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Rr. 377 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Wolks

Sonnabend, 11. August 1928

Feiertage

k.

Wohl jede Nation hat das innere Bedürfnis, an einem Tage im Jahr nachdenklich- besinnlich und freudig- begeistert zugleich ihrens Werdens zu gedenken. Bezeichnend ist es, daß fast alle Bölfer der Welt hierzu Erinnerungen an Selbstbefreiung von Rüdschrift und Tyran­nei auserforen haben.

Gemiß stellt es. ein Zeugnis dafür dar, was mir deutschen  Republikaner   noch zu leisten haben, daß auch heute, am 11. August 1928, neun Jahre nach Verkündigung der Weimarer   Ber­fassung, der Ehrentag der Republit nicht Nationalfeiertag des deuschen Boltes ist, gesetzlich festgelegt durch seine Bertretung, den Reichstag  . Aber wir fönnen uns ein wenig trösten wenn wir herüberblicken zu unserem meftlichen Nachbarn, zur

Republik Frankreich  .

Freiheitskämpfer, die Republik   hat ihren Feiertag, an dem das den sie Bulverfäffer einschmuggelten. ganze Bolt teilnimmt...

Nordamerikas   Freiheitstag.

Alle

" No tadation without representation!"( Keine Besteuerung ohne Volksvertretung!") mar das Schlagwort der revolu tionären Bewegung, die zum Unabhängigkeitsfrieg gegen England und zur Gründung der Vereinigten Staaten   von Nord­ amerika   führte. Sie stellen heute vielleiht das poli: isch, zum mindesten aber wirtschaftlich einflußreichste Land der Welt dar. Die britische   Kolonialverwaltung, die zudem von den Lon­doner Torykabinetts angespornt wurde, hate in verblendete:, reaffionärer Kurzsichtigteit die Distrikte der heutigen Union   mie unterworfene Vasallenstaaten behandelt. Broeste der Bürger und Farmer murden unbesehen zu den Akten gelegt, bis der Aufstand ausbrach. Während der Krieg Selbständigkeit und Freiheit im Gange war, tagte in Philadel phia der amerikanische   Nationaltonvent, der am 4. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung, die Declaration of Independence  , erließ. Es war der Tag der Be­freiung, und heute noch ist er, Jahr für Jahr festlich unter Teil­stammen, der Nationalfeiertag der USA  .

Remember, remember!

.unt

2m 14. Juli 1789 hatte das erbitterte Bolt von Paris   mit den Waffen in der Hand die Zwingburg des bourbonischen Regiments, die Bastille, erstürmt und die Gefangenen befreit. Trotz Konju­lat und Kaiserreich, Trotz Restauration, Bürgerfönigtum und zweitem Bonapartismus bedeutete dieser Tag das Ende des absoluten Regi- nahme jeden Amerikaners, mag er welchem Bolte auch immer ent­mes. Man bedenke: Unter den letzten Ludwigen gab es in Frant reih feine Justiz, die auch nur den geringen Anforderungen des 17. und 18. Jahrhunderts entsprach! Einfache Lettres de chachet, Berwahrungsbriefe", von des Königs oder seines Gene raladjutanten Hand unterschrieben, genügten, um mißliebige Ber­fonen jahrelang und oft für das ganze Leben in die Kasematten der Bastille zu werfen. So war der 14. Juli 1789 cin Tag der Selbst­hefreiung des französischen   Volkes. Am 4 September, 1870, 48. Stunden nach der Kapitulation des dritten Napoleon bei Sedan, awurde in Paris   die dritte Republit ausgerufen. Aber erst 10 Jahre später, unter dem Kabinett Gambetta  , wurde der 14. Juli, Der große erste Freiheitstag. zum Nationalfeiertag des fran­ zösischen   Volkes. Die Reaktion, die damals, furz nach dem Sturz des kaiserlichen Marschallpräsidenten Mac Mahon  , des Herzogs von Magenta, noch start war, heulte vor Wut. Heute ist der 14. Juli der Tag, an dem in ganz Frankreich   das Bolk die blauweißrote Trifolore der Revolution, der Republif, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit feiert, Der Präsident, die Minister zeigen sich der Deffentlichkeit mit jener demokratischen Brachte: tfal tung, die gerade dem Franzosen eignet. Straßen und Plätze sind illuminiert, öffentliche Tänze und Umzüge werden ab gehalten, Redner gedenken aus dem Stegreif heraus der gefallenen

Die Nacht nach dem Verrat.

