Einzelbild herunterladen
 
  

Nr. 284.

Erscheint täglich außer Montags, Breis pränumerando: Biertel jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mr., wöchentlich as Pfg. fret in's Haus. Etnzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Desterreich­Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste

für 1895 unter Nr. 7138..

Vorwärts

12. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Berfammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin".

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Donnerstag, den 5. Dezember 1895.

Parteigenossen!

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3:

Der Schlag, den das Berliner   Polizeipräsidium auf Betreiben des jetzt schon ge- nehmen wir, die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstags, Eure stürzten Ministers des Innern, Herrn von Köller, gegen den Parteivorstand und die erwählten Vertreter, bis auf weiteres die Leitung der Partei. Berliner   Genossen geführt hat, ist Euch bekannt. Den Vorstand unserer Fraktion, die Genossen

Indem das Berliner   Polizeipräsidium auf grund des§ 8 des preußischen Auer, Bebel, Liebknecht, Meister, Singer Vereins- und Versammlungsgesetzes vom 11. März 1850 den Parteivorstand als poli- betrauen wir mit der Leitung der politischen Geschäfte. Die Genossen tischen Verein", der mit anderen Vereinen gleicher Art" zu gemeinsamen Zwecken in Berbindung getreten sein soll, vorläufig schloß, hat es die Partei ihrer erwählten Leitung beraubt.

Die Partei hat in jahrzehnte langen Kämpfen so zahlreiche und harte Ver­folgungen erfahren und hat sie alle siegreich überwunden, daß dieser neueste Streich uns nur ein Achselzucken abzwingen fann.

Berfolgt, prozessirt und zu verschiedenen Malen aufgelöst vor dem Sozialisten­gesetz, geächtet in den zwölf Jahren des Sozialistengesetzes ist die Sozialdemokratie die stärkste Partei Deutschlands   geworden.

Förster, Koenen und Molkenbuhr,

sämmtlich in Hamburg  , haben wir als geschäftsführenden Ausschuß eingesetzt, um de Verwaltungsgeschäfte zu erledigen. Dieser Schlag, ersonnen und ausgeführt in dem Glauben, dadurch die Partei Wir bitten demgemäß, von heute ab alle für die Partei bestimmten Geld­aufs schwerste zu treffen, ist, wie so viele anderen früheren Maßregeln, gegen uns ein sendungen an den Genossen Schlag ins Wasser. Heinrich Koenen, Hamburg  , Eppendorferweg 43, Haus 3, dagegen alle Zuschriften in Agitations-, Preß-, Prozeß- und Unterstützungsangelegenheiten an den Genossen Hermann Förster, Hamburg  , St. Georg  , Bleichenstraße 21, zu richten. Je nach den Umständen soll die Gesammtpartei auf einem im kommenden Jahr von uns möglichst frühzeitig zu berufenden Parteitag die Gelegenheit erhalten, wieder definitive Ordnung zu schaffen. Und die vierhundertundvierunddreißig Jahre Gefängniß- und Zuchthaus­Parteigenossen! Wir vertrauen, daß Ihr die neue Geschäftsleitung der Partei strafen und die über hundertundfünfzigtausend Mark Geldstrafen, die laut unserer mit allen Euch zu Gebote stehenden Kräften unterstützt, in dem Ihr Eure stets bewiesene Parteiprotokolle der neue und neueste Kurs seit dem Fall des Sozialistengesetes Opferwilligkeit verdoppelt und Eure Thätigkeit für die Ausbreitung unserer Prinzipien ( Oktober 1890) bis zum Breslauer Parteitag( Oktober 1895) uns einbrachten, haben vervielfacht. Beigt, daß Schläge, woher sie immer kommen, Euch nicht zu erschüttern, ebensowenig wie die früheren Verfolgungen unser fiegreiches Vorschreiten hemmen können. noch viel weniger aber einzuschüchtern vermögen. Mit der Zahl und der Härte der wider uns erhobenen haltlosen Anklagen, geschleuderten Beschimpfungen und inszenirten Verfolgungen wuchs die Begeisterung und die Opferwilligkeit, stieg der Kampfesmuth und die Kampfeslust in unseren Reihen und bethätigte fich immer glänzender das Solidaritätsgefühl unserer Genossen.

Reine andere Wirkungen können auch die Verfolgungen haben, denen die Partei seit den Septembertagen dieses Jahres aufs neue und in erhöhtem Maße ausgesetzt ist und denen der Streich des Berliner   Polizeipräsidiums gegen den Parteivorstand und die Berliner   Parteigenossen wohl die Krone aufsetzen sollte.

