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Morgenausgabe

Nr. 395

A 201

45.Jahrgang

Böchentlich 85 Bf., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Postbezug 4,32 m. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne­ment 6, M. pro Monat.

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolt und Bett" und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen"," Frauen­ftimme", Techni!"," Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts"

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Mittwoch 22. August 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einfpaltige Nonpareillezetle 80 Pfennig. Reflame aile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das jettge druckte Bort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Borte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen. annahme im Hauptgeschäft Linden Straße 3, wochentagl, von 81/2 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Borwärts- Verlag G.m.b. H.

Zurück vom Rhein !

Eine Aufforderung Vanderveldes.

Paris , 21. August.( Eigenbericht.)

In einem Interview des Soir" erklärt der ehemalige belgische Außenminister Genosse Bandervelde, er sei unbedingt für diesofortige Rheinlandräumung, denn was fönne man

Stresemann noch antworten, wenn er nach der Unterzeichnung des

Kellogg Pattes die Räumung fordere? Diejenigen, die Locarno vorbereitet hätten, müßten blind gewesen sein, wenn sie als na= türliche Konsequenz dieser Verträge und des Eintritts Deutsch­ lands in den Völkerbund nicht die Räumung vorgesehen hätten. Die Räumung sei nicht nur notwendig im Interesse Deutschlands , sondern auch im Interesse der Besaßungsmächte, denn weber für die Sicherheit noch für die Reparationen sei die Besatzung nüzlich.

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Die Besatzung so schließt Bandervelde muß doch 1935 verschwinden. Ich verstehe deshalb nicht, wie man in ihr ein Sicher­heitspfand sehen kann. Man vergißt, daß dieses Pfand in Locarno durch andere Pfänder ersetzt worden ist. Die Besatzung ist weder vom Rechtsstandpunft noch sonst in irgendeiner Hinsicht zu ver teidigen. Sie bildet eine ständige Ursache der Erregung und der Konflikte.

Das harmlose Flottenabkommen. Beschwichtigung ohne Widerlegung durch Veröffentlichung. Paris , 21. Auguft.( Eigenbericht.)

schwichtigung. Am Schluß heißt es: 3u den Klagen darüber, daß das Abkommen nicht veröffentlicht wird, wird mitgeteilt, daß von einer Veröffentlichung A b st and genommen worden sei, um eine gewisse Elastizität zu gewährleisten, die nicht möglich wäre, sobald die Bestimmungen bekannt gegeben werden. Sparmeister Poincaré .

Abstriche am Budget.

Paris , 21. August.( Eigenbericht.)

Der von Poincaré in der Stille seines Landaufenthalts um­gearbeitete Budgetentwurf für 1929 wird nächster Tage den Abgeordneten zugehen. In der Begründung wird zunächst die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Aus: gaben als dringendste Forderung bezeichnet und den einzelnen Mi nisterien der Vorwurf gemacht, in ihren Boranschlägen dem nicht genügend Rechnung getragen zu haben. Es sei unmöglich, die Steuern weiter zu erhöhen; infolgedessen müßten reichliche Ab­striche am Gesamtvoranschlag vorgenommen werden.

T

Während der ursprüngliche Entwurf ein Defizit von 6 Milliar: ben aufwies, ist der Mehrbedarf gegenüber dem Vorjahre jetzt auf eine Milliarde herabgedrückt. Ein Defizit soll aus den Dawes Zahlungen gedeckt werden. Die Mehrausgaben für Heer und Marine, gegenüber dem Vorjahre 4 Milliarden mehr, find auf eine Milliarde herabgesetzt, die besonders zur tech­nischen Vorbereitung der einjährigen Dienstzeit und für Flotten ausbauten verwandt werden dürfte. Die Subventionen für die Flugzeug industrie wurden dagegen von 40 auf 80 Millionen erhöht. Das Verkehrsflugnetz soll erheblich ausgebaut werden. Um die Dames planlieferungen voll auszunuzen, beabsich öffentlicher Arbeiten vorzuschlagen, besonders Ausbau der Häfen und der Binnenschiffahrtsstraßen. Dafür sind allein