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Roman von Liam O'Flaherty  .

( Aus dem Englischen   überfest von R. Haufer.) Er rief jetzt: ,, hört! Ich stimme mit der revolutionären Organisation nicht überein, aber der Mann, der McPhillip getötet hat... nein... nein, nein... Ich meine den Mann fönnt ihr mich nicht reden lassen?... Ich meine den Farmer, den McPhillip getötet hat. Der war ein Agent der befizenden Klasse. Daraus folgert logisch, daß er ein Feind der arbeitenden Klasse war! McPhillip war ein Agent der arbeitenden Klasse. Er war berechtigt, den Mann zu töten. Das ist der Fall, logisch betrachtet und zu einem logischen Schluß gebracht. Man muß an alles logisch heran­gehen. Hört! Wenn wir den Fall von einem höheren Stand­punlt aus betrachten, fommen wir zu einem großzügigeren Urteil, das auf alle Fälle passen wird, die in der nächsten Zukunft vorkommen fönnten."- Er steigerte seine Stimme zum Geschrei, um den Lärm eines Handgemenges in der Nähe der Tür zu übertönen. Wir sind am Anfang einer Welle der Weltrevolution. Demnach wird mit dem An­schwellen und Stärkerwerden dieser Woge die gesamte Papitalistische Gesellschaftsordnung zusammenbrechen. Dann wird die Zahl dieser Revolten sich allmählich vermehren, gleichsam im..."

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Seine Stimme wurde plöglich von einem großen Mann ausgelöscht, der, die Arme um den Kopf schwingend, anfing, eine Flut scheußlicher Flüche auszustoßen. Er mar betrunken. Dann brüllte Lydon: Mord ist Mord, sage ich. Mord ift immer Mord, und das Evangelium unseres Herrn Jesus  Ein fleiner Mann mit einem schwarzen Schnurrhart, der in eine Ede stürzte, mo er Plag hatte umherzutoben, freischte dazwischen: Es darf feine Gnade geben. Gnade darf es nicht geben." Zur Hölle mit allen. Das ist in Ordnung, Jungens. Was?"

Gypo drehte sich plötzlich herum: Was red'st du da?" Sofort trat Stille ein. Alle sahen ihn an. Sein Gesicht mar in Schweiß gebadet Er rieb seine Hände gegen die Bruft, marf die Lippen auf, gab seinem Hütchen einen fleinen Rud nach hinten.

Dann ergriff ihn ein neuer Anfall seiner merkwürdigen Laume. Er brüllte noch einmal, taumelte mit lofe herab­

Es ist interessant, daß auch Großbritannien  , von dessen Gemaltherrschaft Nordamerika   sich befreite, seinen Freiheits­tag hat. Fanatische Katholiken harten gehofft, daß 1603, nach dem Aussterben der Tudors, dem Tode der sogenannten jungfräulichen" Elisabeth, der Grbe der Throne von England und Schottland  , Jakob I.  , der vielgeliebten, inter dem Beil gestorbenen Maria Stuart   Sohn, die Hoffnungen der politischen und kirchlichen Reaktion erfüllen würde. Der Schwächling auf dem Königs­stuhl enttäuschte die radikalen Reaktionäre: Er schwankte hin und her zwischen Absolutismus   und Barlamentarismus. Fanatiker, unter Führung von Robert Catesby  , beschlossen, König und Parlament in die Lust zu sprengen. Einige Priester waren An­treiber. Für die Eröffnung des Parlaments, die aber, ihren Erwartungen zuwider, bis auf den 5. November 1605 verschoben wurde, war die Ausführung des Komplotts angesetzt. Zuvor hatten die Verschwörer von einem Westminster benachbarten Hause aus einen unterirdischen Gang ge­graben, dann mieteten sie einen Keller des Parlamentsgebäudes, in

hängenden Armen auf die Menge zu und stellte sich total besoffen. Erschrocken wichen sie vor ihm zurück. Er stand in der Mitte des Zimmers und blickte umher.

