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Nr. 395 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Mittwoch, 22. August 1928

Bahnhofsburg am Messegelände.

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Kromme

Am 23. Auguft wird die elektrifizierte Strede Charlottenburg­Spandau in Betrieb genommen. Auf den besonders geschaffenen Borortgeleisen werden alle Biertelstunden die Züge von und nach Spandau rollen. Der alte Bahnhof Eichkamp verschwindet vollständig, dafür überbrückt der prächtige, moderne Bahnhof ,, Eichkamp neu" die Geleise am Fuße von Berlins höchstem( fünft lichen) Berg. Auf unserem Bild sehen mir links im Vordergrund das Stellwert zur Bedienung des Güterbahnhofs für Ausstellungs­zwecke. Hier laufen auch die Personenzugsgeleife Weftend- Grune wald. Links im Hintergrund wird das burgartige Empfangs. gebäude des Ausstellungsbahnhofs sichtbar, der als Umsteigebahnhof den Verkehr von Grunewald- Spandau mit der Stadt- und Ringbahn vermittelt. Weithin sichtbar ragt der Turm des Kraftstellwerts in die Höhe. Hier befinden sich die Sicherheitsanlagen für den Zugverkehr. Eine Gleistafel( ähnlich anie auf der Untergrundbahn) unterrichtet den Wärter genau, welche Abschnitte besetzt sind. Eine Brüde führt zum Ausstellungsgelände, dessen riesige Ausdehnung die Errichtung eines besonderen Aus stellungsbahnhofs" gerechtfertigt erscheinen läßt. Mit der Inbetrieb­nahme sämtlicher Neuanlagen rechnet man zum Herbst.

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Der dritte Bahnsteig in Wannsee . Gestern, wurde auf dem Bahnhof Wannsee der dritte Bahn steig dem Verkehr übergeben. Bisher fuhren die Züge der Bann­seebahn an dem ersten Bahnsteig an, während auf dem zweiten Bahn­steig die Züge der Stadtbahn in der Richtung nach Charlottenburg und nach Botsdam gemeinsam mit den Fernzügen in der Richtung nach Büsten abgefertigt wurden.

Künftig werden die Vorortzüge aus der Richtung pon Charlotten burg und die Züge der Wannseebahn aus Richtung Berlin - Wannsee­ahnhof und die Züge nach Stahnsdorf den Bahnsteig I benußen. Auf dem Bahnsteig II werden die Züge aus der Richtung Pots­ dam und Stahnsdorf in der Richtung nach der Stadtbahn( Char: lottenburg) und die Züge in der Richtung nach dem Wannseebahnhof

Die Nacht nach dem Verrat.

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Roman von Liam O'Flaherty .

( Aus dem Englischen überfest von R. Hauser.) Er brach in ein dumpfes, schweres Lachen aus und sagte Er brach in ein dumpfes, schweres Lachen aus und sagte mit blödem Grinsen: Wir zwei beiden, Kommandant. Was? Wir hauen sie alle in die Flucht. Was meinst du?" Gallagher hatte die ganze Zeit über Gypo mit regungs­losem Gesicht unverwandt angesehen. Schweigend wandte er sich ab und redete Mulholland an: Was ist mit deinem Auge los, Bartly?"

Gypo trat einen Schritt vor, und Gallagher vertraulich auf die Schulter klopfend, unterbrach er: Er fam mir in den Weg. Na, und da hab' ich ihn mit dem Handrücken' n bißchen angetippt. Das ist alles, bei meiner Seele. Mit ' nem draufgelegten Fezen Beefsteat wird' s schon wieder in Ordnung fommen. Mach dir um den feine Sorge, Rom­

mandant."

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Mit einer ärgerlichen Bewegung wandte sich Gallagher ab und ging in das Untersuchungszimmer zurüd. Mul­holland sah Gypo mit wildem Haß in den Augen an. Dieser blidte mit geschwellter. Brust anmaßend um sich. Gallagher rief von der Schwelle des Untersuchungs­zimmers herüber: Nolan, geh in das Zimmer da quer über den Gang. Das dritte von rechts. Das da. Warte dort, bis du gebraucht wirst. Verstanden?" Jamoll, Kommandant. Ich gehe schon. Ich- verdammte Mauer. Geh mir aus dem Weg, wirst du wohl?" Schwer atmend stolzierte Gnpo auf ziemlich unsicheren Füßen den Gang entlang. Blöglich stieß er mieder gegen die Wand und lachte mit geschlossenem Mund aus der Kehle. Dann ging er geradeaus auf das Zimmer los, in dem Mulli gan, die Ratte, mit seinen Wächtern saß. Nachdem er darin verschwunden war, mintte Gallagher Mulholland. Dieser tam und beide gingen in das Untersuchungszimmer. Die Bosten tamen und stellten sich fäffig mit den Gesichern zum Gang quer über der Schwelle auf, die Revolver in den Händen. Die Boruntersuchung hatte begonnen.

