Morgenausgabe
Rr. 359
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45.Jahrgang
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Mittwoch
1. August 1928
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12 Tote- 16 Schwerverletzte.
Ein beschleunigter Personenzug auf einen Güterzug aufgefahren.
Ein neues schweres Eisenbahnunglück hat sich Dienstag nachmittag 4 Uhr auf der Strecke Ulm Augsburg zugetragen. Der beschleunigte Personen zug 911( Saarbrücken- Stuttgart- Ulm- AugsburgMünchen) fuhr auf einen in der Station Dinkel : scherben stehenden Durchgangsgüterzug 7535 mit boller Wucht auf und zwar wahrscheinlich infolge falscher Weichenstellung. Mehrere Wagen wurden wie Streichholzschachteln geknickt.
Nach den letten von der Unfallstelle eingetroffenen Meldungen hat der Zugzusammenstoß bei Dinfelscherben bisher zwölf Todes opfer gefordert, zehn Personen wurden schwer, etwa zwanzig bis fünfundzwanzig leichter verletzt.
Erst vor wenigen Tagen hat der Generaldirektor der Deutschen Reichseisenbahngesellschaft, Dr. Dorpmüller, ausführlich über die Eisenbahnfatastrophen der letzten Wochen gesprochen und dabei den forgenvollen Sag geprägt:
,, lleberfieht man die erwähnten. Unfälle( Nürnberg - Siegelsdorf , Ummendorf , Ulm , Amstetten, Münchener Hauptbahnhof ), so fällt es auf, daß fie in die kurze Zeit vom 10. Juni bis 21. Juli fallen, und menn man daraus Schlüsse für die Zukunft ziehen würde, so würde das ein trauriges Bild für die Sicherheit der deutschen Reichsbahn
aufrollen."
Durch das neue Unglüd auf der Strecke Ulm- Augs burg sind auch die dunkelsten Voraussagen übertroffen. Addiert man allein die Totenziffern der drei großen bayerischen Unglücksfälle von Nürnberg , München und Augsburg , so ergibt sich die erschreckende Ziffer von und Augsburg , so ergibt sich die erschreckende Ziffer von über 50 Toten, wozu noch eine weit größere Zahl von Schwerverletzten hinzuzurechnen ist. Eine traurige, eine im Schwerverletzten hinzuzurechnen ist. Eine traurige, eine im höchsten Maße erschreckende Blutstatistik!
Herr Generaldirektor Dorpmüller hat von der Perio: dizität der Unglüdsfälle gesprochen und darauf hingewiesen, daß es nach unglücksfreien Zeiträumen immer wieder solche gibt, in denen eine wellenartige Zusammenballung der Unglücksfälle auftritt. Wenn aber in so kurzer Zeit so viele fürchterliche Katastrophen sich häufen, dann darf zur Erklärung nicht allein die Mystik des statistischen Zufalls herbeigezogen werden.
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Bayerns minderwertig sein, aber was tat's?- sie ver förperte doch noch ein Restchen bayerischer Souveränität. Als Ergebnis dieser Eigenstaatlichkeits"-Gelüste liegen heute über 50 Tote! Opfer eines sinnlosen Partitularismus!
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Der bayerische Ministerpräsident hat freilich Dinge umdrehend- vorsichtig andeutend behauptet, daß die Unglücksfälle eine Folge der Zentralisierung und der daraus entstehenden Vernachlässigung der periphären Berhältnisse seien. Dorpmüllers flare Zahlen strafen ihn Lügen. Seit das bayerische Netz an die Reichsbahn angeschlossen ist, hat es zur Unterhaltung seiner Anlagen den dreifachen Betrag der Summe erhalten, den es selber in Friedenszeiten dafür ausgegeben hat. Aber selbst dieser Betrag hat nicht zur Abstellung der Mängel ausgereicht.
Borständen der einschlägigen Aemter. Erste Hilfe wurde inzwischen geleistet von Aerzten aus Dinkelscherben und Zusmarshausen und von Krankenschwestern des Krankenhauses Zusmarshausen . Kurze Zeit später traf die Sanitätsfolonne Augsburg mit zwei Krankenautos und drei Aerzten an der Unfallstelle ein.
Ein weiterer Hilfsnachzug ging um 17 Uhr von Augsburg ab
und traf um 17,40 Uhr in Dinkelscherben ein. Außerdem kam um 18 Uhr ein weiterer Hilfszug aus Ulm mit Aerzten und Hilfspersonal
an der Unfallstelle an.
