födlage Dienstage 24. Juli 1928.
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Gestern im heutigen Weltverkehr. Das Reisen in unerschlossenen Erdwinkeln.
In diesen Togen fand der erste große Antcmobilausflug quer durch die Wüste Sahara fein Ende. Die Leute, die über Zeit und Edd verfügen, fanden es langweilig, immer in Gegenden zu reisen, die eleganie Hotelterrassen und gepflegte Tennisplätze aufweisen, man hatte das Bedürfnis nach Primitivität, nach der unberührten Natur— vorausgesetzt, daß die Verkehrsmittel leidlich bequem waren und keine Gefahr für Leib, Leben und Porremonnaie bestand. Dazu mußt« die Sache natürlich etwas„ousgefaUen" fein. Auf diese Weise kam die Sahara sozusagen automatisch aufs Programm. Seit den Zeiten des Lowenjägers Gerard und des hochfeltgen Kaisers von eigenen Gnaden, Lebaudy I., auf dem geduldigen Papier Herrschers der Sahara , hat man immer so eine kleine romantische Schwäche für diese Gegend gehabt, über die wir auch heute noch ziemlich unvollkommen unterrichtet sind. Diese Einöde ist nur um ein Drittel kleiner als Gesamteuropa und erheblich größer als Europa ohne Rußland , und außerhalb der üblichen Karawanenweg« brütet noch manch ungelüftetes Geheimnis über verborgenen Winkeln der endlosen Sandmeere und der himmelragenden kahlen Gebirg«. In der Wüste. Wer früher auf dem schwankenden Rücken des Kamels durch diese Gegenden zu reisen wagte, machte vorher seloswerständlich sein Testament: noch heute ist es im Innern nicht geheuer, und die öffentliche Sicherheit reicht kaum so weit, wie die Repertiergewehre der französischen Kolonialtruppen— von den spanischen gar nicht zu reden. Die Macht des seltsamen Voltes der Tuaregs. das 300 000 Köpfe zählt, ist noch nicht gebrochen, noch sind dies« ver» schleierten Männer, die Schwerter tragen wie die alten Kreuzfahrer und wie diese auch ein Kreuz auf dem weißen Mantel(obwohl sie fanatische Mohammedaner sind), der Schrecken unbeschützter Kara- wanen. Don den Küsten des blauen Mittelmeers bis zu den Schilf- dickichten des Tschadsees, begegnen sich hier Altertum und Neu- zeit. Ueber die Ruinen phönizischer Kolonien wandern die alles verschlingenden Dünen, unter kümmerlichem Ufergesträuch spärlicher Wasierläuse, träumen die Reste altrömischer Wasserleitungen, in prunkenden Hotels der Hafenstädte flirrt mondänes Leben, um die Ecke hausen in zerfallenden Lehmhütten schmutzige, hungernde, un- gezieferzerstessen« Eingeborene. Der geduldige Esel schleppt die Lasten de« kleinen Mannes, an den Raststätten gurgeln und geifern die Kamele, empört darüber, daß man ihnen Lasten auflädt, an ihnen vorbei sausen die eleganten Limousinen der weißen Touristen, und mitten durch das sterile Meer des Todes wälzen sich die Züge der großen Autos, in denen blasierte Ladys und Geiillemans„Wüste kneipen" wollen. Als Spitze und Nachtrob je ein Auto mit Militär, mit Pistolen, Gewehren und Maschinengewehren— wie gesagt, die Tuaregs zählen noch immer 300 000 Köpfe, und die Katze läßt das Mausen nicht. Das Hausboot auf dem ltfwaldstrom. Im westlichen Sudan , dieses Ländergürtels, der die Sahara von den Urwäldern des Kongo trennt, liegt das sagenhafte Tim- b u k t u, die Stadl, von der die Welt schon um die Mitte des vier- zehnten Jahrhunderts Kund« durch einen arabischen Forschungs - reisenden Ibn Valuta erhielt. Vor hundertunddreißig Iahren stillte hier unter unsagbaren Strapazen und schwerer Lebensgesahr Mungo Park seinen Forschungsdrang und ertrank l80S in den Fluten des Flusses, mit dem sein Name für alle Zeiten verknüpft ist. Die berüchtigten Tuaregs gründeten im elften Jahrhundert die Stadt, die später eine Hochburg islamitischer Gelehrsamkeu wurde, seit einem drittel Jahrhundert herrschen hier die Franzose». Auf dem Niger begegnen sich die primitiven Fahrzeuge der Einge- bcrencn mit modernen Dampfern, und die ersten, die die Sahara vor sechs Iahren im Auto