelschen Gesetz immer eine gewiss« Anzahl Rückschläge, Pflanzen, die nur die Kennzeichen ihrer einfachen Großelte» tragen; der von der Mutterpflanze genommene Steckling aber trägt die Eigenschaften der Mutter getreu weiter, nicht nur den Cha- rakter der Blüte, sondern auch ihre anderen guten Eigen- s ch a f t« n: Starkwüchstgkeit, Windfestigkeit, Immunität gegen den Mehltau und auch den früheren oder später» Zeitpunkt ihrer Blütezeit. So ist es gelungen, durch di« Stecklingsvermehrung oder di« Wurzelteilung nicht nur schöne, in ihrer Erscheinung kon- stante Arten zu erzielen, sondem auch durch die Auswahl besonders früh- oder spätblühender Mutterpflanzen die Blütezeit des Ritter- sporns und anderer Blütenstaub» um Wochen und Monate zu verlängern und vor allem sich dem Ideal zu nähe»: dem Garten, der mit dem Minimalmaß an Pfleg« auskommt. Denn ein« Staude hält zehn Jahre, auch länger aus, braucht nicht, wie die Blüten sträucher, verschnitten zu werden, und kommt getreulich oll« Jahre wieder, ohne daß man die winterhart«, wie z. B. Ros»sträucher, im Winter eindecken muß. Vorausgesetzt freilich, daß sie von„guter Familie", das heißt von einer edl» Mutterpflanz« stammt. Allerdings, ms Uferlose lassen sich auch Pflanz» nicht durch diese ungeschlechtliche Fortpflanzung vermehren. Die edlen Geschlechter werden dann nach einer stattlichen Reihe von Generation» müde, wie wir es von der La- krance» Rose, die fast ausgestorben ist, und von der jetzt überoll in Deutschland wipfeldürr werdenden Pyramidenpappel wissen; denn alle Ls-?rauc«-Rosemoaren die Kinder und Enkel einer Mutterpflanze, und all« Pyramidenpappeln stammt» von denselben Bäumen, die
s Napoleon I. in Deutschland einführte. Dann muß doch wieder ,«ine Blutaufftischung durch ein« aus ganz plebejischen Samen entsprossen« Pflanze vorgenommen werden, das soll auch bei den Menschen manchmal nicht anders gewesen sein! Wunder tropischer Lleppigkeit. Roch manch« Seltsamkett umschließt der Garten: Da steht mitten in der Gärtnerei«in« Riesenausgobe des unseren Laubenkolonisten bekannt» Schleierkrauts: Der Riesenmeerkohl, der wirklich ein ins gigantische vergrößertes Schleierkraut ist. Zehn Jahre dauert diese Staude mindestens aus und treibt während dieser Zeit eine fast«mndicke Pfahlwurzel metertief in die Erde, während der über und über mit weißen Blüten übersäte Strauch zirka 1,50 Meter hoch wird. Dann ein fast zwei Meter hoher Riesen- schierling, die Herkulesstoube, die ein Bild von geradezu tro- pischer lleppigkeit gibt und nebenbei anscheinend der Bienen be- liebteste Weide ist. Vom kriechenden Wacholder und dein blühenden Sempervivum war schon die Rede, von diesem Sempervivum, dess» heraldisch strenge Blattrosetten von uns nkir in den kleinen Kaktusgärtchen gebraucht werde». * Alle diese Blumenwunder kann man hier„in'Freiheit dressiert" sehen, und jeder Blumenfreund und jeder Garten- besitz» kann hier lernen, wie er auch auf kleinstem Raum sich den schön st en Blütengarten schaffen kann— und wenn er ein kluger Faulpelz ist, lemt er hier, wie er durch richtige Aus- wähl sich fast alle Gartenarbeit abwimmeln kann. Auskunft wird ihm üb» jede Pflanze gern gegeben, denn der Besitzer dieser Gärtnerei ist viel mehr Enthusiast als Geschäftsmann, und fein Grundstück steht allen Blumenfreunden offen mit allen Wundern seiner aus ollen Weltteilen herangeholten Blüten und aller Schönheit seiner Parkanlagen. Niemand, der auch nur einige Quadratmeter„Unland" in seinem Schrebergarten hat, wird, ohne Nutz» von diejem kleinen Paradies scheiden.