Die amerikanische Mißstimmung über das englisch französische Flottenablommen veranlaßt das französische Außenministerium zu beschwichtigenden Auslaffungen. Die ameri- tigt Boincaré der Kammer die Ausführung einer großen Anzahl kanische Balemik wird darin als völlig unverständlich bezeichnet, da es sich bei dem Abkommen nur um die Aufstellung gemein­die samer Richtlinien für Entwaffnung und feineswegs um ein Flottenabkommen handle. Es könne des megen feine Rede davon sein, daß, wie man m Amerika behaupte,

burch eine enge Berbindung der englischen und der franzöfifchen

Flotte das Gleichgewicht der Seemächte gestört werde.

Der Temps leistet sich den Scherz, die Ursache der ameri­fanischen Erregung auf eine tendenziöse Kampagne der deutschen Bresse zurückzuführen. Als ob sie die öffentliche Meinung, ge schweige denn die amtlichen Stellen in den Bereinigten Staaten zu beeinflussen, in der Lage wäre!

Auch die britische Regierung verbreitet durch Reuter eine Be.

Der Skandal von Ostende . Interpellation in der belgischen Kammer.

Brüffel, 21. Auguft.( Eigenbericht.)

Am Dienstagnachmittag verlangten die Sozialisten in der Kammer die sofortige Behandlung einer Interpellation über den Standal im Ostender Kurhaus. Die Regierung

mußte dieser Forderung dank der Entschloffenheit der Sozialisten entsprechen, obwohl der Justizminister abwesend war.

Der frühere Arbeitsminister Gen. Wauters mies auf die Verbindung zwischen der Kabale gegen Huysmans bzw. der Miß handlung seiner Töchter und der Straflosigkeit der Zerstörer der Sowjetausstellung, der Löwener Ballustrade, auf das Gesetz über die Hasardspiele sowie die Anwesenheit italienischer Polizeispiel in Belgien hin. Das Gesez merde keineswegs gemügend respektiert. Wenn die Regierung die verfassungsmäßigen Freiheiten nicht allen Belgiern garantieren fönen, dann würden die Sozialisten sich selbst schützen müssen. Sie seien dazu fest entschlossen.

Ministerpräsident Jaspar wandte sich in seiner Erwiderung gegen die Faschisten und versprach im Namen des Justizministers, daß die Schuldigen ihrer Strafe nicht entgehen würden.

Woldemaras verschleppt.

Polen will Bölferbundsentscheidung.

Warschau , 21. Auguft.( Eigenbericht.)

1,2 Milliarden Sachleistungen vorgesehen.

Das sozialpolitische Programm ist in dem neuen Budget außerordentlich dürftig bedacht. Für Aufbesserung der Beamtengehälter, der Pensionen und der Kriegsrenten, deren An­gleichung an den gesunkenen Geldmert über 3 Milliarden erfordern würde, ist lediglich eine Milliarde ausgeworfen, wovon mehr als die Hälfte auf die Militärrenten entfallen soll. Die von Boincaré zu gesagte Erleichterung der Steuerlaft zugunsten der Minderbemittelten bleibt den kommenden Jahren vorbehalten. Die einzige Ston­zession besteht in einer Erhöhung des steuerfreien Eristenzminimums von 7000 auf 10 000 Franten.

Bolen beabsichtigt, die Haltung Litauens in Genf bloßzustellen und einen Schritt des Völkerbundes zur Beilegung des Konfliktes zu verlangen.

Sowjetschnaps.

Geringe Herabsehung des Kontingents.

In dem Bestreben, den Brannimeinverbrauch allmählich herab. In dem Bestreben, den Brannimeinverbrauch allmählich herab zufeßen, hat die Regierung der Union der SSR. beschlossen, für

1928/29 den Städten nur 215,25 Millionen Liter statt 227,55 im laufenden Jahre zu überlassen. Zugleich empfahl sie den 227,55 im laufenden Jahre zu überlassen. Zugleich empfahl sie den Regierungen der Sowjetrepubliken, Verordnungen zu erlassen, durch welche an den Lohntagen der Bertrieb von Branntwein in un­mittelbarer Nähe der Fabriken verboten wird.

