Er. 399* 4< Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Freitag. 24. August 492»
UücMs in der SEenlralnmrMImUc
Eine Riesenstadt wie Verlin verbraucht jährlich etwa 440 Millionen Kilogramm Obst und Gemüse. Allein 90 Millionen Kilo- gramm werden von Selbsterzeuzcrn der nächsten Umgebung Berlins aus den Markt gebracht. Je nach der Menge der Zufuhr, der Nach- frage und der Witterung regelt sich der Marktpreis, der von Kon- trollbsamten aus dem Durchschnitt der gezahlten Preis« für die ein- zelncn Produkte ermittelt und dann amtlich notiert wird. Da aber, wie wir kürzlich im.Abend" mitteilten, in Verbraucherkreisen eine starke Beunruhigung wegen der hohen Preise für Obst und Gemüse im Kleinverkaus eingetreten ist, andererseits aber die Kleinhändler den Borwurs abwehren wollen, daß sie die Preistreibenden waren, wurde der Presse Gelegenheit gegeben, in einer nächtlichen Wände- rung durch die Zentralmarkthalle selbst Feststellungen zu machen, wie dieser lebenswichtige Markt sich. abspielt. llm Mitternacht. Wenn man nachts um ein Uhr mit besonderer Erlaubnis die große Halle des Berliner Lebensmitteleinkauss in der Gontard- straße betritt, gewinnt man den Eindruck, daß alle Plagen auf die Menschen losgelassen wären, die sich hier treffen. Nicht zuleßt auf die Presseleute, die in ein« unbckamrte Materie eindrinoen sollen, um hinter oll« Praktiken der eigenartigen Handelsgeschäfte zu kommen. Di« Hausfrauen, die von morgens 8 Uhr an die Halle erst betreten dürfen, ahnen gar nicht, welche Schlachten sich hier in den nächtlichen Stunden abgespielt haben. Sorgen haben auch die Der- tretcr der Kleinhändler, die in dieser Nacht ihre Behauptungen bezüg- lich der Preisgestaltung durch Beweise stützen wollen. Am meisten ist die Markthallenverwaltung beunruhigt, die die Führung „reibungslos" durchführen möhte. Angrisfslustig, jeder mit einer besonderen Frag« auf den Lippen, sitzen die Fremden im Morkr- lxillenreftaurant zwischen Arbeitern und Händlern um die runden Tische. Wechselseitig suchen die„Führenden" ihren Gästen die Uriochen zu erklären. Die Markthallenvcrwaltung bestreitet, daß„osfiziell" ein Zwischenhändlertum sich während der Nachtstunden an Anfuhr- waren heran mach«. Heimlich könnte das wohl geschehen, aber es wäre oerboten. Di« Nacht vom Montag zum Dienstag soll immer die stärkst« Anfuhr von Waren bringen. Sonderbarer Weise trifft es diesmal nicht zu. Die Hallen sind noch leer und verödet. Hier und da warten Standtnhaber und Frauen in den Gängen. In Winkeln hinler Kisten schlafen Arbeiter. Wae hilft es. wenn uns ein Eingeweihter heimlich zuflüstert, daß der oder jener Mensch ein Zwischenhändler ist:«r unterscheidet sich im Aeußeren durchaus nicht in seiner Händlerphysiognomie von den anderen. In den Ständen für Räucherwaren liegen hinter Gittern große Stapel unverkaufter Kisten: ein Zeichen, daß die Ware am vorausgegangenen Tage schlecht verkauft würbe. Sie wird nun in dieser Nacht zu billigeren Preisen losgeschlagen. An manchem geöffneten Morktstand werden schon die KLrch« mft frischem Obst geöffnet, ein Beweis, daß Ware von der Straße herangebracht wird. 2!lhr nachts. Draußen in der Gontard- und in der Dirckseustroß« stehen hoch- bepackte Gespann« mft Gemüse und Obst. Dicht daneben halten leere Geschirr«. Und wieder wirb uns zugeflüstert: Zwischenhändler. Ware, die oftmals draußen schon umgeladen wird, also bereits ein- mal den Besitzer Wechsel:«. Es besteht die eigenartige Einrichtung, daß nur der Standinhaber mit einem Wagen vor der Markthalle anrücken darf. So kann er als Großhändler die Ware mehrfach wechseln. Diele