1928
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Der Abend
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Nr. 380
B 188
45. Jahrgang.
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Dem Keramischen Bund wurde die Mitteilung gemacht, daß in Riedlhütte und Spiegelau , zwei Glashüttenorten, der Paratyphus ausgebrochen sei, eine größere Zahl Personen erkrankt wäre und bereits vier gestorben seien. Eine nach den Unglüdsorten entfandte Delegation des Bundes gab folgende ergreifende Schilderung über den Stand der Seuche: Der Paratyphus ist bereits vor ungefähr zehn Wochen ausgebrochen und trat bei den Frauen weit verheerender auf als bei den Männern. In den kleinen engen Wohnungen der von der Krankheit Betroffenen fönnen die Erkrankten schon wegen der Ansteckungsgefahr nicht bleiben. Es sind Schulräume zur Verfügung gestellt, die aber bereits überfüllt sind. Wir sahen in zwei Schulzimmern 16 weibliche Erkrankte, in den anderen die gleiche Zahl erfrankter Männer. Die Räume zeigten sich als viel zu eng, und Don dem anwesenden Arzt wurde bestätigt, daß durch das Zusammenlegen die Ansteckungsgefahr eine ungeheure sei. In einem Bett lag ein alter erblindeter Glasarbeiter, der mit dem Tode rang. Neben ihm sein sechzehnjähriger Sohn. In dem Zimmer der Frauen hatten fogar einige erfrankte Frauen ihre Säuglinge im Bett liegen, die durch die schwerleidende Mutter geftillt wurden. Wir fragten den Arzt, ob denn nicht für die Säuglinge die größte Gefahr bestände? Das wurde bejaht, aber es sei ftein Raum vorhanden, um eine Aenderung zu schaffen.
Beim Ausbruch der Krankheit wurden die ersten Erkrankten auf Lastautos oder Leiterwagen in der Sonnenglut zwischen 39 und 40 Grad Fieber nach dem 8 Kilometer entfernten Grafenau gebracht. Unter solchen Umständen war nicht daran zu denken, daß die Abtransportierten der Gefahr entrüdt werden.
Die Wohnungen der Glasarbeiter in Riedlhütte lafsen sehr viel zu wünschen übrig. Sie bestehen fast nur aus einer Wohnstube und einem weiteren 3immer. Die Abort= anlagen sind ohne Spülvorrichtungen, und die Reinigung der Gruben geschieht nur selten. Wir sahen aus den Gruben die Abmässer heraustreten und in ein fleines Bächlein münden. Zwei Arbeiterwohnhäuser sind erst in den letzten Jahren errichtet worden, aber schon fällt der Putz von den Wänden. Die alten wie die neuen Häuser machen einen äußerst trostlosen Eindruck und in Schmutz und Staub setzen sich die Krankheitserreger fest. An Ungeziefer fehlt es nicht. Besonders treten Ratten in großer Zahl auf. Die sanitären and gesundheitlichen Einrichtungen müssen verbessert werden. Mehr Raum und Licht ist erforderlich, um die Krankheitsfeime zu ersticken. Im Bezirksamt, wo wir vorstellig wurden und dem Bezirksamtmann alle diese Dinge vortrugen, wurde Hilfe versprochen. Zur ersten Hilfeleistung hat das Innenministerium 5000 Mart zur. Berfügung gestellt. Der Betrag ist aber zu gering, um durchgreifende Reformen zu treffen. Wir halten es für notwendig, daß die Erfrankten sofort größeren Krankenhäusern überwiesen werden, um jeder weiteren Ansteckungsgefahr zu begegnen. Allerdings erklärte Der anwesende Oberregierungsrat wie der Bezirksarzt, daß feine weitere Ansteckungsgefahr besteht. Man hat vielmehr den Eindruck, daß die leicht zu übertragende Krankheit eine große Gefahr für den Bayerischen Wald bildet. Die wirtschaftliche Lage der Glasarbeiter ist durch die Epidemie eine sehr gedrückte. Die Arbeiter behaupten, Daß besonders bei den Glasmachern die Uebertragung der Krankheit Durch das Wechseln der Glasblöjerpfeife in der Hütte erfolgt. Dieser durch das Wechseln der Glasblöserpfeife in der Hütte erfolgt. Dieser Einwand fann nicht von der Hand gewiesen werden. Zugleich fehlt es an Mitteln, die von der Krankheit betroffenen und durch den Tod hrer Angehörigen schwer in Mitleidenschaft gezogenen Personen genügend zu unterstützen.
Hoovers Programmrede. Für die Prohibition- mehr Deutsche sollen einwandern. New York , 13. Auguft.
