Morgenausgabe
Nr. 365
A 186
45.Jahrgang
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Sonnabend
4. August 1928
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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
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Vorberatung der Exekutive.
Bulaffungsanträge und Wirtschaftsfragen.
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V. Sch. Brüffel, 3. Auguft.( Eigenbericht.) Die Erefutive der Internationale, die am Freitag zusammengetreten ist, hat sich in zwei Sigungen mit verschiedenen Anträgen von Parteien um 3 ulassung zum Internationalen Kongreß befaßt. Einer dieser Anträge stammt von der neugegründeten un abhängigen Sozialistischen Partei Argentiniens , die sich zum Teil aus taktischen, zum Teil aus persönlichen Gründen von der Sozialistischen Partei Argentiniens losgelöst hat. Sie behauptet, daß sie sogar viel stärker geworden sei als die alte Partei, welcher Behauptung der Vertreter der alten Partei in der Exekutive widerspricht. Eine Rommission wird am Sonnabend vormittag den Fall prüfen und dem Plenum der Exekutive Bericht erstattten.
Ebenso liegt ein Antrag der kleinen Reste der USP. Polens vor, weiter Siz und Stimme in der Internationale zu behalten, obwohl sich die USP. Polens unter Führung ihres Gründers Dr. Drobner Krafau vor zwei Monaten nahezu geschlossen mit der PPS. vereinigt hat. Sowohl Niedzalkowski wie Drobner widersprachen im Hinblick auf die Notwendigkeit, besonders
in der jetzigen frifischen Zeit in Polen ,
die Kräfte der polnischen Arbeiterschaft zusammenzufaffen und eine Spaltung nicht länger durch die Internationale zu sanktionieren. Dr. Krut plädierte für den von ihm geführten Rest der USB. Polens , der nicht in der PPS. aufgehen will. Auch darüber wird eine besondere Unterfommission der Erefutive Bericht erstatten. Diefilbe Rommiffion wird sich auch mit einem weiteren Zulassungsantrag befassen müssen, der von besonderem Interesse ist. Es handelt fich um die utrainische Radiralsozialistische Partei in Bolen, eine Bauernpartei mit sozialrevolutionärem Einschlag, welche bei den letzten Wahlen zum polnischen Sejm neun Mandate eroberte und in st ärtster Opposition zu Bilsudski steht. Diese starte Gruppe hat eine Delegation zum Rongreß entsandt. Die Erefutive hat befchloffen, fie jedenfalls als Ga ft delegierte zum Songreß zuzulaffen. Inzwischen ist von der Parteileitung dieser ufrainischen Gruppe am 31. Juli in Lemberg einstimmig beschlossen worden, um Aufnahme in der SAJ. nachzusuchen. Ueber diesen
Was sie nicht wollen.
beschaffung.
Die Hetze gegen die sozialdemokratischen Minister kommt nie zur Ruhe. Eine deutschnationale Zeitungskorrespondenz, die bei Hugen berg erscheint, verbreitet die Nachricht, daß das Deutsche Reich mehrere hundert Millionen neuer Schazanweisungen ausgibt. Die deutschnationale Presse stürzt sich mit wahrem Heißhunger darauf, um der Mitwelt auseinanderzusehen, daß der Reichsfinanzminister Hilferding auf der einen Seite Schulden über Schulden mache und auf der anderen Seite durch die Senkung der Lohnsteuer den Arbeitern Vorteile zukommen lasse.
Antrag wird die Erefutive nach Prüfung des Falles durch die Untertommiffion morgen nachmittag Beschluß faffen.
