Morgenausgabe
Nr. 437
A 222
45.Jahrgang
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Sonnabend 15. September 1928
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Noch keine Verhandlungen.
Paris , 14. September. ( Eigenbericht.) Das innerpolitische Interesse an der Ernennung der beiden neuen Minister hat die Debatte über die Rheinlandverhand. lungen in Genf vollkommen in den Hintergrund trefen laffen. Ueber die Erklärungen Briands, der schließlich zum Zwecke der Berichterstattung von Genf nach Paris reifte, wird nur mitgeteilt, daß er sehr ausführlich war und einstimmige Annahme fand.
Das Havas- Bureau und der„ Temps" erklären übereinstimmend,
daß die Genfer Besprechungen immer noch nicht die Bezeichnung Berhandlung en verdienen. Was bis jetzt in Genf geschehen sei, wäre nichts anderes als ein genaueres Erkunden des Berhandlungsbodens. Man unterhalte sich darüber, was möglich und was nicht möglich fel, man unterrichte sich über die Absichten der verschiedenen Partner, man entwidele auch einige Leitgedanten, die etwa dazu führen könnten, den Rahmen für die späteren Ber. die etwa dazu führen könnten, den Rahmen für die späteren Berhandlungen abzustecken. Aber es fei noch keineswegs eine fefte Grundlage vorhanden, auf der man aufbauen fönne, zumal der Reichskanzler fich noch nicht zur Formulierung fester Borschläge habe entschließen können. Immerhin sei die Atmosphäre sehr günstig, und das fei schließlich das einzige Moment, das zu einem gewissen Optimismus berechtige. Wenn man auch schon sagen fönne, daß eine Einigung nicht mehr unmöglich erfcheine, so werde es doch sicherlich noch lange dauern, bis sie wirtlich erreicht sei.
Poincaré - Kabinett bleibt wie es ist. Keine Umbildung nach links. Keine Luftfahrtminister. Cheron Handelsminister.
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Paris , 14. September. ( Eigenbericht.) Der Ministerrat, der am Freitag die Nachfolgeschaft Botanowitys zu regeln hatte, hat es nur zu einem sehr bescheidenen Rompromiß gebracht. Die Anregung der zur Linken zählenden Minister, die Neubejegung des Handels- und des Luftfahrtministeriums auszunüzen, um das Kabinett ents sprechend der republikanischen Mehrheit in der Kammer umzubauen, ist abgelehnt worden. Auch der zweite Gedanke, das zustatten und ihm einen Chef von Rang zu geben, ist fläglich ins Waffer gefallen. Laurent Eynac , der jegige Inhaber des Bostens, wird unter diesen Umständen alle Mühe haben, das fran zösische Verkehrsflugwesen wieder auf die Höhe zu bringen. Das Handelsministerium wird in den Händen des Senators Cheron, des bisherigen Generalberichterstatters für das Budget, in orbent: lichen Händen sein, ohne dabei die Gefahr fühner liberaler
Neuerungen zu laufen.
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Reichstanzler Müller stattete gestern vormittag dem polnischen Außenminister 3alesti einen Gegenbesuch ab und folgte fodann einer Einladung des Direktors des Internationalen Arbeitsamtes Albert Thomas , bei dem er Gelegenheit zu einer Begegnung mit Bernhard Shaw und zu einer längeren Unterhaltung mit dem tschechoslowakischen Außenminister Benesch hatte. Nachmittags empfing der Reichskanzler den lettländischen Außenminister Balodis, den rumänischen Gesandten in Berlin Comnen und bas Mitglied der norwegischen Delegation Frithjof Nansen. Abends
Die Gozialisten verlaffen den Sitzungsfaal.
Brüffel, 14. September. ( Eigenbericht.)
