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Beilage

Montag, 10. September 1928.

Der Abend

Spadausgabe des Vorwäre

Deutschlands größtes Forschungsinstitut

Aus dem Jahrbuch der" Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft ".

Unsere Hochschulen und Universitäten ruhen auf einer doppelten Basis. Einmal find sie Hochburgen der wissen schaftlichen Forschung, die den Zwed verfolgen, die Methoden der Wissenschaft weiterzupflanzen, auf bestimmten Wissensgebieten neue Ergebnisse zu erzielen und junge Generationen von Wissenschaftlern heranzubilden. Zum anderen aber sind sie Lehranstalten, die dem Brotstudium dienen, die also gegen eine entsprechende Bezahlung den Studierenden und hörern ein Maß von Kenntnissen übermitteln, das sie befähigt, staatliche Prüfungen abzulegen.

Lehrer und Forscher.

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Diefes Doppelmotiv, das die modernen Universitäten durchzieht, birgt troß gewiffer Borzüge auch manche ich were Be fahr, manchen schwierigen Konflift in fich. So begrüßenswert es einerseits auch ist, daß die Studenten in unmittelbarem 3u jammhang mit der reinen Forschung stehen. fo be dauerlich ist es, daß die Linie der wissenschaftlichen Forschung unauf­hörlich durch rein pädagogische Verarbeitung des Stoffes, durch die Lehrtätigkeit, zu der alle Universitäts­lehrer verpflichtet sind, unterbrochen wird. Für den Dozenten, der fich seinem innersten Wesen nach als Lehrer fühlt, der den Aus­tausch mit jugendlichen Menschen und die erzieherische Einwirkung auf die akademische Jugend als feine eigentliche Lebensaufgabe empfindet, ist die Universität als Lehranstalt zwar an ihrem Blaze. Der reine Wissenschaftler aber, der Forscher, der seinen eigentlichen Beruf darin erblickt, der Wissenschaft neue Wege zu ebnen, wird seine Lehrtätigkeit meist als lästige und unliebsame Interbrechung seiner Arbeiten empfinden müssen. Und in diesem Falle wird die Wissenschaft tatsächlich benachteiligt sein, denn sie muß hinter den Pflichten des Lehrers zurücktreten.

Von Humboldt bis heute.

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Diesen schweren Konflikt hatte schon Wilhelm von Humboldt vor über 100 Jahren erkannt und flar ausgesprochen. In seinem großen Plan zu einer Organisation der Wissenschaft und des höheren Unterrichts hatte er deshalb empfohlen, neben den Hochschulen und Universitäten selbständige Forschungsinstitute zu errichten, in denen nur die reine wissenschaftliche Forschung gepflegt merden sollte. Die hier schaffenden Forscher sollten von jeder Lehrtätigkeit entbunden sein und in der Stille der Laboratorien und Institute sich ihren Untersuchungen widmen fönnen. Es ist das große Verdienst Adolf von Harnads, daß er diesen Gedanken die endgültige Form gab und sie in einer Denkschrift ver­öffentlichte. Sie erweckte überall ein lebhaftes Echo, aber der Staat erklärte fich für außerstande, die Mittel zur Errichtung von Forschungsinstituten zu bewilligen. Wilhelm II. übernahm lediglich die bequeme und glanzvolle Rolle eines Profeffors", die Mittel stifteten wohlhabende Bürger und Wirtschaftler. So be­gann die ,, Kaiser Wilhelm - Gesellschaft zur Förde rung der Wissenschaften" im Jahre 1911 mit einem Rapital von 15 Millionen Mart, mit einer Mitgliederzahl von etwa 200 Männern und Frauen ihre Arbeit. Es gelang ihr, nicht weniger als fieben Institute im Verlauf von drei Jahren zu er­richten. Da brach der Weltkrieg aus, und die Inflation ver nichtete das gesamte Vermögen der jungen Gesellschaft. Sie mußte im Jahre 1920 öffentliche Hilfe beanspruchen, wenn das Unternehmen nicht zusammenbrechen sollte. Das Reich fonpohl mie der preußische Staat erkannten die Notwendigkeit der Erhaltung der Institute, und private Stiftungen ergänzten die ge­währten Zuschüsse, so daß es der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft " ge­lang, weitere Gründungen vorzunehmen und die be­ftehenden Institute auszubauen. Heute zählt sie etwa 700 mit glieder, darunter befinden fich sämtliche preußischen Provinzen, die größeren Städte und Landkreise, die großen Gewerkschaftsver bände und andere namhafte Arbeiterorganisationen. Sie ist eine vollkommen unpolitische Organisation, deten Ziele rein wissenschaftlich sind. Im Reichstag wurden ihre Anträge von allen Parteien angenommen, da man an dem Beispiel des Auslandes, an den großen Forschungsinstituten Eng­lands und Ameritas, Dänemarks , Schwedens , Frankreichs und Belgiens erkannte, wie wichtig die wissenschaftliche Forschung für den Wiederaufbau Deutschlands ist, wie der moderne Staat, die moderne Wirtschaft die wissenschaftliche Mitarbeit nicht ent­behren kann.

