Morgenausgabe
Nr. 431
A 219
45.Jahrgang
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Mittwoch 12. September 1928
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Genf , 11. September. Die heute nachmittag abgehaltene gemeinsame Besprechung der Hauptdelegierten Deutschlands , Englands, Frankreichs , Italiens , Belgiens und Japans am Sitz der englischen Delegation dauerte zweieinhalb Stunden. Das gemeinsam vereinbarte Kommuniqué besagt:
,, Heute nachmittag fand in der in Aussicht genomme nen, gemeinsamen Besprechung über die Rheinland . räumung ein Meinungsaustausch statt, der am nächsten Donnerstag vormittag zehn Uhr seine Fort: jetung findet."
Wie weiter verlautet, wird der belgische Außenminister Hymans, der heute abend nach Brüssel reist und Ende der Woche in Genf zurück sein will, bei der zweiten Besprechung durch den früheren belgischen Botschafter in London Baron Moncheur vertreten. Der französische Außenminister Briand , der am Freitag an einem Ministerrat teilzunehmen beabsichtigt, wird auch an der zweiten gemeinsamen Besprechung der sönlich teilnehmen.
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schon daraus hervor, daß sich die deutschen Bertreter der Abrüstungskommission stets mit einer etappenweisen Lösung einverstanden erklärt hätten. Aber man müsse immer wieder daran erinnern, daß der Friedensvertrag das Versprechen der allgemeinen Einschränkung der Rüstungen enthalte, die eine Folge der deutschen Abrüstung sein sollte.
Dieses Versprechen sei nicht nur Deutschland und den anderen besiegten Staaten des Weltkrieges, sondern allen Völkern der Welt gegeben worden. Deutschland verkenne feineswegs die Schwierigkeiten des Abrüstungsproblems. Aber man solle auch nicht vergessen, welche ungeheuren Schwierigkeiten Deutschland hätte überwinden müssen, um seine Entwaffnung durchzuführen und die Kriegs- in eine Friedensindustrie umzuwandeln. Ausländische Offiziere hätten ihm seinerzeit bestätigt, daß die deutsche Entwaffnung, insbesondere die Herabsehung der Zahl der Offiziere von 40 000 auf 4000 eine Leistung allerersten Ranges dargestellt habe. Wenn man von der Reichswehr als von einer Gendarmerie spreche, so dürfe man doch nicht vergessen, daß diese Heeresform Deutschland durch den Vertrag aufgezwun
gen wurde.
Uebrigens würde es bei einem fünftigen Kriege weniger V. Sch. Genf , 11. September. ( Eigenbericht.) auf die Menschenmassen ankommen als auf die technischen Mittel, schwere Artillerie, Flugzeuge, Tants usw., die DeutschIn der ersten gemeinsamen Besprechung zwischen Deutschland all ein unter allen Mächten laut Friedensvertrag nicht land und den Besatzungsmächten wurde nochmals der beider unterhalten dürfe. Bezüglich der Handelsmarine, deren feitige Standpunkt zum Räumungsproblem dargelegt. Der Wiederaufbau Briand in seiner Rede als besonderes Beispiel deutsche Rechtsstandpunkt aus dem Artikel 431, wonach bei der wirtschaftlichen Entwicklungskraft Deutschlands geschildert pünktlicher Erfüllung der Vertragsverpflichtungen durch habe, muß er darauf aufmerksam machen, daß ihr wiederDeutschland die Besagungsmächte früher räumen werden als es die angegebenen Fristen vorschreiben, wird von der Gegen- Möglichkeit zu geben, durch Entwicklung seines Außenhandels aufbau unerläßlich gewesen sei, schon um Deutschland die feite nicht anerkannt, was nach dem nicht ganz klaren Wortlaut dieses Artikels zu erwarten war. Der moralische An- die Reparationsverpflichtungen, die ihm auferlegt wurden, spruch, auf den sich Deutschland ebenfalls beruft, wird nach zu erfüllen. Und was für die Handelsmarine gelte, gelte für alle übrigen Zweige der deutschen Wirtschaft, deren Entwie vor mit der Frage der Gegenleistung beantwortet. Man perlangt von Deutschland Vorschläge. Da aber die Reichs- wicklung nicht zuletzt im Interesse der Repara tionsgläubiger läge, denn nur durch eine start entregierung daran festhält, daß feine Verbindung zwischen wickelte Wirtschaft sei Deutschland in der Lage, seine Reder Besagungs- und Reparationsfrage besteht, ist es natürlich nicht leicht, diesen Gegensatz zu überbrüden. In der parationsverpflichtungen zu erfüllen. heutigen ersten Aussprache ist das jedenfalls nicht gelungen. Eine Bereinbarung darüber, daß über die Räumung und über die endgültige Lösung der Reparationsfrage parallel verhandelt werden soll, ist noch nicht erzielt. Anscheinend verhandelt werden soll, ist noch nicht erzielt. Anscheinend wird der Mittwoch, der verhandlungsfrei bleibt, von ver schiedenen Unterhändlern dazu benutzt werden, Rücksprache mit ihren Regierungen zu nehmen, um die Frage zu klären, wie man diesen Gegensah, der vielleicht mehr formal als sachlich ist, überbrücken kann.
