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Morgenausgabe

Nr. 349

A 178

45.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag

26. Juli 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Anschlußdebatte in ganz Europa . Der Scheintönig als Ditiator.

Stimmen der Feindschaft.- Stimmen der Vernunft.

Paris , 25. Juli. ( Eigenbericht.)

Der Temps" schreibt abermals über die Anschlußkundgebung In Wien . Das Blatt, diesmal sichtlich bemüht, einen ruhigeren Ton anzuschlagen, tann nicht umhin, die Zurückhaltung der ver­antwortlichen Stellen in Berlin und in Wien festzustellen; es er klärt, die Ereignisse in Wien würden taum größere Aufmerksamkeit verdienen, wenn nicht die Wiener und Berliner Preffe ihre politische Bedeutung ständig unterstreichen würde. Der Temps" tut, als wäre er besonders beunruhigt über die Rede des Reichstags­präsidenten Löbe in Graz . Das offene Eintreten Löbes für den Anschluß tönne man nicht mehr als eine persönliche Kundgebung betrachten, da er Reichstagspräsident fei. Das Blatt, das den Spontanen Charakter dieser Rundgebung anerkennen muß, leistet fich schließlich die lächerliche Bemerkung, daß die Persönlichkeit Löbes für die vom jezigen deutschen Kabinett befolgte Außenpolitit ebenso tompromittierend sei wie die Westarps für das frühere

Rabinett.

Der Kommentar der Temps " schließt mit der Behauptung, daß die alliferten Mächte sich stets dem Anschluß widersehen würden.

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Der Temps " dürfte nicht berechtigt sein, den ehe= maligen Alliierten ihre Haltung für alle Zukunft vorzu­schreiben das tönnen nicht einmal die Minister von heute. Der Bölferbundsrat ist im Frieden von 1919 ermächtigt nicht ,, beauftragt", wie hier irrtümlich gestanden hat, das Anschlußverbot aufzuheben; dazu bedarf es freilich ein­stimmigen Beschlusses jeder Quertopf im Rat, mag er auch ausschließlich dem nationalen Selbst bestimmungs= recht diese Stelle verdanken, fann dessen zuerkennung an die 6,5 Millionen Deutsche hinter Passau verhindern. Aber soll diese schreiende ungerechtigkeit ein politisches Heiligtum für das Volk der großen Revolution sein?

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Die Anrempelung Löbes richtet sich von selbst. Wenige so bekannte Politiker wie er sind so unausgefeßt für die Bölkerversöhnung tätig. Wenn er außerhalb des Reichstags und schon gar jenseits der Reichsgrenze redet, tut er es zu meist nicht und in dem Grazer Fall schon gar nicht als Reichstagspräsident. Kein Reichsgesetz und fein Friedens­diftat aber verbietet dem Präsidenten des Deutschen Reichs­tags, ein Deutscher, ein Demokrat und ein Sozialist zu sein. Wer das aber ist, der fordert, daß den Deutschösterreichern nicht vorenthalten bleibe, was den Dänen, Tschechen, Ru­mänen, Südflamen, ja selbst den Arabern im Frieden von 1919 gemäß der feierlichen Verkündung Woodrow Wilsons zugestanden worden ist. Wir fordern gleiches Recht mehr nicht.

London , 25. Juli. ( Eigenbericht.) Der Manchester Guardian" schreibt im Gegensatz zu dem größten Teil der französischen Presse zum Wiener Sängerfest: ,, Berlin und Wien werden nicht durch reaktionäre, sondern durch freiheitliche Kräfte zueinander hingezogen. Die eigentlichen Träger der Anschlußbewegung bilden die republikanischen Mehrheiten in beiden Ländern. Mit jedem Siege der Linken wird die Bewegung stärfer. Sie lag danieder, solange die Deutsch nationalen in der Regierung waren. Jetzt, da Deutschland eine unter sozialdemokratischer Führung stehende Regierung hat, ist die Bewegung wieder mächtig aufgelebt. Die Wiener Kund­gebungen waren die gewaltigsten, die es je gab. Die beiden Haupt­rebner waren Severing, der mehr als irgendeiner die deutsche republikanische Demokratie befestigt hat, und Paul Löbe , der sozia­liftische Reichstagspräsident und von jeher ein Vorfämpfer des Weltfriedens. Die Bewegung mit Alldeutschtum oder deut­schem Nationalismus gleichzustellen, ist völlig falsch.