Die Institute der Gesellchaft.

Einen hochinteressanten Einblick in die Tätigkeit der einzelnen Institute, in ihre Entwicklung und Verwaltung, gibt das Hand­buch der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft zur Förderung der Wiffen­schaften", das fürzlich erschienen ist. Es führt den Leser in die beiden Gruppen ein, in die man die Institute eingeteilt hat, in die Arbeitsstätten, die der theoretischen Forschung dienen, der Chemie und Phyfit, der Zoologie, Botanit und Medizin, und in die ter praktischen Wirtschaft dienenden Institute, wie zum Beispiel in die Arbeit des Instituts für Rohlenforschung in Mülheim an der Ruhr , das sich mit dem Problem der Ver­flüssigung der Kohle beschäftigt, oder das große Institut für Eisenforschung in Düsseldorf , das sich mit der Metallo­graphie und Metallurgie von Eisen und Stahl beschäftigt.

Das Zentralinstitut der mehr theoretischer Forschung gewidmeten Institute ist das Institut für Biologie in Berlin­Dahlem, das fechs fleinere Arbeitsstätten umschließt. Hier werden u. a. die Probleme der Bererbungs-, der Serualitäts- und der Entwicklungsmechanit bei Pflanzen und Tieren behandelt, während in dem benachbarten Institut für Biochemie Gärungserscheinun­gen, Gewebezüchtung, Tabakforschung u. a. zur Untersuchung stehen. In dem ebenfalls in Dahlem errichteten Institut für Anthio­pologie werden menschliche Erblehre und Eugenit behandelt. Das Institut für physikalische Chemie und Elettro chemie behandelt in der Hauptsache Fragen der Kolloidchemie, das Institut für Chemie bearbeitet radiochemische Probleme und Zellulose. Der Erforschung der Silitate, der Kieselstoffe, die für die Glasindustrie von hervorragender Wichtigkeit sind, widmet sich das Institut für Silifatforschung. In engem Zusammenhang mit der Landwirtschaft steht das Institut für 3üchtungs­forschung in Müncheberg bei Berlin , das die Erfahrungen der

Bererbungswissenschaft der Wirtschaft nußbar zu machen sucht. Ein außerordentlich interessantes Arbeitsgebiet behandelt auch das In­stitut für Arbeitsphysiologie, das von Berlin nach Dortmund - Münster verlegt ist, wo es die Arbeitsbedingungen des Menschen unter möglichster Schonung und Erhaltung seiner Arbeits­fraft behandeln wird.

Ferner hat die Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft in Gegenden, die der naturwissenschaftlichen Forschung besonders günstig sind, eine Reihe von Stationen errichtet, so die Hydrobiologische Anstalt in Plön ( Holstein), die sich mit der Lebensgemeinschaft der Binnen gewäffer beschäftigt, die Station in Lunz ( Niederösterreich ), die Tier und Pflanzenwelt der Alpengewässer erforscht, die metereologischen Stationen auf dem Sonnblick und dem Hochobir in Desterreich. Auch die berühmte Bogel marte auf der Rurischen Nehrung, die den Flug der Bögel beobachtet, ist eine Schöpfung der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft . Auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften hat die Gesellschaft bestimmte Ge biete der Geschichte und des Rechts in Angriff genommen. Zwei Rechtsinstitute in Berlin dienen der Erforschung des aus­ländischen und des internationalen Rechts.