Um mit unseren Gegnern, die über den schweren Schlag", der uns betroffen, jubiliren, ins Gericht zu gehen, dazu werden uns die bevorstehenden Verhandlungen des Reichstags noch besondere Gelegenheit bieten. Da führen wir die Angriffswaffen, und unseren Feinden soll nichts geschenkt werden.

Parteigenossen! Schließt fester die Reihen und arbeitet unermüdlich für unsere große Sache, die siegen wird und siegen muß, weil sie für die unterdrückte und aus­gebeutete, unter Sorgen und Elend schmachtende Menschheit eine glückliche Zukunft bedeutet. Schreitet ruhig, aber muthig vorwärts- immer vorwärts zu neuem Rampf,

Wohlan, Parteigenossen! Der Parteivorstand ist vorläufig aufgelöst, damit über zu neuem Sieg!

Berlin  , den 4. Dezember 1895.

Hoch die Sozialdemokratie!

Die sozialdemokratische Fraktion des Reichstages.

Auer. Bebel. Birt. Blos. Bock.

Brühne. Bueb. Diez. v. Elm. Fischer. Förster. Frohme. Gerisch. Gener. Grillenberger. Harm. Herbert. Hofmanu. Horn. Jo est. Klees. Kühn. Legien. Liebknecht. Lütgenau. Meister. Megger. Möller. Molkenbuhr. Reißhaus. Schmidt( Frankfurt  ). Schmidt( Sachsen  ). Schoenlant. Schulze. Schumacher. Seifert. Singer. Stadthagen  . Stolle. Tuzauer. Ulrich. Vogtherr. v. Vollmar. Wurm. 3ubeil.*)

Die Genossen Schippel und Schmidt- Berlin befinden sich im Gefängniß, weshalb ihre Namen fehlen.

Münter  - Sachen.

an dem Kragen packt und schmeißt ihn zu Boden, dann So bekundet der Meggermeister Bernicke: Als er eines Abends hat er es und morgen vergessen, stellt sich hin vor im März 1895 in Werne   auf der Straße mit einigen Metzgern Gericht und beschwört, er habe ihn nicht angegriffen." eine ziemlich laute Auseinandersetzung wegen eines ihnen abhanden Der Gendarm Münter   darf beanspruchen, neben dem Es kann auch sein, fährt Zeuge fort, daß Angeklagter gekommenen Saches Kartoffeln gehabt, fei Münter   hinzugekommen ,, im guten Glauben". Der gleichfalls und habe sie in barschefter Weise aufgefordert, den Platz zu ver­jegt verflossenen Herrn von Köller, dem Gerichtsdirektor hinzugesetzt habe: Brausewetter und einigen anderen auffälligen Persönlich in der Versammlung und zwar als überwachender Polizeibeamter, laffen. Er, Beuge, habe sich mit den Worten: ich gehe zu gerne" keiten zu den typischen Vertretern der neuesten Aera der gegen gewesene Polizeikommissar Wagner giebt dieselbe Aeuße- unverzüglich umgedreht und entfernt; gleichwohl sei Münter   mit rung des Angeklagten mit folgenden Worten wieder: Es gehöre blant gezogenem Säbel hinter ihm hergekommen und habe ihm Staatsretterei gerechnet zu werden. Welche wichtige Rolle zum Naturell des Münter  , seine Hände ununterbrochen zu ge- einen Schlag über den Rücken versetzt. Bei seiner Vernehmung Münter   in dem Meineids- Prozeß gegen Schröder und brauchen und brauche er einen Entschluß zum Anpacken gar nicht als Zeuge vor Gericht einige Monate später habe dann Münter  Genossen gespielt hat, ist bekannt. Seine damaligen zu fassen. So habe er bei der Gerichtsverhandlung den für ver auf Vorhalt der Aussage der Zeugen erklärt, es könnte so sein, Leistungen haben eine ganze Reihe anderer Prozesse wegen haftet erklärten Schröder gepackt, obgleich ein Entweichen aus er entfinne sich aber des Vorganges nicht mehr. angeblicher Beleidigung dieser hervorragenden Persönlichkeit dem Gerichtssaal nicht möglich war. Münter   würde, weil er nach sich gezogen. Erst vor einigen Tagen wurde unser aber nicht Herr feiner Hände sei, und sich von solchem Anpacken Kollege Dierl von der Brausewetter- Kammer wegen Münter   vielleicht auch gar nichts entsinne, in gutem Glauben beschwören tönnen, davon nichts zu wissen." beleidigung zu einem Monat Gefängniß verurtheilt. Die Anklage erblickt in dieser Aeußerung den Vorwurf, Jezt kommt die Nachricht, daß sich Thatsachen heraus Münter   sei fähig, ein falsches Zeugniß abzulegen. Dies geht jett gestellt haben, die Anlaß geben zur Erstattung einer An- jedoch nach der Ansicht des Gerichts zu weit. Nach den Aus­zeige wegen Meineids gegen den Gendarm Münter   selbst. fagen der Beugen muß für erwiesen gelten, daß Angeklagter bei er sei nur ein Baßenschläger, er, Münter  , sei mehr, er sei Zahl­Ob diese Anzeige Erfolg haben wird bei der Staatsanwalt- feiner Aeußerung über Münter   den guten Glauben über das, was meister- Aspirant. Auf Vorhalt dieser Bekundungen habe Münter  , schaft, kann allerdings zweifelhaft erscheinen. Aber zur er beschworen, hervorgerufen hat, und ist deshalb in jener vor Gericht als Zeuge vernommen, erklärt, er entfinne sich des Würdigung der Glaubwürdigkeit dieses ausschlaggebenden Aeußerung außer dem Vorwurf der Vergeßlichkeit nur der Vorfalls nicht mehr, und noch ausdrücklich hinzugefeßt, er sei an Zeugen im Effener Meineidsprozeß ist das Erkenntniß weitere Vorwurf enthalten, daß Münter   bei Abgabe seines jenem Abend nicht angetrunken gewesen. Zeugnisses leichtfertig vorgehe, leider allerdings Vorwürfe, die, Einen dritten Zeugen, den Schloffermeister Prein, hat Münter  gegen den gleichfalls wegen angeblicher wenigstens im Zusammenhang mit dem übrigen Vorbringen eines Nachts auf der Chauffee von Weitmar   nach Bochum   ohne Münter   beleidigung angeklagten Dr. Lüt- bes Angeklagten wohl geeignet sind, den Münter zu be- jede Veranlassung angehalten, ihn Spion, Lump, Bagabund ge­genau von großem Werth, das jetzt im Wortlaut vorliegt. leidigen.(§ 185 Str. G.-B.) Nun Angeklagter den Beweis nannt und erst, wie Beuge sagt, nach etwa dreiviertelstündigem Die Gründe lauten: dafür versucht, daß jene Vorwürfe nach dem von Münter   Hin und Hergerede weiter gehen lassen. Prein weiß zwar