überquerten, die Franzosen Haardt und Audouin-Dubreuil, besuhren diesen drittgrößten Strom des schwarzen Erdteils auf einer Art Hausboot, das ein« große Aehnlichkeit mit dem Prahm hatte, aus dem Sven Hebin seine bewunderungswürdig« Fahrt den T o r i m abwärts mochte. Verkehr und Demokratie. Noch krasser sind die Gegensätze in dem uralten Touristenland Aegypten . Hier fahren Luxuszüge von Alcxandria nach Kairo , aber das Wasserrad wird wie vor zehntausend Iahren vom Kamel getrieben, und neben den Nildampfern, die mit allen Schikonen der Neuzeit ausgerüstet sind, trägt der ehrwürdige Strom dos alte Segelschiff, die D h a u, oder gar das Ambak-Kanu, wie es auf dem oberen Nil üblich ist. Auch hier zeigt sich eine Erscheinung. der wir aus der ganzen Erde begegnen. Die modernen Verkehrsmittel sind erst eine Angelegenheit der herrschenden Klasse: das Lumpen- Proletariat, das wir gerade in exotischen Ländern in einer ganz extremen Form finden, ist vorerst von der Benutzung der neuen Errungenschasten ausgeschlossen. Dann kommt die kapitolistilch orien- tierte Industrialisierung des Landes, die den Keim der eigenen Zer- störung in sich trägt: der primitive Eingeborene lernt die Bedürfnisse der Zivilisation kennen, und da man ihn braucht und Löhne zahlen muß, auch befriedigen— sein Lebensstandard hebt sich. Er fährt auf dem gleichen Schiff, im gleichen Zug mit dem weihen Mann, und wenn er wohlhabend wird, vielleicht in derselben Klasse. So wirken die Verkehrsmittel demokratisierend, sie verkürzen die Distan- zen, sie bereiten den Boden für eine Gleichberechtigung. Einbaum und Kajak. Am Amazonen ström und seinen Nebenflüssen liegen ver- streut die Städte und kleineren Niederlassungen, durch tausende Kilometer Urwald voneinander getrennt: nur die Wasserwege stellen die Verbindung her. Auch hier begegnen sich Luxusdampfer und Einbaum oder primitives Eingeborenenboot, auf das sogar der Forscher angewiesen ist, wenn er tiefer ins Land eindringen will. und das ist allein auf den schmalen Wasserpfaden, den I g a r o p ä s, möglich. Im entgegengesetzten Klima, im hohen Norden, begegnen sich nicht minder Steinzeit und Jetztzeit. Noch heute benutzt der Eskimo für die Wasserjagd den Kajak, das Fellboot mit Holz- gestell, noch dem Henrich sein Faltboot konstruierte, das jetzt auch auf unseren Gewässern heimlich ist, und an den Küsten des Eismeeres Passieren nicht nur Frachtdampser und Kajak, sonder» auch
ine Salondampfer mit zahlungsfähigen Passagieren lassen auf ihrer Bugwelle die schwanken, aber seetüchtigen Fellboote tanzen Aehn- liche Gegensätze treffen wir um die Inselwelt zwischen Indien und Australien und bis weit in den Stillen Ozean an: hier sind noch nicht die Auslegerboote ausgestorben, auf denen die Eingeborenen weite Reisen unternahmen, ia. menn die vergleichend« Sprachwissenschaft recht hat, sogar die Auswanderung nach dem südamerikanischen Festland bewerkstelligten. Wie man in Asien reist. In Asien existieren Urzeit und Neuzeit zugleich, besonders auf dem Gebiete des Landtransports. Kamelkarowanen und Lastautos machen sich in Wüsten und Steppen Konkurrenz wie in Afrika , und in Indien weUeifern beispielsweise im Holztransport der Elefant und der fauchende Traktor: dabei unterliegt der Dickhäuter mehr und mehr, und der Tag ist nicht mehr fern, da auch das Dschungel ollein unter der Herrschost der Maschine steht. In China entsteht Eisen- bahn auf Eisenbahn, aber noch immer schleppen Kulis ihre Lasten oder fahren sie auf den seltsamen einrädrigen Karren Tausende von Meilen über die staudigen und schlammigen Landwege. Aus den großen Flüssen fahren Dampfer und Motorboote: es ist ihnen bis jetzt nicht gelungen, den Sampan und die Dschunke zu verdrängen, ohne die«in« chinesische Flußlandschast gar nicht denkbar ist. e- Irgendwo gibt es noch versteckte Winkel, in denen da» Puckern eines Motors nie gehört wurde oder doch zum