Beilage
Montag, 20. August 1928.
Die Fabrik der Arbeiterradfahrer.
,, Fahrradhaus Frischauf" in Offenbach a. M.
Die Arbeiterradfahrer wußten, was fie fich schuldig find, als sie auf dem Bundestag im Jahre 1908 beschlossen, den Einkauf und den Vertrieb von radsportlichen Bedarfsartikeln in eigene Regie zu übernehmen. Hatte doch kurz vorher der Vorstand verkündet, daß das erste Hunderttausend Mitglieder erreicht und die Entwicklung des Bundes noch nicht abzusehen sei. Aus der damals errichteten ,, offenen Handelsgesellschaft" ist inzwischen das große Fahrradhaus Frisch auf geworden, das nicht nur wie damals, Bermittler zwischen den Herstellern von Radartikeln und den verbrauchenden Mitgliedern ist, sondern zum Produktionsbetrieb übergegangen ist.
In Offenbach a. M., in der Sprendlinger Landstraße, besitzt der Arbeiter Rad= und Motorfahrerbund Soli.
darität" ausgedehnte Grundstücke, die eine Fläche von etwa 10 Morgen bedecken. An der großen Straße stehen schmucke Wohnhäuser, die von den Beamten des Bundes und des Fahrradhauses Frischauf bewohnt werden. Doch schon ein Gang auf den großen Hof läßt ahnen, wieviel Geschäftigkeit in den dahinterliegenden Fabrikund Verwaltungsgebäuden herrscht. Die Verwaltung des Bundes und des Fahrradhauses sind getrennt. Freundlich wird man von dem Geschäftsführer, dem langjährigen Radfahrer Funktionär Sachs empfangen und durch die Räume geführt.
,, Das Better hat uns diesmal einen wenn auch nur schwachen Strich durch unsere Rechnung gemacht," sagt Sachs mit einer be zeichnenden Handbewegung auf den gerade herniederströmenden Land
land verteilten Filialen( für Berlin in der Beuffelstraße) und in über tausend Verkaufsstellen sind Frischauf- Räder und FrischaufBedarfsartikel von der Speiche bis zum Rahmen und dem fompletten Fahrrad zu haben. In kurzer Zeit beginnt das Unternehmen von Solidarität" auch mit der Herstellung von Motor rädern. Unter den 3500 Motorradfahrern des Bundes ist starte Nachfrage nach einem guten eigenen Fabrikat. Die Borbereitungen für den Bau einer mittelschweren Maschine von zirka 500 Rubit
將 專
An der Verladerampe.
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
-
halten die Arbeiter den Lohn bis zu sechs Wochen Krankheitsdauer ausbezahlt. Speisesäle, Wasch- und Baderäume, Sanitätsversorgung, Essenkoch und Wärmevorrichtungen sind vorhanden und merden von den Arbeitern immer benutzt bis auf den Verbandraum, der noch nie Schwerverletzte sah. Als wir wieder den Torweg nach dem Hof hin passieren, fällt uns ein Schild mit der Aufschrift: Radfahren verboten!" auf. Wir machen darauf aufmerksam, daß das eigentlich etwas parador ist, wenn man in der Zentrale des Arbeiterrad- und Motorfahrerbundes das Radfahren verbietet! Aber Führer Sachs mehrt ab:„ Der Betrieb in unserem Geschäftshause ist so stark, daß wir Verkehrsunfälle befürchten!" M. J.
Ein junger Arbeiter sendet uns dieses Stimmungs bildchen von einer Wanderfahrt:
Es ist noch Nacht. Stiller Friede liegt über dem Schwarzwaldstädtchen Haslach . Weit und breit ist nichts zu sehen und zu hören. Nur in der Ferne nach Hausach zu singt die Kinzig mit leiser, nimmer. müder Stimme das ewige Lied vom Wandern. So werde auch ich bald wieder weiter wandern. Wie viele fehen ihr Leben lang auf der endlosen Landstraße ohne Raft und Ruhe, ohne Halt und ohne Heim!
