Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Freitag, 10 August 1928.

Im Nordland der Kontraste.

Reisebrief aus dem Norden.

Auf See, im Juli.

=

Kennt Ihr das Wunderland im hohen Norden, die Insel Is and? Nehmt eine Karte zur Hand, so werdet Ihr ein seltsam zer­rissenes Gebilde sehen, das aus lauter Buchten und Vorsprüngen, aus weit ausladenden Halbinseln und tief ins Land dringenden Meeresarmen, aus Landzungen und Fjorden zu bestehen scheint. Dazu gehören noch zahlreiche vorgelagerte fleine Inseln, die alle denselben Grundcharakter tragen. Dies Island ist nach England Die größte europäische Insel. Aber sie zählt nur einen Bruchteil der Einwohnerzahl der britischen Insel. Die Hundert­tausend, die sie bevölkern, haben zumeist schwer um des Lebens und des Volkes Notdurft zu ringen; denn Island ist das Nordland der Kontraste.

Island ist mit malerischen Naturschönheiten überreich geseg­net, aber es ist arm an Möglich­feiten, aus dem Lande Schätze für die Allgemeinheit zu heben. Sein Boden ist von Bulkanen ge­formt und noch erschüttert, aber von Gletschern und Schnee­massen bedeckt. Island trägt seinen Namen von den Eismassen her, die seine norwegischen Ent­decker vor mehr als tausend Jahren vorfanden und die auch jetzt noch in zahlreichen und aus­gedehnten Gletschern Don der Lebenskraft in diesen Breiten Zeugnis ablegen. Weite, endlos weite Streden des sogenannten Festlandes auf dieser zerrissenen Insel sind heute noch wüst und leer. Lavamassen decken den Boden, Schutt und Geröll auf meilenweiten Gebieten. Nur selten eine grüne Fläche, auf der es sich lohnte, Pflanzen anzubauen. Hier und da setzt sich auf den Lava­maffen langsam eine leichte Grasschicht an. Auf diesen seltsamen Weiden grasen die langwolligen wetterharten Island - Schafe, die im Frühjahr hinausgetrieben und erst im Herbst wieder gesammelt werden. Sonst haufen sie Tag und Nacht, bei Sonnenschein und bei dem piel häufigeren Regen im Freien. Ihnen leisten Ziegen Gesell schaft und die kleinen isländischen Pferdchen, die als Ponies be fannt sind.

Aus dieser Wikinger - Zeit leiten die heutigen Isländer ihren Althing , das heutige Parlament ab, das allerdings nicht mehr im Freien und in der steinigen Schlucht am See, sondern ordentlich im Reichstags­hause zu Reykjavik sich zu versammeln pflegt. Es beruht auf dem allgemeinen Wahlrecht Wahlrecht aller Fünfundzwanzigjährigen ( Männer und Frauen) und besteht aus zwei Kammern, von denen die erste 14, die zweite 42 Mitglieder zählt. Unter den letzteren be­finden sich fünf Sozialisten, während in der ersten Kammer ein Sozialist die Arbeiterpartei( Althydu- Flokknum) vertritt.

Die Allmännerschlucht bei Thingvellir .

Diese Art Viehzucht ist fast die ganze landwirtschaftliche Be­tätigung. Der Anbau von Nußpflanzen ist im Vergleich zur Vieh­zucht gering. Isländische Wolle liefert einen Teil der Ausfuhr; den größten Teil aber bieten die Fische, vor allem die im Hochsee­betrieb gefangene Dorsch- Art, die, als Klippfisch oder Stockfisch be­fannt, zumeist in getrocknetem Zustande in ungeheuren Massen aus­geführt wird. Die Mehrzahl der Bevölkerung lebt von Viehzucht und Fischerei. Siedlungen sind auf dieser vulkanischen Gletscher insel nur dünn gefät. Die Hauptstadt Reykjavik ( Rauchbucht) zählt etwa 23 000 Einwohner. Aber auch diese Zahl ist erst seit furzem erreicht. Noch vor einem Jahrzehnt war die Hauptstadt ein sehr fleines Gemeinwesen.

