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BERLIN  Mittwoch,

12. September 1928

Der Abend

Ericheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 m. pro Monat. Redaktion und Erpedition: Berlin   SW68, Lindenstr. 3

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Nr. 432

B 214

45. Jahrgang.

66 Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillezeils

Spalausgabe des Vorwärts"

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Vor der Verständigung in Genf  

Eine sozialistische Interpellation in der französischen   Kammer.

Perfinar meldet dem Daily Telegraph  " aus Genf  , die Aus­fichten für ein schließliches Einvernehmen schicnen den fünf Unter­händlern, die gestern in Cord Cushenduns Zimmer über das Rhein­landproblem berieten, im großen und ganzen günftig. Briand   habe die Gelegenheit ergriffen, um seine vorgeftrige Rede zu erklären und alle Ursachen für eine Verftimmung auf seiten der Deutschen   zu beseitigen. Reichskanzler Müller habe erneut auf das auf Artikel 431 des Berjailler Bertrages geftützte moralische Recht Deutschlands   auf eine vorzeitige Räumung des Rheinlandes hin­gewiesen. Es scheine allgemeine Uebereinstimmung darüber zu herrschen, daß die Räumung, wie sie von Deutschland   gewünscht werde, durchgeführt werden könne, vorausgesetzt, daß Deutschland   weitere Garantien für die fünftige Durchführung des Dawes- Planes gebe. Es jei nicht leicht, zu sehen, welche Gestalt diese Garantien annehmen fönnten, da Amerika   an der Regelung nicht teilnehmen könne.

Es werde angenommen, daß trotzdem die fünf Mächte eine gemeinsame Affionslinie für die schließliche Lösung des Problems der Kriegsschulden, sobald Amerita geneigt sei, es neu zu erwägen, bejchließen würden. Briand   werde wahrscheinlich unter dem Ein fluß Paul Boncours auf der Errichtung irgendeiner Form inter­nationaler Kontrolle des entmilitarisierten Rheinlandes bestehen. Es jel jedoch zweifelhaft, ob Fortschritte in diefer Richtung erzielt werden fönnten. Es werde gemeldet, daß der deutsche Reichs fanzler gestern erklärt habe, daß, als er den Ausdrud unaufrichtige Politik letzten Freitag gebrauchte, er damit nicht auf Briand   Bezug nehmen wollte.

Der Reichskanzler soll neue Vorschläge machen. Paris  , 12. September.  ( Eigenberidyl.)

lleber die gestrige Konferenz in Genf   meiß nur der Petit Barisien" nähere Einzelheiten mitzuteilen. Vor allem hätten Briand   und Müller den Sad ihrer Zwistigkeiten geleert und fich nach gründlicher Aussprache wieder versöhnt. Dann habe Müller den offiziellen deutschen   Standpuntt dargelegt und betont, daß Deutschland   einen unbedingten Rechtsanspruch auf die sofortige Räumung des Rheinlandes habe, da es seine Berplichtungen ent­sprechend, dem Artikel 431 des Bersailler Vertrages, vollständig er­füllt habe. Daraufhin jedoch habe man" die entgegengesetzte These entwickelt, nämlich die der politischen, militärishen und finan­ziellen Pfänder und Gegenleistungen, die die Alliierten hinsichtlich der Sicherheit und der Reparationen immer noch zu fordern hätten. Man" jei dabei auch auf die Vorschläge Stresemanns in Thoiry zu sprechen gefommen und man" habe betont, daß Stresemann in seinen Vorschlägen nicht zuviel Widerstand geleistet und ent­schieden weitergegangen sei. Der Reichskanzler. habe sich endlich bereit gefunden, einen Berhandlungsvorschlag zu machen, doch habe dieser von keinem der Teilnehmer als genügend ange. fehen werden förmen. Immerhin aber sei damit eine Grundlage gegeben gewesen. Die Alliierten hätten daher den Kanzler gebeten, die Lage nochmals zu überprüfen und am nächsten Donnerstag neue Vorschläge zu machen. Sollten diese Vorschläge eine Distusfions. möglichkeit erscheinen laffen, dann würden zunächst einmal die Sach verständigen in Attion treten. Die offiziellen Berhandlungen wür. den erft fpäter meitergehen.

Trauerfeier für Brockdorff- Rantzau.

In der Dreifaltigkeitskirche in Berlin   wurde gestern eine Trauerfeier für den in Berlin   verstorbenen Botschafter in Moskau  , Graf Brockdorff- Rantzau  , abgehalten, an der das diplomatische Korps und Vertreter der deutschen   Regierung teilnahmen.

Hugo Stinnes   wird abgeschüttelt.

