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Beilage

Dienstag, 21. August 1928.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Hindenburg  , die arme Stadt.

Wie es in dem zerrissenen Oberschlesien   aussieht.

Bei Oppeln   beginnt die 3ementindustrie und man sieht dasselbe| Bild, das man vom Zug aus schon oft gesehen hatte: viele Frauen und Mädchen sind an der Arbeit. Sie stehen an den Defen, in den Gruben, an den Waggons, wie sie auch auf den endlosen Rübenfeldern und Kartoffeladern stehen Beit dehnen sich die Wiesen und die Felder. Windmühlen   drehen ihre schmalen Flügel. Bich weidet und flieht vor dem klirrenden Donner der Eisenbahn, Kleefelder zeigen ihr purpurnes Blut der Blütezeit. Wald springt auf, dichter Wald, lichter Wald, Vorposten der großen Forste, die dem Adel gehören. Ralfsteinbrüche und neue Zement­werte zeigen sich und verschwinden, die verlassenen Brennöfen

Hochofenwerk.

einiger Fabriken stehen wie die Grabtürme römischer Größen in der Landschaft da. Dann wird die Landschaft immer schwermütiger. Eine Rauchmolle mabbert am Horizont, die Aderstränge der Elsen­bahn verknoten und verzwanzigfachen sich, wir fahren in Gleiwitz  ein, kommen an den Hüttenwerken vorüber, rasen in das Zentrum der oberschlesischen Industrie und haben die sonderbarste Stadt in Deutschland  , Hindenburg   bald erreicht.

1915 beschloß die Landgemeinde 3 a brze, sie zählte damals 40 000 Einwohner, ihren Namen zu ändern und sie wählte als Namenspatron den Generalfeldmarschall Hindenburg  . 1922 wurde das Industriedorf Hindenburg   Stadt und schluckte dann, be günstigt durch die Grenzregulierung, die Dörfer Zaborze, Sosniga, Poremba, Biskupig, Mettendorf   und Dorethendorf. Die alten historischen Städte Beuthen   und Gleiwit hat sie schon lange über­flügelt. Heute hat die Siebendörferstadt Hindenburg rund 130 000 Einwohner, ist eine Stadt, die ohne Vorbild und Beispiel ist in Deutschland  , eine Stadt voller Arbeit, Armut, Schmug, Kinder­fterblichkeit, Wohnungselend und größter Entwicklungsmöglichkeit. Die sieben Dörfer sind durch die Rauchfahnen der Industrie ver­bunden, wie alle die drei oberschlesischen Städte immer mehr zu einem riesigen Stadtgebiet verwachsen.

Bom Bahnhof wandert man in einer fleinen Viertelstunde nach Zaborze und an die polnische Grenze. Die Hauptstraße ist breit und erinnert an russische Landstraßen. 1798 wurden hier die ersten Tiefbauschächte angelegt. Sie sind noch heute in Betrieb und mauern ein Stück der Straße ein. Große Eisenhütten werden fichtbar, neue Fördertürme und Werkanlagen ragen auf, Rühltürme qualmen, Rotereien speien ihren giftgelben Qualm in den Raum. An der Straße stehen baufällige Hütten neben neuen Geschäfts­häusern. Die Firmenträger haben fast alle polnische Namen. Manch­mal ist ein Stück der Straße unbebaut, und man sieht durch die Lücken das melancholische Hinterfeld mit den Rauchwollen neuer Gruben und Hütten, die ihre tragischen Inschriften von schwerer Arbeit an den schon polnischen Himmel schreiben. Hinter den Werken auf deutscher Seite liegen schmuhige Werkswohnungen aus der früheren Zeit nichts als Schmutz und Kinder sieht man, es gibt teine Kanalisation, kein Grün und keine Blume, aber hinter dem Verfall entzückt das Auge eine neue Siedlung. Eine fleine Stadt erhebt sich da hart an der Grenze, viele Flüchtlinge kleine Stadt erhebt sich da hart an der Grenze, viele Flüchtlinge Don da drüben" haben hier Heim und Heimat gefunden. Fast alle Flüchtlinge arbeiten in den Gruben, auf den Hütten. Links der neuen Stadt stehen die lieblosen Backsteinbauten von früher. Fast alle Häuser sind geankert", das heißt, ihr Bauwerk ist durch Eisen­träger und Stahlbänder gestüßt und zusammengehalten.