Die Stimmung ist hier am Dienstag wesentlich ruhiger geworden. Die Erläuterungen, die Briand am Montagabend vor der Presse zu seiner Rede gegeben hatte, ebenso mie die Mitteilung, daß am Dienstagnachmittag die erste gemeinsame Aussprache zwischen den Besatzungsmächten und Deutschland stattfinden würde, hat wesentlich zu dieser EntSpannung beigetragen. Briand legte überdies noch besonderen Wert darauf, Dr. Breitscheid zu empfangen und ihm als dem Parteifreund Hermann Müllers zu versichern, daß er misverstanden worden sei, wenn man aus seiner Rede irgendwelche Anklagen oder ein Mißtrauen gegen die jetzige Reichsregierung herausgelesen hätte, die am allerwenigsten gegen diese Regierung begründet wären.
Am späten Abend empfing Hermann Müller etwa 200 Vertreter der internationalen Preffe. Er sprach in seiner bekannten ruhigen Art und betonte zunächst, daß er, obwohl er einer ganz anderen Partei als Stresemann angehört, mit ihm seit Jahren in den außenpolitischen Zielen fast immer einig gewesen sei und daß er auch in der Zeit, in der die • Sozialdemokratie in der Opposition gestanden habe, die außenpolitische Linie Stresemanns unterstüßt hätte. Er habe nicht seine Rede als Parteimann gehalten, sondern als Leiter Der Reichsregierung den deutschen Standpunkt zur Abrüftungsfrage entwickelt, über den es zwischen den Parteien in Deutschland wesentliche Unterschiede faum gebe. Würde er als Sozialdemokrat gesprochen haben, dann würde er etwa die gleiche Rede gehalten haben, nur noch schärfer formuliert.
Er stimme durchaus mit Briand darin überein, daß man Vertrauen zum Völkerbund haben müsse. Das deutsche Volt habe einen starken Glauben an die Zukunft des Völkerbundes gezeigt. Hinsichtlich, des Bertrauens zum Völkerbund bestehe also fein Unterschied zwischen der französischen und deutschen Auffassung, aber man solle von den Bölkern auch nicht verlangen, daß fie vor dem Völkerbund stramm stehen. Die Bölker würden die Genfer Institution nach ihren Leistun gen beurteilen. Man fönne ihnen Vertrauen zum Völker bund nicht einfach befehlen. Der deutsche Standpunft zur Abrüftungsfrage sei fein Propagandastandpunkt, das gehe
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Kein Volfsentscheid!
Zum Beschluß des Parteiausschusses.