mindesten eine seltene Sensation bedeutet. Aber diese abgelegenen Gegenden werden mehr und mehr dem Berkehr erschlossen, und mit der Zeit verlernt selbst der primitivste Eingeborene dos Wundern. Täglich siegt die Technik neu über Raum und Zeit, und bald finden wir die letzten Zeugen einer verflossenen Romantik im Transportwesen nur noch im Museum und im Zoologischen Garten. Curt Bigin g. Der Derwisch. Von Franz Karl Endrc*. Im Schatten einer Oase saßen Beduinen und lauschten de: weifen Rede, die«in alter, weißbärtiger Derwisch an sie richtete. Er tadelt« sie wegen ihrer fortgesetzten Räubereien, wegen ihrer unmenschlichen Grausamkeit, und brauchte manches harte Wort. Aber die Beduinen hörten ihm geduldig zu, wenngleich zu merken war, daß sie sich langweilten. Sie saßen wie Marmorbilder da, unbeweglich, und nur ab und zu huschte es wie«in unterdrücktes Gähnen über ihr« scharfgeschnittenen Gesichter.�. Im Westen neigte sich der rot« Ball der Sonne in den bläu« lichen Dunst des Horizonts. Schorf und klar standen die dunklen Palmen vor dem leuchtenden Hintergrund des Himmels und warfen lang«, blau« Schatten in das Gelb des Wüstensandes. „Es ist Zeit, ihr Gläubigen, das Abendgebet zu verrichten", sagte der Derwisch. Die Beduinen erhoben sich, holten ihre kleinen Gebetteppiche aus den Zelten und knieten, den Blick nach Mekka gerichtet, nieder. Der Derwisch hielt seine Hände in Trichterform vor den Mund, und mit starker Stimme rief er die erhabene» Worte der ersten Koransure in die Wüste. Machtvoll, wie der Laut einer Natur- gewalt, hob sich der Ruf, das einzige Bekenntis der Gläubigen, hinauf in den goldfarbenen Himmel:„La ilaha illalah muhamma dun rasulallah." Rasch brach die Nacht über der Wüste herein. Di« Beduinen
Die Stadt Xanten begeht am 29. Juli das 700 jährt ge Jubiläum ihrer G-t ijndung. Sie erhielt im Jahre 1228 Stadlrecht. Der Ort Xanten ist wesentlich älter. Unser Bild zeigt den Durchgang durch die Michaelshapelle tum Dom,
versamnielten sich beim Scheik des Stammes. Kaum faßt« das große Zelt ihr« Menge Der Derwisch trat ein und beifälliges Ge- murmel begrüßte ihn. Er begann zu zaubern. Es war für den, der Fatirkünft« kennt, nichts Besonderes. Aber die Wirkung auf die Beduinen war stark. Sie gerieten in den Zustand grenzenloser Bewunderung und andächtiger Scheu. Die Vorstellung, die der Derwisch gab, dauerte lange. Als ich mit dem Alten das Zelt verließ, standen die großen, glitzernden Sterne an einem stahlblauen Himmel. „Du hast edle Worte den Beduinen gesagt," begann ich.„Um so mehr wundere ich mich, wie du dich durch dies« Fakirkunststücke hast erniedrigen wollen." Der Derwisch lächelte.„Mein Freund aus dem Westen," ant- wartete er.„meinen Worten hat nur der eine oder andere geglaubt. Meinem Zauber glauben sie alle. Und wenn ich nicht der große Mann des Zaubers wäre, dürste ich gar nicht so zu ihnen sprechen, wie ich es tot. Merke dir, mein Freund, die Welt ist überall gleich. Auch bei euch im Westen machen die Menschen Kunststück«, damit man dann ihren Worten Glauben schenk«, und diejenigen, die es nicht verstehen, die rechten Kunststücke zu machen, sollten lieber daraus verzichten, den Menschen gute Ratschläge zu geben." Ich mußte lang« über diese Worte des Derwischs nachdenken, und schließlich habe ich ihm recht gegeben. Am nächsten Morgen brachten Kundschafter der Beduinen einen gefangenen syrischen Kaufmann in das Loger. Man hatte ihm sein« Kamel« geraubt und seine Diener erschlagen. Er wurde vor den Scheik geführt. Als der Kaufmann den Derwisch erblickte, warf er sich ihm vor die Füße und bat den heiligen Mann, chm zu helfen. „Es wird schwer halten, ihn vor dem Tod zu retten", sagte mir der Derwisch in einer Sprache, die von den Beduinen nicht oerstanden wurde. Dann wandte er sich an den Scheik:„Der Mann wird sterben," sagte der Derwisch,„aber laß' mich vorher die Linien seiner Hand studieren. Es muß doch wohl in diesen sein naher Tod angezeigt sein." Der Scheik erlaubt« es. Der Derwisch untersuchte lange. Dann ging er zum Sheit, besah auch dessen Hand, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Scheik erblaßte. „Du bist frei!" sagt« er zu dem Kaufmann.