Der Wehrentwurf, der so lange und bittere Rämpfe verurfacht hat, wurde am Freitag von der Kammermehrheit endgültig verabschiedet. Bor der Abstimmung verlas der frühere Minister Wauters namens der sozialistischen Fraktion eine Erklärung, Darin wird gegen die Berfuche, die die Regierung und ihre Mehrheit gemacht haben, um den schlecht vorbereiteten und übereilten Entwurf unter Ablehnung jeber ernsten Debatte durchzupeitschen und jede Möglichkeit einer Abänderung zu unterbinden, protestiert. Der Wehr entwurf entspricht nicht den Wünschen der Nation. Er bringe eine schwerwiegende Bermehrung der Finanzlaften mit fich burch vermehrte Rüftungen und Festungsbauten und verhindere badurch bringende Sozialreformen. Er stehe im Widerspruch zur Frieden spolitif, die die schrittweise allgemeine Abrüstung erfordere. Er bedeute einen Rüdschritt zum Berufsheer, statt einen Fortschritt zum Boltsheer. Er bringe außerdem feine wirtfiche Sicherheit und sei von einem Geiste der Ungleichheit getragen, indem er mehrere Rategorien von Wehrpflichtigen mit verschiedener Dienstzeit von 14, 13, 12 und 8 Monaten schaffe. Er bebeute auch einen Schritt zurüd zum Söldnerheer, während man früher selbst das Boltsheer mit fechsmonatiger Dienstzeit verprochen habe. Auch der Entwurf über die Regiments
nahm der Reichskanzler auf Einladung des Präsidenten der Völker bundsversammlung, des dänischen Gesandten in Berlin . 3ahle, an dem alljährlich vom Präsidenten zu Ehren der Delegationsführer gegebenen Effen teil.
Genf , 14. September. ( Eigenbericht.)
Die Debatte über die Personalpolitit des Bölkerbundes fand am Freitag einen matten Austlang mit der Erklärung Japans , daß eine alle Teile befriedigende Lösung der Personalfrage nicht möglich sei und der Annahme einer holländischen Resolution, die an die unparteiische Besetzung der Beamtenposten, wie sie von der Völkerbundsversammlung im Jahre 1920 verlangt wurde, erinnert. 1920 verlangt wurde, erinnert. In der Budgetdebatte beschwerte sich Ungarn darüber, daß die Minderheitenabtei Iung um einen Beamten vermindert worden sei, trotzdem die letzte Bollversammlung erst wieder die Wichtigkeit der Minderheitensache anerkannt habe. Gegen Schluß der Sizung kam man zum Budget des Internationalen Arbeitsamtes. Hierzu liegt ein einziger Antrag auf Herabsetzung des Budgets durch Streichung einer der Konferenzen des Jahres 1929 vor. Der Antrag wird am Sonnabend
erörtert.
Die Abrüstungstommission behandelte das Memorandum der Sicherheitstommiffion über die Artikel 10, 11 und 16, wobei es zu einem bezeichnenden Streit zwischen Deutschland und Polen sowie Griechenland über die Einleitungsresolution der Sicherheitsfommission fam. In dieser Einleitungsrefolution wird gesagt, daß ein gewiffes Maß von Sicherheit schon infolge des Völkerbundspattes vorhanden sei. Polen bestritt überhaupt das Vorhandensein dieser Resolution. Der Grieche Politis hielt es nicht für nötig, fie in den Schlußbericht mit hineinzunehmen. Benesch machte den Bermittlungsvorschlag, sich die Sache bis Montag noch einmal zu über
legen.
