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Morgenausgabe

Nr. 343

A 175

45.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonntag

22. Juli 1928

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Bauernaufmarsch in Mexiko .

Sühne für Obregon gefordert.- Angriffe auf Arbeiterführer. L- tz. Megiko City, 21. Juli. ( Eigenbericht.)| schaftliche Tätigkeit beschränken würde. Später und Die Lage hat plötzlich hochgespannten Cha. zwar unmittelbar vor der Wahl Obregons ist dann von den ratter angenommen. Die nationale Bauern be. Arbeiterführern betont worden, daß die Gewerkschaften nach wegung, repräsentiert durch die Bauernparteien, ver- dem Präsidentenwechsel in die Opposition treten wür­anstaltet Straßenkundgebungen, in denen Sühne für den Obregon hatte diese Kampfansage mit einer An= die Ermordung Obregons gefordert wird. Der Partei lehnung an die Bauernschaft beantwortet, die der vorsitzende Soto y Gama bezeichnet in einer öffent- bisherigen politischen und sozialen Machtentfaltung der lichen Erklärung die Lage als äußerst ernst. Er er städtischen Arbeiterschaft mißgünstig gegenübersteht. klärt, daß die Bauernbewegung nur zu Calles stehe, wenn rücksichtslose Gerechtigkeit geübt werde. Er macht die Führer der Arbeiterbewegung für den Mord an Obregon intellektuell verant. wortlich(!) und fordert die Entfernung der Arbeiter führer aus der Regierung Cañes.

Die Agrarpartei droht mit Bürgerfrieg.

Megito, 21. Jufi.

Der Führer der Agrarpartei, Soto, erflärte: Die Lage ist fo ernst, wie zur Zeit der Ermordung Maderos. Wenn uns Gerech­tigkeit verweigert wird, werden wir zu den Waff en greifen. Das einzige Mittel, den Ausbruch des Bürgerkrieges zu vermeiden, ift der Rüdtritt des Arbeitsministers und die Besei. tigung der Arbeiterführer aus der Regierung."

Um diese plöbliche Zuspigung zu erklären, muß man auf Vorgänge zurückgreifen, die einige Bochen vor der Ermordung Obregons zurüdliegen und über einen im Bor­wärts" vom 6. Juli erschienenen Bericht unseres Korrespon­wärts" vom 6. Juli erschienenen Bericht unseres Korrespon denten in Merito City interessante Aufschlüsse gab. Danach war ein Bruch zwischen Obregon und der Ar beiterpartei in Merito eingetreten. Der Führer der Ar­beiterpartei Luis N. Morones, der Handels- und Ar­beitsminister in der Regierung Calles, hat aus dieser Sach­Tage die Konsequenzen gezogen und schon in einer Maifeierrede angefündigt, daß die Arbeiterpartei sich von der aktiven Politik zurückziehen und auf die gemert­

Heimkehr.

Es gibt ein erschütterndes Bild des französischen Zeichners Gustave Doré : Zerprügelt und zerschlagen tehrt Don Quichotte , auf das Maultier eines mitleidigen Bauern gebunden, von seiner ersten Ausfahrt heim. Der irrende Ritter, der die Welt mit seinen Heldenideen und Heldentaten erfüllen wollte, ist auf die Gutmütigkeit eines braven Plebejers angewiesen, ohne die er verkommen würde. Die von Mussolini angeordnete Heimkehr des Generals Nobile erweckt ähnliche Vorstellungen. Nicht nur förperlich, auch moralisch zerbeult und herunter­gekommen, muß der General von einem Unternehmen Ab­schied nehmen, das seinen und des Faschismus Ruhm hell in der Welt erstrahlen lassen sollte.

Die Parallelität liegt nicht nur im Aeußerlichen. In der Figur des Don Quichotte wollte Cervantes , Repräsentant emporfommenden sachlichen Bürgertums, die Ueberlebtheit mittelalterlicher Ritterromantit geißeln. Mussolini , Nobile und der Faschismus leben in Heldenideen und Helden­porstellungen, die mit der rauhen Wirklichkeit des 20. Jahr­hunderts nichts mehr gemein haben.

Es hat ergernis bei dem Faschismus geistig ver­wandten deutschen Kreisen erregt, als hier einmal die fchlichte Aufopferung des Feuerwehrmannes, des Sama­riters, des Bergmannes über die ganze pomp- und reklame­haft aufgezogene Refordfliegerei gestellt wurde. Nach dem Mißerfolg des Nobileschen Unternehmens sollte man sich darüber klar sein, daß der deutsche Ozeanflug nur um Haaresbreite vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt ge= blieben ist. Am Ende ihres Fluges saßen auch die deutschen Flieger hilflos feft, auch bei ihrer Abholung hat einer der Retter, der amerikanische Flieger Bennet, das Leben ein­gebüßt!

