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Morgenausgabe

Nr. 401

A 204

45.Jahrgang

Böchentlich 851, monatlich 3,60 R. im noraus zahlbar, Boftbezug 4,32 M. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne ment 6,- m. pro Monat.

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Boll und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen"," Frauen. ftimme". Technit"," Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts"

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonnabend

25. August 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs. mart. Kleine Anzeigen das jettge. brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben Arbeitsmarkt zählen für zwei Worte. Belle 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden . Brake& , wochentagl, von 81%, bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts- Verlag G.m.b.H.

Müller geht nach Genf .

Der Reichskanzler führt die deutsche Abordnung.

Amtlich wird mitgeteilt: Das Reichskabinett hat fich dahin entschieden, daß für den durch seinen Gesund. heitszustand bedauerlicherweise noch behinderten Reichs. minister des Auswärtigen der Reichskanzler die Führung der deutschen Delegation zur Völ. ferbundsversammlung in Genf übernehmen wird. Der Reichskanzler beabsichtigt zur Eröffnung der Bundesver­sammlung am 3. September in Genf einzutreffen. Die Dauer seines dortigen Aufenthaltes wird von dem Ver­lauf der Tagung abhängen.

Der deutschen Abordnung gehören außer dem Reichskanzler und dem Staatssekretär von Schubert u. a. noch an die Abgg. Dr. Breitscheid( S03.), Haas( Dem.), Rheinbaben( Bpt.) und

Der deutsche Außenminister, der am Sonntagnahmittag 3 Uhr in Paris eintrifft, wird noch am gleichen Tage Briand be suchen und Montag früh Poincaré . Es fann feinem 3weifel unterliegen, daß die wichtigste Aussprache am Montag sein wird und ihre Erfolgsaussichten wesentlich herabgemindert erscheinen müssen, wenn Poincaré eine Lösung" vorschlägt, die er noch vor zwei Jahren selbst verworfen hat und für die heute die Voraus fegungen, die damals bestanden haben, nicht mehr vorhanden sind. Kellogg in Paris .

Paris , 24. August.

Staatssekretär Kellogg hat heute nachmittag den Außenminister

Dernburg ( Dem.). Abg. von Lindeiner- Wildau( Duat.) gebung Kelloggs in Bestätigung früherer Meldungen erklärt wird,

hat eine Beteiligung an der Delegation auf Wunsch der deutschnationalen Parteileitung abgelehnt.

Als Sachverständiger für Sicherheitsfragen reift Ministerial­direktor von Simson mit nach Genf . Graf Bernstorff gehört der Delegation als Sachverständiger für Abrüftungsfragen an.

Schlechte Räumungsaussichten!

Briand schiebt Poincaré vor.

Paris , 24. August.( Eigenbericht.)

Es steht jetzt nach den ergänzenden Berichten der Pariser Presse über den Berlauf des außerordentlichen Minister rates fest, daß Briand hinsichtlich der Rheinlandräumung für Ber­handlungen mit Stresemann teinerlei neue Vollmachten erhalten hat. Bon besonderem Intereffe ist die Mitteilung, daß Boincaré in der Debatte über Briands außenpolitisches Referat feinen früheren Standpunkt in vollem Umfange aufrechterhalten und erklärt hat, die Frage der Räumung, das Problem der interalliierten Schulden und der Festsetzung der deutschen Reparationsverpflich tungen bildeten ein untrennbares Ganzes; fie fönnten nur in ihrer Gesamtheit gelöst werden.

Briand besucht, was Briand alsbald erwidert hat. Wie in der Um­erblickt er den einzigen 3wed seines Pariser Aufenthalts in der Pattunterzeichnung und ist fest entschlossen, eine Befassung mit sonstigen internationalen Fragen zu vermeiden. Es wird bezweifelt, daß Kellogg von diesem Borjazz abweichen werde.

Borsichtsmaßnahmen der Polizei.

