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Mr. 287.

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Vorwärts

12. Jahrg.

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Fevnspreder: Amt 1, r. 1508. Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin"

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Das Hoch

auf die internationale revolutionäre Sozialdemokratie grober Unfug.

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Sonntag, den 8. Dezember 1895. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3:

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Bächsische Staatsvekterei.

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Daß endlich der grobe Unfug nicht nothwendig in einer Störung der öffentlichen Ruhe besteht, vielmehr auch eine Verlegung der öffentlichen Ordnung genügt, Jn geheimen 3usammenkünften berathen jett die auch in anderer Weise, insbesondere durch ein gegen die Sitte die Kartellparteien der Konservativen, Nationalliberalen und verstoßendes oder Aergerniß hervorrufendes Verfahren erfolgen Kammer"-Fortschrittler über die Beseitigung der Unter dem Septemberkurse ist es endlich geglückt, fann, hat in Uebereinstimmung mit dem früheren Obertribunal das fozialdemokratischen Abgeordneten aus dem das Hoch auf die internationale revolutionäre Sozial Reichsgericht angenommen. Dieser Auffassung hat sich das Kammer and tag. Dieses fartellbrüderliche Bestreben schließt ein demokratie endgiltig zum strafwürdigen Vergehen zu gericht angeschlossen und erblickt, wie auch das Reichsgericht gutes Zeugniß für die parlamentarische Thätigkeit unserer Ge­machen. Aber schwierig ist's gewesen. Ohne gleich neuerdings in dem Urtheil vom 14. Juni 1895 ausgeführt hat, nossen in sich. Trozdem unsere Abgeordneten aus den De­zeitige Buhilfenahme des groben Unfug Para- den Thatbestand des groben Unjuges auch in anderen Hand- putationen ausgeschlossen sind, entwickeln sie eine eingehende graphen und des Eventual dolus ging's auch dies- lungen, welche sich als eine Ungebühr darstellen und das Pu- Thätigkeit, die Gegner beständig in Athem hält. mal nicht ab. Wie die Köller'sche Berliner Correspondenz" Eine solche psychische Belästigung hat der Vorderrichter den blikum wenn auch psychischbeunruhigen und beläftigen. Streng sich die Sache haltend, laffen sie sich von Gegnern und nicht provoziren bleiben zu Nuz und Frommen sowie zur Nachachtung aller Gut- festgestellt. darum diesen überlegen. Das fehen die Gegner ein, fürchten gesinnten mittheilt, hat der Strafsenat des Kammer- Siernach läßt die thatsächliche Feststellung des Vorderrichters die für die Sozialdemokratie günstige Wirkung im Lande gerichts in der Revisionsinstanz am 24. Oktober eine einen Rechtsirrthum nicht erkennen, und es war dem- und drängen mit dem gewaltthätigen Mittel des Verfassungs­das Ausbringen jenes Hochs betreffende Entscheidung gefällt, nach, wie geschehen, die Revision zurückzuweisen." bruchs auf die Entfernung der sozialdemokratischen Abgeordneten deren Gründe lauten: Also das Hech auf die internationale revolutionäre aus dem Landtage hin. Die Revision des Angeklagten, welche Verletzung des§ 360 Sozialdemokratie ist als psychische( seelische) Belästigung Natürlich ließe sich das nicht anders als durch die Bertrümme Nr. 11 des Strafgesetzbuchs durch unrichtige Anwendung rügt, festgestellt". rung des jet hestehenden Zensus Wahlrechts ist nicht begründet. Der Vorderrichter hat thatsächlich festgestellt, Den Tolus, die böse Absicht einer solchen seelischen Be- erreichen. In geheimen Zusammenkünften gedachte man den Plan daß der Angeklagte in einer öffentlichen Arbeitslästigung, hat das erkennende Gericht unter Billigung des soweit zu fördern, daß dann eine Ueberrumpelung vorgenommen lofen Versammlung ein Hoch auf die internationale, Kammergerichts deshalb für festgestellt erachtet, weil der werden tönnte. Das war unmöglich; da aber obendrein die revolutionäre Sozialdemokratie ausgebracht hat, und er hat Redner sich hätte sagen müssen, daß Anwesende dadurch Verschwörer und setzten in ihren sauberen Organen Dresdner antisemitische Deutsche Wacht" Lärm schlug, erschraten die feigen weiter für erwiesen angenommen, daß das Wort revo­lutionär" in dem Sinne von auf gewaltsamen" Um- seelisch belästigt werden könnten. Auf grund dieser Nachrichten", Dresdner Zeitung" u. f. w. Beschwichti sturz gerichtet" gebraucht war, und daß das hoch die Ausführung kann man jedes Wort in öffentlicher Volts- gungs- Lügen in die Welt. Das erstere Blatt fügt, es sei anwesenden Mitglieder der sogenannten bürger- versammlung, das eine Meinung über unser öffentliches Leben nicht wahr, daß das Wahlrecht angetastet werden solle, und das lichen Parteien, also einen Theil des Publikums, ausdrückt, unter den groben Unfugsparagraphen zwängen. lettere Blatt behauptet dreist, die geheimen Besprechungen belästigt, ja beunruhigt und beängstigt hat. Auf Denn jede Ansicht enthält ein Urtheil, jedes Urtheil billigt zielten feineswegs auf eine Aenderung des Zensus ab, es sei grund dieses Sachverhalts hat der Vorderrichter den Angeklagten die eine Seite eines Ereignisses, mißbilligt die andere. 