Die Isländer sind stolz auf ihre Vergangenheit und auf ihre völlische Eigenart. Sie haben es fertiggebracht, ihre Sprache fast so zu erhalten, wie sie vor tausend Jahren von den norwegischen Entdeckern und Siedlern gesprochen wurde. Dieser Sprachreini­gungstrieb war besonders gegen die dänische Herrschaft gerichtet, die abzuwerfen erst nach dem Weltkriege vollkommen gelungen ist. Jetzt bildet Island ein eigenes Königreich mit eigener Ber­waltung. Mit Dänemart, dem es seit vielen Jahrhunderten zu­gehörte, verbindet es heute nur noch die Person des Königs, der gleichzeitig König von Island ist. Bis zum Jahre 1930 werden ver­tragsmäßig auch noch die diplomatischen Beziehungen durch Däne­mart wahrgenommen. Dann soll auch das aufhören, und der letzt Grad der Selbstherrschaft errungen werden.

Straßenild aus Reykjavik .

Island behauptet, das älteste Parlament der Welt zu haben. Es zeigt heute noch dem Besucher mit Stolz Thingvel lir, die alte Thing- und Gesezesstätte, am gleichnamigen See rund 50 Kilometer von der Hauptstadt gelegen, und die Allmänner. ( chlucht", wo sich seit 930 die Abgesandten aller angesiedelten Nor­männer versammelten, um Recht zu sprechen und Recht zu schaffen.

Das kleine Land hat trotz seiner geringen Einwohnerzahl drei sozialistische Blätter. Ich lernte in Reykjavik die dortige Parteizeitung fennen, die den Namen ,, Boltsblatt"( Althydu­bladid) trägt und etwa die gleiche Verbreitung hat, wie die Zei tungen der Konservativen( Mornungbladid) und der Bauernpartei ( Timinen). Leider traf ich den Redaktionskollegen nicht an. Er war in Urlaub in Kopenhagen . Aber ich sprach mit dem Borsitzenden der isländischen Sozialdemokratie, Pjetur G. Gudmundsson, der mir in selbsterlerntem Deutsch wertvolle Auskunft gab.

Schwer ist es, die isländischen Namen zu merfen. Es ist verboten, Familiennamen zu führen. Jedes Kind wird als Sohn oder Tochter nach dem Rufnamen des Vaters benannt. Olav Si­gurdsson ist also der Sohn eines Mannes, der Sigurd gerufen wurde. Sein Sohn wird in Zukunft Olavsson heißen oder seine Tochter Olavsdottir. Nicht ganz flar geworden ist es mir, wie sich das Verhältnis bei Unehelichen regelt. Aber vielleicht gibt's so etwas überhaupt nicht..

Landschaftlich bietet die Küste Islands malerische Reize. Schon wenn man vom Süden heransteuert, sieht man auf weite Entfernung schroffe Felsengruppen, deren Eis- oder Schneelage fast unmittelbar bis ins Wasser reichen. Die Westmänner- Inseln, die der Südküste vorgelegt sind, bilden augenscheinlich frühere Teile des Festlandes, die durch vulkanische Eruptionen von diesem ge­

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

trennt wurden. Sie ragen fast gespenstisch aus dem Meere auf, teils tegelförmig, teils langgestreckt mit tiefen Mulden. Die Zahl der Bes wohner ist herzlich gering, dafür aber hausen Riesenschwärme von Wasservögeln aller Art in den felsigen Rissen Als unser Schiff bei der Durchfahrt die Dampfpfeife ertönen ließ, schraten sie aus ihren Nestern auf und flatterten in gewaltigen Schwärmen ängstlich um das Ungeheuer, das ihre Ruhe störte. Plötzlich schwirrt über uns der Motor eines Flugzeuges. Es ist die bekannte Junkers- Type, die

hier auf Island den inneren Luftpostdienst verrichtet. 3 um Gruß für die Berlin " führt das Flugzeug einige Rundflüge über die Westmänner- Inseln aus, um dann weiter über Land zu verschwin den. Eine freundliche Ueberraschung dieser Gruß aus den Lüften!

