Einzelbild herunterladen
 
  

Morgenausgabe

Rr. 359

A 183

45.Jahrgang

Böchentlich 85 Big., monatlich 3,60m im voraus zahlbar, Boftbezug 4,32 m. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne ment 6,-. pro Monat.

Der Borwärts erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, bie Abenbausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend, Illuftrierte Beilagen Boll und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wiffen", Frauen­ftimme", Technif"," Blid in bie Bücherwelt und Jugend- Borwärts".

ngoffin

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Mittwoch

1. August 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Nonpareillegeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen" das fettgei orudte Bort 25 Pfennig zulässig zwe tettgebrudte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, jebes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmartt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen­annahme im Hauptgeschäft Linden raße 3, wochentagl. von 8/2 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Bostichedkonto: Berlin   37 536.

-

Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depositenkasse Lindenstr. 3

Neue Zugkatastrophe in Bayern  

12 Tote- 16 Schwerverletzte.

Ein beschleunigter Personenzug auf einen Güterzug aufgefahren.

Augsburg  , 31. Juli.

Ein neues schweres Eisenbahnunglück hat sich Dienstag nachmittag 4 Uhr auf der Strecke Ulm Augsburg zugetragen. Der beschleunigte Personen zug 911( Saarbrücken- Stuttgart- Ulm- Augsburg­München) fuhr auf einen in der Station Dinkel  : scherben stehenden Durchgangsgüterzug 7535 mit boller Wucht auf und zwar wahrscheinlich infolge falscher Weichenstellung. Mehrere Wagen wurden wie Streichholzschachteln geknickt.

Nach den letten von der Unfallstelle eingetroffe­nen Meldungen hat der Zugzusammenstoß bei Din­felscherben bisher zwölf Todes opfer gefordert, zehn Personen wurden schwer, etwa zwanzig bis fünf­undzwanzig leichter verletzt.

Erst vor wenigen Tagen hat der Generaldirektor der Deutschen Reichseisenbahngesellschaft, Dr. Dorpmüller, ausführlich über die Eisenbahnfatastrophen der letzten Wochen gesprochen und dabei den forgenvollen Sag geprägt:

,, lleberfieht man die erwähnten. Unfälle( Nürnberg  - Siegelsdorf  , Ummendorf  , Ulm  , Amstetten, Münchener Hauptbahnhof  ), so fällt es auf, daß fie in die kurze Zeit vom 10. Juni bis 21. Juli fallen, und menn man daraus Schlüsse für die Zukunft ziehen würde, so würde das ein trauriges Bild für die Sicherheit der deutschen Reichsbahn

aufrollen."

Durch das neue Unglüd auf der Strecke Ulm- Augs burg sind auch die dunkelsten Voraussagen übertroffen. Addiert man allein die Totenziffern der drei großen bayerischen   Unglücksfälle von Nürnberg  , München  und Augsburg  , so ergibt sich die erschreckende Ziffer von und Augsburg  , so ergibt sich die erschreckende Ziffer von über 50 Toten, wozu noch eine weit größere Zahl von Schwerverletzten hinzuzurechnen ist. Eine traurige, eine im Schwerverletzten hinzuzurechnen ist. Eine traurige, eine im höchsten Maße erschreckende Blutstatistik!

Herr Generaldirektor Dorpmüller hat von der Perio: dizität der Unglüdsfälle gesprochen und darauf hingewiesen, daß es nach unglücksfreien Zeiträumen immer wieder solche gibt, in denen eine wellenartige Zusammen­ballung der Unglücksfälle auftritt. Wenn aber in so kurzer Zeit so viele fürchterliche Katastrophen sich häufen, dann darf zur Erklärung nicht allein die Mystik des statistischen Zufalls herbeigezogen werden.

sie ver

Bayerns   minderwertig sein, aber was tat's?- sie ver förperte doch noch ein Restchen bayerischer Souveränität. Als Ergebnis dieser Eigenstaatlichkeits"-Gelüste liegen heute über 50 Tote! Opfer eines sinnlosen Partitularismus!

"

-

die

Der bayerische   Ministerpräsident hat freilich Dinge umdrehend- vorsichtig andeutend behauptet, daß die Unglücksfälle eine Folge der Zentralisierung und der daraus entstehenden Vernachlässigung der periphären Berhältnisse seien. Dorpmüllers flare Zahlen strafen ihn Lügen. Seit das bayerische Netz an die Reichsbahn angeschlossen ist, hat es zur Unterhaltung seiner Anlagen den dreifachen Betrag der Summe erhalten, den es selber in Friedenszeiten dafür aus­gegeben hat. Aber selbst dieser Betrag hat nicht zur Ab­stellung der Mängel ausgereicht.

