<OeiIagc Freitag, 20. Juli 1928
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Immer noch„ Wild-West Wirtschaftsordnung und Verbrechen,— Die verhängnisvolle Schußprämie.— Justitia schielt durch die Binde,
Wo die Herrschost des Kapitalismus ihr« krassesten Formen zeigt, müssen die wirtschaftlichen Gegensätze am härtesten aufein» ander prallen und sich entladen. Das Verbrechen als die Frucht der sozialen Ungerechtigkeit ist, namentlich soweit es sich um Eigentumsoergehen handelt, das deutlichste Barometer für den öko- nrmischen Druck, unter dem ein großer Teil der Bevölkerung eines bestimmten Landes leidet. So nimmt es nicht wunder, daß gerade in den Dereinigten Staaten von Amerika , in denen die Dollarkönige unbestritten das Zepter führen, die Zahl der schweren Verbrechen eine auffallende Höhe erreicht. Unter den Einzclstaatcn der USA . ist es namentlich Texas , wo noch Zustände herrschen, die an die wilden Geschichten von Oci stäcker erinnern, während unter den Städten C h i k o g o die zwciselhaft« Ehre Hot, die meisten Derbrechen aufzuweisen. Texas liegt zwar im Süden des Landes, aber wenn man den Maßstab der Abenteurergeschichten anlegt, hat es loviel WUdwestromontik, wi« man sich nur wünschen kann. Eins der in der dortigen Ber- brecherwelt beliebtesten Delikt« ist die Beraubung von Banken: Berhandlungsberichte aus Prozessen gegen Bankräuber bilden eine ständige Rubrik der Zeitungen des Landes. Mehrere Menschenalter Zuchthaus. Wenn solche Gesetzesübertreter erwischt werden, drohen ihnen so viele Jahre Zuchthaus, daß einer schon ein Methusalem sein müßte, wollte er sie all« absitzen. Das Strafmaß liegt in weitestem Umfang« in der Willkür der Richter, und ein« Einsperrung auf 25 Lahr « rangiert unter die„milden" Urteile. So wurden letzthin wegen Bankraubes verurteilt: der zwanzigjährige Dick Patter zu 25 Jahren, Henry Hawkins, auch noch ein ganz junger Mann, zu SV Iahren,«in dritter Bankräuber zu 75 Iahren und zwei Pechvögel, Howe und Jim Norton, jeder zu nicht weniger als S9 Iahren Zuchthaus. Um die Langwierigkeiten eines Prozesses zu ersparen, haben zahlreiche Bankdirektoren ein« Schußprämie auf Räuber aus- gesetzt, und dieses Verfahren macht auch in den übrigen Teilen der um ihre Dollars besorgten Bürgerschaft Schule. So haben in P l a i n v i« w die Einwohner einen Fonds gesammelt, aus dem jedem, der«inen Einbrecher oder„Fenstergucker" erschießt, 500 Dollar gezahlt werden. Es muß also kein restloses Vergnügen sein, in Texas auf ungesetzlichen Pfaden zu wandeln. ES Wirt» drauf los geschossen. Die Aussetzung der Schußprämie auf Räuber hat scheußliche Wirkungen gezeitigt. Erstens find die Räuber jetzt viel gefährlicher geworden, denn seitdem sie wissen, daß man auf jeden Fall sie zur Zielscheibe für Revolvertugeln macht, greisen sie zuerst zur Waffe. Weiter ist es vorgekommen, daß man bei der Verfolgung von Bank- räubern darauf losschoß, ohne sich erst zu vergewissern, ob man auch den richtigen Männern auf der Spur sei, und so sind bereits zahl- reiche Unschuldige den Kugeln der Verfolger zum Opfer gefallen, darunter auch mehrere Deutsch «, die in ihrem eigenen Auto erschossen wurden. Do die Verfolger neuerdings Flinten benutzen, die mit Rehposten geladen sind, kommt man, wenn getroffen wird, schwerlich mit dem Leben davon. Ein ganz tolles Resultat hotte di« Auslobung der Schußprämie in der Stadt Stanton: hier lockten zwei Hollunten zwei Mexi- kaner, beschränkte Leute vom Lande, in den Vorraum einer Bant, knallten sie nieder, erklärten, die beiden hätten eben zum Revolver greifen wollen, um den Kassierer zu berauben, und verlangten darauf jeder die Schußprämie von zusammen 1000 Dollar. Das Leben eines Mexikaners gilt in Texas nicht viel, und der Diftrikisrichter Klaproth hatte vor dem Gericht die größte Schwierigkeit, daß gegen die beiden Mörder überhaupt ein Verfahren eingeleitet wurde. Schwindelmanöver gegen Ausländer sind an der Tagesordnung: besonders beliebt sind Delikt« gegen Mexikaner, die nicht das Glück haben, unter di« hundertprozentigen Weihen gerechnet zu werden. Zwei Gentlemen, die in