Beilage
Mittwoch, 22. August 1928.
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Was wir in Belgien und Frankreich sahen.
Von der Ferienreise des Sozialistischen Reichs- Bildungsausschusses.
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Die Stationen unserer Reise waren Brüssel , Antwerpen ,| Werte umsetzte; in drei Generationen folgen sich die Großmeister| beziehung des Seine - Flusses ins Stadtbild, wie wir sie vielleicht Paris . Aber dazwischen und darum herum liegt vieles liegen der Antwerpener Malerschule: Quentin Massys , Pieter Breughel, Eindrücke von fremden Ländern und unbekannten Kulturen. Die Geschichte unserer Nachbarvölker spricht in beredten Worten aus den Denkmälern der Vergangenheit, auf denen sich wie auf einem soliden Fundament die Gegenwart aufbaut. Wir haben in Deutschland nicht solche ſtolzen Bauwerke wie in Flandern und Frankreich . Nicht
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etwa deswegen, weil wi: Deutsche fünstlerisch weniger begabt gewesen wären im Gegenteil: deutsche Handwerfer hat man überall hingerufen. Hans Memling , einer der Hauptmeister der herrlichen Malerschule von Brügge im 15. Jahrhundert, stammt aus der Gegend von Mainz , und in Versailles haben am Bau des Märchenschlosses Ludwigs XIV. zuweilen mehr deutsche Werfleute gearbeitet als Franzosen oder Italiener . Aber eben das ist das Lehrreiche: fie mußten die Heimat verlassen, um Rulturmittelpunkte zu finden anstatt der Enge, Zerrissenheit und Erbärmlichkeit des deut schen Bar.itularismus:
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Der Marktplatz von Brüssel , wo das gotische Rathaus, ein gewaltiger Bau, inmitten der reichvergoldeten Gildenhäufer die Bedeutung dieser mächtigen Handels- und Gewerbestadt seit dem 14. Jahrhundert verkündet, ist etwas Einmaliges, Unvergleichliches. Nichts, aber auch nichts stört die Größe und Reinheit des monumentalen Eindrucks. Kein späteres Denkmal beeinträchtigt die die Raumwirkung, die die vollkommen geschlossenen Blazwände Zufahrtsstraßen liegen in den Eden hervorrufen. Der Rathausturm selbst, ganz mühelos und fast spielend aus dem Gesamtbau herauswachsend, löst seine schwere Steinmasse allmählich in ein Nichts auf, verschwebt und verklingt im Himmel. Es iſt bezeichnend für die wirtschaftliche Entwicklung dieser niederländischen Städte. daß sie ihre Dome nicht haben zu Ende bauen können noch Mecheln , noch Antwerpen , während die Wahrzeichen ihres Wohlstandes, ihrer bürgerlichen Nacht, ihre Rathäuser, restlos zu Ueber der engen mittelalterlichen Unterstadt baut sich auf dem Hügel, der von altersher ,, Coudenberg" heißt ,, Kalter Berg" die Oberstadt auf, die vom Barockstil bestimmt wird. Von einem fürstlichen. nicht mehr und noch nicht bürgerlichen Stil. Um den fleinen Blaz am" Coudenberge" mit der klassizistischen Kirche St. Jaques herum haben am Ende des 18. Jahrhunderts auf Befehl des Kaisers Josef II. die südlichen Niederlande waren damals
Ende geführt worden sind.
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noch Hausbesitz der Habsburger ein österreichischer und ein französischer Architeft in schöner Eintracht ein imposantes städtebauliches Werk geschaffen: den Königspalast und das Ständehaus, symmetrisch aufeinander bezogen, und getrennt und gleichzeitig verbunden durch einen streng französischen Park.