Es hat den Anschein, als ob die verfrühte Ankunft Kelloggs in Paris von den Polizeibehörden inszeniert worden ist. Zunächst sollte der Zug auf Gleis Nr. 26 einfahren. An dem ent sprechenden Ausgang standen zahlreiche uniformierte Bolizisten, so daß das ziemlich zahlreiche Publikum glaubte, Rellogg werde hier den Bahnhof verlassen. Tatsächlich fuhr aber der Zug auf dem Gleis Nr. 1 ein, das einen anderen Ausgang hat, an dem uniformierte Bolizisten nicht zu sehen waren. Dagegen bildete eine große Anzahl Detettios Spalier bis zum Ausgang. Auf dem Bahnsteig war im Augenblick der Ankunft nur Bolizeipräfeft Chiappe, ferner ein anderer Polizeichef und der Protokollchef ( Beremonienmeister), dagegen nicht der nordamerikanische Botschafter Herrid. Der Protofollchef hatte um 9 Uhr an Herrick, der gerade badete, telephoniert, daß der Zug früher ankommen werde. Herick fam mit neun Minuten Verspätung doch noch auf dem Bahnhof an, gefolgt von einigen Damen, die riesige Blumensträuße für Frau Kellogg trugen. Kellogg wurde zum Automobil Herrids geleitet und schien nicht wenig verwundert zu sein über den ebenso ge außerordentliche Borsichtsmaßnahmen getroffen worden. Zahlreiche heimnisvollen wie nüchternen Empfang. Schon in Le Havre waren Radfahrerpolizisten hatten vor dem Ablassen des Zuges die Strede bis zur nächsten Station untersucht.

Daraus schließt man, daß Poincaré mehr als bisher die Absicht hat, die Führung der deutsch - französischen Aussprache in seine Hand zu nehmen. Bei den Gegnern der Locarno - Politik herrscht ob dieser Initiative Poincarés unverhohlene Freude, es fehlt aber nicht an Stimmen, die in diesem Szenenwechsel ein Manöver Briands sehen wollen, der mit Freuden die Gelegenheit benutzt habe, die Verrichtungstages von Sacco und Banzetti. Aber die antwortung für die schwierigen Räumungsverhandlungen auf Boin caré abzuwälzen. Was dabei für die deutsch - französische Ber­ständigung herauskommen wird, ist eine andere Frage, die sehr skeptisch beurteilt wird. Ein so gemäßigtes Blatt wie der" Paris Midi" gibt der Befürchtung Ausdruck, daß durch Poincarés Ein­greifen die deutsch - französischen Berhandlungen Gefahr laufen, in eine Sadgasse zu geraten.

Heimwehr Rüstungen.

M.-G. und Artillerie gegen die Arbeiter.

Wien , 24. Auguft.( Eigenbericht.)

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Die Arbeiter- Zeitung " veröffentlichte dieser Tage einen Alarmplan der Sturmtruppe der steierischen Heimwehren, aus vem hervorging, daß die Faschiflen über Gewehre und Ma. fchinengewehre verfügen und ihre Mitglieder im Gebrauch der Waffen einüben. Nun wird ein Dokument bekannt, aus dem fich er­gibt, daß die Heimwehren auch regelrechte Artillerie­Der sozialdemokratischen Innsbruder Bolfs pläne haben. 3eifung" ist zum Beispiel ein Plan darüber in die Finger gefallen, wie 3nnsbrud im gegebenen Fall von der Artillerie der Heim­wehren zu bestreichen ist und an welchen Punkten die Feldhau­bigen bzw. Feldkanonen aufzustellen find. Das Feuer foll nur auf Hommando der Bezirksleitung der Heimwehren eröffnet werden. Beim Einschießen und beim Wirkungsschießen ist nach dem Plane Vorsicht anzuwenden und Munifion zu sparen.

Diches Dokument zeigt, wie abgetakelte Offiziere, die in der Heimwehr eine große Rolle spielen, mit dem Bürgerkrieg fpielen.

Indien will Frieden.

Eine Botschaft Gandhis .

Amfterdam, 24. Auguft.