Der Rest der Sigung wurde mit einer lebhaften Debatte über den finnischen Vorschlag finanzieller Unterstügung an den finnischen Vorschlag finanzieller Unterstügung an triegsbedrohte oder angegriffene Staaten ausgefüllt. Drei wichtige Punkte sind zu erklären: 1. ob eine unabhängige Konvention geschlossen werden soll oder die Frage erst bei der Abrüstungstommission behandelt werden foll; 2. ob die finanzielle Unterstützung schon bei Bedrohung eines Staates oder nur bei einem Angriff gegeben werden soll; 3. ob der Rat selbst über die Unterstüßung beschließt oder ob die Unterzeichner des Abkommens Der von dem zur Entscheidung herangezogen werden müssen. Belgier erstattete Bericht verlangt eine unabhängige Konvention, Unterſtügung bei Bedrohung, Billigung durch einstimmigen Ratsbeschluß. Der norwegische Vertreter Lange wies darauf hin, daß es sich vorläufig nur um Studien handele, daß andererseits sein Land dem Gedanken sympathisch gegenüberstehe, da er eine Fortentwidelung nichtmilitärischer Sanktionen bedeute, der einzigen, an der ein fleines Land teilnehmen fönne. Er nahm aber absolut Abstand von dem Vorschlag, auch bei Kriegsbedrohung schon finanzielle Unterstützungen auszuzahlen. Indien und England waren sehr zurückhaltend und wiesen darauf hin, daß der Plan bisher noch nicht den Regierungen vorgelegt worden sei. 3 a pan sprach fich ebenfalls gegen die Unterstüßung bei Kriegsdrohung aus, während Polen ein eventuelles Abkommen so bald wie möglich haben wollte. Die Debatte über diesen Punkt fonnte noch nicht abgeschlossen werden:
ftrafen sei unannehmbar. Er entspreche weder den Wünschen der flämischen noch der wallonischen Bevölkerung.
Die sozialdemokratische Fraktion verließ bei der Schlußabstimmung zum Protest geschlossen den Sigungsfaal
Am heutigen Freitag werden in drei Wahlkreisen Dänemarks die Wahlmännerwahlen für das Landsthing vollzogen. Die vom Landsthing selbst zu bestimmenden 19 Mandate find bereits vor einiger Zeit zur Verteilung gelangt, wobei die liberale Regierungsfraktion einen Siz an die Sozialdemokraten verlor. Am 21. September treten die Wahlmänner zusammen, um die alle vier Jahre fällige Ergänzungswahl vorzunehmen, d. h. 28 Abgeordnete zu füren. Bisher waren die Landsthingmandate folgender: maßen verteilt: 31 Liberale, 12 Konservative, 25 Sozialdemo traten und 8 Demokraten. In politischen Kreisen rechnet man start mit der Möglichkeit, daß die bisherige liberal- fonservative Majorität durch eine sozialdemokratisch- demokratische ersetzt werden wird. Ein derartiges Wahlrefultat würde aller Wahrschein lichkeit nach den Rücktritt des Rabinetts Madsen- Mngbal zur Folge haben. Die Wahlbeteiligung soll außergewöhnlich lebhaft sein und bis zu 80 Proz. erreichen.
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Was ist die„ Feststellungs- und Verständigungskommiffion"?
Nachdem Briand in Paris von seinem Rabinett die einstimmige Zustimmung zu seinen Verhandlungsrichtlinien erhalten hat, wird sich heute das Reichs= fabinett unter Borsiz seines dienstältesten Mitgliedes, des Reichswehrministers Gröner, über die gleiche Materie vom deutschen Standpunkt aus schlüssig machen. Von seiner Haltung wird der Verlauf der Besprechung am Sonntag in Genf wesentlich abhängen.
Es ist nicht anzunehmen, daß die Frage der einzusetzenden Finanzfommission besondere Schwierigkeiten machen wird. Die endgültige Festsetzung der Endsumme der Reparationen fann nur erwünscht sein; ist sie erfolgt, so fann über eine Teilmobilisierung geredet werden. Die Finanzverhandlungen werden nicht unter dem Druck der Gegenseite stehen, denn die Fortdauer der Besatzung bis zum vertragsmäßigen Schlußtermin ist nicht so unerträglich, daß Deutschland sich dazu verleiten lassen tönnte, für die frühere Räumung irgendwelche neuen finanziellen Belastungen auf sich zu nehmen.
Auch die Angelegenheit der sog. Feststellungsund Berständigungsfommission" würde einfacher liegen, wenn sie nicht so unvermutet in die Debatte geworfen wäre und wenn die Deffentlichkeit ein klareres Bild von ihr hätte.