3 vielmehr dabei lediglich die Beseitigung der rela wegen groben Unfugs bestraft. Dies ist nicht rechts müßte sonderbar zugehen, wenn alle Anwesende über jedes faßt, die positive Stimmenmehrheit solle bei der Landtagswahl tiven Stimmenmehrheit bei den Wahlen ins Auge ge­Wenn die Revision rügt, daß grober Unsug schon deshalb Urtheil eines Reduers ein und derselben Meinung wären. maßgeblich sein. Insoweit bei den geheimen Berathungen, welche nicht vorliege, weil das Bublifum als solches in seiner un- Wer die vorgebrachte Ansicht nicht theilt, wer das Urtheil eine Beseitigung der sozialdemokratischen Abgeordneten und eine begrenzten Allgemeinheit nicht verlegt sei, so ist dies nicht zu- als ein gegen seine eigene Ueberzeugung ergangenes feind Erhöhung des Zenfus bezweckten, nationalliberale Kreise als treffend. Allerdings gehört zum Thatbestande des groben Unfugs, liches empfindet, muß sich seelisch belästigt fühlen. Daß in daran betheiligt bezeichnet wurden, sei die Mittheilung unzu­daß das Publikum als solches, im Gegensaße zu einzelnen einer jeden Volksversammlung irgend welche Leute durch treffend. Im nationalliberalen Landesverein Personen oder einem individuell begrenzten Personenkreise ge- feine Ausführungen auf solche Weise seelisch belästigt werden, sei diese Frage weder besprochen noch ein Beschluß gefaßt fährdet oder ungebührlich belästigt wird. Nach der thatfäch muß sich jeder Redner sagen. In jeder öffentlichen Volks worden u. f. w. lichen Feststellung des Vorderrichters war aber jene Berfamm versammlung wird also der grobe Unfug von jedem Redner, merkungen täuschen? Im nationalliberalen Landesverein braucht Wen will denn das Blatt mit diesen zweideutigen Be lung eine öffentliche, zu welcher jedermann Zutritt hatte. Da wie es in einem früherem Urtheil so trefflich heißt, eventuell fein Wort über diese Dinge geredet worden zu sein, deshalb eine Störung der Rechte oder Intereffen des Publikums auch in Handlungen gefunden werden kann, durch welche zunächst gewollt". lann die nationalliberale Frattion doch thun, was und unmittelbar einzelne angegriffen oder belästigt werden, so Würden die Gerichtshöfe jeder Ordnung sich diese sie gethan hat, nämlich, daß sie die Bestrebungen auf Ber hat der Vorderrichter ohne Rechtsirrthum angenommen, daß Kammergerichts- Entscheidung ernsthaft zur Richtschnur schlechterung des Wahlrechts unterstützt. Ohne ihre Unterstügung in einem Theil der Anwesenden in jener öffentlichen Versamm nehmen, dann müßte jeder Redner verurtheilt werden. fann es die konservative Fraktion aus Wahlrücksichten nicht lung ein Theil des Publikums und in diesem Theil das Doch zu einer solchen Rechtsprechung wird es nicht wagen, die Sache allein zu betreiben. Und daß in national­Publitum als solches belästigt worden ist. Die Revision vermißt ferner die Feststellung, daß der An- sozialdemokratische und sonstige umstürzlerische Meinungs- liberalen Leipziger Stadtraths Ludwig Wolf zeugen. Dieser fommen. Denn unsere Richter werden ja selbst nur durch liberalen Kreisen" die reaktionärsten Machenschaften unterstüt und mitbetrieben werden, dafür möge die Petition des national­getlagte das Bewußtsein gehabt hat, das Publikum zu äußerungen belästigt, ja beunruhigt" und da ist es ihnen Mann, der seinen politischen Beruf verfehlt hat und als Stadtrath die belästigen oder zu gefährden. Auch dieser Angriff ist un nicht zu verdenken, daß sie auch nur in solchen Aeußerungen Verwaltung des Armenamtes zu Leipzig in eine Unordnung gerathen genommen hat, begrifflich grober Unfug auch durch fahrlässiges eine eventuell gewollte feelische Belästigung und Beunruhigung ließ, daß heute noch keine Klärung der Finanzverhältniffe dieses Berhalten begangen werden kann, so hat im vorliegenden anderer Personen nachempfinden können. städtischen Verwaltungszweiges aus jener Zeit vorhanden ist, in Falle der Vorderrichter ausgeführt, daß der Angeklagte sich Was aber die Sozialdemokratie anbetrifft, nun, so brauchen der er, Ludwig Wolf, der Leiter dieses Amtes war dieser fagen mußte, daß in der Versammlung außer den Arbeitslosen wir wohl kaum zu versichern, daß unsere Partei auch durch politisch mit seiner Partei herabgerutschte Mann hat ein Petitum auch andere zugegen fein würden, welche weit entfernt find, dieses neneste Urtheil nicht beunruhigt ja nicht einmal belästigt dem Landtage zugesandt, aus dem ivir den Kern hier hervor­fozialdemokratischen Theorien zu huldigen und sicher nicht auf werden kann und gelassen ihren Weg weiter gehen wird heben: jede, auch brüsteſte Verlegung ihrer politischen Anschauungen nach wie vor. Es lautet zwar etwas fürzer, wirkt aber und Wünsche gefaßt waren". Dieser Sah ist nur dahin zu vers stehen, daß der Angeklagte sich bewußt, gewesen, daß diese auf unsere Parteigenossen genan so anfenernd wie früher Anderen" durch das Hoch anf die Sozialdemokratie in ihrem wenn sie träftig rufen: politischen Empfinden min de stens belästigt werden mußten.

