Morgenausgabe
Nr. 429
A 218
45.Jahrgang
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Dienstag 11. September 1928
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Briands Polemik gegen Müller.
Nach der Ablehnung des chinesischen Antrages auf fofortige Wiederwählbarkeit in den Rat hat die Völkerbundsversammlung die Generaldebatte über den Jahresbericht fortgesetzt. Als erster Redner befürwortete der finnische Außenminister Procope Rollektiv. Schiedsverträge des Sicherheitskomitees. Zur Altohoffrage erklärte er, daß der unter Führung Finnlands gestellte Antrag nicht die meinbautreibenden Länder, sondern vor allen Dingen die Her stellung schädlichen Schnapses treffen solle.
Nach dem irischen Finanzminister Blythe, der u. a. für die Rats wahlen die Einführung der Verhältniswahl vorschlug, erhielt Briand
das Wort, der unter lebhaftem Beifall des vollbesetzten Hauses die Rednertribüne bestieg. Briand gab zunächst ein sehr startes per. sönliches Betenntnis zum Bölterbund ao, der einzigen Zufluchtsstätte gegen den Krieg. Jede Verringerung des Vertrauens zum Bölkerbund sei ein Wert, das gegen den Frieden gerichtet sei, und niemals werde er sich deshalb dazu hergeben, das Wert des Völkerbundes zu verkleinern. Eine intellektuelle Pilgerfahrt zurück in Die Zeiten der Unruhe und Unbeständigkeit, in denen der Völker bund gegründet wurde, zeige am besten, was durch den Bölferbund erreicht wurde, ohne dessen Bestehen sich der franzöfifche Außenminister mit den deutschen Regierungsvertretern nicht regelmäßig treffen würde, ohne den es keinen Locarno - Baft und feinen Batt Don Baris geben, würde. Uhter direkter Bendung gegen den deut schen Reichstanzler erklärte Briand , daß die in gewissen Ländern norhandene llngeduld durchaus verständlich sei. Hier in Genf sei aber
nicht die Internationale einer Partei, sondern die Internationale der Nationen und Böller an der Arbeit, und wenn sich Schwierigkeiten und Hindernisse einstellen, so sei das Wesentliche, daß man das gemeinsame Ziel vor Augen habe. Wenn man auf dem richtigen Wege sei, und der Bölferbund fei auf diesem Wege, so tomme man zum Ziele. Eine Gesellschaft von 50 Nationen fei naturgemäß gezwungen, langsam und vorsichtig vorwärts zu gehen, um einen tödlichen Sturz zu vermeiden. Wenn man ihm den Vorwurf gemacht habe, daß er rascher mit den Worten als mit den Taten jei, und wenn auch der Reichskanzler eine solche Wendung in seiner Rede gebraucht habe, so sei er demgegenüber sehr empfindlich, da er glaube, diesen Vorwurf nicht verdient zu haben. Locarno - Patt und Kellogg - Patt feien teine Worte, sondern Taten. Der ungeduldigen öffentlichen Meinung müffe man zu verstehen geben, daß die Erfüllung ihrer Wünsche auf dem Wege des Fortschreitens ist. Man frage viel, warum trot Locarno - und Kellogg Paft die Abrüstung immer noch nicht verwirklicht werde. Man müsse sich hüten, daß man bei Schaffung solcher Illusion plötzlich in einen Abgrund stürze. Es sei
nicht richtig, daß die Rüftungen gegenüber früher erhöht wurden. Nur ein einziges Land in Europa weise einen gewaltigen 3uwachs an Rüftungs- und Menschenmaterial auf. Wenn der Reichstanzler jage, daß Deutschland die Abrüstung vollzogen habe, und frage, warum unter diesen Umständen die anderen und namentlich Frankreich nicht auch abrüsten, so müsse er sagen, daß der jezige Zustand erst seit zwei Jahren bestehe und vorher die Dinge wesentlich anders gelegen haben. Wenn früher die Abrüstungsarbeiten gehemmt waren, so nur deshalb, weil gewisse Staaten nicht die Eile gezeigt haben, die für die Erfüllung ihrer Berpflichtungen notwendig gewesen wäre. Es bedurfte dringender Vorstellungen, um das Ergebnis schließlich zu erzielen. Freilich bestehen in allen Bölfern Strömungen, die nicht immer geneigt sind, die Regierungsanordnungen auszuführen. Es gibt kein Bolt, das völlig abgerüstet ist. Auch von Deutschland , mit einem so vorzüglichen Cadre als Heer, mit einer so prächtigen Menschenreserve, mit einer solchen Aktions- und Organisationsfähigkeit famm man nicht sagen, daß es vollkommen abgerüstet sei. Ein so macht volles Land mit einer solchen Industrie, mit solchen Möglichkeiten, mit dem erfinderischen Geist einer Raffe, die keine Handels. marine mehr besaß und fähig mar, durch ihr konstruktives Genie bereits heute wieder eine Handelsmarine zu haben, die zu den ersten der Belt zählt, kann ebenso wie bei der vergangenen Katastrophe schnell wieder ihren Erfindergeist
auf Rüftungszwede umstellen. Was notwendig ist, ist der Wille der Völker, ihre Fähigkeiten und thre Gaben in den Dienst des Friedens zu stellen. Der Friedenswille muß da sein und dieser ist eine zarte Blüte, die entsprechend muß da sein und dieser ist eine zarte Blüte, die entsprechend gepflegt werden muß, wenn sie nicht welten soll. Aus der Atmosphäre, die hier geschaffen werden muß, ziehen alle Beteiligten ihren Ruzen. Diese Arbeit aber muß von dem Bertrauen der Völker begleitet sein, sonst verfällt man der 2 n archie. Die Internationale der Böller besteht heute in Genf und an dem Tage, wo sie
Eine unglückliche Rede.