Die Bollversammlung der Internationalen Jugendtagung für den Weltfrieden am Freitag stand im Zeichen des Ostens. Der Inder Radjendra Prasad, ein Freund Gandhis , überbrachte

Diese Maßnahmen, würdig eines 3aren empfangs in alter 3eit, erklären sich sehr einfach aus der Wiederkehr des in selben Rommunisten, die voriges Jahr in Paris so wild demon­striert hatten, dürften erst durch diese Polizeimanöver innegeworden fein, daß fie eine Gelegenhit merpaßt haben. In New York da gegen hat es eine Rundgebung von etwa 2500 Personen gegeben, die ohne größere Störungen verlaufen ist. Mehrere Redner richteten scharfe Angriffe gegen den für die Schuldigsprechung verantwort lichen Richter Thayer und den Gouverneur Fuller, der die Be­gnadigung abglehnt hat.

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Bostscheckkonto: Berlin 37 536. Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Distonto- Gesellschaft, Depositentaffe Lindenstr. 8

3m Dienste Frankreichs ."

Poincarés Erinnerungen zur Vorgeschichte des Weltfrieges. Von Wolfgang Schwarz.

Frankreichs Ministerpräsident und Außenminister wäh rend der Balfantrisenjahre 1912/13, Frankreichs Präsident während des Kriegsausbruches, des Weltkrieges, des Waffen­stillstandes und des Versailler Friedensschlusses, von neuem Frankreichs Ministerpräsident und Außenminister während der Reparationskrisen, der Ruhrbesetzung, ſeit 1926 wieder Ministerpräsident, diesmal zugleich Finanzminister und erfolg­reicher Bekämpfer der Inflation: Raymond Poincaré , heute 68jährig, benutzte die durch die Kammerwahlen 1924 ihm, wie es schien, für immer aufgezwur Muße, um die Niederschrift seiner Memoiren zu beginn Die ersten zwei Jahre von den neun, die er sich zu beschreiben vorgenommen, 1912 und 1913, liegen nun auch in deutscher Sprache vor, vor= trefflich vom Berlag Paul Arez( Dresden ) ausgestattet und vorzüglich übersetzt, eingeleitet von Dr. Eugen Fischer , ein die Staatsmänner und politische Szenen jener Epoche zeigen. erster Band von weit über 500 Seiten, mit Lichtdrucktafein, Es ist leider eine um die Stellen über die französische Innen­politik gekürzte Ausgabe, was sehr schade ist, denn zum völli­gen Verständnis Frankreichs und des Mannes, der es so lange und äußerlich so erfolgreich geleitet hat und leitet, ist die Kenntnis der inneren politischen Mechanik unentbehrlich.

So erfährt man nur, daß Poincaré mit 26 Jahren Chef des Kabinetis eines Ministers war.( Es ist eine in älteren demokratischen Ländern längst heimische Einrichtung, daß jeder dem Parlament entnommene Minister mit einer Gruppe ihm vertrauter und ergebener Männer umgeben wird, so daß er der Herr der Bureaukratie bleibt, deren Chef er ist.) Man erfährt weiter, daß Poincaré schon mit 33 Jahren zum ersten­mal Minister war, und man gewinnt einen einzigen, aller­dings ganz ungewöhnlich eindringlichen Blick in eine Re­gierungskrise, den Sturz des Kabinetts Caillaug in den ersten Januartagen 1912, dessen Außenminister de Selves unter den spigen Angriffen Clemenceaus nach den deutsch - französischen Maroffoablommen zurückge­treten war, worauf Präsident Fallières Poincaré , da mals Berichterstatter der auswärtigen Senatskommission über diese Verträge, mit der Kabinettsneubildung betraute. Be­trübt über die Aussicht, das ruhige und angenehme Leben des Anwaltes aufgeben zu müssen", brachte er sie in 24 Stunden, einer unerhörten Rekordzeit, zustande, mit Briand als Bourgeois als Arbeitsminister und, wegen seines inter­Justizminister und damit wie üblich Bizekanzler, mit Léon nationalen Ansehens, als Bürgen unserer friedlichen Ab­sichten", mit Delcassé , klog und Millerand als Marine-, Finanz- und Kriegsminister und Steeg als Mi­nister des Innern. Das war das berühmte Große Mint­sterium", weder von Feindseligkeit, noch von übler Laune in Deutschland " ,,, Don einstimmigem Beifall" in Italien auf­genommen, in England außergewöhnlich warm beurteilt", von der Kammer mit 440 von 446 abgegebenen Stimmen des Bertrauens getragen. Es war in der Regierungserklärung die Rede gewesen von unserer gebieterischen Pflicht, alle Fraktionen der republikanischen Bartei(?) im gleichen natio­nalen Empfinden zusammenzufassen... der Möglichkeit, in Marokko ein Protektorat einzurichten.. zwischen einer großen benachbarten Nation und Frankreich in aufrichtig friedfertigem Geiste höfliche und freimütige Beziehungen zu unterhalten... von Heer und Flotte als den heiligen Stützen der Republik und des Vaterlandes...