Und doch hat uns Antwerpen noch besser gefallen. Wir fpürten hier den belebenden Bulsschlag unserer Zeit. Das un ermüdliche Treiben im Hafen, der jetzt wieder auf das Dreifache seines bisherigen Umfanges erweitert werden soll, zeigt uns den Weg, der diefer gewaltigen Handelsstadt an der Schelde gewiesen ist. Militaristische Zerstörungsarbeit hat sie einst, als sie sich gegen den spanischen Dejpotismus um 1570 auflehnte, so fürchterlich getroffen, daß sie auf fast drei Jahrhunderte lahmgelegt, in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung fünstlich gehemmt wurde. Das Rathaus und die gotische Kathedrale, und besonders der herrlichste Kulturbesitz der alten Stadt, das Haus der einst meltberühmten Buchdruckerei Plantin- Mo retus, das mit seiner ganzen ursprünglichen Einrichtung in ein Museum verwandelt worden ist und wie keine zweite Stätte der Welt Kunde gibt von der umwälzenden Kulturbedeutung der Buchdrucker. tunst, des modernen Berlagsgeschäfts all das redet deutlich von der Größe und Wichtigkeit Antwerpens , das um 1500 die flandrischen Handelsemporen Gent , Brügge , pern ablöste und wie ein norbisches Benebig einen Teil jeiner Handelsgewinne in tünstlerische
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Peter Paul Rubens . Rubens , der letzte und größte, hat auch für seinen Freund Plantin gearbeitet und zur Hebung der Buchausstellung wesentlich mit beigetragen. Es ist übrigens auch die Blutverwandtschaft, die uns Deutsche in Antwerpen so anheimelt: viel stärker als in dem im Laufe des 19. Jahrhunderts auf höheren Befehl verwelschten Brüssel schlägt hier die flandrisch- niederdeutsche Art durch. Man wird immer wieder an Hamburg erinnert. Auf dem Wege von Brüssel fesselt das altertümliche Mecheln unseren Blick, dessen Kirchturm wie ein Riesenstumpf in den Himmel hinauf. ragt. Eine Ruine der firchlichen Herrschaft des Mittelalters: Mecheln ist der Sitz des höchsten geistlichen Würdenträgers, des Kardinalerzbischofs, in einem Lande, auf das der römische Klerus seine Hand gelegt hat seit der spanisch- habsburgischen Reaktion.
Aber nun vorbei an den schwarzen Halden des wallonischen Rohlengebiets und seines Hauptortes Mons nach Frankreich . Borbei auch über hundert Kilometer lang an den von unserer Obersten Heeresleitung in ihrer unergründlichen strategischen Weisheit verwüsteten und für unsere Steuergroschen mühsam wieder aufgebauten Gebieten, deren Mittelpunkt St. Quentin heißt. Welche. ungeheuerliche Vergeudung von Kräften und Mitteln! Und wie viele hunderttausende blühender Menschen haben dafür, für diesen gräßlichen Wahnsinn, ihr Leben lassen müssen! Nie wieder, nie wieder..
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Paris muß man vom Eiffelturm herab betrachten, aus einer Höhe von 300 Metern. Dann erst enthüllt sich der Plan dieser unermeßlichen Stadt. Sie ist nicht nur volfreich und ausgedehnt wie Berlin und London sie ist organisch angelegt. Man hat eben nicht einfach ein paar große Provinzstädte aneinandergereiht, sondern man hat mit einer bewundernswerten architektonischen Klarheit und Sicherheit von dem uralten Zentrum, der ,, Cité", wie von einem Herzen aus, die Arterien ausstrahlen lassen. Vor zwei Menschenaltern noch hat der Seine- Präfeft Haußmann in der Altstadt die großen modernen Berkehrsstraßen durchgebrochen, die ,, Boulevards", und damit ein nachher nicht wieder erreichtes Beispiel gegeben, wie man mit pietätvoller Schonung der historischen Architektur eine Stadt modernisieren fann.