Cameron einen Mexikaner um hundert Dollar beschwindelt hatten, bekamen zwei Jahre Zuchthaus, aber mit Bewährungsfrist. Sie hatten den sogenannten M e s s« r t r i ck angewandt, der darin besteht, daß man das Opfer verleitet, darauf zu wetten, es werde ein ihm gezeigtes Messer(mit geheimer Sperrvorrichtung), das der Besitzer vor leinen Augen an- scheinend ganz leicht öffnet, gleichfalls in gewisser Zeit aufbekommen. Der Mexikaner war den beiden Gaunern drei Häuserblocks nachgc- laufen, um darauf zu wetten, daß er die Kling« öffnen würde, ehe sie bis zehn gezählt hätten. Auf jeden Fall ist in diesem Landesteil für Abwechslung gesorgt. So wurden in Dallas zwei Studenten verhaftet, die, mit schwarzen Larven vor dem Gesicht, in einem von einem Reger- chausfeur gelenkten Luxuswagen herumfuhren und auf den Land- ftraßen der Umgegend Pärchen ausplünderten, die sie beim Aus- tausch von Zärtlichkeiten überraschten. Sie waren überzeugt, daß die Ueberfollenen sich genieren würden, Anzeige zu erstatten, well sie sich dadurch selbst kompromittierten, aber schließlich erreicht« das Schicksal die drei Banditen doch. Sonderbarer Schmuck. Es ist kein Wunder, daß unter solchen Umständen die Sicher- heirsbehörden sehr mißtrauisch gegen alle ungeivohmen Er- scheinungen sind, und die Leidtrogenden waren in diesem Fall ein Mann und eine Frau, die man samt ihrem Auto festsetzte, weil sie ein Maschinengewehr mit sich führten. Der Mann behauptet zwar, Vertreter einer Firma zu sein, die Maschinengewehre in den Handel bringt— vermutlich als Schmuck fürs Kinder- z i m m e r aber die Polizei steht diesen Angaben skeptisch gegenüber und ist nicht geneigt, Maschinengewehr« als Gegenstände des tä-zlichen Bedarfs anzusehen, um so weniger, als in letzter Zei: die Bankräuber die schlechte Angewohnheit haben, bei Ueberfällen zur Abwehr der Verfolger ein Maschinengewehr auf ihr Auto zu montieren. Manchmal entbehren die Gesetzwidrigkeiten nicht des Humors, den allerdings die Hereingefallenen weniger zu würdigen wissen. Ein« derariige tragikomische Erfahrung machten die Jagdliebhaber von B e l t o n. Ein Schmied, der sich kurz zuvor dort etabliert hotte, «rvot sich, um seine Büchsenmacherkunst bekannt zu machen di« Läufe von Jagdgewehren kostenlos zu brünieren. Billiger kann map es nicht haben, erfreut brachten die Rimrode der Stadt ihr«
Schießprügel und übergaben sie hoffnungsvoll dem Jünger Vulkan». Als sie ein paar Tage später wiederkamen, um ihre Waffen abzu- holen, fanden sie weder ihre Kugclspritzen noch den Schmied. Er hatte es vorgezogen, die billig erworben« Woffenfammlung anderswo unterzubringen, wo man sie mindestens ebensogut brauchen konnte. Di« Jäger von Belton sollen einstimmig beschlossen haben, nicht eher Iagdeinladungen aus der Nochbarschaft anzunehmen, bis etwas Gras über die Sache gewachsen ist. Oer rote Hahn. Auch auf dem Gebiete des Schadenfeuer» scheint Texas alle Rekorde schlagen zu wollen. In einem willkürlich herausge- griffenen Monat des vorigen Jahres beliefen sich die Feuerschäden in diesem Staat nach dem Bericht des Versicherungsdepartements auf nahezu dreiviertel Millionen Dollar: dabei handelt es sich um «inen durchaus durchschnittlichen Monat. In einer— gleichsalls willkürlich herausgegriffenen— Woche rechnete man schon 280 000 Dollar Schaden durch Feuer; dabei ist der Schaden nicht mitge- rechnet, der durch die Explosion eines Gasbrunnen» entstand. Durch Ueberspringen eines Funkens aus der elektrischen Lichtleitung geriet der Brunnen in Brand und zerstört« alle Gebäude in seiner Um- j gebung. Ebensowenig ist mitgerechnet das Schadenfeuer in einer Infanteriekaserne, di« im Innern gänzlich ausbrannte, und die Z«r> störung einer Farm, in der nächtlicherweile Feuer aus dem Ofen fiel, eine im Zimmer stehende Oelkanne zur Explosion brachte und sechs Personen in ihren Betten röstete. In erschreckend vielen Fällen handelt e« sich um Brand» stiftung: so hört« man in der Stadt Holland(Texas) eines Morgens eine Explosion, sah ein Auto rasch davonfahren, und im nächsten Augenblick waren eine Apotheke und das frühere Gebäude der Staatsbank ein Flammenmeer. Der Apotheker kam dabei ums Leben. Wenige Tage später wurde in einer anderen Stadt noch vor Tagesanbruch ein Mann durch ein« Bombenexplolion aus dem Bett geschleudert und getötet. Fast gleichzeitig explodiert«