Die tommunistische Presse hat dieser Tage mit großem Geschrei behauptet, daß eine Delegation der Kuomintang am Rongreß teilnehmen würde. Diese Behauptung ist unwahr. Richtig ist mur, daß Vertreter der Kuomintang
gebeten haben, dem Kongreß beimohnen zu dürfen. Das ist ihnen zugesagt worden: sie werden jedoch selbstverständlich weder als Delegierte noch als Gastdelegierte, sondern lediglich als Zuhörer auf der Publitumsgalerie anwesend sein. Den Borsiz in der Exekutive führte Macdonald England. Die Sonder fommission für
Wirtschatfsfragen
ist Donnerstag zusammengetreten und hat nach einer gründlichen Aussprache, an der als Bertreter der Deutschen Sozialdemokratie Naphtali und als Vertreter Frankreichs Léon Blum teilnahmen, den Entwurf einer Refolution angenommen, die dem und die ökonomische Politik der Arbeiterklasse" vorgelegt werden Rongreß zum 4. Punkt der Tagesordnung Die wirtschaftliche Lage und die ökonomische Politik der Arbeiterklasse" vorgelegt werden lichen Problemen der Nachkriegszeit: Rationalisierung, Arbeitslosigwird. Die Resolution nimmt Stellung zu den wichtigsten wirtschaftfeit, Arbeitszeit, Schußzölle, Kartelle und Trusts. Freitag nachmittag begann die
internationale Frauenfonferenz
unter dem Vorsitz von Adelheid Popp , Desterreich, Susanne Lawrence, England, und Marie Juchacz , Deutschland . Es waren über hundert Delegierte anwesend. Man hörte zunächst mehrere Referate über die sozialistischen Forderungen für Mutter und Kind, für die Frau im Betrieb, Fürsorge für Hilfs bedürftige usw. Besonders die flare und umfassende Rede der Genoffin Gertrud Hanna , Deutschland , machte starken Ein drud und löste lebhaften Beifall aus.
mehr das Bedürfnis nach baldiger befriedigender Regelung emp: findet, find Ausführungen der die Auffassung fortgeschrittenerer Deutschnationale Hehe gegen Wohnungsbau und Arbeitss amtlicher Streife widerspiegelnden Zeitschrift Europe Nouvelle". Der Berfasser lehnt lehnt die Forderung nach bedingungsloser Räumung ab, weil sie sich nicht auf dem Boden der Wirklichkeit bewege. Im übrigen solle aus der Räumung ebensowenig eine großzügige Geste Frankreichs noch ein Tauschgeschäft gema ht werden, aus dem Frankreich möglichst viel herausschlagen müsse. Die Gegenleistungen, die Frankreich verlangen dürfe, follten nicht übertrieben sein. Zuerst handele es sich darum, über die Räumung der zweiten 3one mit Deutschland ins Reine zu tomme: 1. Hierzu fönnten verstärkte Sicherheitsgarantien verlangt werden, etwa eine Berlängerung der Rheinland . tontrolle über den von Stresemann als Grenze gesetzten Zeit punkt von 1935 hinaus. Diese Kontrolle solle der Völkerbund ausüben.„ Wenn“, so steht da,„ eine Verhandlung über die Räumung der zweiten Zone von Erfolg getrönt wäre, so wäre ein Präzedenz für die viel wichtigeren Berhandlungen über die Räumung der dritten Bone festgelegt." Diese lettere denkt sich dann der Verfaffer im Zusammenhang mit der Regelung der Finanzfrage, die natürlich stark von Amerika abhänge. Aber zugleich sollte durch fie aus die allgemeine Sicherheit" endgültig geordnet werden.
Sachlich ist dazu zu sagen: Zur Deckung der im außer ordentlichen Haushalt vorgesehenen Ausgaben verfügt das Reich über offene Anleihetrebite. Die zu beschaffenden Mittel follen für werbende Anlagen, insbesondere für die Fortfall geschaffen und die Arbeitsmethoden und Arbeitsgewohnheiten führung des Kanalbaues, des Siedlungswertes, für Wohnungsbau, Arbeitsbeschaffung usw. dienen. Um eine unmittelbare Inanspruchnahme des Kapitalmarktes zu vermeiden, wurde mit den Trägern der Sozialversicherung Fühlung genommen, in welchem Umfange sie in der Lage und gewillt sind, an der Befriedigung des Geldbedarfs, die für die vorgesehenen Zwede von ihrem Standpunkt aus eine besondere Förderung verdient, teilzunehmen. Es würde
sich gegebenenfalls um die Ausgabe von verzinslichen Schaan Berthelot und dem deutschen Botschafter von Hoesch u. a. auch gen mit einer Laufzeit von einigen Jahren handeln, die nicht an den Markt gebracht werden, sondern bis zur Fälligkeit in festen
Händen bleiben sollen. Die Träger der Sozialversiche. rung haben den gemeinnügigen 3wed der Verwendung ter aufzubringenden Mittel sowie die damit erstrebte im Interesse der sozialen Versicherungsträger liegende Entlastung des Ar= beitsmarttes anerkannt, und ihre grundsätzliche Bereit= milligteit, zur Deckung des Geldbedarfs beizutragen, erklärt. Es handelt sich zunächst lediglich um ein vorsorglicherweise vorgenommenes Feststellungsverfahren, ohne daß der Zeitpunkt und das Ausmaß der Schazanweisungsausgabe schon bestimmt ist.