In der Stanford- Universität in Kalifornien nahm am Sonntbend Herbert Hoover formell die Mitteilung seiner Aufstellung jum republikanischen Präsidentschaftskandidaten entgegen. Hoover rklärte, daß er die Prohibition begünstige, aber mit der ezigen Verfassung des Bollsteadgesetzes nicht einverstanden sei. Die muswärtige Politit Amerikas müsse als erstes und oberstes Ziel den Frieden im Auge behalten. Es könne jederzeit Hilfe gewähren, belle aber nicht mit den Problemen der alten Welt befaßt werden ind lehne den Eintritt in den Völker bund ab. Im Zusammenjang mit dem englisch französischen Flottenabkommen erklärte hoover, die amerikanische Kriegs- und Handelsflotte müsse auf einen berartigen Stand erhalten bleiben, der jederzeit die nationale Bicherheit gewährleiste. Hinsichtlich der Einwanderungspolitik rat Hoover für Abschaffung der Ursprungsflausel ein, durch die die inwanderung aus Deutschland auf die Hälfte herabgejent pürde,
Der Festtag der Nation.
Der Platz der Republik in nächtlicher Beleuchtung.
Verfassungstag des Reichsbanners.
W. Tr. Frankfurt a. M., 13. August.( Eigenbericht.) Als am Sonntag nach der gewaltigen Rundgebung des Reichsbanners im Frankfurter Ostpark die endlosen Züge an der Ehrentribühne vorbeimarschierten, erregte es allgemeine Heiterfeit, daß die Münchener Gruppe mit einem leibhaftigen lebenden Münchener Kindl, von vier Kameraden getragen, anmarschierte. Und auf der Ehrentribüne sagte ein bürgerlicher Herr im Ton höchsten Erstaunens und ehrlichster Bewunderung: ,, Das ist doch nun alles armes Volt, aber man muß sich wirklich wundern und freuen, welche Mühe es fich gibt." In der Tat, wer diesen anmarschierenden Männern und Jünglingen ins Antlig schaut, der sieht, daß Not und Sorgen ihre Runen hineingegraben haben in diese Gesichter. Und dennoch waren sie alle wieder da, aus dem meiten Ostpreußen und Oberschlesien , aus Berlin und Brandenburg und Niederschlesien , aus Mecklenburg , von der Wafferkante der Nord- und der Ostsee , aus Bayern , aus den besetzten Gebieten, Und fast alles aus Desterreich. Menschen, die sich das ganze Jahr hindurch nichts leisten fönnen, und dennoch Mark zu Mart legen, um einmal im Jahre unter den mallenden Fahnen der Republik , vorwärts getrieben von den herrlichen Marschrhythmen der aus Arbeitsbrüdern gebildeten Musikkapellen zu marschieren. An die 100 000 Mann marschierten. An 100 000 Männer des Volkes
arme
gingen schweigend an ihren Führern vorbei, männlich gestrafft, kraftvoll, sehnig, entschlossen. Männer mit eisgrauen Bärten, Männer, die vier Reichsbannerabzeichen von Magde burg und Hamburg , von Nürnberg und Leipzig an der Müze trugen, Männer am Stod oder mit einem leeren Aermel. Alle getrieben von dem Ideal: Republik ! Einheit! Bolt! Sie alle suchten voller Vertrauen für einen Augenblick das Antlig der Führer zu erhaschen. So sah Frankfurt am Main wie Leipzig und Nürnberg , Hamburg und Magdeburg die Hunderttausend marschieren. Einst hieß es: Das Reichs= banner marschiert unter Schwarzrotgold; in Frankfurt konnte man sagen: das Voltmarschiert unter Schwarzrotgold.
W. Tr. Frankfurt a. M., 12. Auguft.( Eigenbericht.) Der Sonntagmorgen sah das von allen großen Reichsbanner. tagungen befannte Bild: In den Vororten formierten sich die Züge und marschierten zu dem Sammelplah, hier der riesigen Festwiese im Ost part. Um 11 Uhr begann der Anmarsch. Kurz vor 12 Uhr war er erst beendet. Eine unabsehbare Masse stand auf dem Platz und die Lautsprecher gaben die Worte der Führer an die Hunderttausende weiter. Dem Bundesführer Hör sing lag cs ob, alle Erschienenen zu begrüßen. Er dankte den Kameraden der zehn Pflichtgaue und der übrigen 22 Gaftgaue für ihr Erscheinen, entbot den Kameraden aus den befeßten Gebieten und aus Desterreich besonders herzliches Willkommen, dankte den Ehrengästen, besonders dem Reichsinnenminister Severing und dem österreichischen Bundeskanzler Renner für ihr Erscheinen, begrüßte auch den Sohn Ferdinand Freiligrath's und gedachte, während sich die Fahnen sentten, der Toten. Als zweiter Redner sprach General Körner aus Desterreich. Er erinnert einmal daran, daß Desterreich im 12. November bereits einen gesetzlich festgelegten Staatsfeiertag hat und zum anderen, unter lautem Beifall, daß