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untergehen würde, müßte man mit einer grauenhaften Um wälzung redhmen, die die ganze heutige Kultur unter sich begraben würde. Ein Beweis des guten Willens zur Angleichung der Intereffen sei das englisch - französische Flottentompromiß, das nur eine Angleichung der Gesichtspunkte für den Fortschritt der Arbeiten des vorbereitenden Abrüftungsausschusses schaffen sollte. Man habe kein Glück damit gehabt, denn sofort sei man mit Mißtrauen und Verdächtigungen umgeben worden. Wie der Reichskanzler, so wolle jeder die Abrüstung im Sinne des Artikels 8 des Pattes. Es wäre eine Entehrung für jeden, sie nicht zu wollen. Was in diesem Artikel geschrieben sei, müsse durchgeführt werden, das heißt, die Länder müßten ihre Abrüstung in Uebereinstimmung mit threr Sicherheit realisieren. Bereits jetzt jei ein großer Teil der Befürchtungen behoben, denn
das Rüftungswettrennen fei endlich eingestellt. Die Idee, nur zu rüften, um immer stärker zu sein als der Nachbar, fei aufgegeben. Die Zeit des Bettrüftens sei dank der Arbeit des Völkerbundes vorbei und es gebe heute in der ganzen Welt teine Regierung und fein Parlament, das die Aufrüstung oder eine Erhöhung der Dienstpflicht vorschlagen könnte. Die Bölkerbundsversammlung dürfe es sich als Ehre anrechnen, daß der Abrüstungsgedante immer mehr Gestalt gewinnt. Er erinnerte dabei auch an die Arbeit des Reichsaußenministers Dr. Stresemann, deffen Fernsein er unter dem Beifall der Versammlung bedauerte. Das Minderheitenproblem werde der Völkerbund bestimmt nicht in den Hintergrund treten lassen. Es bestehe aber nicht erst seit der Kriegszeit. Bor dem Kriege tonnte man 100 Millionen Minderheiten zählen, um beren Stimme sich aber niemand gefümmert hat, weil es feinen Bölferbund gab. Heute aber zähle man mur 20 Millionen und man fann nicht sagen, daß sich der Bölferbund mit ihnen nicht gewissenhaft beschäftige. Auf keinen Fall dürfe dieses heikle Problem zu Erschütterungen der Regierungen führen und die Arbeiten des Bölterbundes bedrohen. Es dürfe sich auch nicht zu einem neuen Faktor der Unsicherheit auswadyfen, denn der Frieden müsse alles beherrschen, und wenn sich einzelne berechtigte Forderungen ergeben sollten, so würde er dennoch Schweigen gebieten, sobald sie den Frieden zu erschüttern geeignet wären. Die Abrüstung, so schloß Briand , müsse geregelt werden und was im gegenwärtigen Augenblick zu regeln ist, fann und muß geschehen. Heute haben die Völker die Rüftungsfosten bereits nicht mehr zu fürchten, aber die Atmo fphäre der Sicherheit und des Friedens darf, wenn auf
diesem Wege weitere Fortschritte gemacht werden sollen, nicht durch irgendwelche unbedachten propagandistischen Aktionen gestört werden.
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V. Sch. Genf , 10. September. ( Eigenbericht.) 1 Der erste Eindruck, den die Rede Briands bei den aufrichtigen Kämpfern für die deutsch - französische Berständigung erzeugte, soll nicht beschönigt werden: Enttäuschung und fogar Niedergeschlagenheit. Dieser Eindruck beschränkte sich übrigens nicht auf die deutschen Freunde der Völkerversöhnung. Bei den anderen, die die deutsch - französische Annäherung nicht wünschen, zeigte sich unverhohlene Schadenfreude. Der Bergleich mit den schönen, herzlichen Friedensworten, die Briand gerade vor zwei Jahren, am 10. September 1926, im Namen der gesamten Bölkerbundsversammlung sprach, um Deutschland in Genf willkommen zu heißen, drängte sich auf. Aber auch bei ruhiger Lektüre des Stenogramms nach einigen Stunden bleibt das Urteil unverändert: diese Rede bedeutet einen Rückschlag in der auswärtigen Politit nicht nur Deutschlands und Frankreichs , sondern ganz Europas . Es mag sein, daß diese Wirkung von Briand gar nicht beabsichtigt war, obwohl es kaum denkbar ist, daß ein so geschickter Politifer diese Folgen seiner Rede nicht vorausgeahnt haben sollte. Vielleicht ist er in seiner Improvisation- denn er sprach von der ersten bis zur legten Silbe ganz frei weiter gegangen, als er es sich ursprünglich vorgenommen hatte. Möglicherweise hat er sich sogar manchmal im Ausdruck vergriffen; allerdings zeigt gerade Briand auch als Improvisator sonst immer soviel Selbstbeherrschung, daß auch diese Erklärung unbefriedigend ist.