Die Straße zum Bahnhof liegt in mattem, fahlen Lichte da. Der Zug fährt freischend ein; dann saucht die schwarze Schlange in bie Dunkelheit hinaus. Doch allmählich heben sich die Konturen der Berge und Häuser aus dem schwarzen Grau. In den alten, alten Schwarzwaldhäusern flammen Lichter auf.
Jetzt rattert und holpert der Zug an der Gutach entlang. Es dämmert. Wie meißer, glitzernder Schnee bedeckt der Morgennebel die Berggipfel und legt einen Schleier auf Berge und Täler.
Nun wird es Tag. Die ersten Häuser des lieblichen, im Gutach tale liegenden Hornberg sind zu erkennen. Da drunten im Tale verbinden die grünen Hänge wie eine Brücke die Berghänge mit einander. Ein Kirchlein liegt drüben auf dem Berge und daneben ein Feld weißer Kreuze, der Friedhof. lleber Felsen stürzt ein Waldbach; ein Sträßle führt am rauschenden Wasser entlang
Immer höher windet sich die Bahn hinauf. Da liegt in einem ferneren Tale ein trauliches Nest. Kling, fling, fling, fling! So tötnt's herüber von einer weidenden Herde, so silberein, wie Morgengeläut. Und nun erwacht auch die Sonne. Ueber den Bergen spielt das Morgenrot in allen Farben und geht in das leichte Blau des Himmels über.
Immer weiter rollt das Bähnchen, bald oben, bald unten windet es fich durch die Berge. Biele finstere Tunnels werden noch durch fahren, bis Triberg , eine Perle im Schwarzwald , erreicht ist.
Jeßt aber geht es hinaus in den hellen, sonnigen Morgen Am
Es ist selbstverständlich, daß in einem der Arbeiterschaft gehören rauschenden, tosenden Wasserfall, der jung herunterstürzenden den Unternehmen
regen draußen. So wie heute ist es eigentlich das ganze Frühjahr| zentimetern 3ylinderinhalt find getroffen: zum Frühjahr werden über gewesen und vor Pfingsten ist das Fahrradgeschäft überall auch Frischauf- Motorräder die Straßen befahren. eigentlich so gut wie abgeschlossen. Aber für uns ist das fein Grund zum Pessimismus. Wir sind mit unseren Fabrikaten und mit unseren Bedarfsartikeln bei den Mitgliedern des Bundes wie auch bei einem großen Teil der Bevölkerung so gut eingeführt, doß mir hoffen, in diesem Jahre unseren Umsatz um 700 000 m. auf 3 Mil lionen steigern zu können."
Auf 1800 Quadratmetern Grundfläche hat das Fahrradhaus Frischauf" große Fabrifflachbauten errichtet. Helles Oberlicht strömt in die Säle; Bertbant reiht sich an Werkbank,
die modernsten Arbeitsmaschinen furren und raffern. Hier wird das nahtlos gezogene Stahlrohr für die Rahmen auf der Kreissäge passend geschnitten und auf der Fräsmaschine mit der entsprechenden Gehrung versehen. Der Arbeiter an der Kopierfräsmaschine hat inzwischen die Verbindungsstücke für die Rohre paffend zugearbeitet. An großen, tischähnlichen, eisernen Borrichtungen wer den die Rahmen zwangsläufig zusammengepaßt, mit Haltestiften ver sehen, um dann in der Schleiferei von allem Metalloryd und allen Krusten befreit zu werden. Eine besonders eigene Arbeit ist das Löten der Rahmen. Bei Frischauf" ist man bei dem alten Syftem der Meffinghartlötung im Tauchverfahren geblieben, weil es sich in der Praxis als das beste und haltbarste herausgestellt hat. Ein glühend flüssiges Messingbad nimmt die zu lötenden Berbindungsstücke auf und wenn der Fahrradrahmen die Temperatur des Messingbades angenommen hat, tann das Werkstück, an den Lötstellen zu einem homogenen Ganzen verbunden, die Löterei verlassen. „ Bei Frischauf- Rädern gibt es teine Gabelbrüche an den Löfstellen," versicherte der freundliche Führer. Wir schweißen nur den Steg an der Hintergabel, also einen unwesentlichen Teil am Fahrrad
Schleiferei.
rahmen, autogen; alles andere wird im bewährten Tauchverfahren innengelötet. Wenn wir mal Stichproben machen, so triegen mir selbst mit Hammer und Meißel die Lötstellen nicht voneinander, eher geht Rohr und Verbindungssteg zum Teufel."