irrthümlich.

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Clotilde.( Nachdruck verboten.) Roman aus der Gegenwart von H. W. M. von Walthausen.

Jm Nu staud Rürdorf ihr zu Häupten und ehe noch die Freundin herbeikam, hatte er seine beiden Hände der Daliegenden unter die Arme geschoben, um sie empor zu heben. Dabei sah er in ein paar dankerfüllte blaue Augen, ein schönes, jugendfrisches Antlig von blonden Locken umrahmt. Es gelang ihm, die zarte, schlanke Gestalt empor­zurichten, die, als sie wieder auf den Füßen stand, ihrer Freundin in die Arme eilte.

Rürdorf holte den weit abgerollten Muff herbei und überreichte ihn der Verlustträgerin.

Sie nahm ihn schweigend entgegen, verlegen und ängst­lich zu Boden blickend, drängte sie doch ihre Freundin vor­wärts. Beide eilten, so gut sie fonnten, zur nahen Bank, wo sie einen Fischer zum Abschnallen der Schlittschuh in Beschlag nahmen.

Hoch die Sozialdemokratie!

Fühlte auch sie Juteresse für ihn, daß sie so verschämt zu Boden blickte, als er ihr den Muff überbrachte? Hatte es ihr gefallen, daß der, den sie erst abgewiesen, ihr hilf­reiche Hand geleistet?