„Gebt ihm ein Kamel und sichere Begleitung. Er ist mein Gastfrcundl" Das genügt«, um den Kaufmann ungefährdet nach Damaskus zu geleiten. «»Wie hast du das gemacht?" fragte ich nachher den Derwisch. „Du kennst die Kunst aus der Hand zu lesen?" fragte mich der. „Ja." erwiderte ich.„mich haben sie Zigeuner gelehrt." „Nun denn, sieh«, mein Freund, wenn ich dem Scheik edle Wort« gegeben hätte, er hätte mich ausgelocht. So aber sagte ich ihm leise, daß die Hand des syrischen Kaufmanns genau die gleiche Todeslinie zeig«, wie fein« eigene. Daß ich also annehmen müsse, der Scheik werde am gleichen Tag sterben wie der Kaufmann. Das wirkte hinreichend, um den armen Syrier zu befreien." Ich mußte lachen und fragte, was denn nun aber der Derwisch getan hätte, wenn der Scheid«in wenig tapferer gewesen wäre und den Kaufmann doch hätte töten lassen. „Dann wäre der Scheik heute abend gestorben", sagte der Der- wisch, aber sein Gesicht war so eigentümlich finster bei diesen Wor- ten, daß mir die Lust noch weiteren Fragen verging. Der Scheik jedoch sandte dem Derwisch einen kostbaren Dolch mit goldener Scheide, zum Dank, daß er ihm dos Leben gerettet habe..... Erwachen aus dem Dunkel. Die Blinden von Triesl. Einem Triester Augenarzt namens Appolonia sind in diesen Togen einige bemerkenswerte Operationen gelungen: er hat drei jungen Männern zwischen 13 und 18 Iahren, die blind zur Welt ge- kommen waren, das Augenlicht wiedergegeben. Es werden inter - essante Einzelheiten über das Verhalten der Operierten mitgeteilt. Vor dem Hund, der in den Tagen der Blindheit ihr lieber Freund' gewesen war, wichen sie erschreckt zurück, Tische und Stühle er- kannten sie nicht als jene Gegenstände, die sie täglich benutzt hatten, die Sonnenstrahlen hielten sie für körperliche Dinge, an die man sich stoßen könnte. Das Eigenartigste aber war dieses: in dem Augen- blick, da sie sehend geworden waren, hatten sie das Orientierungs- vermögen in ihrer Umgebung verloren. Die Stuben, in denen sie sich bislang rasch und sicher traft ihres Tastsinnes und ihres aus- geprägten Rauminstinktes bewegt hatten, waren ihnen fremd und fürchterlich geworden, und wollten sie sich ohne Hemmungen darin ergehen— so schlössen sie wiederum die Augen. Licht fiel zum ersten- mal in die Nacht ihres Augapfels, aber es war kein wegweisendes, erleuchtendes Licht, sondern ein verwirrendes, tückisches, dem sie miß- trauten, und um sehend in ihrem Sinn« zu sein, machten die SehendgewordeNen sich blind. Welch eine phantastische Sache, dieser willkürlich herbeigeführte Verzicht auf das Crkenntnismittel des Seh- oermögen», um sich besser orientieren zu können, dieses Ins-Dunkel- Hinabtauchen, um besser den Weg zu finden! Immerhin dürft« es sich nur um eine kurze Zeitspanne gehandelt haben, während deren die Operierten das Licht verschmähten, das sie verwirrte— und somit sind sie wahrlich besser daran als jene, für die sie ein Gleichnis abgeben: als die geistig Blinden , bei denen es nicht tragisches Ucbcrgangs-, sondern lächerliches Normalstadium ist, „die Augen zu verschließen", wenn neue Wertungen und neue Erkenntnisse in dos Dunkel ihres Gehirnkastens den Pfad suchen. Hans Bauer Wer weiß das? Aus 800 Litern atmosphärischer Luft stellt man 1 Liter flüssiger Lust her. * Von den 322 000 Quadratkilometern Norwegen » sind nur 2d00 Quadratkilometer Ackerland. ★ Di« Borastürm« erreichen im Maximum«ine Geschwindigkeit von 112 Kilometern in der Stunde, einzelne Stöße sogar 200 Kilo- meter, * Unter„Kammermusik" verstehen wir Musik für Soloinstru- mente. Früher war sie die Musik für das höfische Gesellschasts« z immer(Camera).