Das Geheimnis der Einheitlichkeit dieses Stadtbildes beruht nicht in der Einzelleistung so herrlich auch Monumentalschöpfungen sein mögen wie die Kathedrale von Notre Dame, die Ste. Chapelle im Hof des aus der ehemaligen Königsburg erwachsenen Justiz palaftes, des Louvre mit seinem Tuileriengarten, der Kuppelkirchen des Invalidendoms und des Pantheon -: es beruht in der Tradition, in dem stetigen, systematischen Fortwirken von Generationen nach Generationen. So allein tonnten die großen, ruhigen Straßenzüge entstehen, von denen die Rue de Rivoli und die Avenue des Champs Elysées Prachtbeispiele sind; so allein jene meiträumigen und doch ganz geschlossenen und unvergleichlich großartigen Bläge wie die Place de la Concorde und Place Vendôme ; so nur die wundervolle Ein
Ein solch planmäßiges und großzügiges Bauen ist wiederum nur möglich in einem fest geordneten und zentralisierten Staat, der nicht, wie wir es in Deutschland gemacht haben, seine Kräfte und Fähigkeiten in Einzelstätchen zersplittert und in einem unfruchtbaren Parteipartitularismus verfommen läßt.
Das ist die vornehmste funstgeschichtliche, zugleich aber die poli tische Lehre, die wir von dieser an Bewegungen und Eindrücken reichen Ferienreise mit nach Hause nehmen konnten. Hermann Hieber.
Kinder auf Fahrt.
Der Bezirk Berlin- Brandenburg hatte am ledersee bei Schöp:| haben vor hundert Jahren vielleicht die Bauern unter Folterqualen furth seine diesjährige Kinderrepublik aufgebaut und erfolgreich gelitten. durchgeführt. Leider konnten nicht alle Kinder der Kinderfreunde an diesem Zeltlager teilnehmen. Da aber die Kinderfreunde bestrebt find, recht oft und recht lange mit den Kindern zusammen zu sein, so wurden mit den Kindern, die das Zeltlager nicht mehr fassen konnte, Ferienfahrten unternommen. Der Gruppe ,, Birke " in Neukölln war es möglich, mit 24 Kindern, Knaben und Mädchen im Alter von 7 bis 14 Jahren, die Ferienzeit in der Jugendherberge Auf der 7 bis 14 Jahren, die Ferienzeit in der Jugendherberge„ Auf der Burg" in Stargard i. Meckl. zu verleben. Diese Jugendherberge ist wie für junge Menschen geschaffen.
Der Weg vom Bahnhof zur Burg ist schon recht intereffant. Die Häuschen dieser hügeligen Straße, von der aus man in die eigentliche Stadt hinuntersehen fann, standen im schönsten Rosenschmucke, als wir anfamen. Der düstere Hohlweg zur Burg, über den sich die Kronen der Buchen zu einem Dache zusammengeschlossen hatten, steigerte die Erwartung der Kinder, die bis dahin nur den Turm der Burg aus den Bäumen hervorragen sahen. Endlich standen wir vor einem alten Burgtor, in das wir nicht mehr über eine Bugbrücke zu gehen brauchten, wie es wohl früher gewesen sein mag. Es war ein fester Weg gebaut, auf deffen einen Seite noch ein Stück Ballgraben einen Teich bildete, auf dem sich die Enten tummelten. Auf der anderen Seite des Eingangsweges war der Burggraben in einen idyllischen Garten umgewandelt worden. Eine freundliche Herbergsmutter, die alles zum Empfang bereit gemacht hatte, führte uns in unser Quartier.
Wie unser Quartier aussah.
Noch einmal ging es durch ein Burgtor auf einen großen runden | Hof, auf dem alte Linden und Kastanien standen. Bisher hatten die Kinder in dem alten Gemäuer noch nichts entdeckt, was auf eine Jugendherberge hindeutete. Die Herbergsmutter schloß zum Erstaunen der Kinder eine Tür in dem alten Gemäuer auf, wo eine Steintreppe in einen großen, freundlichen Raum, die frühere WaffenSteintreppe in einen großen, freundlichen Raum, die frühere Waffen tammer der Burg, führte. So etwas hatten sie aber nicht erwartet. 128 3upfmännefen an den Wänden begrüßten uns; die Tafel war gedeckt und Blumensträuße vervollständigten die Ausschmückung. Ueber einem Fenster war ein Trostspruch für Nörgler angebracht folgenden Inhalts: Wem diet Quartier nich geföllt, de tred ut!" Wir hatten feine Ursache zum Ausziehen; uns hat es sehr gut ge= fallen. Nachdem die Sachen untergebracht, die Lager verteilt waren, machten sich die Helfer daran, für Essen und Trinken zu sorgen, was ohne Schwierigkeiten in der anliegenden Küche geschehen fonnte.