"

=

Aehnliches bekundet der Zechenbeamte Debillon: Als er eines Nachts gegen 2 Uhr in das Hotel Schlenkhoff in Herne   ge­fommen sei, sei der dort anwesende Münter ohne jede Veran laffung auf ihn zugekommen, habe mit den Worten: Was find Sie? visitirend ihm Rock und Taschen befühlt, und erst auf den Buruf eines anderen Gendarmen von ihm abgelassen. Dann habe Münter   dem Lehrer Lohmann in schnarrendem Ton zugerufen,

Der Angeflagte giebt zu, am 29. Juni 1895 in einer öffent- wiederholt bei seiner Vernehmung als Zeuge bewiesenen nicht mehr, was Münter   bei seiner Vernehmung über diesen lichen Versammlung in Dorftfeld über den Effener Meineids: Berhalten begründet seien. Dieser Beweis ist dem An- Vorfall erflärt hat, doch hat Münter   selbst in der Verhandlung prozeß gegen Schröder und Genossen gesprochen und hierbei auch geklagten gelungen, indem durch das glaubhafte Zeugniß dieser Sache auf Borhalt der Angaben des Prein erklärt, er ent­sich über den in diefem Prozeß seiner Ansicht nach maßgebenden mehrerer Personen festgestellt ist, daß Münter   auf Vorfälle, bei finne sich dieses Vorfalles nicht, welche Erklärung er auch bezüg­Zeugen Gendarm Münter ausgelassen zu haben. Hierbei hat benen er gegen diese Personen in ungerechtfertigter Weise so lich der ihm gleichfalls vorgehaltenen Aussage des Zeugen Dedillon Angeklagter nach der Aussage des in der Versammlung an- schroff und gewaltthätig aufgetreten ist, bei seiner kurze Zeit wiederholt hat, während er bezüglich des von Bernicke bekundeten wesend gewesenen Gendarm Hamann etwa folgende Aeußerung darauf erfolgten Bernehmung sich angeblich nicht mehr hat be- Borfalls erklärt hat, er hätte sich damals von Bernicke bedroht gethan: Münter   ist der Mann, wenn der heute einen I finnen tönnen. geglaubt und deshalb blank gezogen.