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Es gibt eben nur eine plausible Begründung für diese Rede: der französische Außenminister fühlte sich getroffen durch die Rede des deutschen Reichskanzlers. Be sonders die Wendung von dem doppelten Gesicht der internationalen Politit", die Hermann Müller gebraucht hatte, als er von den Empfindungen der breiten Massen des Boltes sprach, hatte ihn tief verletzt. Man erinnert sich, daß Briand schon einmal zu Beginn dieses Jahres den Ausdruck Heuchelei", den Stresemann in einer Reichstagsrede in ähnlichem Zusammenhang gebraucht hatte, mit einem ähnlichen scharfen Gegenangriff im Senat be
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19 Tote, mehr als 50 Verletzte.
Der Schnellzug Prag - Wien - Budapest , der Brünn um 12,52 Uhr verließ, ist am Montag kurz vor 14 Uhr in der südmährischen Station Saiz zwischen Brünn und Lundenburg mit einem Güterzug zusammengestoßen. Beide Maschinen und drei Wagen des Schnellzuges wurden zertrümmert. Aus Brünn und 2undenburg wurden sofort Silfszüge entsandt. Bisher wurden bei dem Eisenbahnunglück in Südmähren 19 Tobesopfer gezählt. Die Zahl der Verletzten ist noch nicht zu überblicken, es dürfte sich aber um mehr als 25 Schwer und noch mehr Leichtverlette handeln.
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Das Tschechoslowakische Pressebureau meldet weiterhin aus Brünn : Die Zahl der Opfer ist noch nicht genau festgestellt. Zahlreiche Personen find umgekommen. Die Identifizierung der Toten ist sehr schwierig, da sie teils start verbrannt sind und bei vielen teine Personaldokumente vorhanden sind. Biele Schwerverlegte wurden ohne Feststellung der Identität so rasch als möglich in die Brünner Krantenhäuser und nach Lunden burg gebracht.
Später wird ergänzend gemeldet: Die Ausmaße des Unglücks find viel größer, als man annahm. Neunzehn Personen wurden getötet, 25 schwer und 20 leichter verletzt. Einzelne schwerverletzte Personen mußten mit Beilen und Sägen aus ihrer schredlichen Lage befreit werden. Die Leichen wurden im Heizhaus der Station untergebracht. Nach dem Zusammenstoß herrschte in der Station eine schredliche Panit. Unter den Opfern befinden sich ein Lokomotivführer, zwei höhere Cisenbahnbeamte der deutschen Reichsbahn, ein reichsdeutscher Kauf mann
Zur Eisenbahntatastrophe bei Lundenburg meldet das tschechoslowakische Pressebureau: Unter den Opfern befinden sich ein Lotomotioführer, zwei höhere Eisenbahnbeamte der deutschen Reichsbahn, ein reichsdeutscher Kaufmann.
Man nimmt an, daß unter den Trümmern des Zuges noch Tote liegen. Die Die Hindernis aufräumungs= weitere arbeiten auf der Strede werden bis morgen früh vollkommen durchgeführt sein, so daß der normale Zugverkehr in den Morgenstunden wieder aufgenommen werden kann.
Die reichsdeutschen Opfer.
Bon den Todesopfern der mährischen Zugkatastrophe sind bis jetzt fünf Perfonen identifiziert worden. Es sind dies: Albert Karger, Eisenbahnfekretär aus Winsdorf. Elisabeth
ange, Postgehilfin aus Hönigsdorf, Hermann Urban aus Berlin , Anna Hibl, Cudau b. Berlin , Josef Röhrich, Reichsbahnjekretär aus Berlin .
Unter den Berlegten, die in das Krankenhaus in Brünn übergeführt wurden, befinden sich außer Reisenden aus Mähren und Desterreich auch folgende Reichsdeutsche: Franz Wittich aus Breslau , Dr. Karlotte aus Kolberg , sowie Anfon Kählert und Marie Kählert aus Neustadt in Oberschl Der Cokomotivführer des Schnellzuges fowie der Heizer water fofort fot; drei der übrigen Tofen waren an den Uniformen als Eisenbahner zu erkennen. Der Heizer des angefahrenen Güterzuges wurde in die Feuerung der Lokomotive hineingeschleudert; er erlitt furchtbare Brandwunden, denen er erlag