Gypo ließ sich auf einen Stuhl neben Mulligan fallen. Mit den Händen auf den Knien saß er einige Augenblice da, angespannt vor sich auf den Boden blickend, durch die Nase atmend. Seine rüffelähnlichen Augenbrauen zudten. Dann

So sieht das neue Empfangs­gebäude des Ausstellungsbahn­hofs in Halensee aus. Obwohl es sich um modernste technische Bauten handelt, rufen Brücken, Wälle und Türme den Eindruck einer burgartigen Anlage hervor.

Berlin abgefertigt. Der dritte Bahnsteig dient dem Fern­verkehr von Charlottenburg nach Güsten und dem Bororiverkehr Wannsee- Beelitz Heilstätten. Es entsteht dadurch der große Vorteil für die Reisenden, daß sie in beiden Reichtungen von der Wannsee­nach Berlin von einem Zug zum anderen übergehen können, ohne bahn nach der Richtung Potsdam oder von der Richtung Potsdam den Bahnsteig zu wechseln.

Zu den Typhuserfrankungen in Potsdam . Die Behörden sind zurückhaltend!

Troß der Vorkehrungsmaßnahmen, die von den zu­ständigen Behörden in Potsdam und Umgegend getroffen worden sind, um das Weiterverbreiten des Typhus zu ver­hindern, steigt die Zahl der Erkrankten ständig. In den Krankenhäusern liegen, wie die Behörden angeben, 42 Per­fonen, darunter sind 27 Patienten aus Potsdam . Im Laufe des gestrigen Vormittags ist, wie wir mitteilten, eine Patientin, eine Frau aus Potsdam , an Typhuserkrankung infolge Herzschwäche verstorben. Auch in Beelig sind zwei Patienten als typhusverdächtig eingeliefert. In Eiche bei Bots­dam find zwei Kinder eines Bantbeamten unter typhusverdächtigen Erscheinungen erkrankt. Eigenartig berührt es in Potsdam , daß die zuständigen Behörden sich äußerst zurück­haltend in bezug auf öffentliche Warnungen über den Genuß von ungetochter Milch und Ob st verhalten. Man ist offensichtlich in Potsdam start bemüht, die Erkrankungen nicht allzusehr bekannt werden zu lassen, um den Fremdenverkehr Potsdams nicht abzuschneiden. Auf dem Botsdamer Wochenmartt ist jetzt eine Kontrolle der Schlächter und Geflügelbuden durch Tierärzte angeordnet. Nach wie vor kommt die Milch aus der Beeliger Meierei, die als Typhusherd entdeckt ist, nach Potsdam . Aller­dings geschieht die Pasteurisierung der Milch in Beelitz

hob er den Kopf und fah sich um. Er betrachtete jeden der bewaffneten Männer und nickte jedem einzelnen zu, als ob er ihn fenne. Sie nidten alle zurüd, aber mit fauren Mies nen. Als er die zusammengesunkene Gestalt Mulligans er­blickte, zog sich sein Gesicht ratlos zusammen. Er fragte sich am Schädel, nahm seinen Hut ab und flopfte ihn verlegen gegen das Hosenbein, als ob er ihn abstauben wollte. Dann fegte er ihn wieder auf den Kopf und streckte die rechte Hand aus, wie um Mulligans Schulter zu berühren. Aber als die Hand nur noch um einen Zoll von Mulligans Schulter ent­fernt war, zog er sie plötzlich mit einem Rud zurüd, sprang mit einem Fluch auf die Füße und stand heftig atmend vor ihm. Mit belegter Stimme, aber sehr eindringlich, flüsterte er ihm zu: ,, Mulligan, Ratte! Was machst du hier? He, Mulligan!"