Bei Nobile und den Seinen tommt zu dem Leichtsinn, mit dem das ganze Unternehmen aufgezogen war, aller­dings noch anderes hinzu: Die Ausführung des Fluges gegen den Rat aller Sachverständigen, bloß um am Tag der italienischen Kriegserklärung die Flagge über dem Nordpol abwerfen zu können, das Verhalten Nobiles, der sich als erster retten ließ, die Art, wie der hilflose Malmgreen von feinen Gefährten lebend im Stich gelassen wurde, die thea­tralische Telegraphiererei und Beterei des Führers, der

Unmittelbar nach dem Attentat hat morones dessen ungeachtet als einer der ersten die Ermordung Obregons als ein scheußliches Verbrechen" bezeichnet. Aber die als ein scheußliches Verbrechen" bezeichnet. Aber die Bauernführer wollen offenbar im Trüben fischen und da Obregon ihnen neuerdings näher stand als der Ar­beiterschaft, versuchen sie eine Bauernbewegung gegen die Arbeiterschaft zu entfesseln. Der Vorwurf der intellektuellen Urheberschaft", den sie gegen Morones und" die Arbeiter führer erheben, nur weil sie sich mit Obregon überworfen hatten, ist natürlich vollkommen finnlos: denn aus den Aus­fagen des Attentäters geht ja unzweifelhaft hervor, daß er aus religiösem Fanatismus gehandelt hat, also aus Gründen, die den Anschauungen der Arbeiterschaft diametral entgegengesetzt sind.

Die Rundgebung der Bauern richtet sich aber zugleich gegen Calles, der mit den Gewerkschaften stets loyal zusammengearbeitet hatte und nach seiner unvorhergesehenen Wiederwahl wahrscheinlich weiter zusammengearbeitet hätte.

Diese Aussicht hat nun die Bauernführer um so mehr er regt, als fie gehofft hatten, burch Obregons Wahl würden sie fünftig allein das Feld beherrschen. Die Wirkung ihres Borstoßes gegen Morones und Calles wird zunächst sein, daß die Deffentlichkeit von den wahren intelleftuellen Schuldi­gen an der Mordtat, nämlich von den Schürern des religiösen Fanatismus, abgelenft wird. Aber vielleicht ist auch das der 3wed dieser Rundgebung, die zu einem allgmeinen Bürgerfrieg zwischen Arbeitern und Bauern führen fann.

( Weitere Meldungen auf der dritten Seite.)

feine Leute im Stich gelaffen hatte. All das hat bewirkt, daß im Gegensatz zu vielen anderen Expeditionen diese nicht einmal in Ehren untergegangen ist.

Dann als größter Treppenwiß der Geschichte: die Rettung der faschistischen Propagandaexpedition durch den Eisbrecher der Sowjetunion . Wirklich, wenn das Welt­geschehen selber Satiren schreibt, übertrifft es jede. dichterische Phantasie!

Das Wunder aus dem Often.

Der neue Weltfrieg.- die Hoffnung der Komintern .

Die Entlassung der Amnestierten aus den Gefängnissen und Zuchthäusern hat begonnen. Die preußischen Aus= führungsbestimmungen sind der Annahme des Gesetzes auf dem Fuße gefolgt. Andere Länder haben es weniger eilig. Das Mißvergnügen über die Amnestie verzögert dort den Erlaß von Ausführungsbestimmungen und läßt die amnestier­ten Gefangenen in peinlicher Ungeduld.

Die Kommunistische Partei hat ihre Amnestierten überall mit Parteidemonstrationen begrüßt, mit wehenden Fahnen mit Parteidemonstrationen begrüßt, mit wehenden Fahnen und dem Aufgebot des ganzen wohlgeübten Reklame­apparates. Wenn die Demonstration vorüber ist, beginnt für die befreiten Gefangenen der Alltag in der Freiheit. Es find Männer unter ihnen, die seit 1921 und 1923 die Welt nur noch unter der beschränkten Perspektive der Belle gesehen haben. Sie müssen sich nun mit dem auseinandersehen, was seither gewesen und geworden ist. Was ihren Parteifreunden Gewohnheit ist und darum nicht problematisch, das fann für fie ein schmerzhaftes Problem werden. Denn die Welt von 1928 sieht beträchtlich anders aus, als die Welt von 1921 und 1923!

ein

Das politische Leben von heute ist fest und stetig geworden. Das letztere vor allem. Die Klassenfräfte find nicht mehr im labilen Gleichgewicht, das Maffenstoß zerstören kann. Der Gang der Ereignisse wird nicht bestimmt von der Masse, die außerhalb der Organisation steht oder die Grenzen der Organisation sprengt, sondern von den Organisationen. Die Entscheidungen im politischen und wirtschaftlichen Leben fallen im organisierten Machtkampf. Der Staat, der immer stärker das Wirtschafts­leben durchdringt, ist das Objekt des Machtkampfes. Einfluß im Staat und auf den Staat zu gewinnen ist das Ziel der Sie glaubt nicht an organisierten Arbeiterbewegung. Wunder und wartet nicht auf sie sie wirkt.

