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Beilage

Montag, 23. Juli 1928.

Der Abend

Im vergessenen Winkel.

Spalausgabe des Vorwärts

Bei den Geigenbauern und Bogenmachern von Bad Brambach   in Südwestsachsen.

In weiter Kurve zieht die Eisenbahn, die von Adorf herauf­stampft und ins Bömische" hinüber will, einen Halbkreis um Bad Brambach  . Berge mit gezackter Waldfilhouette verebben zu sanft gleitenden Wiesen, wie ein Stück Spiegelglas glänzt ein Weiher im Grün der Niederung, und dann liegt der Ort in friedlicher Stille hübsch in das Tal gruppiert, der früher ein im Zipfel Südwestsachsens verlorener Marktflecken war und heute ein Bad Brambach   ist mit D- Buganschluß und einem schlecht gemalten und häßlich in das Bild

Bad Brambach  

der Landschaft gezimmerten ,, Die stärfste Radium  - Mineralquelle der Belt!"

Im Orte wird eifrig gebaut. Bezahlt ist das neue bauliche Kostüm noch nicht, aber die Hoffmung auf Kurgäste ist stärker als die Furcht vor einer neuen Katastrophe.

Einer neuen Katastrophe? Ja. Brambach steht nämlich mitten in einer furchtbaren Krise. Die vielleicht kommende Fremdenindustrie ist der berühmte letzte Strohhalm, an den sich die Berzweifelten flammern. Und die große Mehrzahl der Brambacher Einwohner haf Ursache, verzweifelt iti sein. Die Bogenmacher und Geigenbauer in Brambach stehen sämtlich vor der Notwendigkeit, entweder eine andere Erwerbsmöglichkeit zu suchen oder langsam zu verhungern. Ein furzer Rundgang zeigt das.

Es fängt ganz hübsch an. Dieses Haus am Fichtenwaldrand fönnte das Siedlerhaus eines gutbezahlten Beamten sein. Sehr nett. Drinnen sieht man allerdings, daß unter dem tadellos sigenden Sommerpaletot ein wenig salonmäßiges Hemde sitzt. Der villen­mäßige Aufbau thront auf einer Armeleutbehausung. Und unter der Burgaftwohnung tritt man Vorsicht, Kopfschuß! durch einen lederen Türrahmen in die Werkstatt eines Bogen= machers.

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Dieser Herr ist ein sogenannter kompletter Arbeiter. Er macht nicht nur wie viele feiner Kollegen die Bogenstangen, die Frösche oder die Schrauben, er macht den Bogen fig und fertig. Das bringt etwas mehr ein. Unser Bogenmacher ist außerdem ein Qualitätsarbeiter, jung und fleißig, und er ist sich klar darüber, daß er nicht zu den Wenigverdienern gehört. Er arbeitet zwölf Stunden täglich. Die Frau hilft ein bissel mit, sie macht sich beim Einziehen der Haar­bezüge nützlich. Ah, was denkt ihr, unfer Freund hat eine Drehbank mit Kraftbetrieb, viele Werkzeuge, und die anderen lassen bei ihm arbeiten, weil sie feine solche Werkstatt haben. In der Woche bringt er zwei Dutzend Biolinenbogen fertig. Die Bogenstangen werden aus Brettern und Stücken amerikanischen Holzes herausgeschnitten, mit der Hand gehobelt, fünf, sechsmal mit Sandpapier abgerieben, gelocht zum Ansetzen für Frosch und Schraube, die beide zum An­bringen und Anziehen des Haarbezugs dienen, lackiert, geschliffen

egal. Dem geht es, fragt nur seinen Syndikus, noch schlechter als den Bogenmachern. Also herunter mit den 2öhnen! Ueberall figen Bogenmacher, in Brambach  , in Oberbrambach, in Rohrbach, in Hohendorf und in den benachbarten böhmischen Orten. Die Lager' find voll, troß der Abwanderung in andere Berufe ist ein leber­angebot da. Was für eine wundervolle Gelegenheit, den Bogen­machern den Brotkorb hochzuhängen! Pensionierte Briefträger und Landwirte pfuschen ins Handwerk und helfen die Arbeitsverdienste in den Dreck treten. Wenn nur so schnell andere Arbeit zu finden wäre! Sprudelarbeiter( Arbeiter im Badebetrieb und Mineral­wasserversand) fann auch nicht jeder werden. Und um die armen Leute an der Grenze fümmert sich niemand. Die bürgerliche Preffe spricht nur von den nationalen Belangen der Grenzgebiete. Ber nahe der Grenze lebt, hat das Deutschtum zu wahren, steht als Grenzsoldat am Bollwert. Das sieht sehr hübsch aus. Aber wer fann von einer Phrase leben?

wer

Von den früher 200 selbständigen Bogenmachern in Brambach find noch 100 übrig. Die alten sterben aus. Die jungen wollte ihnen zumuten, ein untergehendes Gewerbe zu lernen? Ein Bogen, der im Verkauf 7,50 m. bringt, wirft für den Bogenmacher 2 M. ab Und da muß der Arbeiter noch bitten und betteln, daß er Arbeit bekommt! Der tschechische Nachbarstaat greift den Bogenmachern an seiner Grenze wirtschaftlich unter die Arme. Der deutsche Staat greift seinen Bogenmachern nach der Gurgel. Das nennt man dann Dienst am Deutschtum.