Der Abschied von Reykjavik wird mir unvergeßlich bleiben. Denn in der Nachtstunde, da die Anker des Schiffes gelichtet wurden, erlebte ich nicht nur den wunderbaren, stimmungsvollen Sonnenuntergang, sondern nur wenige Stunden später den Sonnenaufgang in wundervoller Farbenpracht. Nur ein großer Dichter oder ein großer Maler vermöchte dies Erlebnis in seinem ganzen Stimmungsgehalt festzuhalten und wiederzugeben. Vom Grünblau des Wassers heben sich hier hellblaue Wolkengebilde ab, die wie flüchtende Nebel am Horizont zu verschwinden scheinen. Auf der anderen Seite irrlichtern violette Streifen am Himmels­gewölbe und tauchen das Meer in schimmerndes Violett. Es dunkelt, und die Stadt mit ihrem bergigen Hintergrunde verschwindet in nächtliches Dunkel. Psözlich taucht aus einer hellen Wolfe ein gelber Schimmer, der die Nähe der Sonne fündet. Und überraschend ist der eben noch tiefdunkle undurchdringliche Himmelsbogen über der Stadt in glühendes Rot getaucht, etwa, wie wenn weit im Hinterlande eine Riefenfeuersbrunst den Himmel rötete. Je tiefer die glühende Farben­masse dort, desto heller wird hier das Spiel der Wolken und der ganze Horizont. Das ganze in dauernder Bewegung. Phantastische Wolfengebäude tauchen auf, plöglich gefrönt mit schimmernden Ruppen, als wenn sie Glühbirnen großen Ausmaßes trügen. Tauchen auf und verschwinden wieder. Das glühende Rot drüben dunkelt ab, versinft in Nacht. Nur an einer Stelle ist ein großer rötlicher Ballon aufgestiegen, wie ein Fesselballon in der Farben eines papierenen Lampions. Rot in der Grundfarbe, bläulich durch­wirft. Gebannt hängt das Auge an dieser Erscheinung. Nach einer Biertelstunde ermattet ihr Glühen, und die Scheibe zerflattert im Morgendunst. Es wird fühl und fühler. Das Farbenspiel verliert sich. Doch plötzlich steht, die Hügel rings mit Glanz übergießend, der Sonnenball weit über dem Horizont. Das Licht hat gesiegt.

Westmänner- Inseln mit grüßendem Flugzeug.

Island , Land der Gletscher und Bulkane, des Eises und der heißen Quellen, zeigte auch zum Abschied sich noch als das Nord­land der Kontraste. Wer diesen Sonnenaufgang verschlief, hat die Schönheit verschlafen.

Ferientage.

-

-

Die letzten Wochen vor dem Urlaub sind Flügel der Sehnsucht, eschwingt mit der Freude auf das, was man erwartet. Noch letzte Heberlegungen: was benötigst du alles und plötzlich ist die Stunde gekommen, in der du mit einem tiefen Atemzug und leuch tenden Auges die Fabrik oder das Bureau verläßt. Mit einem Male sieht die Straße, die zu deiner Wohnung führt, ganz funkel anders aus. Duft der Lindenblüten saugt dein Atem ein, und vor deinen Augen erschaust du sich weit dehnende Auen, von silber­nen Flußbändern durchzogen. Dunkler Wald umfriedet das alles. Heiha! morgen geht es los.

