Beilage
Sonnabend, 21. Juli 1928.
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Was uns die moderne Forschung berichtet.
Im Zusammenhang mit dem Opelschen Rafetenauto ist wieder einmal viel vom Borstoß in den Weltenraum" geredet worden. Damit hat es, wie gerade die Erfinder selbst immer wieder betont haben, noch gute Beile, und auch die Phantasievollsten der Phantasievollen haben bei jenem Wort wohl immer nur an einen Flug nach dem Mond gedacht, sich aber kaum höher verstiegen. oder vielmehr, höher verflogen. Gewiß wäre schon die Durchforschung der noch nie betretenen Mondwelt ein geistiges Erlebnis und wissen schaftliches Ereignis allerersten Ranges, aber diese Durchforschung fönnte, wie mit Gewißheit feststeht, nur tote Dinge: geologische Formationen, physikalische Erscheinungen usw. zum Gegenstand haben; denn Leben existiert unter feinen Umständen auf diesem abgeftorbenen, wildzerrissenen, von einer Lufthülle nicht umgebenen Stern. Aber gerade das Leben ist es, dem unser hauptsächliches Interesse gilt, das uns am meisten anzieht, und viel reger als der Mond hat daher seit Jahrhunderten der Mars die Phantasie beflügelt, auf dem organisches Leben wenn auch nicht zu beweisen, so doch zu ahnen ist.
Wie stehen die Dinge heute? Was wissen wir positiv v om Mars ? D, eine ganze Menge. Wir wissen Bescheid über seine Schwere, seinen Durchmesser, seine Dichte, seine Umlaufszeit, feine| Rotationsdauer, feine mittlere Entfernung von der Sonne. Man sieht: Es ist nicht wenig und es sind nicht fleine Dinge, worüber wir unterrichtet sind. Nur haben sie freilich eine unangenehme Eigenschaft: Sie sind rein astronomisch- wissenschaftlichen Charakters und interessieren uns nur nebenher. Auf was es uns antommt, das ist die Frage der Bewohntheit oder wenigstens Bewohnbarkeit des fernen Planeten, die Frage, ob es auch jenseits der Weltraumfälte Schicksalsgenossen und Schöpfungsgefährten gibt. Wie lauten die Ergebnisse?
Zu welcher Annahme neigt zurzeit die astronomische Erfenntnis? Am bündigsten wäre es natürlich, wenn unser Auge, grenzenlos befähigt durch die Hilfe des Teleskops, die ferne Welt durchforschen könnte. Immer noch ist es der Edelzeuge. Aber ach, heute ist noch gar nicht daran zu denken, daß wir, selbst mit den gewaltigsten Sehmaschinen, etwa das Gefrabbel der Mars menschen, wenn es solche geben sollte, auf ihrem Heimatboden beobachten könnten. Eine Entfernung von drei Kilometern ist augenblicklich das kleinste vom Teleskop eben noch erhaschbare und als winzigstes Staubpünktchen sichtbare Marsmaß. Die Differenz zwischen tatsächlicher und scheinbarer Größe ist nicht hoffnungslos, wie man zugeben muß, ist durchaus keine Unvorstellbarkeit, sondern bewegt sich im Rahmen irdischer Werte, aber natürlich ermöglicht sie vorerst nur die Feststellung größerer geologischer Kompleɣe: von Landstrichen, Meeren, vereisten Polartappen, Schmelzzonen zum Bei fpiel und jenen geheimnisvollen ,, Kanälen", die aber doch nicht so geradlinig verlaufen, wie ihr Entdecker, der große Marsforscher Schiaparelli annahm, und denen man kaum noch den Charakter Pünstlich angelegter Gebilde beimißt.
Zum wichtigsten, man fann wohl fagen zum Schlüsselproblem der gesamten Marsforschung, ist in den letzten 25 Jahren die Frage nach der Temperatur des Planeten geworden. Dank den EntBlaneten geword
Riesenteleskop zur Beobachtung ferner Welten.
deckungen von amerikanischen Astronomen vermag es die Wissenschaft, mit Hilfe von empfindlichen Vakuumthermozellen, die in gewaltige Spiegeltelejtops eingebaut werden, die Strahlungstemperatur der Weltförper im allgemeinen und des Mars im besonderen zu er mitteln, woraus dann, auf Grund bekannter Strahlungsgeseße, die Körpertemperaturen berechnet werden können. Wenn auch die atmoshärische Absorption noch nicht völlig durchforschtes Gebiet ist und wenn auch die gewonnenen Temperaturen sich nicht auf die den Weltförper umgebende Lufthülle, sondern auf deren Oberflächen beziehen, so dürften die Fehlerquellen doch kaum prinzipieller Natur sein fönnen. Die Amerikaner fanden für die Mitte der vollbe Leuchteten Marsscheibe eine Temperatur von plus 7 Grad Celsius.
