Rechtsdrehung 90°Linksdrehung 90°
 100%
 100%
 0%
 0%
 0%
 
Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Sonnabend, 8. September 1928.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Bei Jakubowskis Mutter.

,, Nein, ein Mörder war er nicht...

Das Ziel ist: Jan Jakubowski, der Vater des unschuldig Hingerichteten.

Der Fall des Polen Josef Jakubowski , der von einem| dieselbe armselige Bevölkerung. Freundlich weist man uns den Weg. mecklenburgischen Gericht zum Tode verurteilt und später Endlich steigen wir aus. Das Dorf ist in Aufregung, die hingerichtet wurde, ist auch durch die jüngsten polizeilichen Bäuerinnen und Bauern eilen herbei. Mitteilungen noch nicht erledigt. Erst eine neue, unbeeinflußte Gerichtsverhandlung kann völlige klarheit bringen. Kurt Grossmann hat vor einiger Zeit die alten Eltern Josef Jakubowskis besucht, hier ein Bericht über feine Erlebnisse. Wilna ist die Stadt der Kirchen! Auf die 130 000 Katholiken tommen 50 große Kirchen, die an jenem letzten Peter- Pauls- Tage mit Städtern und Bauern überfüllt waren.

Kopftücher wechselten mit dem Hut und der Sonntagsstaat der Wilnaer Bürger wurde unterbrochen vom einfachen grauen Kittel

des Landarbeiters.

Ueberfüllt war die Ulica Ostrabamsta, die heilige

Der hingerichtete Jakubowski.

Straße! An ihrem Ende steht der Hochaltar der Pamiatka Ostro­brany, die Schußgöttin des polnischen Volkes. Zu ihr wallfahrt nicht nur das polnische Bolf aus der Woiwodschaft Wilna , nein, auch der Nachtzug aus Warschau war zum Peter- Pauls- Tage über­füllt.

Gedrängt stand das Volk auf der Straße, viel Jugend, die in heller Berzückung emporblickte zu ihr, von der sie Heil, Glück und Gesundung erwartete.

Wie in Lourdes , so auch hier erflehten sie den Segen der Pa­ miatka zur Heilung ihres franken Kindes, zur Wiedergefundung des Gatten.

Betritt man, aus dem Wilnaer Getto tommend, wo man nie die Kopfbedeckung abnehmen darf, die Ostrobramska, so lüftet man ganz selbstverständlich den Hut.

-

Wir treten in den kleinen Hof. Rechts sieht man die beschei­denen Stallgebäude, geradezu der Eingang zur Hütte.

Zwei Frauen kommen uns entgegen. Die eine mag 40 Jahre alt sein, die andere, ein altes, fleines verhuzeltes Weiblein, ist über 80 Jahre. Aengstlich blickt sie uns an.

-

Ich schrecke zurück ist sie nicht das Mütterchen, das ich unter dem Torbogen der Pamiatka Ostrobramsky sah? Zu entscheiden vermag ich es nicht mehr. Wir grüßen.

Beide Frauen verbeugen sich unterwürfig. Noch ist die Er­ziehung zur Knechtschaft nicht ausgeglichen.

Während die jüngere Frau fortfährt, um den Alten zu holen, haben wir Muße, mit der Mutter des Josef Jakubowski zu sprechen.

*

Rosalie Jakubowski ist eine kleine verhuzelte Greifin, der man das schwere Los ihres Lebens im Gesicht ablesen tann. Die Hände und das Gesicht mit tiefen Furchen durchzogen, schaut fie auf uns, dem seltenen Besuch!" An der bunten Schürze wischt fie die Hände, verlegen schaut fie um sich!

Wie alt sind Sie, Bana Jakubowski?"

Erklärend

Sie zuckte mit den Achseln! Sie weiß es nicht. setzt mein freundlicher Dolmetscher hinzu, daß hier die jüngst ver­storbene Miß Panthurst massenhaft Betätigung finden würde, denn die Frau ist hier noch ganz dem Manne untertan und nur er tann es wissen.

Bon ihren lebenden Söhnen erzählt uns dann Mutter Jaku­bowski, wie sie arbeiten und sich mühen, und mit Stolz gleiten ihre feucht werdenden großen Augen auf einen fleinen achtjährigen Jungen, der uns nicht aus den Augen läßt.

-

Ich gebe ihm einen Geldbetrag er will mir die Hand küssen. Und nun zum Josef: Die Mutter beginnt jämmerlich zu schluchzen, zitternd fniet sie vor uns nieder. Sie betet.

Ja, er war ein guter Junge!"

" Ja, er war luftig!"

,, Nein, mit Mädchen gab er sich nicht ab, er war zu jung." Er war unser Stolz, er fonnte sogar etwas polnisch schreiben!" Seit Anfang 1914 war er zum Militär eingezogen und dann haben wir von meinem Josef nichts mehr gehört."