Der Sozialdemokratische Parteiausschuß hat gestern nach mehrstündiger Beratung, an der auch der Reichsinnenminister Genoffe Severing und der Reichsfinanzminister Genosse Hilferbing teilnahmen, zur Frage des fommunistischen Boltsentscheids einstimmig folgenden Beschluß gefaßt:
Der von den kommunisten eingeleitete Bolfsentscheid ift nicht geeignet, die Streiffrage des Panzerschiffbaues zur Entscheidung zu bringen. Die Kommunisten erstreben mit ihrem Boltsbegehren eingestandenermaßen auch gar nicht die Verhinderung des Panzerschiffbaues. Sie erbliden in ihm nur eine Gelegenheit, die Sozialdemofratische Partei zu verleumden und zu beschimpfen. Für die Parteigenossen ergibt sich daraus von felber die Pflicht, dieser gegen die Sozialdemokratische Par tei gerichteten Aktion auf das entschiedenste entgegen... zutreten.
Der Parteiausschuß stellte des weiteren die einmütige Ablehnung des Panzerfreuzerbaues durch die Partei fest Er erwartet von der Verabschiedung des Reichsetats für das Jahr 1929 die grundsägliche Stellungnahme zum Wehrproblem durch den rechtzeitig hierzu einberufenen Parteita g. Der Parteivorstand wird ersucht, diese Klärung durch Einsetzung einer Programmkommission vorzubereiten, die dem Parteitag Bericht zu erstatten hat.
Der Beschluß des Parteiausschusses über den Volksentscheid tommt nicht überraschend. Er ist nicht mehr als eine glatte Selbstverständlichkeit.
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Der Boltsentscheid- ,, die direkte Gesetzgebung durch das Bolt" ist eine alte sozialdemokratische Forderung. Aus dem Erfurter Programm tam sie in die Reichsverfassung. Kommunisten, die Verächter der Demokratie, dieser grundEs entbehrt nicht eines gewissen Humors, daß sich gerade die bemokratischen Einrichtung mit so großem Eifer bemächtigt haben. Sie haben sie zum erstenmal vor zwei Jahren gemeinsam mit der Sozialdemokratie in Bewegung gesetzt bei dem Antrag auf die entschädigungslose Enteignung der Fürsten . der Fürsten . Diesmal werden sie versuchen müssen, auf diesem schwer zu handhabenden Inftrument allein zu spielen. Als die Kommunisten zum erstenmal mit der Forderung Es wurden an den Reichskanzler nur wenige Fragen aus nach einem Boltsentscheid tamen, wurde hier gesagt, dies der Mitte der Versammlung gerichtet. Eine der Fragen, die sei ihre prinzipielle Rapitulation. Die Berherrdahin ging, wie die Reichsregierung sich die Frage des Anlicher der Gewalt bequemten sich zur Arbeit mit den gewaltschlusses dente, beantwortete Hermann Müller ganz furz lofen Mitteln der Demokratie. Darob große Wut und Beunter lebhafter Heiterfeit mit dem Hinweise auf den Ar- teuerung der unverändert„ rrevolutionären" Gesinnung. titel 80 des Versailler Vertrages, der das Problem des An- Seitdem find zwei Jahre vergangen, die KPD. hat sich inschlusses berühre. zwischen in der demokratischen Republik nur noch bequemer eingerichtet. Daß diese fortdauernde Anpassung an demokratische Einrichtungen und Gewohnheiten schließlich auch auf das ganze Wesen der Partei einwirken muß, darf aber nicht eingestanden werden. Darum feierliche Beteuerungen: Man glaube ja gar nicht an die Möglichkeit, den Panzerschiffbau durch den Volksentscheid zu verhindern, es handle sich um gar nichts anderes als um die Aufrüttelung der Massen zu kommunistisch- revolutionären Zwecken und um die Entlarvung der verräterischen SPD. ".
Scharfer Angriff auf die Besetzung.