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Die Kaiser- Wilhelm- Institute wollen feinesfalls als Ron. urrenten der Universitäten auftreten, sondern sie find teils als hilfsinstitute im Humboldtschen Sinne gedacht, teils als Ergänzungsinstitute der durch den Lehrbetrieb be­schränkten Hochschulen. Außerordentlich erfreulich und vielver­sprechend ist der Grundsatz der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft , sich der Moderne und ihren Strömungen nicht verschließen zu wollen, nicht an Veraltetem festzuhalten, wenn es sich als wirklich überlebt erweisen sollte. Wenn sie auf diesem Wege fortschreitet, frei von bureaukratischen Hemmungen und Vorurteilen, in fame. radschaftlichem 3usammenarbeiten mit ausländischen Gelehrten, in der Pflege der Beziehungen zu den Nationen der ganzen Welt, dann wird ihre Arbeit nicht nur das Wohl des deut­ schen Volkes fördern. Sie wird auch für das große Endziel, das ihr porschwebt, für die internationale 3ufammenarbeit der Völker auf den Gebieten der Kultur und der Wissenschaft von größter und ausschlaggebender Bedeutung sein.

Der Bettler.

Von Max Barthel .

In dunkler Straße an der Elendsmauer, Betroffen von der Nacht und Regenschauer: Ein Bettler steht und streckt die Hand In stummer Klage von der grauen Wand. Da weht ein Mädchen aus der Straßenflut Und fühlt in dunkler Gasse ihre Glut, Berkühlt den Schmerz an einer fühlen Wand Nicht weit von jenem Bettler mit der armen Hand.

Und als sie dann zurück ins Leben geht An jener Hand vorbei, die Fluch und halb Gebet, Da gibt sie, was vor einer Stunde sie empfing, Als ein Betruntner ihr am Halse hing.

Der Bettler starrt verwundert auf das viele Geld, Er zittert und versteht nicht mehr die Welt. Dann aber geht er in das nahe Licht, Das tausendzüngig alle Luft verspricht. Die Sterne stehen hoch im roten Rauch leber der Stadt, dem dunstgefüllten Bauch, Dem Schlauch mit abgestand'nem Wein, Dem irren Sein, dem wirren Schein.

Der Lichtreklame Schrei verführt ihn nicht, Das Elend armer Mädchen rührt ihn nicht. Der Bettler hat sein Herz in der Gewalt Und hält das Geld wie einen Raub umfrallt. Er geht im Panzer ungeheurer Macht Berauscht am Saum der irren Nacht, Berzaubert geht er, wild und reich, Und fühlt sich jedem Herren gleich.

Dann aber, ehe sinkt die Nacht, Erstrahlt sein Herz in größ'rer Pracht, Er ist gesättigt und der Dunst von Wein Hüllt ihn mit einem Feuermantel ein.

Am nächsten Abend aber steht in stummer Trauer Der Bettler wieder an der leeren Mauer Und wartet, wartet, ist erglüht und kalt, Jst abgetan, erledigt, frant und alt...

Eine Milliarde Kilowatt.

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Ungezählte Millionen Rubikmeter Wasser stürzen alljährlich von den Bergen in die Tiefe. Wenn einmal alle unsere heutigen Brenn stoffe Holz, Kohle und Petroleum verbraucht sein werden, dann wird man jene gewaltigen Kräfte vollständig ausnüßen müssen. Schon heute geht auf diesem Wege die unternehmungsluftige und fapitalfräftige Schweiz voran. Sehr darauf bedacht, ihre Abhängig feit von ausländischer Kohlenzufuhr zu vermindern, stellt sie noch dieses Jahr alle Hauptlinien der schweizerischen Bundesbahnen auf elektrischen Betrieb um. Diesem Zweck soll das Oberhasli: Werk, die im Bau begriffene Wasserkraftanlage auf der Grimsel im Quellengebiet der Aare, dienen, das nach seiner Vollendung eine Großtat schweizerischer Bauingenieurkunst sein wird.

Die Wassererfassung erfolgt in einer Meereshöhe von etwa Dort wird durch eine über 1912 Meter beim Grimselhospiz. 100 Meter hohe Staumauer ein See von 100 Millionen Rubikmetern nutzbaren Inhaltes aus dem Abfluß des Ober- und Unteraargletschers gebildet, der vollständig in kompaktem, undurchlässigem Granit liegt; ein langer Felsstollen am rechten Talhang, leitet das Wasser nach dem Gelmersee. Durch den Grimselstausee wird das alte Grimsel hospiz ganz unter Wasser gesetzt; ein neues Hospiz auf dem Stollen, einem nahen Felskopf, ist an seiner Stelle erbaut worden. Im Freien kann an den Bauten nur vier Monate lang gearbeitet werden, in den Stollen selbst ruht die Arbeit das ganze Jahr nicht. Während der langen Wintermonate muß alles durch eine Seilschwebebahn mit riesigen Spannweiten in schwindelnder Höhe über dem Tal nach dem Hospiz geschafft werden.