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Die Sozialdemokratische Partei im Jahre 1921 zer­riffen und geschwächt, im Jahre 1923 nur eben wieder ge= einigt und noch an der Nachwirkung der Spaltung leidend- ist heute wieder die starke einige Massenpartei der Arbeiter­schaft. Damals Zerrissenheit heute geschlossener systemati­scher Vormarsch. Sie gewinnt stetigen Einfluß auf die Staatsmacht. Ihr Wachstum ist stetig zur Be­trübnis ihrer Gegner von rechts und links. Wer die Welt unter der Perspektive von 1921 und 1923 gesehen hat und nun ansieht, was heute ist, der muß erkennen: die Ver= wirrung von damals ist der Sicherheit des Willens und des Machtgewinns der sozialdemokratischen Massenpartei gewichen.

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Aber doch liegt in dieser Satire auch gleichzeitig das einzig versöhnende Moment der Tragödie. Hier Faschisten, dort Kommunisten, beide pochend auf ihr Dogma, daß nur durch die physische Ausrottung des Gegners das Heil der Welt erzielt werden könne. Zwei Menschengruppen, die unter jeden anderen Umständen mit der Flinte aufeinander losgegangen wären, den wehrlosen Gegner an die Wand gestellt hätten. Und hier, in der Eiswüſte des Nordens, retten die einen ihre ärgsten Feinde, lassen die anderen sich retten. Nicht doch ein Beweis, daß über der unmenschlichen Lehre von der Vernichtung des Gegners ein höheres Gesez der Menschlich feit waltet, ein Gefeß, das alles zu gegenseitigem Beistand verpflichtet, was Menschen­antlig trägt? Möge dies das lebendige Fazit bleiben, wenn sich über die anderen Bilder des mißlungenen Helden­theaters am Nordpol der Schleier des Vergeffens gezialdemokratie um die Eroberung des Staates durch eine breitet hat!

Und wieder einmal Putsch...

Das Hauptvergnügen der Portugiesen. Paris , 21. Juli. ( Eigenbericht.) Aus Lissabon werden hier bestimmte Nachrichten über einen angeblichen Butsch in Portugal verbreitet. Die Vor. gänge scheinen nach den vorliegenden Meldungen ernsteren Charakter zu tragen. Es heißt, daß über Lissabon der Belage rungszustand verhängt worden ist und die Artillerie gegen die Revolutionäre bereits in Aftion gesetzt wurde. Die Gründe des Putsches find nicht bekannt. Der neueste Butsch ist seit 1908 der 21. Putsch in Portugal .

Alles wieder in Ordnung?

Spätere Nachrichten besagen, daß die Bewegung inzwischen volltommen eingebämmt ist, und daß Militär und Polizei im Auftrage der Regierung die Ordnung vollkommen auf rechterhalten.

Festigkeit und Stetigkeit ein vergleichender Blick auf die Kommunistische Partei lehrt, wie sehr sie die wesent­lichsten Merkmale des heutigen politischen Lebens sind. Die Kommunistische Partei hat ihre Existenz behauptet. Aber was ist sie heute, was ist noch übrig von der Kommunistischen Partei von 1921 und 1923, von der revolutionären Offensive, der Vorbereitung des Bürgerkrieges, von der Hoffnung, daß eine Massenexplosion, geführt von der KPD. , die Ordnung des staatlichen Lebens zerschlagen und freie Bahn für bolschewistische Experimente schaffen würde? Die Stetigkeit der praktischen Politik hat die Kommunistische Partei er­griffen. Sie ist nicht die Partei des Putsches mehr die faschistische Hugenberg- Bresse , die den Butsch der Amnestier­ten, fällig in sechs Wochen, an die Wand malt, eine Panik­Stimmung erzeugen will, um darin im Trüben zu fischen, zeichnet nur ein Zerrbild der Kommunistischen Partei von heute. Die Kommunistische Partei ist intranfingente par­lamentarische Oppofitionspartei in der Stetigkeit der praf­tischen Politik. Dogmatisch flach und unfruchtbar, eine Hem­mung des praktischen Wirkens, aber keine Kraft mehr, die die Stetigkeit der Entwicklung, des aktiven Ringens der So­Ratastrophe unterbrechen könnte. Die fommunistischen Kräfte, die einst Massen zur Gewalt auf die Bühne des politischen Geschehens riefen, toben sich heute im Rahmen der Staats­ordnung und des Parlaments in phrasenhafter Schmutz­Der über­fonfurrenz gegen die Sozialdemokratie aus. treibende und verzerrende, aller pofitiven Zielsetzung ent­behrende Schrei, der 1921 ein Mittel war, um Massen in die Psychose gewaltsamer Zerstörung zu versezen, ist heute nur noch schmutzige Gewohnheit politischer Charlatane, die der politischen Wirksamkeit entbehrt.

Die Kommunistische Partei , die praktisch eine Partei der unfruchtbaren parlamentarischen Opposition ist, weist es von fich, Einfluß auf den Staat und über den Staat auf die Wirt­schaft gewinnen zu wollen. Sie ist gesammelte Kraft wie jede Partei, aber unwirksame, unfruchtbare Kraft. Ihre Ideologie verharrt bei der Theorie der politischen Katastrophe. Und da einstweilen die politische Katastrophe nicht am Horizonte sicht bar ist, bleibt ihr nichts anderes übrig als zu hoffen und zu harren, daß sie eines Tages eintreten möge. Bis dahin ver­