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Die Straße fällt langsam in ein kleines Tal. Felder und Wiesen wandern einem schwarzen Bache zu, der Scharnawka, dem Schwarzen Waſſer". Dieses schwarze Waffer ist die Grenze, eine durchaus nicht lieblich duftende Grenze, denn das Waffer kommt aus den Gruben und nimmt auch die Abwässer der nahen Häuser mit auf. Bis zur Mitte der Brücke darf man gehen, bis zur Scharnawka, bis zu dem weißen Grenzstein, der das schwermütige Land büben und drüben in zwei Länder zerreißt, in Deutschland  

So wohnt der Bergmann.

und in Polen  . Die Wachposten stehen einige Hundert Meter jenseits des Steines, und das ist gut so. Das Zusammentreffen der Wiesen und Felder ist durchaus harmonisch, es gibt kein polnisches Gras und kein deutsches Gras, die Felder belauern sich nicht und der Wind geht ohne Paßkontrolle über die Grenzen. Die Polen   haben ihre Straße mit hellem Ries aufgeschüttet, damit ihre Erde eine andere Farbe habe, aber jeden Tag gehen über diese und über andere Straßen 10 000 polnische Arbeiter in die deutschen   Gruben zur Arbeit und rund 800 deutsche Arbeiter nach den polnischen Gruben oder Hütten. Der Ortsteil von Hindenburg  , der an der Scharnawfa an die Grenze stößt, heißt Zaborze, das erste polnische Dorf da drüben heißt Paulsdorf.

Die Grenzscheiden zwischen Deutschland   und Polen   sind tragische Witze und wiederholen sich einige Male. In Poremba zum Bei­spiel ist das Haus auf der einen Seite der Straße deutsch   und auf der anderen Seite polnisch. Auf der anderen Seite nämlich steht eine Schule. Ein klein wenig weiter geht die Grenze mitten durch ein Gehöft. Wenn man mit der Bahn nach Beuthen   fährt, kommt man durch Kuschniga, einen fleinen Korridor, der sich wie ein Keil vorschiebt, um das Knappschaftslazarett, des Gebietes zu sichern. Die deutsche Grenze ist nur einige Hundert Meter entfernt. Alle diese Wize erklären sich von selbst, denn das ganze Land ist eine ge= schlossene Einheit und jede Teilung mußte sich grotest aus­wirken. Wer das noch nicht begriffen hat, dem wird es vollkommen flar, wenn er die Kugelspuren an einigen Häusern sieht, die weißen Einschläge aus den polnischen Aufständen. Damals wurde nicht nur in die Mauerwande und Hausfassaden geschossen. Der schmuzige, traurige und unfruchtbare Boden hier ist tostbar. Da wurde ge­schossen, gekämpft und ,, Baterland" gebrüllt, von beiden Seiten, und es ging in der Hauptsache um die Kohle, um das Eisen, um das Zint, um das Blei.

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Zabrze  , Zaborze, Poremba: Hindenburg   die Not in dieser Stadt ist groß. Es ist schon gefagt worden, daß die wenigsten Straßen fanalisiert sind und daß die Abwässer auf den unge= pflasterten Straßen stinkend verströmen. Diese verbredten Häufer jede Bergarbeiterfamilie, und menn fie und Wohnungen zehn Kinder hat, haust in einer Stube und Küche. Und oft wohnen Es fehlt an zwei Familien in den zwei kümmerlichen Räumen. Wasser. Das Wasser wird oft von der Straße aus den Hydranthen geholt. Viele Viertel sind weiter nichts als die Seuchenherde großer Epidemien, die totficher ausbrechen werden, wenn nicht gründlich aufgeräumt wird. Es gibt auch fein anständiges Rathaus in der Siebendörferstadt. Die Gemeindevertretung tagt in einem Gasthaus. Manchmal sieht man in diesem Chaos schon den Versuch einer Neu­ordnung und Flurbereinigung, große Pläne liegen jeẞt in Dresden  auf der Ausstellung Die technische Stadt" vor. Hindenburg   ist Der Landbesitz, der trotz der Schwerindustrie eine arme Stadt. Wald, die Grünflächen, all das liegt zum großen Teil in den Händen