Mulligan rührte sich zwei Sefunden lang überhaupt nicht. Er faß mit meit auseinandergestreckten Plattfüßen und zusammengepreßten Knien auf feinem Stuhl. Seine Hände lagen mit der Innenfläche nach oben auf den Knien, auf den Handflächen lag jein Kopf. Sein fleiner, ausge zehrter Körper war mit einem schmeren, schwarzen Mantel bedeckt, der mit auf dem Boden schleifenden Enden um ihn herumhing. Sein Hut lag neben ihm auf dem Boden, da, er unbeachtet vom Schädel hinuntergefallen war. Sein struppiges schwarzes Haar mar zermühlt und feucht.

Endlich hob er langsam den Kopf, um Gypo anzusehen. Sein gelbes und hohlwangiges Gesicht zeigte große, traurige, dunkle Augen und einen großen Mund, der mit zwei lücken­lofen Reihen gelber Zähne angefüllt war. Der Mund stand weit offen, die Augen starrten blutunterlaufen. Sein ganzer Leib, von der Schwindsucht verwüstet, war schrecklich anzu­sehen. Gypo stoďte bei diesem Anblick der Atem, und ein Ausdrud des Entsezens froch in seine kleinen Augen.

Er flüsterte: ,, Ratte, wie tommst du hierher? Menschens find, marum liegst du nicht im Bett?' s ist für einen Kranten feine Tageszeit, außer Haus zu sein."

Die Ratte starrte Gypo stumpf an, als ob er ihn meder höre noch sehe. Dann fant sein Kopf wieder langsam auf seine Hände zurück. Er schauderte und saß still.

Gypo ging leise zu ihm. Er büdte sich und berührte seine Schulter, mie um ihn zu trösten oder ihm sein Mit­gefühl auszudrüden. Aber sobald seine Hand Mulligans Schulter berührte, fuhr er mit einem Fluch zurück. Unter dem Einfluß dieser Berührung flutete die Erinerung an alle Borgänge dieses Abends in sein truntenes Hirn zurück. Er

unter polizeilicher Kontrolle. Die Milchwagen in Potsdam werden zum größten Teil von jugendlichen Personen, die auch die Milch in die Häuser tragen, bedient. Ob diese Per­jonen ärztlich untersucht sind, daß sie nicht etwa aus einer typhus­erfrantten Familie stammen, fann leider nicht mit Ja beant­wortet werden.

Typhus in Wehlau .

Der typhusfrante Melter im Kuhstall!

Wie unglaublich leichtfertig die Typhusgefahr vergrößert und auf weitere Kreise übertragen werden tann, zeigt ein Bericht aus Ostpreußen , wo ein typhustranter Melfer ruhig weiter im Kuhstall beschäftigt wurde.

In der ostpreußischen Kreisstadt Wehlau sind in der letzten Zeit zahlreiche Personen an Typhus erkrankt. Der Krankheitsherd ist in einer Besitzung in Alt- Wehlau festgestellt, wo ein typhus= franter Melter noch mehrere Tage die Kühe gemolfen hat. Es ist inzwischen gelungen, alle erkrankten oder typhus­verdächtigen Personen von der Umwelt zu trennen, so daß ein meiteres Umsichgreifen der Seuche taum zu befürchten ist. Ins­gefamt find im Behlauer Krankenhaus bzw. in Rönigsberger Kliniken 31 typhustrante Berfonen untergebracht. Außerdem stehen noch einige Krante bzm. Berdächtige in Wehlau unter ärzt­ficher Aufsicht. Eme Person ist verstorben. Eine andere liegt Schever trant danieder.

Theodor Fischer sechzigjährig.

Heute begeht der Bezirkssekretär der Sozialdemokratischen Bartei Berlins seinen 60. Geburtstag. Er wurde in einem Drt Hinter­pommerns geboren. Dort verlebte e: eine echte Proletarierjugend. Frühzeitig hat er Not und Sorge tennengelernt. Nach Beendigung feiner Lehrzeit ging er auf die Wanderschaft und reiste im In- und Ausland. Auf der Wanderschaft wurde er mit den großen Zielen der modernen Arbeiterbewegung bekannt und widmete sich ihr mit er seinen Berufskollegen großem Eifer. Als Zimmermann war ein stets hilfsbereiter Kollege. Biele Jahre stand er an führender Stelle in der deutschen Zimmererbewegung. In den 90er Jahren manchen Strauß mit den Befürwortern der zentralen Gewerk­mar er ein glühender Anhänger der Lokalgewerkschaften und hat schaftsbewegung ausgefochten. Heute noch rühmen unsere Alten den Tatmenschen Theodor Fischer und so mancher Berufsgenosse hat den Tatendrang unseres Geburtstagskindes zu spüren bekom­So wie er mit ganzer Liebe und Aufopferung sich für die Interessen seiner Berufskollegen einsetzte, hat er auch stets in der Sozialdemokratischen Partei seine Pflicht getan. Seine politischen Gesinnungsfreunde brachten ihm immer das größte Vertrauen ent­gegen und so übertrugen sie ihm Ehren- und Vertrauensämter in großer Zahl. Nach dem Tode unseres Genossen Leopold Liep mann wurde Genosse Fischer im Jahre 1908 als Verbandssekretär der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlin gewählt. Seit vielen Jahren ist er Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung und 1919 gehörte er für den Wahlkreis Berlin auch der versas­funggebenden Preußischen Nationalversammlung cn. Es ist nicht möglich, die großen Verdienste Theodor Fischers im Rahmen dieses Artikels aufzuführen. Der Wunsch der Berliner Parteigenossen geht dahin, daß es dem Geburtstagsfinde vergönnt fet, noch recht lange Beit am Werke der Befreiung der Arbeiterklasse tatkräftig