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Was gab es in diesem schon 800 Jahre alten Gemäuer alles zu bewundern! Die Ruinen des im Jahre 1919 abgebrannten Amtshauses; die alte, jetzt als Wagenremise verwendete Kapelle; der Turm, die zerfallenen Mauern, die Bäume mit den riesigen Stämmen und Kronen. Erstaunt waren die Kinder, als wir ihnen sagten, daß gerade diese Burg eine der schlimmsten Fronfesten der damaligen Zeit gewesen ist. o fich heute Kinder in ausgelaffenem Spiel tummeln,
Auf ihrer Orientierungsreise entdeckten die Kinder auf einem der schönsten Plätze bei der Burg, von dem aus man in das Innere der Stadt hinabsehen kann, die Grabstätte von Hans Leuß , der Person nach den Kindern unbekannt, aber die Inschrift auf dem Dent stein:„ Ein Helfer der Bedrüdten", Holt fast", sagte ihnen, hier liegt jemand begraben, der uns nahestand. Mit Sorgfalt wurde das Grab, das durch Gleichgültigkeit vernachlässigt war, von den Kindern wieder hergerichtet. Eine Familie, die uns besuchte, schickte Blumen pflanzen, die die Kinder auf und um das Grab pflanzten. Einige Einwohner der Stadt, die mit Zittern und Bangen den vierwöchigen Aufenthalt von 24,, ungezogenen" Berliner Großstadtkindern er wartet hatten, bekamen vor dieser Pietätskundgebung solche Achtung, daß den Kindern versprochen wurde, das Grab weiter zu pflegen. Als sie nun hörten, wir seien Sozialisten und sozialistische Kinder, haben sich diese Leutchen nur angesehen und gemurmelt:„ Wir dachten, Sozialisten sind roh!" Das Verhältnis zwischen den Be wohnern der Stadt und der Burg wurde sehr innig, und wenn auch die Weltanschauungen auseinandergingen, so war doch gegenseitige Achtung und Freundschaft vorhanden. Selbst die Stadtbehörde des nicht sozialistischen Städtchens fam uns entgegen, indem sie uns die Badeanstalt zur Benutzung überließ.
Wanderungen in der Umgebung.
Die weitere Umgebung von Stargard i. Meckt. ist herrlich und lädt zum Wandern ein. Ein Waldweg führt den Wanderer in ein einhalb Stunden an den Tollensee, in dem das Baden nach der Wanderung ein Bergnügen ist. Diese riesig große Wasserfläche, von bewaldeten Bergen umrahmt, macht einen überwältigenden Eindruck, besonders wenn der Wind über das Wasser geht und hohe Wellen hervorbringt. Auch die Wanderung nach der 9 Kilometer entfernten Stadt Neubrandenburg mit ihrer alten Stadtmauer und den Toren lohnt sich der Mühe. Hier findet man ein Reutermuseum und sonstige historische Sehenswürdigkeiten.
Die vier Wochen unseres Ferienaufenthaltes vergingen unter dem Erleben von Neuem an jedem Tage sehr schnell. Der Abschied wurde uns nicht leicht. Unsere neuen Freunde aus Stargard und der Burg gaben uns das Geleit bis zum Bahnhof. Mit unserem Gruße Freundschaft!" nahmen wir Abschied, als sich der Zug in Be wegung setzte. Lange noch winften wir uns gegenseitig zu. Am schwersten fiel uns der Abschied von unserer liebenswürdigen Herbergsmutter, mit deren Angehörigen mir eine große Familie gebildet hatten.
Leider wird Stargard , dieses schöne Fleckchen Erde , von den Jugendwanderern wenig beachtet. Wir können aber jedem Wanderer nur empfehlen, eine größere Fahrt nach hier zu unternehmen; sie finden neben den Naturschönheiten eine saubere Herberge und liebe Wilhelm Gerhardt, volle Aufnahme,