der Zechenmagnaten, der Ballestrem und Hendel- Donnersmard. Die Arbeiter aus den umliegenden Dörfern haben einen weiten Weg. Viele von ihnen haben eine zweistündige Radfahrt hinter sich, ehe sie zur Grubenfahrt antreten, zur Abfahrt in die Nacht der Steinkohle. Zabrze  , Zaborze, Biskupih: Hindenburg   ist eine katholische Stadt, wie auch das ganze flache Land bis Oppeln   hinunter fatholisch ist. Neue Kirchen werden gebaut und wenig Wohnungen. Die Arbeiter. parteien holten sich bei der letzten Wahl jeder ein Mandat zum Reichstag, die Deutschnationalen haben rund 20 000 Stimmen ver loren, die Polen   rund 10 000. Das Zentrum herrscht. Hindenburg  , diese Stadt der geschichtlosen Fabrikdörfer, hat in Oberschlesien   die

Flüchtlingssiedlung.

Führung übernommen. Eine sonderbare Stadt ist das! Es gibt 34 verschiedene Sorten Biere, ungezählte Schnapsdestillen mit dem Branntwein ,, Doppelte Windstärke", der beinahe aus reinem Spiritus besteht. Eine Zeitlang war der Schnapsausschant an den Lohntagen verboten. Die verdreckten Straßen werden von alten Frauen ge­reinigt. Jede Frau verdient im Tag in acht Stunden 3 Mark. Die Kindersterblichkeit stieg in dieser Stadt einmal auf 25 Broz.! Im ersten Viertel dieses Jahres gab es im oberschlesischen Revier über 5000 Unfälle. Rrund 1000 der Berletzten lagen länger als vier Wochen in den Knappschaftslazaretten und heilten ihre zer­brochenen Knochen und zerschundenen Leiber. Fünfundzwanzig Bergarbeiter aber fonnten sich nicht mehr pflegen und heilen. Sie waren tödlich verunglückt für Steinkohle, Zink und Blet...

Kirche und Republik  .

Betrachtungen eines Christen.

Die Haltung der evangelischen Kirche zum Ver­faffungstage, die gewollte Ablehnung jedes Bekennt­niffes zum neuen Staat hat in christlichen Kreisen tiefe Ber­ftimmung hervorgerufen. Dafür zeugt auch die nachfolgende Abhandlung aus der Feder eines gläubigen Gemeinschafts­chriften.

Mit diesen Zeilen soll in Kürze die unchristliche Handlungsweise der früheren Landeskirche bezüglich ihrer feindseligen Haltung gegen den heutigen Staat beleuchtet werden.

Es ist vielleicht gut darauf hinzuweisen, daß man zwischen Christenheit und Kirche einen Unterschied zu machen hat, denn die des Christentums anerkennen, auf dessen Boden sie längst nicht mehr sogenannte Landeskirche kann man nicht als die offizielle Vertreterin steht und wovon sie nur ein unschönes Zerrbild darstellt. Die Mehr­dahl der verschiedenen Christen, die sich nach dem Vorbild und der Lehre ihres Meisters zu leben bemühen, haben sich von der Kirche schon längst in mehr oder weniger deutlicher Form getrennt und in kirchlichen" und freifirchlichen" Gemeinschaften zusammengeschlossen, von denen erstere zwar nicht aus der Kirche ausgetreten sind, aber ihre eigenen Gottesdienste unter der Leitung ungeschulter oder auch seminaristisch als Prediger aus gebildeter Laien, seltener unter Leitung ihnen sinnes­verwandter Bastoren abhalten, während die freikirchlichen Kreise ganz aus der Kirche ausgeschieden sind und zu ihr in feinem Ber­hältnis mehr stehen.

Beide jedoch werden mit wenigen Ausnahmen von den Ver­tretern der Kirche als Settierer" behandelt und bekämpft. Die politische Einstellung der Gemeinschaftskreise ist daher eine wesent­lich andere, so könnte z. B. ein wirklicher Christ niemals ein Antisemit sein, den man wohl in der evangelischen Kirche, aber nicht in christlichen Gemeinschaften finden fann.