Eingaben an die Behörden sind in die Aktenschränke gewandert. Anklagen über ausländische Händler, die mit Betrug arbeiten, blieben unerhört. Versuche, die Heimarbeiter zu organisieren, wurden hintertrieben. Die Absicht, Produktion und Absatz genossenschaftlich zu regeln, wurde mit Liſt und roher Gewalt niedergestampft. Im Orte regiert die nationale Phrase, die fromme Sette und eine reiche Kirche. Und draußen in der Welt verdrängen Radio und Grammo phon die Violine. Achselzuckend geht die göttliche Weltordnung über eine sterbende Industrie zur Tagesordnung über.

In engen Werfstätten, zwischen Drehbank und Bett, hingehockt an einen niedrigen Fensterplay, sigen die kompletten" Bogenmacher und die Verfertiger der Teilprodukte. Am interessantesten ist noch die Arbeit des Fröschelmachers. Das Ebenholz, aus dem der Frosch, dieses Halte- und Spannstück für die Bogenhaare, verfertigt wird, fommt in gutgetrocknetem Zustand entweder in Stücken oder zugeschnitten auf den Basteltisch des Fröschelmachers. Die Perl mutter- oder Goldfischeinlage wird mit einer Säge aus dem Muschel ftüd herausgefägt, geschliffen und gefeilt und schließlich aufgeleimt. Dazu wird meist ein Blättchen aus Silber oder Neufilber aufge schoben, eingefeilt und mit kleinen Stiften festgehalten. Alles wird für den Bogenmacher fertiggestellt, der dann nur noch den Ring für den Haarbezug anzubringen hat.

Für ein Duhend Frösche, gute Sorten, werden 6,50 bis 8 M. Da bezahlt, für die billigen Sorten 2,80 bis 4 M. pro Dutzend. hiervon für Material usw. allerhand abgeht, bleibt ein Stundenver­

Eine Rechnung" guter, alter" Zeit.

Allen ihren Lobrednern zur Einsicht.

Im Jahre 1712 mußte sich die Stadt Amsterdam   aus dem be­nachbarten Haarlem   den Mann beziehen, der das Handwerk aller Folterarten am besten zu beherrschen schien. Wie start beschäftigt der Scharfrichter war und was er verdiente, zeigt folgende Rechnung, die er nach getaner Arbeit dem Magistrat vorlegte:

Amsterdam  , den 17. Dezember 1712.

Einen geföpft, macht Für das Richtschwert

Für das Tuch

Für den Sarg

Einen erdrosselt

6 Fl. 3

"

3"

3

"

6"

bgenommen und in den Sarg gelegt.o Einen gerädert mit 9 Schlägen à 3 Gulden. 27 Für das Erdrosseln.

dienst von weniger als 50 Pf. Voraussetzung ist aber, daß sehr flott gearbeitet wird. Die guten Dußendsorten müssen in zehn Stunden fertig sein, die gewöhnlichen in fieben bis acht Stunden. Bei der Haarzieherin wird das ganze Elend der Heimarbeit offenbar. Die gebleichten oder naturfarbenen Roßhaare werden vom Händler bezogen. Genau 135 Haare werden aus einem Büschel gezogen und an einem Ende mit einem Etüd Zwirn zusammen­gebunden. Zu einem Dutzend Bogensträngen gebündelt, wird die

EN.

Raum ist in der kleinsten Hütte Arbeit abgeliefert. Fürs Dutzend werden 12 Pf. bezahlt. 12 f. für fast eine Stunde Arbeit! Daher also die schmalen Gesichter der, fleinen Kinder? Daher also die Villen der Händler? Aber weit gefehlt, wenn ihr glaubt, daß dieser Zehnstundentagesverdienst von für eine Arbeit, die den Augen das Licht nimmt! die Heimarbeiter zu rasenden Rebellen macht. An der Band über der gebüdten Frau hängt Kaiser Wilhelm   der Zweite, und sein Friedensschnurrbart ist herrlich anzuschauen..

einer Mart

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Aus unserer Kinderzeit flingt ein Lied in unseren Ohren von einem Geigenbauer gottbegnadet, der in seiner stillen Werkstatt Wundergeigen baute, mit denen er die Geifter der Macht zwang, ihm dienstbar zu sein. Ach, dieser alte 3auber ist tot. Und tot ist auch der Glanz um das Gewerbe der Geigenmacher. In ganz Bram bach leben noch vier selbständige Geigenbauer. Sie fizen unter Girlanden von graziösen Instrumenten, zwingen rumänisches Holz in die leicht gerundete Form des Bodens, die Decke aus Ahorn in die Anmut der zierlichen und Jahrhunderte alten Fassung dieses. gefeierten Inftruments, machen die Geigen fertig mit Hals, Schnecke, Griffbrett und Saitenhalter, legen die Schmuckader rings um den Rand, beizen und schleifen, lackieren und altimitieren, spannen die Seiten auf und haben schließlich für ein Instrument 2,50 M. in der Tasche.