*

Wälder, Felder, Seen und Dörfer gleiten an dir vorüber. Frisch gesenstes Heu schickt seine süßen Düfte in die Abteile der rollenden Wagen. Langsam werden die Nerven empfänglich für das in allen Nuancierungen schimmernde Grün und für die Stille, die nichts stört als das ratt- tatt- tatt der eisernen Räder. Stunden ver­gehen so im Fluge. Du staunst, wenn der Zug hält: auch hier sind Menschen! Leise prickelnde Ungeduld erfaßt dich, denn das Ziel deiner Reise naht. Lange vorher hast du dein Gepäck fertig gerichtet. Ein langer Pfiff, Bremsengefnirsch du bist da!

*

-

Weit hinaus dehnt sich das Land bis an die blau schimmernden Höhen der Bergfette. Du tauchst ein in das satte Grün der Wiesen und bist nur noch ein fleiner, wandelnder Punkt. Lerchen über dir steigen tirilierend in den blauen Aether . Du bist stumm geworden, bleibst ergriffen stehen und schauſt nur schauft Ein plätschernder Bach begleitet dich hinunter in das Tal Klappernd treibt er im Dorf, das du durchschreiten mußt, die Sägemühle. Dunkler Tann nimmt dich dann auf, verschluckt dich vor allen Blicken. Noch eine kleine Weile, und du haft dein Ziel erreicht: ein fleines ahus im Tal, am Waldesrand gelegen. Es ist wie ein Märchen.

*

Wie goldene Perlen reihen sich die Tage aneinander. Das Seitgefühl schwindet. Wenn du die Stunden auf der bunten Wald.

Franz Klühs.

wiese verträumst, glaubst du ein anderer zu sein. Einer, der sich eigentlich zu Mutter Erde schon immer hingezogen gefühlt hat. Gibt es überhaupt noch Steinstädte, in denen Millionen auf- und übereinander hausen? Ein Eidechslein huscht über den Weg, bleibt stehen und guckt dich aus den kleinen Augen an. Märchen steigen in der Erinnerung auf: vom Froschkönig, und viele andere heimliche Geschichten.

*

-

An einem Nachmittag bewölkt sich der Himmel. Wie in stähler­nes Grau gekleidet liegt das Land. Fahle Blitze zucken im Westen auf. Still steht die Luft, unbeweglich dann aber kommt der Sturm angeraft, dicke Bäume wie Gerten biegend. Das Donner­rollen nähert sich schnell; das Gewitter steht zu deinen Häupten. Blitz auf Blitz durchzüngelt die Atmosphäre, frachende Donner rollen lange, Echo weckend, über die Berge, durch die Täler. Die Wolfen haben sich geöffnet, gierig saugen die Pflanzen das strö­mende Naß ein. Wie lange das gedauert, mer fragt danach Das Rollen in der Luft wird immer ferner, hört ganz auf, und plötzlich strahlt die Sonne wieder heiter. Gesättigt und gewaschen duften Blätter und Blüten wie nie zuvor. Auch du bist erfrischt und atmest die reine Luft tief in deine Lungen. Deine Augen erblicken ein Wunder: einen vielfarbigen Regenbogen, der sich im Halbkreis weit über das Land spannt.

-

In einer stillen Stunde erinnerst du dich daran, daß diese Tage zu Ende gehen. Kann das sein? Es muß sein! Noch einmal durchwanderst du die liebgewordenen Stätten der schönen Ruhe; noch einmal liegst du sinnend an der Waldwiese dann hat die Stunde der Heimkehr geschlagen. Ein fester Händedruck mit den Wirtsleuten, ein sinnender Blick rings in die Runde. Den Wander­ftab fest angepackt, schreiten deine Füße wieder zu dem Eisenstrang, auf dem die donnernden Räder dich wieder der Stadt zurollen Bedauern? Nein; Freude, daß es dir vergönnt war, deine Seel vollzujaugen mit Ruhe, Schönheit, Stille und Erhabenheit. N 2. E hast du wieder ein langes Jahr zu zehren.

-