Es ist noch ein weiter Weg, den der Fahrradrahmen in der Fabrit zurückzulegen hat, ehe er als fertiges Rad zum Kunden expediert werden kann. Schleifer, Ladierer, Monteure, Kontrolleure und Bader haben noch manche Stunde Arbeit zu leisten. Dann aber verläßt auch ein Rad das Wert, das als Gebrauchs- oder Tourenrad, als Renn- oder als Saalsportmaschine dem Fahrradhaus Frischauf" Ehre und den Benutzern Freude macht. Bis zu
200 Fahrräder liefert die Fabrik täglich
zur Bahn, und in Zeiten der Konjunktur merden an 300 Arbeiter and Angestellte beschäftigt. In neunzehn über ganz Deutsch.
vorbildliche Cohn- und Arbeitsverhältnisse
herrschen. Zum Tariflohn wird ein Zuschlag von 15 Broz. gezahlt, der bei Affordarbeit mit garantiert ist. In Krantheitsfällen er
"
Gutach , steige auf die Höhen. Wenn ich hinunterjehe ins Tal, dann erscheint das Städtchen so flein, fo winzig flein.
Ich lobe mir die Berge, wo der graue, trübe Alltag in Nichts versinkt.
Im Spiegel der Auskunft.
Vor einigen Tagen erzählte mir meine Portierfrau:„ Gestern war ein Mann hier, der hat sich nach Ihnen erkundigt. Haben Sie was auf„ Stottern" genommen? Der sah nämlich aus, wie ein Abzahlungsmensch. Er wollte wissen, wie alt Sie sind, ob Sie verheiratet, einen anständigen Lebenswandel führen, wieviel Sie verdienen, ob Sie immer pünktlich die Miete bezahlen." ,, So", gab ich zurüd ,,, mas haben Sie ihm denn gesagt, Frau Handel?" nichts, ich hab ihn gefragt, ob er mich als Schimmelpfeng bemugen will." hätten Sie ihn doch zu mir geschickt"„ Das hab ich ihm ja auch gesagt, er soll reingehen und sich bei Ihnen ertundigen. Wissen Sie, das fommt bei uns alle Tage vor, wenn neue Leute einziehen, da kommen immer allerhand Menschen, die Auskünfte einholen wollen. Wie soll ich wissen, was die Mieter verdienen, es läßt sich doch keiner in die Karten sehen." Unser Gespräch schien so halbwegs beendet zu sein, denn Frau Handel bemerfte, wie ihr Jüngster mit einer toten. Maus zu spielen begann.
Nach Tagen stieß mir die Sache mit der Erfundigung auf, es ließ mir feine Ruhe, ich war doch zu neugierig, wer sich über mein Privatleben informieren will. Da ich keinerlei Besitz habe und auch Abzahlungsgeschäfte meide, kenne ich keine derartigen geschäftlichen Berbindungen. Darum begab ich mich, um dem Problem Aus. funft näher zu rüden, zu einer unserer größten, beftinformierten Auskunfteien. Nachdem ich meine Pressefarte vorgewiesen hatte, führte mich ein freundlicher Herr vom Sekretariat durch die Karto theten. Erläuternd fügte er hinzu: Das ist die Kartothet für Groß- Berlin." Wir standen in einem viereckigen Raum, der zwei Etagen hoch war. Die vier Wände glichen Honigwaben, die alphabetische Buchstaben aufweisen. Ich sagte dem Herrn: Wissen Sie, hier fehlt etwas. In der Mitte müßte Gott Merkur stehen. Er ist doch das Symbol der Kaufleute und der Wechselprotestanten." Mein Führer überging letteres lächelnd und begann mich zu orien. tieren
17
Wir geben der Berliner Stadtkundschaft täglich 10-12 000 Auskünfte. Das wir mit der Behörde in engster Verbindung stehen, brauche ich Ihnen ja nicht erst zu sagen. Unsere Firma hat vor einem halben Jahrhundert, wie sie gegründet war. sehr zu kämpfen gehabt. Der eine Teil der Kaufmannschaft stand uns feindlich gegenüber, man nannte unser Beginnen anmaßend, vom volkswirtschaftlichen Standpunkt sogar gefährlich. Das ,, Warum" brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, denn die Gründerjahre hatten ebenso mie die Inflation ihre Kaufleute, die ihre Bergangenheit nerdeden wollte. Luftgeschäft in grünen Fischen, das gab es bei uns nicht. Wir waren sozusagen der Keil zwischen den Kaufleuten, der Informationen ausgab, gute und schlechte. Auch heute noch verfolgen mir dasselbe Prinzip, daß wir auf Wunsch demjenigen, über den wir Auskunft eingezogen haben, diese bekannt geben."