Die Aufsichtsräte der Stinnes- internehmen zum Kriegsanleihebetrug.

mittlerrolle, Belastendes Material wurde bei den Haussuchungen nicht gefunden, weil die Betrugsmanöver schon zwei Jahre zurück­liegen. Doch hat Groß im Laufe feiner Bernehmungen ein teilweijes Geständnis abgelegt. Im Auftrage des Generaldirektors Not h mann will er Weisungen zum Auftauf von Kriegsanleihe gegeben haben, doch bestreitet er, über das Resultat dieser Ausläufe orientiert gewesen zu sein oder gar gewußt zu haben, zu welchem Zweck der Stinnes  - Konzern die Kriegsanleihe benötige. Soweit es sich bis jetzt übersehen läßt, scheinen die so in Rumänien   aufgekauften neuen Kriegsanleiheftücke in Kronstadt   in Altbefiz umgefälscht worden zu sein. Aber auch aus Deutschland   dürften wohl Kriegs­anleihestücke zum Zweck der Umfälschung nach Rumänien   geschickt morden sein. Ob zwischen diesen Betrugsmanövern von Hugo Blumenstein eine Beziehung besteht, fann erst der weitere Gang ber Stinnes jr. und den ungarischen Anleiheschiebungen Blumenstein eine Beziehung besteht, fann erst der weitere Gang der Untersuchung ergeben, wobei dann allerdings der Berliner   Unter­suchungsrichter mit den maßgebenden Behörden in Budapest   und Paris   in Verbindung treten müßte.

Von den Aufsichtsräten der Stinnes- Ge-| Transport der Papiere zwischen Berlin   und Rumänien   die Ver­fellschaften wird mitgeteilt: Herr Hugo Stinnes   jr. hat wegen der gegen ihn schwebenden Untersuchungen feine gesamten Aemter in Vorständen und Aufsichtsräten in in- und ausländischen Gesellschaften zur Verfügung gestellt. Jm Einvernehmen zwischen den deutschen   und Eine sozialistische Interpellation in der Kammer. amerikanischen Aufsichtsratsmitgliedern der Spitzengesellschaft Paris  , 12. September.  ( Eigenbericht.) des Stinnes- Konzerns, der Hugo Sfinnes Corporation, wer­Im Auftrage der sozialistischen   Partei hat der Abgeordnete den die Geschäfte der Gesellschaft und Untergesellschaften von Brate auf Grund der Rede Briands eine 3nterpellation den bisherigen Leifern dieser Gesellschaften nach Anweisung in der Kammer angemeldet. Wir wollen doch einmal sehen, schreibt dazu der sozialistische Populaire", ob wir nicht unsere an- durch den Aufsichtsrat weitergeführt. geblichen Friedensfreunde dazu bringen können, Farbe zu bekennen. Briand   hat uns in Genf   ein erbauliches Schauspiel aufgeführt. Als es fich darum handelte, endlich zu Taten zu schreiten, hat er sich in der schmachvollsten, heuchlerischsten Weise seiner Pflicht entzogen. Mit dem Frieden flirten wolle er gern, aber er ist tein ernsthafter Liebhaber. Er ist schon einmal eine Omelette in Thoiry und trinkt einen Porto in Locarno  , aber wenn er nun in Genf   etwas Praf­fifches leiften foll, dann fagt er: Nein."

Briand   war überrascht.

Paris  , 12. September.  ( Eigenbericht.) Der offiziöse Petit Parifien erklärt heute, Briand   selbst sei am meisten überrascht gewesen von der Sensation, die feine Rede hervorgerufen hat und Bertinag ergänzt dieses Geständnis im Echo de Paris" dahin, daß Briand   seine Heftigkeit sofort be­dauert habe.

Gleichzeitig wird vom Aufsichtsrat der Hugo Stinnes   Corpo. ration folgende Erklärung abgegeben: Die Hugo Stinnes Corporation und die von ihr kontrollierten und ihr ange­gliederten Gesellschaften haben zu feinem Zeitpunkt in irgendeiner Form mit den Geschäften zu tun gehabt, die zurzeit Herrn Hugo Stinnes   jr. zur Last gelegten werden.

Der in Wien   wegen Beteiligung an den Stinnesschen Kriegstage anleiheschiebungen verhaftete Kaufmann Bela Groß spielte beim

Vier ungeklärte Todesfälle. Der ,, Eiserne Gustav" in Berlin  .

Berichte 2, Seite.

Das Material, das die Wiener   Aktion der Berliner   Polizei zu­gefördert hat, wird mit der Rückkehr des Kommissars Dr. Heinz­

mann und des Kriminalkommissars v. Rassow aus Wien   dem Untersuchungsrichter übergeben werden. Es wird dann sofort die Auslieferung von Bela Groß verlangt werden, der wohl ohne weiteres entsprochen wird, daß Groß nicht österreichischer Staatsangehöriger ist. Es dürften dann in Moabit   Gegenüber­stellungen zwischen Groß und den übrigen Beschuldigten stattfinden, die auch eine klarere Beurteilung der Wiener   Betrugsmanöver er­möglichen werden.