Barum hat man früher bei allen Gottesdiensten mit größter Regelmäßigkeit für Raiser und Reich und alle Obrigkeit öffentliche Gebete porgelesen" und in allen sonntäg­lichen Bredigten in einer mit dem seelsorgerischen 3med unverein­baren Weise nationale Politik getrieben, während man sich heute gegen den republikanischen Staat feindselig stellt, oder gar die Regierung, wie fürzlich ein füddeutscher Pfarrer in einem an den aus dem Fememordprozeß bekannten Oberleutnant Schulz gerich.eten Brief, frech beschimpft und verhöhnt!?

Die Kirche bzw. ihre Diener sehen sich dadurch in einen Gegen­satz zu der Bibel, an welcher sie sich doch eigentlich aus: schließlich orientieren sollten. Oder gilt den Herren Theologen nicht das Wort Römer Rap. 13, Be: s 1 bis 7:

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die die Gemalt über ihn hat, denn es ist teine Obrigkeit ohne von Gott  . Wo aber

Max Barthel  .

eine Obrigkeit ist, die ist von Gott   verordnet. Wer der Obrigkeit widerstrebt, der widersetzt sich gegen Gottes Ordnung."

Jenes Bibelwort fordert auch eine rückhaltlose An erfennung der Repuhfif, und dazu gehören auch ihre Reichsfarben, auch dann, wenn man über die Zweckmäßigkeit irgend einer Staatsform anderer Meinung ist, zumal das Wesen des Christentums in Selbstverleugnung besteht, das Gegenfäßlichste davon aber 3wietracht im großen und im Kleinen ist.

Hat man aber seinerzeit öffentliche Fürbitten für Kaiser, Reich und Obrigkeit geleistet, so müßte man, wäre man wirklich chriftlich gesinnt, heute den Reichspräsidenten  , ob er Ebert oder Hindenburg  ebenfalls und mit der gleichen Pflichtschuldigkeit und Liebe in seine heißt, den Staat und seine verantwortlichen leitenden Beamten Dorgelesenen" Gebete einschließen, denn es dürfte auch hier ein Gebot aus 1. Timotheus  , Kap. 2, Vers 1 und 2 dieselbe Geltung haben wie zu Zeiten der Monar hie:

,, So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung... für alle Obrig Peit!"

Aber auch einen Streit über die richtige Staatsform gäbe es

nicht, wenn man das alte Bibelbuch nicht nur zur Dekoration ge­brauchen, sondern sich danach richten wollte, lesen wir doch 1. Ea König geben wollte, sondern sie sich Gott zum Troß einen König muelis, Kap. 8, daß Gott   den Menschen ursprünglich keinen erwählten, der sich dann auch sofort mit königlichem Pomp umgab. Noch deutlicher wird diese Tatsache durch den Propheten Hosea  . Kap. 13, Vers 11, ausgesprochen:

,, Ich gab dir einen König in meinem 3orn und werde ihn dir in meinem Grimm wieder wegnehmen."

Es gab schon zu Mojes Zeiten eine Demokratie, denn nach Gottes Willen wurden aus allen Stämmen Richter ausges wählt, die die Wünsche und Klagen des ihnen zugeteilten Bolkes vor Mose   zu bringen hatten( 2. Mose 18, Vers 19 bis 26.)

Freilich ist es immer so gewesen und wird so bleiben, wie es im 1. Korinther 1, Vers 26 bis 28, heißt, daß zu wirklichen Christen fast ausschließlich arme und verachtete, un­edle" Leute gehören werden, darum wird ein fapitalistisches Unter­nehmertum in der heutigen Landes- oder fälschlich sog. Bolks". firche viel Platz finden, aber der wahre Christ wird es darinnen nicht aushalten.

Stünde die Kirche auf biblischem Boden, so gäbe es auch feine Kirchenstühle, menn man nach Jacobus, Kap. 2, Vers 1 bis 13, handelte, dort ist davon ausdrücklich die Rede.

Wie das alte Staatssystem innerlich unwahrhaftig wa: und darum zusammengebrochen ist, so wird es auch dieser Kirche ergehen. Georg Wawrzyn,