China und England. Protestbewegung in der Kuomintang.

Paris , 21. Auguſt.

Die Mitglieder der Kuomintang von Hankau haben, wie die Agentur Indo- Pacifique meldet, gegen Minister Wang einen Pro test nach Ranking gerichtet. Sie fordern die Entlassung und Be= strafung Bangs mit der Begründung, dieser habe China durch Unterzeichnung des Abkommens zur Regelung des Nankingzwischen falls mit England erniedrigt und die Souveränität

Chinas vertauft.

Stadt St. Ingbert bankrott. Infolge der Spekulationen des Sparfaffenleiters. Saarbrüden, 21. Auguff.( Eigenbericht.)

In der litauischen Antwort auf die polnische Note wer­den nach den Informationen des Auswärtigen Amtes beide pol­nischen Borschläge, die Plenarsizung nach Genf oder Königsberg Die Stadt St. Ingbert hat ihre Zahlungen eingestellt und einzuberufen, zu rüdgewiesen. Woldemaras wünscht die Kon- fich fozulagen für bankrott erklärt. Dieser Zustand ist auf Machen­ferenz angeblich nach der Tagung des Bölkerbundsrats abzuhalten. Schaften des früheren Leiters der Städtlichen Spartaffe zurückzu­Da der polnisch- fitauische Konflikt im September in Genf nur beführen. Der Bürgermeister der Stadt erflärte, daß die Geschäfte fprochen werden fann, wenn ein abschließender Bericht über die polnisch litauischen Berhandlungen vorliegt, jo läuft die Taftif Woldemaras offensichtlich auf eine weitere Berzögerung Der Angelegenheit hinau

der Berwaltung nur mit Hilfe der Regierungsfom. miffion des Saargebiets fortgeführt werden könnten. 3m anderen Falle würde St. Ingbert als Wirtschaftskörper aufgehört haben zu egiftieren.

Postscheckkonto: Berlin 37 536.

Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten

und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenstr 3

Lord Haldane.

Jurist Philosoph - Staatsmann.

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( Bon unserem Londoner Rorrespondenten.)

E. W. London , 20. Auguft.

Wer Lord Haldane erst in den jüngsten Jahren zum ersten Male begegnet ist, der bekam wohl keine richtige Vor­ftellung mehr von dem bedeutenden Manne, der eben im drei­undsiebenzigsten Jahre verschieden ist. Wohl war man von dem unerschöpflichen Gedächtnis und der unverminderten Schärfe seines Dentens betroffen, aber es strahlte von dem Siebzigjährigen nichts mehr aus. Der greise Staatsmann glich einem nach Innen ausgebrannten Krater, dessen äußere Silhouette noch immer beherrschend und ehrfurchterregend die Landschaft dominiert, dessen Feuer jedoch längst erloschen ist.

Lord Haldane war mehr als nur ein Politiker und selbst als nur ein Staatsmann. Er war ein philosophischer Denker von mehr als alltäglichen Fähigkeiten, der sich einst in seiner Jugend in Göttingen den philosophischen Doktorhut geholt hatte, und er war überdies ein Jurist, der die Spuren feines Erdenwandels tief in die britische Rechtsgeschichte eingegraben hat. hat. Eine enzyklopädische Persönlichkeit. Philosoph aus Leidenschaft, Jurist aus Beruf und Politiker aus Berufung, reiht er sich in die große Schar jener englischen Staatsmänner ein, die ein, die wie die ,, Times" in ihrem Nachruf auf Lord Hal­dane feststellt troz höchster und seltenster intellektueller Gaben den Dienst am Wohle der Allgemeinheit möge er sich auch äußerlich in der Form vulgärer und kleinlicher Par­teienfämpfe abspielen- nicht verachtet haben.