Nach Mitteilungen, die aus französischer Quelle stammen, aber auf deutscher Seite nicht bestritten merden, handelt es sich nicht um eine ständige Militärtontrollfommission, also nicht um die Einführung der berühmten éléments stables, fondern um etwas ganz anderes, nämlich um eine Einrichtung zweds Ausführung des Artikels 4 des Vertrags von Locarno . Dieser Artikel besagt:
1. Ist einer der Hohen Vertragschließenden Teile der Ansicht, daß eine Verlegung des Artikels 2 dieses Vertrages oder ein Berstoß gegen die Artikel 42 oder 43 des Vertrages von Versailles begangen worden ist oder begangen wird, so wird er die Frage sofort vor den Völkerbundsrat bringen.
2. Sobald der Völkerbundsrat festgestellt hat, daß eine solche Verlegung oder ein solcher Verstoß begangen worden ist, zeigt er dies unverzüglich den Signatarmächten dieses Vertrages an, und jede von ihnen verpflichtet sich, in solchem Falle der Macht, gegen die fich die beanstandete Handlung richtet, sofort ihren Beistand zu gewähren.
3. Im Falle einer flagranten Berlegung des Artikels 2 dieses Bertrages oder eines flagranten Verstoßes gegen die Artifel 42 oder 43 des Vertrages von Versailles durch einen der Hohen Vertragschließenden Teile verpflichtet sich schon jetzt jede der anderen vertragschließenden Mächte, sobald ihr erkennbar geworden ist, daß diese Verletzung oder dieser Verstoß eine nicht provozierte Angriffs= handlung darstellt, und daß im Hinblick, sei es auf die Ueberschreitung der Grenze, sei es auf die Eröffnung der Feindseligkeiten oder die Zusammenziehung von Streitkräften in der entmilitarisierten 3one, ein sofortiges Handeln geboten ist, demjenigen Teile, gegen den eine solche Verlegung oder ein solcher Vorstoß gerichtet worden ist, sofort ihren Beistand zu gewähren. Deffenungeachtet wird der gemäß Absatz 1 dieses Artikels mit der Frage befaßte Völkerbundsrat das Ergebnis seiner Feststellungen befanntgeben. Die Hohen Bertragschließenden Teile verpflichtet sich, in solchem Falle nach Maßgabe der Enipfehlungen des Rates zu handeln, die alle Stiminen mit Ausnahme derjenigen der Vertreter der in die Feindseligkeiten verstrickten Teile auf sich vereint haben.
Der Artikel 2 des Locarno - Vertrages formuliert die Verpflichtung der Beteiligten, nicht zum Kriege gegeneinander zu schreiten. Die Artikel 42 und 43 des Vertrages von Versailles untersagen Deutschland das Anlegen von Befestigungen und das Halten von Streitkräften in der 50- Kilometer- Zone, die, nebenbei gesagt, weiter reicht, als das besetzte Gebiet.
Die neue Kommission soll das Berfahren vereinfachen helfen. Es soll nicht mehr die Anrufung des Bölkerbundsrats notwendig sein, der dann seinerseits eine Kommission einsetzt, sondern es soll von vornherein eine Kommission da sein, die auf Anruf eines der Beteiligten, also von Fall zu Fall, zusammentritt, um erhobene Beschwerden zu prüfen. Diese Kommission soll, wie es heißt ,, bilateral" sein, d. h. auch Deutschland soll sie anrufen fönnen. Auf den deutschen Einwand, daß die Kommiffion auf französischbelgischer Seite nichts nachzuprüfen habe, da ja dort jede Aufrüstung erlaubt sei, wird geantwortet, daß erstens immerhin Vorgänge jenseits der Grenze möglich seien, die Deutsch land beunruhigten und über die es Aufklärung verlangen fönnte, und daß zweitens für die Zukunft auch eine Abrüstung der anderen Seite vorgesehen sei.
Aus dieser ganzen Konstruktion ergibt sich, daß die Gegenseite nicht an eine Kommission denkt, die gewissermaßen den Stab der Befagungstruppen ersetzt und dann logischerweise mit Ablauf der Befagungsfrist, 1935, Derschwinden müßte, sondern an eine Kommission, die so lange besteht, wie der Vertrag von Locarno in Kraf bleibt.
Offen ist die Frage, wann die geplante Kommission ein