Wir schweigen betreten. Auf die heille Frage, wann und wie sie es erfahren habe, bekommen wir eine nicht erwartete Antwort.

Von dem Hof trippelt die Alte in die Hütte und holt eine 3ei­tung, der man ansieht, daß sie ein Mensch lange in der Hand ge­halten hat. Auf die dritte Seite des illustrierten Polnischen Ru riers" zeigt die Alte und finft zusammen.

"

Unter einem Bild, das einen Mann mit abgehacktem Kopf, den Kopf unter dem Arm darstellt, steht geschrieben, daß man auch in Deutschland gegen das Todesurteil des Polen Josef Jakubowski seine Stimme erhebe.

Rosalia Jakubowski, die auf eine Wiederkehr ihres Sohnes noch hoffte, glaubte ihn lebend und der Schmerz der Mutter über den Tod war erschütternd.

Sie hatte es sich ja auch gar nicht vorstellen können, daß man um eines Polen willen etwas in die Zeitung setzt oder gar eine weite Reise macht. Sie glaubte, man war gekommen, ihn zu

Einen Augenblick stehe ich benommen und erstaunt unter den retten. hunderten fnienden und sich befreuzigenden Menschen.

Den Toreingang durchschreitend blicke ich auf ein altes Mütter­

djen von vielleicht 80 Jahren.

Sie hat feinen guten Platz erhalten und muß im Tor, ohne Aussicht auf den Altar, fürlieb nehmen.

Die Eltern Jakubowskis. Ihre versunkenen Augen sind nach oben gerichtet, die ver­arbeiteten Hände gefaltet. Unter dem rechten Arm ist eine Zei= tung eingeflemmt.

Immer wieder wiederholt sie dieselbe Litanei und immer größer wird ihr Schluchzen, mit dem sie ihr Gebet begleitet. Eine Mutter, die vielleicht um ihren Sohn betet," bemerkte ich zu meinem Begleiter. Ja, eine Mutter!

i

*

Der Zar hat den Polen schlechte Chausseen und Wege hinter­lassen! Nur mühsam bahnt man sich durch die Furchen des Banje­wagens mit dem Auto einen Weg. Dunajowta ist unser Ziel. An vielen Dunajowtas" famen mir vorbei. Immer dieselben strohbedeckten Holzhütten, immer

Und nun par er tot! Thr Josef, der Jüngste!

Seit 1914 hatte sie jeden Tag auf eine Nachricht von ihm ge= hofft, als dann endlich der große Krieg beendet war, wartete sie auf seine Heimkehr.

Viele im Dorf waren ja heimgekehrt und wenn die entlassenen Soldaten auf dem schwanken Pfad gen Dunajowka zustrebten, war sie hinausgeeilt, um zu sehen, ob ihr Josef dabei war.

Eines Tages war ihr eine große Freude beschieden. Einer von Josefs Kameraden brachte ihr ein Bild.

Eine Gruppenaufnahme im Mecklenburger Gefan­genenlager. Sie hat sie dem Polizeikommandanten geben müssen und jetzt bettelt sie inständigst doch um ein Bild ihres toten Sohnes, der so weit, so weit unschuldig sterben mußte.

Nein, ein Mörder sei er nicht, und die kleine, schwache Frau redt sich empor und ihre Augen glänzen.

Das ,, Haus" der Eltern.

Ich hätte gewünscht, Oberstaatsanwalt Müller hätte in diesem Augenblick der Mutter gegenüber gestanden.

Dort in der Wildnis von Dunajomsta, Szumst, Runsfolnikone tennt man teine Sentiments. Die Kleinbauern tämpfen einen bitteren Eristenzkampf Ein bis zwei Hektar sind ihr Reichtum und Jakubowskis haben eine Ruh, ein Pferd, den Hund und zwei bis drei Schweine.

Josef Jakubowski war ein aufgeweckter, heiterer friedlicher Junge. Er war die große Hoffnung der Mutter in ihrem Dulder dasein.

,, Hätte er gelebt, so hätte er uns vielleicht Brot geben können und uns helfen!" so sagte sie und hier erhebt sie die berechtigte Anklage gegen die, die ein Urteil fällten, das auf so schwachen Füßen steht, wie das des reformierten Schwurgerichts in Neu­ftrelitz.

Die Mutter will die Ehre ihres Sohnes wieder hergestellt haben; betend erhebt sie ihre Hände: es mor doch mein Jüngster!

*

*

*

Und als wir nach zwei Stunden von den anderen scheiden, finden wir die Greisin kniend vor dem Bilde der Pamiatka Ostro­bramsky, das neben dem des Jesu und der Mutter Maria in der Ede der Stube hängt, in der zehn Menschen in Armut leben müssen. Unter dem Arm geflemmt hält sie die Zeitung. Kurt Grossmann .