in Dallas unter einem von Farbigen bewohnten Haufe eine Bombe, die das Haus selbst und ein Nachbarhaus vollkommen zer- trümmerte. Im Anschluß daran gab es eine Revolver- s ch i e ß e r e i auf der Straße, die bei den Passanten und insbe- sonder« in dem Wagen einer Straßenbahn eine Panik hervorrief und zu Berwundungen völlig Unbeteiligter führte. In derselben Woche wurden allein in Houston fünfzehn Wohnhäuser durch Feuer zerstört. Die oben geschilderten Verbrechen, die nur einen Teil der gleichzeitigen Kriminalstatistik erfassen, spielten sich im Zeitraum von noch nicht fünf Wochen ab. Nichts Hilst gegen gerissene Verbrecher. Auch in C h i k a g o ereigneten sich im Bankraubfach in einer einzigen Woche einige Vorfälle, die an Romantik nichts zu wünschen. übrig lassen. Die meisten Banken haben in ihren im Keller gelegenen Geldräumen Vorrichtungen ongebrochi, die bei unberech- tigtem Manipulieren an den Schlössern die sofortige U e b e r- schwemmung des Gewölbes zur Folge haben. Bankräuber haben, wi« gewöhnliche Sterblich« auch, ein« lief eingewurzelte Ab- Neigung dagegen, wie Katzen ersäuft zu werden, und man kann es ihnen nachfühlen, daß sie nach einer Methode suchten, die kompli- zierten Kcmbinotionsschlösser aufzubekommen, ohne das der unheil- volle Wosserspender in Tätigkeit trat. Es lag auf der Hand, daß di« Bankleute, die in diesen Räumen zu tun haben, am besten Bescheid wissen mußten, wie man sich vor einem unsreiwilligen Bade zu hüten hat, und die Herren Einbrecher beschlossen, sich die Hilfe eines solchen Mannes zu sichern. Der 26jährig« Kassierer James Dillon kam eines Sonntag» au» der Kirche und dacht« auf dem Nachhauseweg« an nichts arges, als vier Männer in einem Auto an ihm vorbeifuhren— di« Straße war menschenleer— und ihn mit diskret vorgehaltenem Revolver «inluden, mit ihnen das Vergnügen einer Spaziersahr: zu teilen. Sie brachten Dillon bis zum Abend in Sicherheit, fuhren dann nach Einbruch der Dunkelheit mit ihm an der Industriebank vor, schlugen den Wächter nieder und machten sachverständig aus ihm ein regungs» loses Paket. Dann baten sie Dillon, die Räume zu öffnen, in denen das Geld lag, und der Gefangene kennte sich diesen dringenden Bitten, di« durch Vorzeigen gefährlicher Gegenstände unterstützt wurden, nicht entziehen. Er öffnete die Schlösser, deren unsachgc- mäße Handhabung eine Sintflu« zur Folge gehabt hätte, auf trockenem Weg«, und die vier Banditen tonnten nach Abwicklung der Angelegenheit«inen Gewinn von 85 000 Dollar buchen. Richi viel anders als Dillon erging«s dem Präsidenten der Ravenswood- Nationalbank. Auch er Mußte eine unfteiwillige Spazierfahrt mit- machen und di« Schlösser seines Institutes öffnen. Er war aber schlau genug, sich etwas dumm anzustellen, so daß den Herren Le- suchern„nur" 85 000 Dollar in die Hände fielen. Der Beruf eines Bankbeamten scheint dort seine Schattenseiten zu haben. Weniger unangenehm Ist wie euch sonstwo, der Beruf eines reichen Mannes. Hat man das Glück, begütert zu sein, so zeigt die Dame Justitia «in« erfreulich« Mild«. Ein Herr W o o d s i n war in Texas wegen gemeinen Mordes zu dreißig Jahren Zuchthaus ver- urteilt worden: der früher« Gouverneur setzt« auf dem Gnadenweg« dos Urteil auf fünf Jahr« herab, und der jetzige Gouverneur be- urlaubte den Mörder auf längere Zeit und verlängert« den Urlaub um abermals mehrer« Wochen, damit Herr Woodfin die Oel- bohrungen seiner Firma, die in letzter Zeit einen erfreulichen Stand aufwiesen, persönlich bcauffichtigen könne. Man darf also offenbar in Texas , wenn man zu den„besseren" Leuten gehört, annähernd zwanzig Menschen über den Haufen schießen,«he man Anwarffchast auf«in« Strafe hat. die für Bankraub ausgeworfen wird. SS Jahr« für Bankraub— 5 Jahr« für Meuchelmord! Die W«ge der Justiz sind selffam und unersorschlich, auch überm großen Teich. fohavn KarUson.