Hin und herschwankend sagte er langsam und schwer fällig: Was redet ihr da?"

Er starrte von Gesicht zu Gesicht, aber aller Augen wandten sich ab, wenn sie seine trafen. Er war entzückt über den Schreden, den er einflößte. Hinter dem Laden­tisch hatte der Italiener, noch lächelnd, ein langes Messer ergriffen und stand vollständig still. Das Mädchen tauerte auf dem Boden. Dann brach Gypo in lautes Gelächter aus, steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zur Tür.

Hier zögerte er einen Augenblick. Dann überquerte er geradeswegs die Straße. Sie liefen alle an die Tür, um ihm nachzusehen. Seine lange, riesige Gestalt in dem alten, blauen Zeug, das sich eng um seine Hüften legte, war im Licht der Laternen deutlich sichtbar, als er die breite Straße freuzte, mit einem Fuß langsam den anderen überholend, während seine Hosen sich mit einem Geräusch aneinander rieben, wie wenn heu mit der Sense geschnitten würde. Dann nerließ die Gestalt den Bereich des Lichtes und wurde verschwommen, als sie den gegenüberliegenden Fußmeg er­reichte und schließlich im Schatten eines vereinzelten hohen Haufes nach lints abbog, bis sie in der Nacht verschwand. Bald schlich eine hagere, schlotternde Gestalt über die Straße und verfolgte ihn. Der Mann verschwand auch in dem Schatten des vereinzelten Hauses. Niemand bemerkte ihn. Es war Mulholland auf Gypos Fährte.

9.

Hinter der Straßenede blieb Gypo stehen. Er stemmte eine Hand hinter sich gegen die Mauer und horchte reglos mit zurüdgewandtem Kopf. Er hörte Schritte, die ihm folgten. Aber die Schritte hielten auch inne. Einige Se­funden lang horchte er atemlos, ohne noch etwas zu hören, dann grunzte er und drehte den Kopf langjam nach vorn. Er sah dösig in die Dunkelheit hinaus.

Lächeln, und feine Augen verschwammen. Er zitterte leicht. Dann verzog sich sein Gesicht langsam zu einer Art von Mehrmals blidte er heimlich spähend umher. Es lag eine fremde, fast geheimnisvolle Bedeutsamkeit in seinen Be­wegungen; fleinen, plöglichen, verstohlenen Bewegungen. Dann starrte er geradeaus die dunkle, schmale Straße hinauf, die sich vor ihm entlang zog, bis sie weiter oben an einer Mauer endete, wo eine trübe Laterne an einer Ede eine nach links abzweigende Seitenstraße andeutete.

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den sie Pulverfässer einschmuggelten. Die Bolfsjouveränität des Barlaments follte ermordet werden! Aber kurz vor der Ausführung kam die Verschwörung ans Tageslicht; die Täter wurden hinge­richtet oder auf der Stelle von dem empörten Volfe erschla= gen. Englands Parlamentarismus war gerettet, die Reaktion mar abgewehrt. Noch heute wird dieser Tag in England gefeiert. Die Pulververs hwörung hat das populäre Lied geboren: Remember, remember

The fifth of November!

( Denke daran, denke daran,

Dent' an den fünften November!)

Freiheitsiaten find es, deren Daten sich den Bölken als Er. innerungstage einprägen!

Die Stumme von Portici.