men.

mitzuarbeiten.

Die Zafchla- Flugzeugausstellung im Kofodil( Am Oranien burger Tor) ist bis zum 26. August verlängert. Es handelt sich, wie bereits gemeldet, um das auf dem Tempelhofer Feld ausprobierte Rotationsflugzeugmodell, welches sentrecht starten, lan= den und in der Luft stillstehen kann. Besichtigung mit Vorträgen von Oberingenieur 3aschta täglich von 3 bis 10 Uhr. Mittwoch, Freitag und Sonntag von 11 Uhr vormittags an. Eintritt 20 Pfennig.

erinnerte sich deutlich, in dem Wirtshaus Mulligan, die Ratte, als den Mann angegeben zu haben, der McPhillip verraten habe.

Er schaute argwöhnisch um sich und dann auf die be­waffneten Männer, deren Augen gleichgültig in alle Ecken schweiften, mit einem gelangweilten Blick, der typisch ist für Menschen, die unter Disziplin stehen. Weder an Gypo, noch an Mulligan nahmen sie das geringste Interesse. Gypo sezte sich wieder hin. Er nahm den Schädel zwischen seine Hände und preßte ihn angestrengt, um wieder Macht über seine Sinne zu gewinnen.

Drei Minuten lang saß er fo, alle Kraft für die Be­mühung sammelnd, seiner Trunkenheit Herr zu werden. Gr war sich taum bewußt, daß er sich mühte. Es war Instinkt, der ihn vor den Gefahren warnte, die vor ihm lagen, Instinkt, den die Berührung mit Mulligans Körper geweckt hatte. Seine Trunkenheit leistete zähen Widerstand. Bogen von rasendem Fieber brandeten beständig durch seinen Körper, von der Brust aus stiegen sie ihm in den Kopf mit der plötzlichen Bewegung von Meereswogen, die an einer Klippe emporschnellen. Der Kopf dröhnte und schwindelte ihm. Seine Augen blinkten, seine Zunge blubberte lose und wollte sprechen, singen und lachen. Eine ungerechtfertigts Freude durchflutete ihn, eine Freude, die nicht seinem gegen­märtigen Selbst entsprang, sondern einem seltsamen, fremden Wesen, das für eine Zeitlang ihn als Wohnung gewählt hatte. Er konnte dieses neue fremde Wesen in sich mit mildem Haß betrachten, als er seine Hände an den Schädel preßte. Das Ding war sein Feind; er mußte seiner Herr werden.

Schließlich fühlte er, wie die Trunkenheit allmählich von ihm mich, so wie ein Schmerz nachläßt in der Nacht. Sie verschwand nicht, aber ihre Wirkungen veränderten sich. Statt tollkühn und vor Bergnügen außer fich, begann er sich jeßt als liftig zu empfinden, behutsam, finster, voller Trog und unerhört start. Sein Kopf fühlte sich ab und beruhigte sich. Er schien plöglich mit Stahl gepanzert, so daß er vom Drud seines Schädels gegen die Stirnhaut beinahe einen törperlichen Schmerz verspürte. Seine Zähne preßten sich aufeinander, sein Gesicht nahm den Ausdrud steinerner Apathie an, die Lippen erschlafften, die Baden entspannten sich und die Augen murden starr. Alle Muskeln seines Kör­pers lockerten sich, mie bei einem Athleten. der ruhig dasteht, jedoch bereit ist, irgendwohin loszustürzen wie ein Bfeil.

Forthegung folgt.)