Unter dem Zeichen des bevorstehenden Besuches Dr. Strefe manns in Paris beginnt die öffentliche Diskussion über die Rheinlandfrage, die in der letzten Zeit start polemisch, war, wieder fach licher zu werden. end dafür, daß man iroz aller Forde Hung nach deutschen Gegenleistungen auch in Frankreich mehr und
Am Mittwoch und Donnerstag ist in Paris zwischen Briand , der Auslieferungsfonflitt behandelt worden. Es heißt, daß die Bahn für eine annehmbare Lösung freigemacht worden sei.
Calles gegen die Arbeiterhetze. Auch gegen Verallgemeinerung der Mordbeschuldigung.
Merifo- City, 3. Auguft.( Eigenbericht.) Präsident Calles erflärte in einem Interview, er beabsidy: ige nicht ein Verbleiben im Präsidentenamt und richte sich stritte nach der Verfassung. Er betonte den rapiden For: schritt Merifos in den letzten Jahren, der Merito in nahe: Zukunft eine bedeutsame Rolle im Konzert der zivilisierten Nationen sichere. Calles unterstrich die Unsinnigkeit der gegen die Arbei: erbewegung und besonders gegen Morones vorgebrachten Beschuldigungen im Obregonmord. Die Arbeiterbewegung, deren Führerschaft von höchsten Idealen geleitet merde, sei sicherlich nicht durch den gewaltsamen Tod des sozial denkenden Obregon gefördert. Calles betone, die Schuld an dem Mord Obregons fönne ehrli herweise nicht dem gesamten Klerus und Katholizismus aufgebürdet werden; jedoch fei die individuelle Schuld einzelner Katholiken und Mitgliede: des Klerus sicher festgestellt.
Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten
und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft. Depositentasse Lindenstr. 3
Die Ordnungszelle.
Das Land der Reservatrechte und Eisenbahnfatastrophen. Von Alwin Saenger .
Der aus dem nichtbayerischen Ausland stammende und wohl darum besonders föderalistisch gesinnte Herr bayerische Ministerpräsident Dr. Held hat die neue Präsentation seines alten Kabinetts mit einigen nicht eben sehr flugen Bemerkungen gegen die Sozialdemokratie in Bayern verbunden. Es ist leider ein alter politischer Fehler Herrn Helds, die feindliche Nervosität des reinen Parteimannes der überlegenden Ruhe des universellen Staatspolitikers vorzuziehen. Herr Dr. Held meinte, die scharf begründete Ablehnung des im Bayerischen Land tag wiedergewählten Ministeriums durch die Sozialdemokratie fei auf 3orn und Enttäuschung zurückzuführen. Ob der Herr Ministerpräsident nicht selbst lächeln muß?