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Nach dem Rande zu fant sie auf minus 13 Grad und fiel an den Polkappen auf minus 73 Grad ab. Der Belgrader Universitätsprofessor Milankowitsch, eine Kapazität auf dem Gebiete der Mrsforschung, hat ähnliche Resultate erzielt. Fußend auf den amerikanischen Entdeckungen, die es zunächst einmal ermöglichten, die Stärke der Sonnenstrahlen zu bestimmen, hat er, nach einer eigenen Wärmeberechnungstheorie, eine mittlere Jahrestemperatut der Gefamtoberfläche des Mars von minus 17 Grad gefunden. Heiße Sommer find damit, nach seiner Meinung, für den Mars nicht aus. geschlossen, aber sicher sei, daß die Nächte und die Winter überaus kalt wären.
Festgestellt ist ferner das Vorhandensein von Sauerstoff in der Atm of häre des Mars und wenn fie auch ungefähr sechsmal weniger Sauerstoff als die Erdeatmosphäre enthält, so bewiese das noch immer wenn kein menschliches oder tierisches, so doch mindestens ein vegetabiles Leben, da in einer vollkommen erloschenen Welt freier Sauerstoff nicht vorkommen tann, sondern eine Berbindung mit den verschiedenen, auf allen Planeten auftretenden Minerialienarten einginge.
Exakt formuliert besagen diese Forschungsergebnisse also: Der Mars ist ein gealterter Planet, der den glänzendsten Teil seiner Geschichte sicher längst hinter sich hat, aber er braucht tein abgestorbener Weltförper zu fein. Sauerstoffhaltige Atmosphäre, Wolfenbildung, Nebel sind auf ihm nachweisbar, und wenn seine flimatischen Berhältnisse für höhere Organismen auch recht ungünstig find, so sind sie doch selbst für diese nicht völlig untragbar.
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Sofern man überhaupt vom Boden der unmittelbaren Gegebenheiten sich abwippt und hineinschwebt in das Reich der Spekulationen, wird man sich den Marsmenschen als unseren um Jahr hundertmillionen älteren Weltenbruder vorzustellen haben, der unser Entwidlungsstadium, das den Säuglingsjahren des Mars entspricht,
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
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vor unvorstellbar langen Zeiträumen absolvierte wäre nur, ob er uns belächeln oder beneiden würde.
und fraglich
Varerst ist
weder durch wohlgemeinte Raumraketen sein Leib, noch durch Radio= telegramme, felbst wenn sie dringend aufgegeben werden, sein Dhr
Handwerkszeug des Marsforschers: Globen der Planeten, in der Mitte ein Handbuch des Entdeckers der Marsmonde: Asaph Hall .
zu treffen. Aber schließlich brauchen wir uns unserer Unfähigkeit nicht zu schämen, denn nicht uns, sondern dem gereifteren Weltgefchöpf steht es an, eine tosmische Unterhaltung in Gang zu bringen.
Hans Bauer.
Ein Dichter der Groteske.
Unter den modernen Dichtern nimmt Joachim Ringel. nag eine ganz eigenartige Stellung ein. Zusammen mit einigen anderen jüngeren Dichtern fultiviert er eine groteste Lyrit, in der sich Spott und Satire mit Elegie und Weltschmerz vereinigen. Man tennt ihn meist aus seinen Vorträgen in Rabarets, in denen er in der Maste des halbbeschwipften Seemanns impropisierend seine Dichtungen zum besten gibt. Es wäre aber falsch, ihn lediglich als Spöttischen alkoholduftenden Rezitator einzuschäßen. Seine vor furzem im Verlag Ernst Rowohlt , Berlin , erschienenen ,, Reisebriefe eines Artisten" und noch mehr der im selben Berlag erschienene Gedichtband Allerdings" zeigen Ringelnaz als schwermütigen Dichter, dem auch gesellschaftliche Probleme nicht fremd find, und der sich in seinen besten Schöpfungen fast zu der Höhe von Christian Morgenstern erhebt.