Ich werde Sie nachher beim Bort nehmen" sagte ich. ,, Bitte", erklärte mein Führer, Auskünfte über Privatleute sind ja eigent lich nicht unser Ressort, aber wenn über Sie Auskunft eingeholt ist, tönnen Sie sie jederzeit einsehen. Natürlich behalten wir uns das Geheimnis des Auftraggebers nor. Bir ziehen Recherchen über Kaufleute, Aktiengesellschaften, Banten ein und stellen sie Firmen im Abonnement, auch in Sonderberichten zur Verfügung. Wir find über das Stammtapital informiert, Kreditficherheiten, Befiztum, Gütertrennung, Familienangelegenheiten, die in geschäftlichen Interessen verbunden sind. Wenn man an uns herangetreten wäre,
säße Herr Bergmann zwei Jahre früher auf Nummer sicher. Einspon war bei uns schon lange auf der schwarzen Liste. Aber unsere Interessen reichen nicht so weit, daß wir öffentliche Warnungen herausgehen lassen. Das ist Sache der Behörde. Wir geben auf Wunsch unseren langjährigen Abonnenten sogar über ihren eigenen Betrieb Auskunft, und zwar schonungslos, denn das erste. was der Kaufmann besigt, ist sein Leumund, denn damit ist auch sein Kredit verbunden. Vor einigen Tagen tam mutentbrannt ein Direktor zu uns und erklärte, wir hätten bei seiner Auskunft vergessen, daß er schon vor zwei Jahren einen Offenbarungseid geleistet hätte. Da sehen Sie, wie fomisch zumeilen unser Geschäft ist.
Es gibt noch andere, verzwidtere Situationen, fann ich Ihnen sagen, aber meistens liegen die Fälle klar und offen, denn durch die jahrelange Verbindung unserer Gewährsleute mit dem In- und Auslande ist es uns nicht schwierig, das Innenleben der Geschäftsmelt zu beleuchten. Privatleute interessieren uns wenig. Bei diesen ist die Ermittlung ihrer Verhältnisse immer schwierig. Das überlassen wir lieber den Detekteien. Die dann meistens beide
Der Rahmenbau.
Parteien schröpfen mit dem Ergebnis, daß sie größtenteils eine falsche Auskunft bekommen haben."
Nachdem ich dem Sekretär meinen Fall erzählt hatte, sagte er: Er sprach meinen Namen Das fönnen wir gleich richtigstellen. durchs Telephon. Fünf Minuten mochten vergangen sein, als ein Bon eine gelbe Karte mit meiner Aufschrift brachte, schon hörte ich die Daten meiner Geburt, meine Beziehungen zu den Zeitungen, die Namen der von mir erschienenen Bücher. Die gelbe Karte war fo mit meinem Innersten vertraut, daß ich den Sekretär bat, auf. zuhören: Sie wissen mehr über mich, als ich selbst aussagen fann," fagte ich. Offenbarungseid haben Sie noch feinen geleistet," hörte ich noch. In die tobende Straße tretend, mir die hastenden Menschen ansehend, glaubte ich, daß es für jeden gut wäre, in den Spiegel seiner Auskunft zu sehen, bevor er Beziehungen anknüpft und sich wundert, warum fie plöglich abgebrochen wurden.
Megerle von Mühlfeld..