Der Zugverkehr war zunächst gesperrt, fonnte aber dann auf dem Gleis Augsburg- Ulm eingleifig meitergeführt werden. D 59 von Ulm wurde über Neu- Offingen, Donauwörth nach Augsburg umgeleitet.
Bayerische Zugfatastrophen.
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27 Tote, 23 Verletzte
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Doch ebenso wichtig, noch wichtiger als die Materialist die Menschenfrage. Ueber die sozialen Mißstände im bayerischen Eisenbahnbetrieb, die Ueberlastung des Zugpersonals und die mangelhaften Dienstpausen wurde hier nach der Münchener Katastrophe von sachkundiger Seite bereits einiges gesagt. Dies sind freilich Berurfachungsmomente, die man bei der Leitung nie wahr haben will. Es ist ja viel bequemer, einzelne Beamte als Sündenböcke in die Wüste zu jagen, als das ganze System der Arbeits- und Diensteinteilung auf seine Zweckmäßigkeit hin zu revidieren. Man spricht leicht von ,, Unaufmerksamkeit", sobald die Nerven eines Beamten versagen. Aber es ist hier wie in der Schule: Wenn die ganze Klasse unaufmerksam ist, so liegt die Schuld Bollfigung versammelt war und furz vor dem Abschluß seiner Arnicht bei den Schülern, sondern beim Lehrer und bei der
Schule!
Auch der Teil des Publikums, der sonst sozialen Fragen empfindungslos gegenübersteht, wird hier auf ihre Bedeutung hingewiesen. Denn seine eigene Sicherheit hängt von der richtigen sozialen Regelung des Eisenbahnerdienstes ab. Aber es wird beinahe symbolhaft, wenn just am Tage des sechsten Eisenbahnunglücks innerhalb von sechs Wochen das Land Bayern sein Sozialministerium abbaut, um einen reaktionären Koalitionsschacher zustande zu bringen. Was braucht man in einem Lande, das sich der sicheren Obhut von ehemaligen Hochverrätern und Hitler putschisten erfreut, auch noch großartig Sozialpolitik. Dieser Abbau ist auch ein schöner Zug von reaktionärer Eigenstaatlichkeit, als deren unschuldige und nichtahnende Opfer Reisende mit zerschmetterten Gliedern auf der Strecke bleiben!
Der amtliche Bericht.
Augsburg , 31. Juli. Die Reichsbahndirektion Augsburg hat über das Eisenbahn
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Bestürzung im bayerischen Landtag.
München , 31. Juft. Im bayerischen Landtag, der am Dienstag nachmittag zu einer beiten stand, rief die Nachricht von dem Eisenbahnunglück bei Dinkelscherben große Bestürzung hervor. Der Präsident Dr. Königbauer sprach namens des Hauses das Beileid aus und erhielt die Ermächtigung, mie bei dem letzten Münchener Eisenbahnunglück, auch hier den so schwer Betroffenen das Beileid der Volksvertretung zum Ausdrud zu bringen.
Die Kunde von dem neuen großen Eisenbahnunglück rief in München starte Erregung hervor. Die Anschlagtafeln der Zeitungen wurden von bichten Menschenmassen umlagert. Viele Hunderte eilten zum Hauptbahnhof, um Auskunft über Angehörige, Bekannte und Freunde zu erlangen, die aus der Richtung Ulm er
wartet wurden. Unter dem Publikum spielten sich erregte Szenen ab.
Dorpmüller fündigt Maßnahmen an.