3orn? Ja, vielleicht über den weiteren politischen Niedergang eines Landes, das allerdings wert märe, eine Politik, die von den eigenen Gesinnungsfreunden des fähigeren politischen Händen anvertraut zu werden. Denn Ministerpräsidenten in einem Ausmaß und mit einer Heftigfeit angegriffen wird, daß die Presse der Bayerischen Volks partei von einer drohenden Parteifrije sprechen muß, dürfte faum ein Meisterstück der politischen Zunft sein. Zudem enthält der sozialistische Protest gegen die Wiederholung des als oft wiederholte Kritiken der bayerisch - volksparteilichen Held- Ministeriums in wesentlichen Teilen nichts anderes Zeitungen selbst. Wir greifen die schuldbeladene Justiz Bayerns heraus. Der unerhörte Rechtsbruch des weiter amtierenden bayerischen Justizministers, hemmend in einem Strafprozeß aus politischen Gründen eingegriffen zu haben, seine Haltung gegenüber dem Bayerischen Landtag , dem er über die prozeffuale Behandlung der Hitlermeuterei eine falsche Auskunft gab, sind in den führenden Organen der Partei des Herrn Held in den letzten Zeiten so scharf wie in der sozialdemokratischen Fraktionserklärung im Landtag gebrandmarkt worden. Es ist für die staatspolitischen Verhältnisse Bayerns bezeichnend, daß der volksparteiliche Ministerpräsident durch seine Nervosität sich zwar zu einem unmöglichen Ausfall gegen die Sozialdemokratie verleiten ließ, seinen Justizministerkollegen jedoch gegen die schwersten Schutz nehmen wollte und konnte. Durch eine solche bajufozialdemokratischen Anschuldigungen mit feinem Wort in varische Idylle wird selbst glühender Zorn rasch besänftigt. In einer leidenschaftsloseren Stunde geschichtlicher Betrachtung wird auch Herr Dr. Held zu der für ihn bitteren bank seiner staatspolitischen Führung der politischen GeErkenntnis tommen, daß es der Sozialdemokratie in Bayern schäfte so vortrefflich geht, daß Zorn ein zu unlogisches Attest für erwiesene Wohltaten wäre, als daß wir im praktischen Christentum nicht schlechter beraten wie die praktischen Christentum nicht schlechter beraten wie die Konkordatsverfechter der Bayerischen Volkspartei - es ge= brauchen möchten.
unter Luitpold, des Königreichs Vermejer, Uns war immer wohl in Bayern , damals, als wir von den Landtagsfollegen im Priesterrod als Fügung Gottes" dankbar gepriesen wurden und auf den Sargdedeln der heiligen Speyerer Kaisergrüfte unter dem Gottesfegen späterer Kardinäle teuflische schwarz- rote Allianzen schlossen; damals, als des ehrwürdigen und achtbaren Vaters Balthasar von Daller , Domherrn zu Freising , Wort die Runde machte, daß ihm ein Sozialdemokrat von hinten lieber fei als fünf Liberale von vorne.
Warum sollten wir heute in der Ordnungszelle unfröh licher sein, in der die staatspolitische Führung" in den Landtagswahlen der Bayerischen Volkspartei einen Millionenverlust zufügte, während wir im Freistaat der von den Thronvafallen schmählich im Stich gelassenen Wittels bacher von Wahl zu Wahl stärker und geschlossener werden. tiefste Grund der schweren Wahlniederlage und der einAlle Schuld rächt sich auch auf der politischen Erde. Der setzenden parteipolitischen Zerrüttung der einſt wirklich souveränen Bayerischen Bolfspartei liegt in der Lüge, in der inneren unwahrhaftigkeit, die eine durchgreifende Säuberung der mit den Staatskrisen der letzten Jahre noch schmer belasteten Verwaltung nicht nur verhindert, sondern die skandalösen Mißstände fortführt wie die Ernennung eines früherer Butschabsichten verdächtigen völkischen Politikers zum Generalstaatsanwalt des obersten Berwaltungsgerichtes in Bayern eben erst sinnfällig bemiesen hat. Unter den Männern im Format der Schädler, Daller und Orterer wäre die beispiellose Selbsterniedrigung der Bayerischen Volkspartei und ihrer viel und gern redenden Führerschaft unmöglich gewesen, die sie jetzt mit der Beibehaltung des Justizministers, der eine Hauptschuld an der Verwilderung der politischen Zustände Bayerns trägt, vollzieht. Der Stolz und das Gefühl für Barteiehre hätten jene Führer gehindert, eine Unterwerfung unter den die Bolkspartei beschimpfenden Bauernbund zu vollziehen, die in ihrer Grundscglosigkeit der deutschnationalen Raifertreue" ebenbürtig ist.