Der verschlafene Einzug. Dem„Eisernen Gustav" ist in Heidelberg ein neckisch» Unfall passiert! Man muß ihn wohl in Mannheim zu ausgiebig gefeiert haben— denn als die berühmt gewordene Droschke mit dem braven„Grasmus" in den Straßen Heidelbergs erschien, saß zur groß» Verwunderung des Publikums nicht Gustav, sondem ein Heidelberger Fuhrhcrr auf dem Bock—, während der„Eiserne " im Wogen schnarchte und so d» pompösen Empfang leid» völlig verschlief. Die Hunderte, di« auf den Straß» standen, war» sehr enttäuscht. Erst später ge- lang es Gustav zu bewegen, seinen Sitz aus dem Kutschbock wieder einzunehmen. Wird man den Armen nicht tot geproslet hob», bis « nach Wannsee zurückgekehrt ist?!
SieAachinachdemVerral. 8i Roman von Liam O'Klaheriy. (Au« dem Englischen überseht von«.Häuser.) Er hatte seinen Kopf noch nicht mal klar gemacht für den Beginn der teuflischen Arbeit: einen Plan zu machen, da unterbrach ihn die Ankunft von Katie Fox. Sie hatte sich neben ihn gesetzt, bevor er wußte, daß sie da war. Er war so sehr in seine Schwierigkeiten verwickelt, daß sie ihn antippte und ansprach, bevor er ihre Gegenwart bemerkte. Mit ihrer harten, dünnen Stimme sagte sie, als sie ihn in die Rippen stieß:„Wie geht's, Gypo, hast du Geld, daß du einen ausgeben kannst?" Gypo sprang auf, sein halbes Mas verschüttend. Er starrte sie mit erschrockenen Augen an, seine Brust hob sich. Dann erkannte er sie und setzte sich sofort hin, verstört und verwirrt über diesen Ausbruch seiner Erregung. Er tat, als wäre er verärgert, und murmelte:.�allo, Katie, du solltest einen nicht so plötzlich überfallen. Ich guck' mich um, auf einmal bist du da und stößt mich in die Rippen. Warum zum Teufel hast du nicht gerufen wie sonst immer?" Sie stemmte die Rücken ihrer rotgeäderten Hände auf die Hüften, sah ihn voll Erstaunen an. das teils echt, teils aber auch geboren war aus der Vorliebe für große Gesten, Bewegungen und Redensarten, die ein typisches Charakter- zeichen der Frauen aus den Slums von Dublin ist. Katie gehört« zu dieser Art von Frauen. Ihr Vater war Ange- stellter der Gewerkschaft gewesen und ihre Mutter Auf- wartefrau. Als Mädchen arbeitete Katie in einer Keks- fabrik. Ihre Schönheit mußte in der Tretmühlenarbeit der Fabrik versauern und das machte sie unzufrieden. Sie schloß sich der revolutionären Organisation an. Das war vor sechs Iahren gewesen. Räch diesem Ereignis, ihrer ersten Entgleisung vom geraden Pfad der Ehrbarkeit und des Konservativismus der Proletarierfrau, ließ sie ein Ueberschwung des Gefühls ein über dos andere Mal ge- strauchelt. Schließlich geriet sie ganz außer Verbindung mit den ordentlichen Leuten, sie wurde aus der Organisation herausgejagt unter der Anklage östentlichcr Prostitution. Ietzt war st- em Stratzemmidche» geworden, und selbst die
Prostituierten des Dirnenviertels kannten sie als oerkokst, verschlampt, als eine ganz unzurechnungsfähige Kreatur. Spuren ihrer einstigen Schönheit fanden sich noch in ihren tiefblauen Augen, die müde und traurig waren, und deren Winkel zuckten, in ihrer langen, dünnen Gestalt, die jetzt ausgezehrt war, in dem schwarzen Haar, das unter dem Rand ihres verknüllten roten Hutes hervor ungepflegt ihr in das Gesicht hing. Der Mund aber, der das Laster oer- rät, hatte die zarten, aber vollen Linien unschuldiger Mädchenzeit und blühender Reife vollständig verloren. Ihre Lippen hingen seitlich herab, in der Mitte waren sie ge- schwollen. Ihre Farben waren verblichen und nun in schreien- der Gemeinheit durch billige Schminken erneuert worden. Die arme gequälte Seele starrte aus dem jungen Gesicht heraus, das alt. traurig, hart und abgestumpft war, bevor die Jahre Zeit gehabt hatten, es zu furchen. Sie streckte ihr kleines Kinn vor und drehte den Kopf seitwärts, wobei sie die Lippen auf einer Seite tiefer