Eilig gingen die Mädchen durch mehrere Straßen. Rürdorf hatte Mühe, ihnen nachzukommen. Da plöglich waren sie verschwunden.

neigten Erwägung anheimstellen, ob nicht Die Kammer wolle der Königlichen Staatsregierung zur gea

1. den ständischen Wahlen für die 2. Kammer, sowie den städtischen Wahlen für Stadtverordneten - Versammlungen das in Preußen geltende Dreiklassen Wahlsystem

vom Elternhause, wie von der guten Gesellschaft ver stoßenen heruntergekommenen Lohnschreiber.

Es leuchtete aus beiden Aufsäzen hervor, daß hier sich der persönliche Haß Lust machte.

Daß er stolz darauf sei, sich selbst ernähren zu können als Journalist, war es, was Rürdorf antwortete. Die Angreiferin möge ihn ja in Ruhe lassen, sonst Als Rürdorf eben um eine Ecke bog, sah er die würde er eine Geschichte, die er bis jetzt geheim gehalten, Freundin der Blonden aus einer Hausthür treten, und veröffentlichen, welche die ganze Stadt in Aufregung ver­forteilen. setzen sollte.

Er kannte dies Haus. Hier wurde das Blatt gedruckt, dem die Buttelmeier'sche Zeitung Konkurrenz machen wollte. Die hübsche Blonde war also die Tochter des Hof buchdruckereibesitzers Brambach, seines Gegners.

Alles wartete in gespannter Neugier darauf, doch die Gräfin schwieg.

Was mußte das wohl für eine interessante Geschichte sein, um deren Geheimhalten sich sogar die streitbare Gräfin Klary Schweigen auferlegte?

Der Zeitungskrieg der beiden Konkurrenzblätter ver­stummte, aber es blieb eine Gespanntheit zwischen Bram­bach und Rürdorf bestehen.

Tags darauf brachten die Lokalblätter der Stadt Be richte über den tumultuarischen Vorgang. Da sie jedoch sehr verschiedenartig lauteten, so entstand ein Zeitungsstreit. Die Brambach'sche Landeszeitung schrieb: Durch den übergroßen Pflichteifer eines Gendarmen sei es gestern Obgleich letzterer nur Mitarbeiter und Berichterstatter Rürdorf wendete sich schnell abseits einestheils um beinah zu einem Auflaufe gekommen. Man habe geglaubt, war, haßte ihn Brambach, weil er- nicht für ihn, für die jedem Dankesworte zu entgehen, anderntheils, weil er ein Mädchen, welches plößlich umgesunken war, sei miß- Landeszeitung schrieb. merkte, die Mädchen wollten lieber allein sein und handelt worden und erkrankt. Dieselbe befinde fich aber Rürdorf hatte keine Ahnung hiervon. Er war zu stolz, fürchteten sich mit einem Herrn im Gespräche gesehen zu wieder wohl und habe zugleich auch ein Unterkommen ge- das Haus seines politischen Gegners zu betreten, obgleich funden. acid es ihn mit tausend unsichtbaren Fäden dorthin zog, denn

werden.

Kaum die Eisen von den Füßen entflohen sie wie schenes Wild.

Rürdorf ließ sie jedoch nicht aus den Augen. Er folgte ihnen in angemessener Entfernung.

Wer die schlanke Blondine war, das mußte er er fahren. Den dankbaren Blick aus ihren großen blauen Augen konnte er nicht vergessen. Sie hatte Eindruck auf ihn gemacht

Die Buddelmeier'schen Nachrichten brachten neben dem das Ideal seines Herzens, die hübsche Blondine, die er nicht ausführlichen Berichte einen scharfen, satirischen Angriff aus dem Gedächtniß brachte, weilte ja dort. auf die Person einer Gräfin, welche andere gern wie Er hatte sie nicht wieder gesehen, doch er verehrte sie Stlaven, besonders aber die Dienstboten schlecht behandelte, noch im Stillen als ein unerreichbares Ideal, obgleich ein deren fie beiläufig bemerkt, in zehn Jahren vierundachtzig volles Jahr längst verstrichen war, seit er die liebliche Ge abgelohnt habe. stalt in seinen Armen gehalten. ( Fortsetzung folgt.)

Gegen diesen Artikel vertheidigte sich die Gräfin anonym in der Landeszeitung. Sie nannte den Einsender einen