Borständen der einschlägigen Aemter. Erste Hilfe wurde inzwischen geleistet von Aerzten aus Dinkelscherben   und Zusmarshausen   und von Krankenschwestern des Krankenhauses Zusmarshausen  . Kurze Zeit später traf die Sanitätsfolonne Augsburg mit zwei Kranken­autos und drei Aerzten an der Unfallstelle ein.

Ein weiterer Hilfsnachzug ging um 17 Uhr von Augsburg   ab

und traf um 17,40 Uhr in Dinkelscherben   ein. Außerdem kam um 18 Uhr ein weiterer Hilfszug aus Ulm   mit Aerzten und Hilfspersonal

an der Unfallstelle an.

Der Zugverkehr war zunächst gesperrt, fonnte aber dann auf dem Gleis Augsburg- Ulm eingleifig meitergeführt werden. D 59 von Ulm   wurde über Neu- Offingen, Donauwörth   nach Augsburg  umgeleitet.

Bayerische Zugfatastrophen.

25 5.26 München  . 10. 6. 28 Siegelsdorf 23. 6. 28 Ummendorf. 3.7.28 21m

15. 7. 28 Nürnberg  . 28. 7. 28 Kehrsbach 31. 7. 28 Augsburg  

.

27 Tote, 23 Verletzte

24

12

"

15

292

12343

"

10

99

25

12

35

Doch ebenso wichtig, noch wichtiger als die Material­ist die Menschenfrage. Ueber die sozialen Mißstände im bayerischen Eisenbahnbetrieb, die Ueberlastung des Zug­personals und die mangelhaften Dienstpausen wurde hier nach der Münchener   Katastrophe von sachkundiger Seite bereits einiges gesagt. Dies sind freilich Berurfachungsmomente, die man bei der Leitung nie wahr haben will. Es ist ja viel bequemer, einzelne Beamte als Sündenböcke in die Wüste zu jagen, als das ganze System der Arbeits- und Dienstein­teilung auf seine Zweckmäßigkeit hin zu revidieren. Man spricht leicht von ,, Unaufmerksamkeit", sobald die Nerven eines Beamten versagen. Aber es ist hier wie in der Schule: Wenn die ganze Klasse unaufmerksam ist, so liegt die Schuld Bollfigung versammelt war und furz vor dem Abschluß seiner Ar­nicht bei den Schülern, sondern beim Lehrer und bei der

Schule!

Auch der Teil des Publikums, der sonst sozialen Fragen empfindungslos gegenübersteht, wird hier auf ihre Bedeu­tung hingewiesen. Denn seine eigene Sicherheit hängt von der richtigen sozialen Regelung des Eisenbahner­dienstes ab. Aber es wird beinahe symbolhaft, wenn just am Tage des sechsten Eisenbahnunglücks innerhalb von sechs Wochen das Land Bayern sein Sozialministerium abbaut, um einen reaktionären Koalitionsschacher zustande zu bringen. Was braucht man in einem Lande, das sich der sicheren Obhut von ehemaligen Hochverrätern und Hitler putschisten erfreut, auch noch großartig Sozialpolitik. Dieser Abbau ist auch ein schöner Zug von reaktionärer Eigenstaat­lichkeit, als deren unschuldige und nichtahnende Opfer Reisende mit zerschmetterten Gliedern auf der Strecke bleiben!

Der amtliche Bericht.

Augsburg  , 31. Juli. Die Reichsbahndirektion Augsburg hat über das Eisenbahn­

"

Bestürzung im bayerischen Landtag.

München  , 31. Juft. Im bayerischen Landtag, der am Dienstag nachmittag zu einer beiten stand, rief die Nachricht von dem Eisenbahnunglück bei Dinkelscherben   große Bestürzung hervor. Der Präsident Dr. Königbauer sprach namens des Hauses das Beileid aus und erhielt die Ermächtigung, mie bei dem letzten Münchener   Eisenbahn­unglück, auch hier den so schwer Betroffenen das Beileid der Volks­vertretung zum Ausdrud zu bringen.

Der Eindruck in München  .

München  , 31. Juli.

Die Kunde von dem neuen großen Eisenbahnunglück rief in München   starte Erregung hervor. Die Anschlagtafeln der Zeitungen wurden von bichten Menschenmassen umlagert. Viele Hunderte eilten zum Hauptbahnhof, um Auskunft über Angehörige, Bekannte und Freunde zu erlangen, die aus der Richtung Ulm   er­

wartet wurden. Unter dem Publikum spielten sich erregte Szenen ab.

Dorpmüller fündigt Maßnahmen an.