Daß der Berliner Witz bereits vor 100 Jahren prächtig gedieh, zeigt die kleine Sammlung„Berliner Schnurren". Manchen Witz im alten Gewände wird man als guten Bekannten ansprechen, dem man also sein Alter nicht ansieht. * Wer ist der größte Kaufmann gewese-.? Napoleon : denn er hat eine Niederlage gehabt von Moskau bis Paris . Welch« Aehnlichkeit hat ein Arzt mit einer Kartoffel? Sie haben beid« ihre Früchte unter der Erde. * Ein sehr witziger Jude, dessen Einfäll« in ganz Berlin als höchst geistreich bekannt waren, begegnete in der Mohrenstraße einem Offizier, der sein Schuldner war. E» mochte ihm vielfache Bor- stellungen wegen der langen Verzögeruna.„Ach. laßt euer ewige» Mahnen," sprach endlich der Offizier, während sie in der Nähe der Dreifaltigkeitskirche gekommen waren.„Macht lieber, da ihr doch ein so berühmter Witzbold seid, einen Witz auf diese Kirche hier." „O, nichts ist leichter als das," versetzte der Jude.„Sie und die Kirche und ich, wir drei— sind dreifältig: die Kirche und Sie sind zweifoltig und Sie allein sind— einfaltig." * Madam G. rief lange nach ihrem Bedienten, ober vergeblich. „Laß mich rufen," jagte endlich ihr achtjähriger Sohn,„du Host keinen guten Ruf!" * Ein kleines Mädchen wollte ein Eingabe in die Registratur des Stadtgerichts zu Berlin trogen und fragte«ine ihr begegnende Ge- richtsperson: „Wo kommt man hier in die Restauration?" * Es fragte jemand in Berlin ein« Dame: ,F)abcn Sie schon einen Bock mit Hörnern gesehen?" „O, ja," versetzte diese. „Ich bitte um Verze'hung." entgegnete der Frager,„mit Augen, denn mit Hörnern sehen Sie doch nicht." * Dieselbe Dame wurde gefragt: „Haben Sie schon einen Postillon durch die Stadt blasen hören?" „O, ja," oersetzte sie. „Um Vergebung!" sprach der Fragende,„nicht durch die Sta dt, durch das Horn."
In einer Beleidigungsklage, die bei einem berlinischen Stadt- gericht schwebte, beklcgte sich ein Schneider darüber, daß eine Obst- Händlerin an der Schleufenbrücke unter anderem zu ihm gesagt hätte: „Lassen Sie sich doch einen Torwegsflügel auslegen, damit Sie In gelinden Schweiß geroten: lassen Sie sich doch in Schweinsleder einbinden, damit Sie nicht mottig werden."
Was hatten die Franzosen zur Revolutionszeit lieber, den Kaffee oder den Tee? Den Tee, denn sie riefen immer: (Liberte.)
Lieber Tee! Lieber Tee!
Als die Frau des Doktors 1. zu Berlin , der nur ein Auge be- faß, durch einen Stoß ebenfalls einäugig wurde, beklagte er zwar diesen Verlust, meinte aber: „Meine Frau bleibt doch das beste Weib von der Welt: nur ist mir das sehr unangenehm, daß ich mit ihr nie etwas unter vier Augen abmachen kann." * „Die Trommeln sollen nicht mehr gehen?" fragte jemand den Leutnant K. „So?!" fragte dieser verwundert. „Nein," sprach jener,„sie sollen getragen werden!" * „Der Mann inuß sich ja den Mund ganz trocken reden!" sagte Doktor B. in Berlin von einem einfältigen Mensch«», der nie auf- hörte, Unsinn zu sprechen. „Ach, nein," versetzte Professor S.,„wo soviel Wasser durch den Mund geht, da kann dieser wohl nicht trocken werden." * Welche Aehnlichkeit ist zwischen einem Advokaten und einem Wagenrad«? Sie müssen beide geschmiert werden, wenn sie sich bewegen sollen. Welche Aehnlichkeit ist zwischen der Gasbeleuchtung und der wc'ßen Frau im Schloß von Berlin ? Sie verschwinden beide eine Stunde nach Mitternacht. (Die Gasbeleuchtung dauerte vor 100 Jahren nur bis ein Uhr in der Nacht.) * Was riecht zuerst, w«nn man in eine Apotheke kommt? Die Nase. E. N.