Ueber die Bedeutung Haldanes als Jurist werden die Rechtsgelehrten ein letztes Wort zu sprechen haben, der Laie vermag nur ungenügend abzuschäzen, wieviel von den Lor­beeren, die jetzt am Grabe gespendet werden, echte Hul­digungen darstellen. Seine Bedeutung als Philosoph fann schon leichter in einer richtigen Perspektive gesehen werden. Haldane war als Philosoph niemals ein schöpferischer Geist. Aber seine Fähigkeit der Verarbeitung fremden Ge­dankengutes, der Popularisierung schwierigster Probleme, die tristallene Klarheit seines Wortes hätten ihn sicher zu einem der großen geistwissenschaftlichen Lehrer seiner Zeit gemacht

hätte es ihn je nach akademischen Lorbeeren gelüftet. Man hat von ihm gesagt, daß er nicht nur einer der wenigen Briten

war, die Einsteins Relativitätstheorie verstanden haben, son­dern daß er auch imstande gewesen wäre, sie dem erstbesten Menschen auf der Straße verständlich zu machen

Haldanes wirkliche Bedeutung und historische Leistung lag jedoch auf politischem Gebiete. Hier fam ihm jene seltene Mischung von theoretischer Schulung und praf­tischem Blick in höchstem Maße zugute, besonders in England, wo ,, der Glaube an die Wirksamkeit und Bedeutung einer intelligenten Organisation unter Staatsmännern nicht häufig anzutreffen ist". Es ist auf den ersten Blick seltsam, daß ein Mann mit Gaben, wie den oben umschriebenen, gerade zum Kriegsminister berufen worden ist: seine juristischen Fähigkeiten, feine soziologischen Studien, sein Interesse für Erziehungsfragen und sein Interesse für soziale Fragen schienen ihn von Hause aus auf ein ganz anderes politisches. Betätigungsfeld hinzuweisen. Aber in einem Lande, zu dessen vornehmsten Traditionen es gehört, sich grundsätzlich nicht von Fachleuten, sondern von Dilettanten und Amateuren regieren zu lassen, konnte die Ernennung Haldanes zum Kriegsminister im Dezember 1905 nicht erstaunlich sein. Haldane fand sich denn auch, dank seiner dialektischen Schulung und seiner ungeheuren geistigen Energie, bald in seinem neuen Ressort zurecht und wurde binnen menigen Jahren zum größten Kriegsminister, den England in den letz­ten hundert Jahren seiner Geschichte gehabt hat. Er war es, der das gesamte militärische Wesen Großbritanniens von Grund auf reorganisierte, die britischen Expeditionstruppen den modernen Kriegsnotwendigkeiten anpaßte und, die bri­ tische Territorialarmee( das stehende Heer) schuf, die sich im Kriege als Kader für General Kitcheners Armeen als ein ernstzunehmender militärischer Faktor erwiesen hat. Es war Lord Haldane," schreibt der ,, Daily Telegraph ", der das britische Kriegsministerium instand setzte, drei Wochen nach Ausbruch der Feindseligkeiten sechs vollgerüstete, friegsstarke Divisionen nach Frankreich zu senden," und dadurch im höchsten Maße zum Mißlingen der deutschen Offensive an der Marne beizutragen. Es war Lord Haldane, der die alte Freiwilligen- Truppe auf einer neuen Basis mit solchem Er­folge reformierte, daß die Bataillone der Territorialarmee bereits im September 1914 imftande waren, den regulären Truppen ins Feld zu folgen..." Lord Haldane werde unter den britischen Staatsmännern, die zum Siege der Alliierten im Jahre 1918 beigetragen haben, stets einen ehrenvollen Blag einnehmen.

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Lord Haldane dürfte über diese historische Einreihung feines Lebenswertes, wie sie schon in den letzten Jahren seines Lebens gang und gäbe maren, nicht ohne traurige Ironie ge lächelt haben. Denn nur eine wahrhaft tragische Weltkonstel lation fonnte ihn, der einmal Deutschland seine ,, geistige Hei­¡ mat" genannt hatte- ein Ausspruch, der ihn piele Jahre