zog. Gesicht und Lippen verzerrten sich ihr. während sie langsam sprach:„Genau so dacht' ich mir's. Eben darum Hab' ich mich hereingestohlen und neben dich hingesetzt. Ich Hab' dich näm- lich zufällig gesehen, mein Schatz, als ich mit Biddy Mac drüben an der Eecke gegenüber von Kane sprach. Da Hab' ich mich hergetrollt, um dich mal in Ruhe zu sehen. Aber das ist sonnenklär, daß du mich lieber nicht sehen willst Nicht, so- lange du Geld hast, dich mit Porter vollzupumpen. Heut morgen war's'ne andere Geschichte, wo du mich angebettelt hast ums Geld für'ne Tasse Tee, wo ich nicht mal den Schein von'ner halben Krone zu sehen gekriegt hatte für drei Tage Laufen. Na dann... .Letzt mach' mal'nen Punkt," unterbrach Gypo erregt. ,D>as ist richttg so wie du bist: immer gleich schlecht von einem zu denken An das, was du da sagst, Hab' ich überhaupt nicht gedacht. Du bist bloß so plötzlich auf mich losgeplatzt. Was willst du trinken?" Katie schaute von oben herab auf ihn hinunter, das Kinn immer noch vorgestreckt, den Kopf seitwärts verdreht, die Lippen nach unten gezogen und hie Hände auf den Hüsten. Ohne ihre Augen von Gypos Gesicht abzuwenden, murmelte sie:„'nen doppelten Gin." Gypo erhob sich und schlürfte zur Theke hin nach dem Getränk. Ihre Augen folgten ihm schielend nach, und ihr Kopf nickte immerfort langsam zu seinem riesigen Rücken hin. � Ihr Pfffriitn™ zu mst s» mm«Mich» IfeM
die sich schwer mit einem Wort beschreiben läßt. Ukizweiseb- hast war sie nicht seine Frau, ebensowenig aber konnte man sie sein„Verhältnis" nennen. Ihre Beziehungen aber hatten etwas von der doppelten Natur der gesetzlichen Ehe und des Konkubinats, sanktioniert durch wirkliche Liebe. Katie liebte Gypo, weil er stark, groß und schweigsam war, vielleicht auch weil er beschränkt war und ihre schnelle Gassenschlauheit sein schwer bewegliches Hirn stets übertölpelte. Wann immer Gypo Geld besaß, gab er es mit ihr aus. Zuweilen, wenn er kein Geld hatte, nahm sie ihn mit sich nach Hause und gab ihm am nächsten Morgen nach sein Früh- stück. Im großen ganzen waren sie gute Freunde. Während der letzten sechs Monate, als Gypo aus der Organisation ausgestoßen, ohne Geld, ohne Freunde und ohne Arbeit war, hatte Katie zwischen ihm und dem Tod vor Hunger und vor Kälte gestanden. Sie liebte ihn auf ihre eigene, merkwürdige Art. Mit den letzten Resten ihres weiblichen Gefühls liebte sie ihn. wie sie ihren eigenen Mann hätte lieben können. Aber diese Spuren von Liebe erstickten fast unter dem Laster, das sie überwucherte. Selten nur wurde sie deutlich und erfüllte die wüste Leere ihrer Seele mit Wärme und Helligkeit. Jede freundliche Handlung des Mitleids mit dem schwerfälligen Riesen wurde zehnfach überwogen von Handlungen, die schlecht und grau- sam waren, während Gypo Mit der Gleichmütigkeit des ge- sunden, starken Mannes sie hinnahm, als ob sie wie frische Lust und Nahrung zu den Bedingungen seines Lebens gehörte. Ihre Abwesenheit pflegte er nur dann zu vermerken, wenn er sie nötig hatte. Er brachte den Gin und reichte ihn ihr. Sie nahm'ihn schweigend. Langsam schlürfte sie ihn, hielt das Glas einen Zoll vor ihren Lippen und starrte im Trinken vor sich hin. Hin und wieder erschauerte sie, als wäre das Getränk eis- kalt. Gypo beobachtete sie argwöhnisch aus den Winkeln seiner Augen. Schließlich sagte er:„Wozu bist du denn eigentlich her- gekommen?" Er war sehr verärgert, daß sie gerade jetzt auf ihn gestoßen war, wo er versuchte, einen Plan zu mächen. und wo das Geld für den Verrat ihm in der Tasche brannte, ohne daß er bisher eine glaubwürdige Erklärung für sein Vorhandensein gesunden hätte. Er ärgerte' sich, aber auf eine verwirrte und dumme Art. Selbst für diesen Aerger hatte ey noch keine vernünftige Erklärung herausgefunden.. .____________________ Fortsetzung jvlgttz�L