Gewiß ist nicht alles gleichwertig in den beiden Gedichtbänden. Manches hätte aus ihnen wegbleiben tönnen. Aber der Grundton ist sympathisch, mitunter ergreifend. Ringelnat sucht mit spöttischer Miene über den Dingen der Umwelt zu stehen, aber mitunter bricht doch ein starkes Gefühl der Kritik und Negation durch, so, wenn er in seiner Meditation" flagt:
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„ Ach, die Schlechtigkeit ist gar zu dumm,
Doch die Dummheit ist noch zehnmal schlechter."
Im allgemeinen ist die Politif und der gesellschaftliche Kampf nicht das eigentliche Schaffensgebiet des Dichters, der von der Paffivität der bürgerlichen Intellektuellen angetränkelt zu sein scheint. Immerhin findet er Töne tiefen sozialen Verständnisses. Packend ist sein Gedicht Berlin ( An den Kanälen)":
,, Auf den Bänken An den Kanälen Sigen die Menschen, Die sich verquälen.
Sausende Lichter, Tausend Gesichter Bligen vorbei: Berlin .
Uebers Gewässer Nebelt Benzin... Drunten wär's besser.
An den Kanälen
Y
Sigen die Menschen, die Sich morgens ertränken."
Zur höchsten Wirkung jedoch erhebt sich Ringelnaz, wenn er versenkt:
Scharf wendet er sich in seinem Rachegelüft" gegen die Feig, die Menschen verläßt und sich liebevoll in die Psychologie der Tiere heit und Heuchelei der Umwelt:.
„ Wenn die Menschen dumpf sich nicht getraun,
Wenn sie feig und heuchlerisch sich fügen
Und ihr Glück auf ihre Schlauheit baun,
Redliches bedrücken und betrügen,
Wenn sie schleichen, flüstern und sich ducken, Andrerseits aus Würde sich genieren
O dann müßte etwas explodieren. Und ein Riese müßte sich erheben Ueber sie und sie nicht etwa töten, Sondern saftig, kräftig sie bespucken, Um sie für ihr weitres Leben
Als verschleimte, fette Warzenkröten
Jn ein Glashaus einzusperrn.
Und ich würde durch die Scheiben gucken Und sie grüßen:„ Hochverehrte Herrn!""
Mit spöttischer Ueberlegenheit verhöhnt er die Grundfaglosig. feit und Anpaffungsfähigkeit derjenigen, die sich aus dem Sumpf der Mittelmäßigkeit nicht heraustrauen:
„ Warum denn immer alles übertreiben? Warum denn links? Warum denn rechts? 11m Gottes willen, laßt uns mäßig bleiben, Nicht männlichen, nicht weiblichen Geschlechts. Hübsch angepakt und jede Reibung meiden! Nicht hart, nicht weich! Nicht ja. nicht nein! Auf alles hören und sich nie entscheiden.
Wer weiß, wie's kommt. Man muß gewappnet sein. Denn golden ist der goldne Weg der Mitte.
Man ist und zeugt und schläft schön ungestört,
Regt sich nicht auf um ,, danke" oder„, bitte"
Und weiß und lebt und stirbt, wie sich's gehört." Mitunter flingt sogar in seinen Gedichten eine scharfe politische Rampinote durch, so in seinem Gedicht ,, Ausfehr", das dem Schmutzund Schundgesetz gewidmet ist:
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„ Sagen wir nur: Nein!
In die Ecke, Besen, Besen! In dem Dreck, wo ihr gewesen Seid, macht euern Dreck allein! Nicht verhandeln.
Denn wir wollen rein,
Auch durch Schmuz und Schund, in Freiheit wandeln."
„ Dummer Mensch spricht oft vom dummen Dieh, Doch zum Glück versteht das Dich ihn nie."
Diese Worte find typisch für seine Einstellung. Mit einer unendlichen Zärtlichkeit versenkt er sich in das Gefühlsleben fleinster Tiere, denen er, wie Christian Morgenstern in vielen seiner Dich tungen, menschlche Züge verleiht. Wie schön ist doch sein Gedicht Heimatlose":
„ Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Dersteck,
Bewegte sich,
Regte sich
plöglich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremò und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sann wohl hin und sann her,
Magte sich
Denn heran
Und fragte mich:
„ Wo ist das Meer?""
Alle diese dichterische Feinheit in sich vereinigend und zur humoristischen Groteske steigernd, ist schließlich das Gedicht ,, Jm Part":
„ Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
Still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei,
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise ich atmete kaum-
Gegen den Wind an den Baum,
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips. Und da war es aus Gips."
Diese zarten und doch vom tiefen Gefühl beseelten Schöpfungen zeigen, daß wir es hier mit einem echten Dichter zu tun haben.
Habakuk,