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London , 11. September. Manchester Guardian" erklärt zu der Frage der Rheinlandräumung: Das Feilschen wegen der Rheinlandbefeßung fönnte nicht schimpflicher sein. Britische, französische und belgische Gruppen stehen auf dem Boden einer befreundeten Macht, eines Mitglieds des Völkerbundes, eines Teilhabers am Locarno- Abtommen, eines Unterzeichners des Kellogg - Battes, einer hoch zivilisierten demokratischen Republik Deutschlands . Diese Truppen halten gemeinsame manöver auf deutschem Boden ab, in denen ein hypothetischer Feldzug gegen einen hypothetischen deut schen Angriff ausgefochten wird. Sie verhaften deutsche Bürger, sperren sie ein oder verbannen fie, fie greifen in die Preffefreiheit ein, sie halten den Bau von Brücken und Eisenbahnstationen auf. Sie besetzen Zimmer in Häusern, Hotels und Kasernen, die sehr benötigt werden in einem Lande mit ernstem Wohnungsmangel. All dies tun sie nur in der Hoffnung, daß Deutschland unter dem Druck der seinen Untertanen auferlegten Entbehrungen nachgibt und den Preis anbietet, damit diese Not zu Ende geht. Es würde ehrlicher sein, Deutschland zu blodieren, oder feine Schiffe im Auslande zu beschlagnahmen und es so scharf und rasch zu zwingen, ein Angebot zu machen. Der Druck wird übrigens nicht nur auf Deutschland , sondern ebenso auf Amerita ausgeübt. Am schlimmsten findet Manchester Guardian" es, daß England ein Romplice bei diesem Komplott ist.
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Ein Manöver Briands?
Condon, 11. September. ( Eigenbericht.) Der„ Daily Herald", der sich in schärffter Weise gegen Briands Genfer Rede gewandt hatte, spricht sich fast noch fritischer gegen die Rede Cord Cushenduns in Genf aus. Es sei nunmehr fein 3weifel darüber möglich, daß weder die britische noch die französische Regierung den Wunsch nach einem Zusammentrefen der Entwaffnungstonferenz des Bölkerbundes befäßen.
3m Gegensatz zu einem großen Teil der öffentlichen Meinung Englands, wird die Rede Briands in Londoner diplomatischen Kreifen als ein innerpolitisches Manöver gewertet, das eine gewisse Konzeffionsbereitschaft in der Rheinlandfrage zu verdeden fudje.
Durch diese Erklärung ist klar geworden, daß eine Beteiligung von Sozialdemokraten an der kommunisti schen Bolfsentscheidaktion ein offenbarer Widerfinn wäre. Die Beteiligung an einer Aktion, die den Panzerschiffbau faftisch verhindern will, wäre für Sozialdemokraten disfutabel gewesen. Die Beteiligung an einer Aktion, die sich eingestandenermaßen nur zum Schein gegen das Banzerschiff, in Wirklichkeit gegen die Sozialdemokratie richtet, verbietet sich für Sozialdemokraten von selbst. Rußland hat ein ungeheures Heer und eine stattliche Kriegsflotte. Die Einrichtung eines Bolfsentscheids kennt es dagegen nicht. Die Kommunisten sind in Rußland für die Flotte und gegen den Bolfsentscheid, in Deutschland sind sie gegen die Flotte und für den Volksentscheid. Sie versichern, daß sie einem sozialistischen Vaterland" jeden Mann und jedes Schiff bewilligen würden und sie nur einem fapitalistischen verweigern. Nun, das neue Schiff foll vier Jahre lang gebaut werden und dann dreißig Jahre in Dienst bleiben. Die Hoffnung der Kommunisten, daß sich Deutschland im Laufe dieser Zeit in ein ,, sozialistisches Vaterland" verwandeln fönnte, scheint sehr gering zu sein.
Ein ganzer Rattenkönig von Berlogenheiten, eine politische Hanswurstiade ersten Ranges ist die fommunistische Aktion für den großen Panzerfreuzer- Bolksentscheid"!
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Je meniger Ernst die Kommunisten zeigen ,, desto ernster müssen wir das ganze Problem des Volksentfcheids ins Auge faffen. Es ist bisher nicht gelungen, diese neue demokratische Einrichtung in den Dienst einer positivsozialistischen Politik zu stellen. Auch der Bolksentscheid vor zwei Jahren war durch die Mitwirkung der Kommunisten mehr eine bloß propagandistische Angelegenheit als die Einsetzung eines zweckmäßigen Mittels zur Erreichung eines bestimmten, auf der Linie sozialistischer Politik liegen