Das Oberhasli- Wert wird das leistungsfähigste seiner Art sein,

das größte Wassertraftwerk der Erde. Nach seiner Fertigstellung werden dort 300 000 Pferdefräfte installiert sein mit einer Energieproduktion von etwa einer milliarde Kilo. watt! Hervorzuheben ist, daß bei der Anlage des Werkes auf die Schönheit der Alpenlandschaft weitgehend Rücksicht genommen worden ist; der Reiz der Landschaft mit ihren herrlichen Ausblicken in die Berner- und Walliser Alpen ist nicht beeinträchtigt. Bescheiden der großen Natur fich einfügend, steht das gewaltige Werf, das der fohlenarmen Schweiz die Einfuhr von über einer Million Tonnen Kohlen im Jahr ersparen soll.

Tiere, die keine sind.

Dr. L. H.

,, Wie wohl in allen Sprachen der Welt, so gibt es auch in unserer lieben deutschen Sprache eine Menge Wörter, die eine doppelte Bedeutung haben. Davon dürften sich die meisten wohl auf das Tierreich beziehen. Beginnen wir mit den kleineren Tieren.

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Ein jeder Techniker weiß, daß man für einen Reißnagel auch Wanze" sagt. Man stößt sich am Mäuschen" und meint den Ellenbogen. Der Daumenballen ist allgemein als Maus" bekannt. Der Frosch" ist am Geigenbogen, in der Feuerwerkerei und in der Technik zu finden. In der Herrenwelt bezeichnet man sowohl die kleine quergebundene Krawatte, als auch den kleinen Haar­büschel am Kinn als Fliege".

Manche Ente" ist gar teine Ente, im günstigen Falle eine falte, wie es auch sehr niedliche Käfer" geben soll, die nur zwei Beinchen, aber sehr fein gegliederte haben sollen.

Raße und Hund" haben ebenfalls ihre doppelte Bedeutung. Mit ersterer bezeichnet der Biehhändler seinen Geldbeutel, auch ist sie ein Bestandteil der Winde; mit der letteren bezeichnet der Bergmann seine Kohlenwagen.

Der Hahn" ist nicht nur auf dem Hühnerhof, sondern auch an der Gas- und Wasserleitung, ferner an Schießwaffen zu finden. Bildlich heißt es noch ,, den roten Hahn" aufs Dach setzen.

In der Jägersprache heißt der Hase" Lampe , die in diesem Sinne als, Lichtspender wohl in jedem Hause anzutreffen ist. Ein Tier, das viel Zeit hat, die Schnecke", ist sowohl an Violinbögen, als auch in der Technik bei Wafferhebemaschinen und bei Kirchen( Wendeltreppen) zu finden.

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Da ist ferner der Wolf", der nicht nur als reißendes Tier, sondern friedlich und harmlos beim Schlächter und in den meisten Haushaltungen als Fleischwolf gern benugt wird.

In jeder Turnhalle ist Pferd" und" Bock" zu finden. Man soll einen tapitalen Bod schießen tönnen, ohne Jäger zu sein. Auch findet man einen Bock beim Anstreicher, sowie im Holzfeller. Ein weißes Pferd ,,, Schimmel " genannt, ist nicht nur ein Bierfüßler, sondern auch ein Fäulnis erregender Pilz.

Man betrachte den Sternenhimmel, wo viele Tiernamen ihre Verwendung zur Benennung der einzelnen Sternbilder erhalten haben.

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Daß die lieben Mitmenschen sich merkwürdigerweise, be­sonders wenn sie in Wut geraten, sehr gern und fast ausschließ­lich nur mit Tiernamen belegen, gibt zu denken. Wie niedlich- aber auch nicht ist es anzuhören, wenn so ein aufgebrachtes Marktweib feift: Wat, die olle ,, Saatträhe" hat vor mir ,, Klapper­schlange" gesagt, wo deren Trichinen" eigene Flöh'n" haben, oder wenn auf dem Rummelplatz der Hauptgewinn, eine, Gans", ausgelost worden ist, und dem glücklichen" Gewinner überreicht wird, wobei ein vielfacher Nietenbesitzer ärgerlich ausruft:.Wat der Ochse für'n Schwein hat, gewinnt der Efel die Gans." Dem geneigten Leser bleibe es überlassen, noch mehr Tiers namen in anderweitiger Verwendung zu entdecken, Max D.