Wie die Reichsbahnhauptverwaltung mitteilt, ift Generaldirektor Dorpmüller fest entschloffen, im Interesse der Sicher­heit des Reiseverkehrs in Bayern   mit rücksichtslofer Strenge durch­zugreifen. Seine Maßnahmen werden sich auf das Sicherungswesen, die

Eisenbahnunfälle entstehen durch Versagen von Mate= rial und Menschenfraft. Was das Versagen von Material betrifft, so hat Dr. Dorpmüller selber mit er­freulicher Deutlichkeit den Finger in die Wunde gelegt. Er hat offen ausgesprochen, daß die bayerischen Bahnen der unglück von Dinkelscherben   folgenden amtlichen. Bericht ausgegeben: Durchführung der Betriebsvorschriften, die Arbeitszeif und die Per­

Deutschen Reichsbahngesellschaft in einem trostlosen Zustand Der aus der Pfalz   kommende beschleunigte Personenzug 911 übergeben worden sind und daß- trog erhöhter Zuschüsse- stieß heute nachmittag um 16 Uhr bei der Einfahrt in die Station in den vier Jahren seit der Uebergabe die Deutsche Reichsbahn   Dinkelscherben   infolge falscher Weichenstellung auf den zur noch nicht alle Sünden hat wieder gutmachen können, die in Ueberholung stehenden Durchgangsgüterzug 7535 auf. Bom Güter zehnjähriger Raubbau- und Ausbeutungszug sind die letzten drei Wagen entgleist und umgestürzt. Ebenso ist zeit" vorher von der bayerischen Verwaltung begangen der nachfolgende Eilgutwagen umgestürzt. Die folgenden sieben morden sind. Und was Herr Dr. Dorpmüller zur Entschul- Bersonenwagen find entgleift. digung dieses Raubbaues durch Bayern   ausführte, das ist im Grunde nur eine verstärkte Anklage. Dr. Dorpmüller jagte: ,, Es ist klar, daß das bayerische Net, als es noch allein stand, fich nicht eine derartige Ausstattung leisten konnte, wie zum Beispiel Breußen. Denn es fehlt ihm als Binnenstaat der Reichtum, den große Schiffbare Flüsse, eine hafenreiche Küste und vor allen Dingen reiche Rohlengebiete Preußen bieten."

Trogdem aber war die partikularistische Engstirnigkeit darauf verfeffen, eine eigene banerische Eisenbahn zu befigen. Jahrzehntelang wachen die Lokalpatrioten der bayerischen Eigenart und Selbständigkeit mit Argusaugen darüber, daß tein Zusammenschluß des bayerischen Eisenbahnnezes mit der preußisch- hessischen Eisenbahngemeinschaft stattfand. Die Eisenbahn, die man auf diese Weise hatte, war zwar minder­mertig, mußte nach den wirtschaftlichen Verhältnissen

Einer von diesen zerquetscht, einer geknickt.

Getötet wurden zehn Personen, schwer verleßt etwa 16, weniger schwer 12 Personen. Außerdem wurden 23 Personen leichter verletzt, die ihre Reise fortsetzen konnten. Von den Schmer­verletzten wurden 12 mit Rettungswagen nach dem Städtischen Krankenhaus nach Augsburg   gebracht. Bon diefen sind auf dem Transport zwei Personen ihren Verlegungen erlegen, so daß die Zahl der Todesopfer 12 beträgt. Die weniger schwer verletzten wurden im Sanitätsauto nach den Krankenhäusern in Zusmars haufen und Augsburg   gebracht.

Der erste Hilfszug wurde bei der Station Augsburg   um 16.05 Uhr angefordert. fuhr um 16.24 Uhr ab, traf um 16.56 Uhr an der Unfallstelle ein. In diesem Hilfszuge befand sich der Prä sident der Reichsbahndirektion mit mehreren Dezernenten und den

fonalfragen erstrecken.

Der Generaldirektor der Deutschen   Reichsbahngesellschaft hat nach Bekanntwerden des neuen Unfalles in Bayern  , um volle klar­heit über die Gründe des Unfalles zu schaffen, zusammen mit dem Reichsverkehrsminifterium eine Kommission an die Unfallstelle entsandt. Zu dieser Kommiffion gehören die Reichsbahndirektoren kilp und Städ el, fowie Ministerialrat Dr. Ebeling.

Besprechung beim Reichsverkehrsminister.

.

An der Besprechung, die am Mittwoch vormittag zwischen den Berkehrsreferenten der Reichstagsparteien und dem Reichsverkehrs­minister v. Guérard stattfindet, wird als Vertreter der Reichs­bahnhauptverwaltung Generaldirettor Dorpmüller teilnehmen. Von den Barteien sind folgende Abgeordnete zu dieser Besprechung eingeladen worden. Von den Sozialdemokraten die Abgg. Schu­mann Frankfurt und Scheffel, von den Deutschnationalen die Abgg. Dr. Quaaß und Dr. Roch, vom Zentrum bie Abgg. Giesberts und Erfing, von der Deutschen Volkspartei   die Abgg. Dr. Hugo und Hinzmann, von den Demokraten die Abgg. Dr. Wieland und Schuldt- Stegliß, von der Wirtschaftspartei die Abgg. Mollath und Dremis, von der Bayerischen Bolkspartei die Abgg. Leicht und Dauer.