Auch wird der Anschluß für niemand eine Gefahr sein. Er wäre für beide Länder und für Europa gut. Desterreich und Deutschland gehören zusammen und ihre gemeinsamen Ueber­lieferungen, ihre gemeinsame Kulfur, ihr gemeinsamer und er­folgreicher Kampf für die Demokratie und ihre gemeinsamen materiellen Interffen führen sie zusammen. Der Anschluß wird

ein Schrift zur Entbalkanisierung Europas sein und wird die Niederlage der ftreitbaren Reaktion und des Natio­nalismus nördlich des Brenners und westlich der Weichsel vervoll. ständigen."

Das englische Blatt schließt seine Betrachtungen wie folgt:" Der Der Anschlußaft und die Verschmelzung der beiden Souveränitäten sollte schließlich zu einer Formalität werden, die der Völkerbundsrat nach den Geboten landläufiger Höflichkeit nicht verweigern könnte."

Gelbst in Rumänien kommt die Bernunft zum Worte!

Bukarest , 25. Juli.

Der Ada perul" beschäftigt sich heute in seinem Leitartikel mit der Anschlußtundgebung in Wien . Die sogenannte deutsche Gefahr sei nur eine Legende. Ein demokratisches Deutschland bilde, wenn auch Desterreich einverleibt sei, feine Gefahr für die übrige Welt. Was Rumänien betreffe, so habe es feinen be­fonderen Grund, die Leiden Desterreichs verewigen zu helfen. Mit der Einverleibung Defterreichs in Deutschland verschwinde auch für immer das Phantom der Habsburger Hegemonie.

Mahnung der Ratsmächte an Litauen

Mitteilungen Chamberlains im Unterhaus.

London , 25. Jufi.

Chamberlain teilte heute im Unterhaus mit, der britische Gesandte in Riga , der die britischen Intereffen auch in Kowno wahr nimmt, fei beauftragt worden, dem litauischen Minister des Auswärtigen dringend nahezulegen, daß es wünschenswert fei, die Empfehlungen des Völkerbundstates bezüglich der Meinungsverschiedenheieten zwischen Polen und Litauen in die Tat umzusetzen. Es fei anzunehmen, daß auch der französische und der deutsche Gesandte in Kowno ähnliche Borstellungen erheben

würden.

Die Telegraphen- Union bezweifelt in einem eigenen Kommentar zu dieser Meldung die Richtigkeit der Mitteilung Chamberlains über einen ähnlichen Schritt des deutschen Gesandten in Kowno , weil eine solche Demarche im Gegen faß zu der bisherigen Politik Deutschlands im litauisch polnischen Konflikt stehen würde.

Wir könnten in einem solchen Schritt, falls er wirklich erfolgt ist, nichts Anormales erblicken. Im Gegenteil, mir find der Ansicht, daß die Mächte schon längst die Pflicht ge­habt hätten, Woldemaras darauf energisch hinzuweisen, daß es so nicht weiter geht. Litauen hat die Empfehlungen des Böllerbundrates vom Dezember 1927 ausdrücklich ange­nommen und durch den Mund seines Ministerpräsidenten versprochen, normale Beziehungen zu Bolen anzustreben. Statt dessen hat Litauen bei jeder Gelegenheit, insbesondere auf der Königsberger Konferenz, dokumentiert, daß es eine solche Annäherung nicht erwünscht. Durch den immer wieder betonten Souveränitätsanspruch auf Wilna macht Wolde­maras eine Einigung tatsächlich unmöglich. Unter diesen

Umständen hat auch Deutschland , das an der Genfer Resolution vom Dezember 1927 mitgewirkt hat, allen Anlaß, auf Litauen einzuwirken, damit es diese Tattit aufgebe. Die neue gefährliche Spannung an der litauisch- polnischen Grenze läßt einen solchen gemeinsamen Schritt der Ratsmächte durchaus geboten erscheinen.