Nein, es ist fein Druckfehler! 3 mei Mart fünfzig Pfennig für eine Geige. Der Händler zahlt für alles, für Material, Licht, Heizung, Werkzeugverbrauch usw. und für die Ar­beitsleistung 7 bis 8 M. Im Laden fostet dasselbe Instrument 40 m. Ohne Bogen und Rasten. Der Geigenmacher verdient" 2,50 M.

Bett und Drehbank

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und poliert, und am Ende kommen für diese Arbeit einer Wode 25 m. Verdienst heraus. Von dieser Summe, die einen Krösus schwindeln machen könnte, gehen etwa 5 M. Betriebs­tosten ab. Es bleiben also 20. M. für eine Arbeitswoche, die keinen Achtstundentag und oft auch feinen Sonntag fennt.

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"

6

"

Abgenommen und aus der Stadt gebracht 3wei gehängt, mit dem Schwert über dem Kopf Einen abgenommen und hinausgebracht.. Einen abgenommen

9

18

"

9"

3"

Vier an den Galgen gehängt, zu 6 Guld. das Stück 24 Einem mit dem Schwert über dem Haupt

"

3

"

Zwei mit Briefen vor der Brust

12

"

24 gegeißelt, zu 3 Gulden das Stüd.

72

Drei mit dem Schwerte   über dem Haupt

"

" 6

"

12

"

Meilengelder

12

12

12"

Einen mit Fußfesseln an den Pranger gestellt Einen auf dem Rücken gebrandmarkt. Tagegeld.

Für die gebrauchten Stricke

Für die Handlanger

Zusammen 276 Fl.

Der preußijaze Scharfrichter und Wäschereibesizer X. in Magde­ burg  , der am 15. Februar 1926 den Landarbeiter Josef Jakubowski  hinrichten mußte, erhielt von der Mecklenburgischen Staatsanwalt. schaft einen Barscheck von 500 Mart. Für den Fall der Verzögerung der Hinrichtung ein Sonderhonorar von 50 Mark und, falls die Hin richtung unterbleibt, eine Entschädigung von 200 Mart. Zwei Kultur­

bilder aus dem 18. und 20. Jahrhundert.

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DU

In der Geigenbauerwerkstatt

davon. Und wehe, wenn er sich einfallen läßt, seiner Hände Arbeit, seine Kunstwerke selbst zu verhandeln. Die im Gegensatz zu ihm gutorganisierten Händler hehen ihn zu Tode! Eine Pro­eduktionsgenossenschaft, die allein helfen fönnte, ist noch weit, weit entfernt, solange die Geigenbauer nichts wissen von der Macht der Organisation.

Moderne Dramatifer auf der Freilichtbühne  . ., Am liebsten den ganzen Dreck hinhauen," das ist der Refrain, Die Leitung des Naturtheaters Belvedere   in Weimar   hat das ber immer wiederkehrt. Keine Krankenkasse freiwillig steuern? Bagnis unternommen, Werte von so ausgesprochenem Zeitcharakter, Don was? feine Sozialversicherung, teine Erwerbslofenverfiche wie es die von Georg Kaiser   und Alfred Brust   sind, für die Auf­rung es sind ja keine Arbeiter, sondern Befizer von Produktions- führung auf der Freilichtbühne vorzubereiten. In den nächsten mitteln, ein guter Wiz! Wenn einer frank wird, dann geht das Tagen werden. Kaisers Juana", das im Jahre 1918 während Borgen los. Bird er alt oder sonst in der Ausübung seiner Ar- Kaisers Beimarer Aufenthalt geschrieben wurde, und Brusts beitskraft gehemmt, dann hat er eben noch weniger. Das ist dem Frühlingslied" erweisen, ob eine geschickte Regie sie dem Rahmen Händler, der das Material ausgibt und die Fertigware erwirbt, doc)| von Goethes Naturtheater anzupassen vermochte.

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Das Radiumbad ist die letzte Hoffnung der verlorenen Leute an der Grenze. Sie ziehen in die untersten Winkel, um mit dem Wohnraum zu verdienen. Vorigen Sommer schlief eine Familie von drei Personen auf Strohfäden im Hausflur, damit Sommer­gäste Platz hatten. So sieht es in Bad Brambach   aus.

Erich Knauf  . ( Zeichnungen von Friz Wintler- Dresden  .)