WAS DER TAG BRINGT.

400 Jahre ,, Hörnchen".

Bor vier Jahrhunderten ist in Wien das erste hörnchen ge­backen worden. Aus diesem Anlaß wird in der österreichischen Haupt­stadt ein internationaler Bäderfongreß tagen, um dieses dem Fein­schmecker wichtige Datum gebührend zu feiern. Das schlichte, in Wien Ripfe genannte Gebäd, dessen Name aus dem Mittelhochdeutschen stammt, spielte in Desterreichs Geschichte eine große Rolle. 1529 be­lagerten Türfen die Stadt. Sie beschlossen, einen unterirdischen Gang zu bauen, um auf diese Weise in die Stadt eindringen zu fönnen. Die Arbeit der Türfen schritt schnell vorwärts, und bald waren die Belagerer unter den Mauern Wiens angelangt Sie glaubten schon, daß die Stadt ihnen in menigen Stunden gehören würde. Doch rechneten sie nicht mit dem Umstand, daß die Werk­stätten der Bäcker unmittelbar hinter den Mauern untergebracht waren, und daß in diesen Werkstätten Tag und Nacht gearbeitet wurde. Die Bäckergesellen hörten den Lärm, den die Arbeit der Türken verursachte, verließen ihre Backöfen, eilten in die Stadt und alarmierten die Einwohnerschaft. Der Angriff der Türken konnte

auf diese Weise tatsächlich zurückgeschlagen werden. Die Bäder fehrten wieder friedlich in ihre Werkstätten zurück und begannen Ripfel zu backen, die in ihrem Aeußeren dem besiegten türkischen Halb­mond ähnelten.

Das Doppelleben des Bettlers.

Die Polizei von Rischinew hielt einen Bettler an, der in der Stadt unter dem Namen Leonidas Adazki bekannt ist. Er galt als einbeinig und sehr frank; andere Bettler, die auf seine guten Einnahmen eifersüchtig waren, flagten ihn nun vor Gericht des Betruges an. Er wurde verhaftet, und bei einer Haussuchung ergab sich, daß er nicht nur ein Betrüger, sondern auch das Haupt einer Diebesbande war. Adazki selbst nahm nie an den Einbrüchen teil, aber er organisierte fie; um feinen Verdacht auf sich zu lenken, bettelte er. Denn tatsächlich ist er ein reicher Mann. Er befißt in den Banten von Bufarest vier Tresors, in denen Werte von

7

Millionen Lei gefunden wurden. Unter den Wertgegenständen befindet sich ein goldenes Zigarettenetui, in dessen Innenseite die Worte eingraviert sind: An den Herrn und Meister von Deutschland Kaiser Wilhelm 1905. Die Inschrift ist von Diamanten eingerahmt. Adazki, ein Armenier, war Juwelier in Ronstantinopel, von wo er zur Zeit der Armenierverfolgungen flüchten mußte.

Massenzüchtigung von Bauern in Sowjetrußland.

Die russische Zeitung Die Armut" berichtet von einer Massen­züchtigung von Bauern. Auf Grund von Beschlüssen der Dorf­gezüchtigt. Die Sowjetbehörden hatten von all dem nichts gemerft. versammlungen wurden 300 Bauern öffentlich mit einer Art Knute Als der Korrespondent der Armut" einen der Bauern fragte, wes­halb sie sich nicht an den Dorfvollzugsrat gewandt hatten, um der Büchtigung zu entgehen, erhielt er im scharfen Tone zur Antwort: ,, Wozu der Vollzugsrat, der kann doch nichts. Wir können selbst fertig werden."

Der Roman auf dem Vorhemd.

Ein ungeahnter Aufschwung der erzählenden Literatur wurde in den Vereinigten Staaten dadurch eingeleitet, daß an Stelle des ,, Hintertreppenromans" fünftig der Borhemdroman" treten wird Ein Wäschefabrikant hat nämlich ein Borhemd erfunden, das aus fieben aufeinanderliegenden seidendünnen Papierblättern be­steht. Die Rückseite jedes Blattes ist mit einem Teil eines Romans bedruckt, so daß sich der Befizer durch tägliches Abreißen der Ober­schicht nicht nur eine ständig blütenweiße Brust, sondern auch eine ständig spannende Lektüre verschaffen kann. Da je zwei Borhemden zu sieben Abrissen immer einen vollständigen Roman geben und die Zahl der männlichen Dankees( Damen tragen fein Borhemd) auf etwa 50 millionen geschäßt werden darf, so wird die Nachfrage nach Romanen natürlich ins Fabelhafte steigen und die Dichter werden gute Zeiten erleben.