eine Botschaft des indischen Führers, worin diefer der Versammlung guten Erfolg wünscht; ihr Wert werde mit darüber entscheiden, ob die Welt in Frieden und Wahrheit oder weiter in Lüge und Haß leben werde. Der Redner gab eine ausführliche Schilder berung der Idee Gandhis , bie Gewaltmittel verabscheue und nur durch friedliche Mittel zum Ziele kommen will.

Simla, 24. August.

Die anglo- indische Regierung hat einen Gesezentwurf vor­bereitet, wonach ausländische bolschewistische Sendboten sich verpflichten müffen, eine Garantie für ihr Wohlverhalten zu geben. Das neue Gesetz ermöglicht es, Kommunisten auf Befehl des Generalgouverneurs zu deportieren, Kommunisten, die fich schlecht führen, zu verhaften und mit Freiheitsstrafen bis zu 12 Monaten oder mit erheblichen Geldstrafen zu belegen.

Englische Flagge in Dublin beleidigt. Etwa zur Berhinderung des Kellogg Besuchs?

London , 24. Auguft.

Auf einem Hauptplatz in Dublin wurde eine englische Flagge heruntergeholt zu Ehren der irischen Olympia ift Dublin beflaggt, und neben der irischen wird auch die englische Flagge gezeigt. Am Freitag morgen erschienen mehrere Männer in einem Geschäft und erklärten, daß sie die von dem Inhaber gehißte englische Flagge beseitigen würden. Das Ladenpersonal wurde in Schach gehalten, während zwei Männer nach dem oberen Grod­wert gingen, die Flagge beseitigten, einrollten und damit davon fuhren. Andere Männer hatten währenddessen außerhalb des Ge­schäftes Wache gestanden.

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Da treten sie alle wieder auf, die hochmögenden Herren Hohen Politit" der Großmächte der Vorkriegszeit: der deutsche Staatssekretär des Auswärtigen v. Ripérien Wächter ,, trog seines oft brutalen Gehabens einer der friedliebendsten Berater Wilhelms... mit dem größten Tat­sachensinn, den ich bei einem Menschen tenne", wie Jules Cambon aus Berlin schrieb; Freiherr v. Schön, Deutsch­ lands Botschafter in Paris , ein so gefeßter Geist", aber auch er von deutschen Vorurteilen gegen die fleinen Völker be­seffen", sein Stellvertreter der Geschäftsträger Baron Landen ,, unter der fühlen Form eleganter und raffinierter Höflichkeit der Typus des schroffen, dünfelhaften und bösen Preußen"; Fürst Lichnowsky , deutscher Botschafter in London , der die Ehrlichkeit selbst ist"; Desterreich- Ungarns Außenminister Graf Berchtold ,,, eine Art Beamtengrand­feigneur, ein an Verwaltungsdisziplin gewöhnter Weltmann, aber ohne Autorität und charakterschwach"; sein Botschafter in Paris , Graf Szecsen, der sich Anfang August 1914 ,, der Hoffnung hinzugeben schien, daß die Beziehungen zwischen der Republit und der Habsburger Monarchie nicht abgebrochen wären", bis Frankreich den Kriegszustand als bestehend erklärte; Italiens Botschafter Tittoni, mit seinen unerschöpflichen Hilfsquellen erfinderischer und fein­geschliffener Dialettit", die die wegen der Beschlagnahme französischer Dampfer entstandenen Schwierigkeiten während des Krieges mit der Türkei wegzuglätten strebt; Englands Botschafter Sir Francis Bertie, den Poincaré ,, während eines Jahres mehrmals die Woche Gelegenheit hatte, zu sehen, der alle Fragen mit einer nicht verlegenden mondänen Ironie