Wie die Reichsbahnhauptverwaltung mitteilt, ift Generaldirektor Dorpmüller fest entschloffen, im Interesse der Sicherheit des Reiseverkehrs in Bayern mit rücksichtslofer Strenge durchzugreifen. Seine Maßnahmen werden sich auf das Sicherungswesen, die
Eisenbahnunfälle entstehen durch Versagen von Mate= rial und Menschenfraft. Was das Versagen von Material betrifft, so hat Dr. Dorpmüller selber mit erfreulicher Deutlichkeit den Finger in die Wunde gelegt. Er hat offen ausgesprochen, daß die bayerischen Bahnen der unglück von Dinkelscherben folgenden amtlichen. Bericht ausgegeben: Durchführung der Betriebsvorschriften, die Arbeitszeif und die Per
Deutschen Reichsbahngesellschaft in einem trostlosen Zustand„ Der aus der Pfalz kommende beschleunigte Personenzug 911 übergeben worden sind und daß- trog erhöhter Zuschüsse- stieß heute nachmittag um 16 Uhr bei der Einfahrt in die Station in den vier Jahren seit der Uebergabe die Deutsche Reichsbahn Dinkelscherben infolge falscher Weichenstellung auf den zur noch nicht alle Sünden hat wieder gutmachen können, die in Ueberholung stehenden Durchgangsgüterzug 7535 auf. Bom Güter zehnjähriger Raubbau- und Ausbeutungszug sind die letzten drei Wagen entgleist und umgestürzt. Ebenso ist zeit" vorher von der bayerischen Verwaltung begangen der nachfolgende Eilgutwagen umgestürzt. Die folgenden sieben morden sind. Und was Herr Dr. Dorpmüller zur Entschul- Bersonenwagen find entgleift. digung dieses Raubbaues durch Bayern ausführte, das ist im Grunde nur eine verstärkte Anklage. Dr. Dorpmüller jagte: ,, Es ist klar, daß das bayerische Net, als es noch allein stand, fich nicht eine derartige Ausstattung leisten konnte, wie zum Beispiel Breußen. Denn es fehlt ihm als Binnenstaat der Reichtum, den große Schiffbare Flüsse, eine hafenreiche Küste und vor allen Dingen reiche Rohlengebiete Preußen bieten."
Trogdem aber war die partikularistische Engstirnigkeit darauf verfeffen, eine eigene banerische Eisenbahn zu befigen. Jahrzehntelang wachen die Lokalpatrioten der bayerischen Eigenart und Selbständigkeit mit Argusaugen darüber, daß tein Zusammenschluß des bayerischen Eisenbahnnezes mit der preußisch- hessischen Eisenbahngemeinschaft stattfand. Die Eisenbahn, die man auf diese Weise hatte, war zwar mindermertig, mußte nach den wirtschaftlichen Verhältnissen
Einer von diesen zerquetscht, einer geknickt.
Getötet wurden zehn Personen, schwer verleßt etwa 16, weniger schwer 12 Personen. Außerdem wurden 23 Personen leichter verletzt, die ihre Reise fortsetzen konnten. Von den Schmerverletzten wurden 12 mit Rettungswagen nach dem Städtischen Krankenhaus nach Augsburg gebracht. Bon diefen sind auf dem Transport zwei Personen ihren Verlegungen erlegen, so daß die Zahl der Todesopfer 12 beträgt. Die weniger schwer verletzten wurden im Sanitätsauto nach den Krankenhäusern in Zusmars haufen und Augsburg gebracht.
Der erste Hilfszug wurde bei der Station Augsburg um 16.05 Uhr angefordert. fuhr um 16.24 Uhr ab, traf um 16.56 Uhr an der Unfallstelle ein. In diesem Hilfszuge befand sich der Prä sident der Reichsbahndirektion mit mehreren Dezernenten und den
fonalfragen erstrecken.
Der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahngesellschaft hat nach Bekanntwerden des neuen Unfalles in Bayern , um volle klarheit über die Gründe des Unfalles zu schaffen, zusammen mit dem Reichsverkehrsminifterium eine Kommission an die Unfallstelle entsandt. Zu dieser Kommiffion gehören die Reichsbahndirektoren kilp und Städ el, fowie Ministerialrat Dr. Ebeling.
Besprechung beim Reichsverkehrsminister.
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An der Besprechung, die am Mittwoch vormittag zwischen den Berkehrsreferenten der Reichstagsparteien und dem Reichsverkehrsminister v. Guérard stattfindet, wird als Vertreter der Reichsbahnhauptverwaltung Generaldirettor Dorpmüller teilnehmen. Von den Barteien sind folgende Abgeordnete zu dieser Besprechung eingeladen worden. Von den Sozialdemokraten die Abgg. Schumann Frankfurt und Scheffel, von den Deutschnationalen die Abgg. Dr. Quaaß und Dr. Roch, vom Zentrum bie Abgg. Giesberts und Erfing, von der Deutschen Volkspartei die Abgg. Dr. Hugo und Hinzmann, von den Demokraten die Abgg. Dr. Wieland und Schuldt- Stegliß, von der Wirtschaftspartei die Abgg. Mollath und Dremis, von der Bayerischen Bolkspartei die Abgg. Leicht und Dauer.