Händler sollen darum nur zum Schein den Stand in der Holle besitzen, um draußen ihre dunklen Geschäft« betreiben zu können. Mancher Stand bleibt sogar in der Hall« leer, der Stand wird dann anderweitig für die Nacht vermietet. Man folgt der Führung zum N e u e n M a r t t. wo die bäuer- lichen Erzeuger der Berliner Umgebung anfahren. Jeder Verkäufe? muß nachweisen können, daß er mindestens 10 Morgen Land selbst bewirtschaftet. Biel « schwerbeladene Gespanne warten schon auf die ersten Käufer. Ungeduldig harren sie, denn sie wollen vor 4 Uhr
morgens ihre War« losschlagen, da erst von diesem Zeitpunkt an der offizielle Handel erlaubt ist. Di« Zufuhr ist in dieser Nacht nicht sehr bedeutend. Selbstverständlich sind die Standinhabcr in den 5>allen die ersten, die die frische und begehrte Ware aufkaufen, der Kleinhändler kommt da meist zu spät. Er ist leider nicht in der Lage, die ganz« Fuhre abzunehmen, womit allein dem Bauern g«- Holsen wäre. Darum müssen die Kleinhändler notgedrungen vom Standinhaber kauscn. Die Ware wechselte also dach schon einmal ihren Besitzer. Die Vertreter der Presse sind bald von einem dichten Kreis von Bauern umstellt, die in erregten Zurufen ihre Klagen laut werden lassen:„Wenn nun schon einmal ein Jahr kommt, wo die Ware knapp wird und wir ein paar Pfeimig teurer verkaufen können, dann schreit gleich die Zeitung über die hohen Preise!"— „Das ist das erste Jahr, in dem wir«in paar Groschen zurücklegen können!"—„Der Städter müßi« eimnal rmsere schwere Arbeit machen: mit den Pferden nachts nach Berlin , am Tag auf dem Acker!"—„Wenn uns ein Pferd fällt, haben wir nicht das Geld beisammen, uns ein neues zu kaufen!"—„Der Zwischenhandel muß ausgejchaltek werden. Wir könnten unsere Waren am Stand auch in kleinen Mengen verkausenl"—„Die Stadt belastet uns mit zu großen Abgaben. Sechs Mark Standgeld für die Nacht, 120 M. für einen Monat. 120 bis 130 M. kostet ein Morgen auf den Rieselfeldern jährlich Pacht!"— Eifrig zücken die Presseleute ihre Bleististc. Für sie ist es ein« Wonne, wirkliche Informationen zu erholten, doch später lauschen sie kopffchüttelnd den Richtigstellungen
de? Ofstziellen. Wer soll sich in den Widersprüchen zurechtfinden? Da» ein« lehrt diese Wanderung: der Berliner Markt leidet in diesem Jahr fühlbar Wangcl an allen Obst- und Gemiisearken. Späte Nachtfröste, im Sommer Diirre und Raupenfraß, haben die Ernte geschädigt. Man ist auf Einfuhr augewiesen, die durch Ver- Packung und Transport die Ware ungemein verteuert. Die Er- regung unter den Bauern ist groß, daß ihre zum Teil frischer« Ware nicht den gleichen Preis wie die auswärtige erzielt. Die Kleinhändler. In den umliegenden dunklen Straßen der Markthalle halten an den Ecken schon Einzclsuhrwcrte von Kleinhändlern, die früh zu Markte fahren, um«inen guten Platz zu erhalten und damit auch die Ware aus erster Hand zu kaufen. Im Gemüsehandcl wird mit jedem Pfennig beim Einkauf gerechnet, schon um die Konkurrenz beim Verkauf schlagen zu können. In den Stadtbahnbogen der Dircksenstraße haben die Erzeuger von Werder , Caputh und anderen Orten ihren Stand. Die Stände sind fast leer, so gering fällt in diesem Jahr« die Ernte aus. Trotzdem sind Früchte und Gemüse in ihrer sauberen Verpackung so appetitlich, daß man die Ware als erste Qualität ansprechen kann. Aber wie ein vorwitziger Frager feststellt, daß die schönen großen, blauroten Rundpslaumen, die im kleinverkaus 70 Bs. bis 1 M. kosten, hier nur für einen Warktprcis von Z5 Pf. pro Pfund gehandelt werden, hat er die empfindlichste Seite der Kleinhändler berührt. Die teuren Pflau-
Händlerinnen.