Polen bestreitet, Wilna - Manöver abzuhalten.

Warschau , 25. Juli. ( Eigenbericht.) Die litauische Note an den Bölkerbund gegen die bevorstehenden polnischen Manöver an der litauischen Grenze nennt der sozialistische Robotnir einen faum ernst zu nehmenden Versuch Bolde maras, die Augen der Welt wiederum auf die Wilnafrage zu lenten; bie polnische Regierung werde hoffentlich faltes Blut be­wahren und die Grenzfonflitte, von denen Woldemaras in seiner note spreche, die aber nur in seinem Kopfe entstanden seien, würden auch in seinem Kopfe enden. In gleichem Sinne äußert sich die offiziole Epota", die dem Bölferbund empfiehlt, die Note in ben Papierforb zu werfen.

Zur litauischen Note an den Völkerbund hat die polnische Re gierung ein Kommuniqué veröffentlicht, das erklärt, daß

teinerlei militärische Manöver im Wilnagebiet vorgesehen feien. Es würden dort lediglich die jedes Jahr nach der Ernte im ganzen Lande üblichen lebungen derjenigen Truppenteile sein, die dort stationiert seien. Infolgedessen stelle die litauische Note einen neuen Versuch dar, Polen friegerischer Absichten zu beschul­digen. Das sei um so bezeichnender, als Litauen den polnischen Bor­schlag eines Richtangriffspattes abgelehnt habe.

und Strömungen in Aegypten . Bon Dr. Artasches Abeghian.

König Fuad hat einen Staatsstreich vollzogen. Er hat fich, allerdings nur" auf drei Jahre, zum absoluten Mon­archen und Diftator" Aegyptens ausgerufen. In Wirklich­feit aber wird nunmehr weder er noch sein Ministerpräsident Mahmud Bascha, vielmehr der britische Oberkommissar Lord Lloyd die Geschicke des Nillandes unumschränkt und un­kontrolliert leiten. Fuad wird sich eben als ,, Diktator" mehr als bisheriger tonstitutioneller Herrscher mit der Rolle des Scheintönigs begnügen müssen. Der Schlüssel des ägyptischen Umsturzes ist ja lezten Endes im Foreign Office zu suchen. Aber auch in den inneren Verhältnissen findet die ägyptische Staatsfrise ihre teilweise Erklärung. Welche Strömungen und Richtungen herrschen in Aegypten ?

Es muß hier vor allem festgestellt werden, daß die ägyptische Nation nicht einheitlich ist. Die meisten Aegypter von heute sind wohl Nachkommen des alten Pharaonenvoltes, aber sie haben sich mit den später einge­wanderten Arabern und den afrikanischen Hamiten stark ver­mischt. Das Arabische ist die nationale Sprache aller Aegypter geworden. Die Kopten, die fast durchweg in den Städten seßhaft, und zwar monophysitische Christen sind, haben viel mehr Charakterzüge des ägyptisch- hamitischen Typus erhalten, als die übrigen Stadtbewohner und die Fellachen oder die Landbevölkerung. Die Kopten machen übrigens nur einen sehr fleinen Teil( etwa 8 Proz.) der ägyptischen Bevölkerung aus. Die Gesamtzahl aller Aegypter erreicht heute 1 Millionen; vor 40 bis 45 Jahren betrug sie nicht mehr als 3 Millionen. Die Aegypter find zum größten Teil feßhaft. In den Städten beschäftigen sie sich hauptsächlich mit Handel und Gewerbe. Die ägyptischen Zentren, Kairo Städte. Ein, wenn auch geringer Teil der Bevölkerung, die und Alexandrien voran, gelten mit Recht als europäische echte Araber find, die Beduinen, beschäftigen sich mit nomadischer Viehzucht.