Wir Menshen von heute vermögen nicht alles zu begreifen, mas vor uns geschah, und seltsam mag es uns berühren, daß vo: bald 100 Jahren die romantisch- lieblichen Melodien der Stum= men von Portici" des Franzosen Auber eine Repolution, die Befreiung eines unterdrückten Volkes, zur Folge hatzen. Durch die törichten Verträge von London   und Wien  , die im Jahre 1815 Belgien   und Holland   zu einem Staate machten, und die noch weniger fluge Regierungsmethode des ersten Oraniertönigs Wil­heint murde im belgischen Bolte tiefe. Erbitterung wachgerufen. Sie entlud sich, als die Julirevolution 1830 den Erz: eqf­tionär im Nachbarland Frankreich  , Karl X.  , entthronte. Von einer Aufführung der" Stummen von Portici" in der Oper aus marschier ten Volksmassen zur Redaktion des Organs der Amsterdamer Regie­rung und zerstörten fie. Der Junte war ins Bulverfan geworfen, die Revolution brach aus, Belgien   errang seine Unabhängigkeit. Heute ist es ein demokratisch regierter Staat, die Namen der gerate in diesen en Tagen, vielgenannten früheren sozialistischen   Minister Vandervelde   und Anseele bezeugen es. Aber noch heute gedenkt man in Brüssel   und Gent  , in Lüttich   und Charleroi  , bei mehrtägiger Feier jener Tage vor bald 100 Jahren, da Unabhängin­feit und Freiheit proflamiert wurden. Wir, die wir am 11. Auguſt den Verfassungstag des Freistaates begehen, sollten uns daran ge­rade in den Tagen des Brüsseler Sozialistenton­gresses erinnern!

Im Lande des weißen Heilands.

Die Ermordung des erwählten Präsidenten Obregon lenfte die Aufmerksamkeit der Welt in besonderem Maße auf Merife.

Er zwinkerte mit dem rechten Auge der Laterne zu; dabei legte sich sein Gesicht in spizbübische Falten.

Er murmelte vor sich hin: Warum nicht? Warum soll ich nicht reingehen und mir' nen Spaß machen? Was? Baar   Schillinge für die Weiber und ein paar Schnäpse, um mein Abendbrot aufzuwärmen."

Eine siedendheiße Welle durchflutete seinen Leib. Er war im Begriff, den Mund zu öffnen und einen Schrei aus­zustoßen, statt dessen stedte er aber seine Hand in die Hosen­tasche und tastete ängstlich nach seinem Bündel Banknoten. Er fand es und seufzte erleichtert.

Mit einem ernsthaften. Ausdruck in seinen fleinen Augen brummte er: ,, Sie hätten's flauen tönnen. Der Pöbel da unten ist nichts wie Gauner. Sein Hemd fönnt' man nicht dalaffen in' ner Winternacht. Schreckliche Bande von Ver­brechern treibt sich in lezter Zeit hier' rum."

Wieder entzündete sich sein Gesicht vor Gier, als seine Gedanken zur Betrachtung der Laterne an der entfernten Straßenede zurückkehrten und zu dem, wohin die Straße führte. Er schluckte laut und geräuschvoll, während er sich auf die Laterne zu in Bewegung setzte.

Fast gleichzeitig spähte hinter ihm ein Kopf um die Ecke. Der Kopf beobachtete, wie Gnpo hinter der Laterne nach links abbog. Dann schoß ein Mann um die Ecke und rannte hinterher, die Straße hinunter. Es war Mulholland auf Gypos Spur.

Straße ohne Häuser. Auf der rechten Seite war eine Mauer, Nachdem Gypo abgebogen war, tam er in eine schmale ähnlich der einer Kaserne. Sie umschloß einen großen Lager­hof, der zu einer Mineralwasserfabrik oder etwas ähnlichem gehörte. Auf der anderen Seite waren nur noch die Funda­mente von Häusern zu sehen. Hier und da redte sich ein Hauseingang, ein Kamin, eine Fenstereinfaffung aus Ziegeln geiſterhaft empor. Jenseits lag ein unbebautes Stüd Land Straße selbst bestand aus einem Netz von Lachen. Gypo mußte auf dem schrägen Lehmdamm gehen, den die zer­fallenen Häuser gebildet hatten, um nicht bis an die Knien naß zu werden.

mit Schutthaufen, Ziegeln, Töpfen und alten Kleidern. Die

Es war ein trostloser Anblick. Die Steine schrien fast Don geschehenen Dingen, und wenn sie geschrien hätten, in würden sie es in jenem endlosen, lauten und babbelnden Wortstrom getan haben, in dem Wahnsinnige ihre Worte herausschrien. Sie maren lebendig auf jene eigentümliche Art, in der Ruinen des Nachts lebendig sind, während die Erde in Dunkelheit und in den Schlaf des Lebens gehüllt ist. ( Fortsetzung folgt.)