Händler.
Vor der Halle. Gemüse und Obst. Was unser Zeichner nachts in der Markthalle sah!
AjeAachimchdemVerrai. 42] Iftomon von£iom O'Flaherty . («n« dem englischen übersetzt von«.Häuser.) Mulligan begann heftig zu husten. Sein Körper flog und er sank fast in sich zusammen. Dann ließ der Anfall nach. Zitternd saß er da, unfähig zu sprechen. ..Mach' los, Ratte", grollte Gypo, ihn mit dem Ellbogen in die Rippen stoßend.„Du kannst genau so gut gleich da- mit herauskommen wie später, Mach' voran und erzähl ihnen alles." Mulligan starrte auf Gypo. Sejne Lippen zitterten und feine verschlagenen, großen, dunklen Augen füllten sich mit Tränen. Das schreckliche, massige Gesicht Gypos flößte ihm in diesem Augenblick keinen Schrecken ein. Aus irgendeinem besonderen Grund hatte sein« arme, zerschlagene Seele gerade jetzt in sich großen Mut gesammelt. Sein verfallenes Gesicht erglänzte in seelischer Kraft. Er sprach sanft, freundlich, mit Mitleid:..Es ist nicht an mir, dich zu verdammen. Kann fein, du kannst nichts dafür." v „Berdammt," brüllt? Gypo, auf die Fuße springend, „was will er damit sagen, Kommandant Gallagher, ich könnte nichts dafür? Was soll das bedeuten? Ich will wissen, wo er damit hinaus will." „Setz' dich. Nolan." schrie Gallagher. setz' dich äugen- blicklrch hin und Haft Ruhe. Setz' dich hin, sage ich!' Gypo fetzte sich geräuschvoll. Er starrte Gallagher an mit dem settsam erstaunten Ausdruck eines Hundes, per von feinem Herrn gestraft wird und nicht weih warum. Zum ersten Male wurde er gewahr, daß ein kalter und gefährlicher Ton in Gallaghers Srimme lag. Unbeweglich saß er zwei Sekunden ohne zu atmen und dachte über den feindseligen Klang nach, den er in Gallaghers Stimme vernommen hatte. Unbewußt nahm er seinen kleinen, zerknautschten. runden Schlapphut ab. Ohne nach ihm hinzusehen, stopfte er ihn in die rechte Hosentasche. Mulligan fing wieder an zu sprechen:„Laßt sehen, wo war ich denn? O ja: ich arbeitete weiter bis halb vier,'s kann au» drei Viertel vier gewesen sein, da kam dann ttfcutU ttoa-tgan herein und erzählte, daß sein Bruder
David gerade aus'm Gefängnis gekommen wäre nach acht- zehn Tagen Hungerstreik. Ihr wißt ja, sie kriegten ihn zu fassen wegen der Sium-Hausmiete-Agitation.„Er is oben," sagt Charlie. Na, ich ging'rauf, und wir redeten bei'ner Tasse Tee bis gegen sechs,'s war genau sechs, als ich weg- ging, weil ich hörte, wie das Angelus zu läuten anfing, denn ich blieb unterwegs auf der Treppe stehen, um mich zu be- kreuzigen. Dann lief ich'runter nach Hause, zog mir'n Mantel an und ging nach der Kapelle. Ich mach' die Stationen des Kreuzes durch, weil.. Er hielt inne und wurde rot.„Na,'s geht ja niemand was an, warum ich sie mache." „Schon gut", fuhr Gallagher dazwischen.„Wir wollen's nicht wissen, werum du sie machst. Wir wollen Tatsachen und keinen Aberglauben. Du gingst in die Kapelle um sechs Uhr oder ein paar Minuten später, um genau zu sein. Wie weit ist die Kapelle von deinem Haus?" „'s können hundert Schritt sein, vielleicht'n bißchen mehr. Wenn man bei Canes um die Ecke geht, ist's weniger, aber wenn man den anderen Weg nimmt um.. „Oh, verdammt fei der andere Weg! Entschuldigen Ei«, Fräulein McPhillip.