Im großen und ganzen befindet sich die ägyptische Nation noch im Prozesse des Werdens. Trotzdem fühlen sich alle und sind auch in ihrem Endziele, der vollen Unab­Aegypter als Glieder ein und derselben nationalen Einheit hängigkeit des Landes, ohne Unterschied der Ab­stammung und der Religion einig. Religiöser Fanatismus ist den Aegyptern fremd. Unter den Führern des Volkes find Mohammedaner wie Christen und Juden vertreten. Auch die nationale Bewegung hat unter den Kopten hervorragende Vertreter. Der Banislamismus hat in Aegypten keine große Gefolgschaft. Die Aegypter sind auch den Fremden gegenüber tolerant gesinnt.

Parteien im europäischen Sinne gibt es in Aegypten nicht. Die bestehenden Strömungen und Richtun= gen unterscheiden sich voneinander hauptsächlich durch ihre Einstellung in der Unabhängigkeitsfrage. Aber auch sozial find fie differenziert. Die eigentliche Trägerin der nationalen Bewegung unter den Aegyptern ist die Partei der Waf= disten oder der 3aghlulisten. Das arabische Wort ,, Wafd" heißt Abordnung, Delegation: Wafd" wird die ägyptische Unabhängigkeitspartei genannt, weil sie ursprüng­lich in einer Abordnung verkörpert war, die unmittelbar nach dem Waffenstillstande gebildet wurde, und die sich die Aufgabe stellte, bei der britischen Regierung die volle Unabhängigkeit des Landes durchzusehen. An der Spige der Delegation und der daraus entstandenen Wafd- Partei stand bis zu seinem Tode( 1927) Baghlul Bascha, daher der Name Baghlulisten.

Die Engländer wünschten ursprünglich nichts von der ägyptischen Unabhängigkeit zu hören. Die ganze Delegation mit Baghlul an der Spize wurde( März 1919) nach Malta verbannt. Später, freigelassen und nach Kairo zurückgekehrt, setzte er seinen politischen Kampf fort, wurde zum zweitenmal verbannt, zuerst nach den Seishelinseln, dann nach Gibraltar . Aegypten kam doch nicht zur Ruhe. Die Regierung Lloyd Georges sah sich gezwungen, die Unabhängigkeit" Aegyptens zu deflarieren. Dies geschah am 28. Februar 1922. Sie war jedoch mit derartigen Einschränkungen bedingt, daß sie nur eine scheinbare war. Deshalb auch erklärten die Aegypter diesen Tag als den Tag der nationalen Trauer. Baghlul wurde 1923 freigelassen und kehrte nach der Heimat zurück. 1924 fam er zur Macht, vermochte jedoch keine Konzessionen Don England zu erlangen. Als er im August 1927 starb, wurde Nahas Pascha sein Nachfolger. Er wurde vor einiger Zeit in eine Korruptionsgeschichte verwickelt. König Fuad und die Gegner der Wafdpartei mußten fie in dem Sinne aus, daß fie Nahas beseitigten und zuletzt das Dittaturregime verfündeten.

In einem Briefe Mahmud Baschas an den König, wo der Umsturz begründet" wird, bezeichnet er die Führung der Barlamentsmehrheit als eine fleine Gruppe". Diese kleine Gruppe, die nicht weniger als 85 Broz. aller Abgeordneten und der gesamten ägyptischen Bevölkerung hinter sich hat, be­steht aus den Anhängern der Wafdpartei. Bei allen drei Barlamentswahlen hat die überwiegende Mehrheit der