— Du kamst also dann bei der Kapelle ungefähr drei Minuten nach sechs an? Ist das richtig?" „Hm... So kann's hinkommen... so ungefähr." „Schön. Wie lange hast du dich dort aufgehalten?" „Ich hielt mich da aus bis ungefähr halb sieben. Und dann stand ich noch draußen vor der Tür im Gespräch mit Frater Conroy, vielleicht zehn Minuten lang. Er wollte wissen..." .Last du sonst noch mit jemand geredet außer mit dem Priester, den du da nennst?" .Ich wollt's gerade sagen! Nachdem ich Frater Conroy verlassen hatte, traf ick Barney Kerrigan." „Wo? In der Nähe der Kapelle?" „Ja.'s muß keine fünfzig Schritt davon entfernt ge- wesen sein, wenn ihr nach der Schätzung gehen wollt, ob» wohl wir niemals..." „Einen Augenblick: warst du jemals Mitglied der revo» lutionären Organisation?" „Was fragst du danach? Weiß's einer besser als du selber, ob ich's war oder nicht war?" „Warst du Mitglied?" ,3a. ich war." jDo» klingt besser. Warum bist du ausgetreten?"
„Ich bin ausgetreten, Kommandant Gallagher, aus Gründen, die dir genau so gut bekannt sind wie mir selber." Seine Stimme wurde leidenschaftlich und schrill.„Ich bin ausgetreten, weil das einzige, was ich auf dieser Welt noch hatte außer meiner Frau, nämlich meine Schwester, dadurch ins Verderben gekommen ist. Aber's ist nicht an mir, Richter zu sein,'s ist nicht an mir..." Gallagher unterbrach:„Gut, gut. Du tratest aus der Organisation: Grund: persönliche Kränkung. Richtete sich diese Beschwerde gegen ein bestimmtes Mitglied der Orga- nisation?" „Ich trage niemand etwas nach," rief Mulligan feierlich. „Du hattest keine Beschwerde gegen Francis Joseph McPhillip?" Mulligan bekreuzigte sich, die Augen zur Decke gerichtet: „Gott sei seiner Seele gnädig. Ich hoffe, seine Leiden sii�d vorüber." Er wandte sich an Fräulein McPhillip:„Ich schwöre bei meiner unsterblichen Seele, Fräulein McPhillip, daß ich Ihrem Bruder nichts nachgetragen habe." „Schön," sagte Gallagher.„Nun erzähle uns, was du getan hast, nachdem du Barney Kerrigan verlassen hattest." „Ich ging danach nach Hause. Ich tat noch ein Stück Arbeit bis ungefähr acht Uhr. Es wurde nicht viel, weil immerfort Leute kamen und gingen: meine Augen sind auch nicht mehr so gut wie früher, und das Gaslicht jetzt ist'ne wahre Schande für die Stadt. Aber gleichviel, ich machte die Weste fertig. Dann ging ich'rauf zu Jim Dalys Stube im dritten Stock. Armer Mann, feit drei Iahren liegt er krank, er hat's an den Nieren. Wenn die Pension nicht war', die er von der britischen Marine hat, dann wüßt' er gar nicht, was aus ihm werden sollte, und's keiner da, der nach ihm sehen tüte: dabei ist er so gebrechlich. Wir rauchten und schwatzten so bis gegen zehn. Dann ging ich wieder'runter. Die Frau war gerade heimgekommen, und wir tranken noch 'ne Tasse Tee und aßen'neu Hering. Dann� saß ich am Feuer und las'ne Zeitung bis gegen halb zwölf. Na, und ist fing so langsam an. ans Zubettgehen zu denken, da kamen drei Männer rein, von Tommy Connor geführt, warfen mir'ne Maske übers Gesicht und schleppten mich in'n Auto und ließen mich nicht los, als ob ich ein Verbrecher wäre. Das ist alles." �, Es entstand eine kleine Pause. Jedermann seufzte aus irgendeinem Grund.,., (Fortsetzung folgt.)