Rr. 437 45. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonntägliche Wanderziele.
Hinaus in die Havellandschaft!
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Werder, den Mittelpunkt der Märkischen Obstfammer, mählen| Lande blieb, während das Renn dem Eishauch weiter nach Norden mir zum Ausgangspunkt unserer Wanderung zur Havel folgte, fand Ersatz an den neu zugewanderten Tierarten. Auf einer und zum Havelland. Wir gelangen dorthin mit den Vorort- nördlich von Phöben in die Havel vorspringenden, ihre Umgebung zügen der Potsdamer Stammbahn, oder mit der Wannseebahn , oder und den Wasserspiegel etwa 5 Meter überragenden Halbinsel, befand von den Bahnhöfen der Stadtbahn, hierbei jedoch in Potsdam um- sich ein vorgeschichtlicher Burgwall, der leider abgetragen wurde; Steigen. Die Obststadt Werder mit den von Obstbäumen bedeckten er enthielt Siedlungsspuren. Die Halbinsel heißt Räuberberg; hier Höhen sehen wir, sobald der Zug an den Bergen des Wildparts vor soll der Sage nach ein Schloß gestanden haben, in dem die Räuber über ist. lleber die Luchwiesen und die breite Havel hinweg grüßt hausten. uns die Obstkammer Berlins . Wir wandern vom Bahnhof nicht in die Stadt, sondern überschreiten auf der Chaussee nach
höben die Bahngleife. Sie führt anfangs neben der Bahn in nordwestlicher, sodann von der Bahn fort in nördlicher Richtung durch Ausbauten von Werder zum Wald. Nach Berlassen des Waldes fehen wir rechts über Aecker und Wiesen zum Kleinen 3ern fee, der von der Havel durchflossen wird. Das Landschaftsbild ift abwechslungsreich. Aus der Niederung erheben sich Bergfuppen, die meist bewaldet sind. So liegen füdlich von Phöben, den Anblick des Dorfes verdeckend, der 84 Meter hohe Wachtelberg und ter 80 Meter hohe Haatberg, die die Phöbener Heide tragen. Die Kuppen steigen gut 50 meter über den Spiegel der Havel auf. In der Ferne sehen mir den Göker Berg vor Brandenburg , von einem Bermessungsgerüst getrönt. Inselartig ragen die Bege aus der Havelebene empor. Zwischen der Hochfläche der Zauche im Süden und der von Döberik und Nauen im Norden schiebt sich von Westen, cus der Gegend von Rathenow und Brandenburg her, eine weite Niederung bis in die Gegend von Potsdam ein, die nach den erdgeschichtlichen Forschungsergebnissen am Ende der Eiszeit ein gewaltiger Stausee mit vielen Inseln, eben den Bergkuppen, war. Dieses Tal wird heute von der Havel durchflossen; jedoch nahm der Fluß ursprünglich seinen Lauf wahrscheinlich durch das alte Berliner Urstromtal, das sich westlich von Spandau zur Elbe erstreckende Savelluch, in dem die Spree, mit der Havel vereint, in ihrer bis Epandau eingehaltenen Richtung weiterfloß. Erst später gelang der Durchbruch bei Spandau in das Tal der heutigen Havelniederung.
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Phöben.
Wir haben höben erreicht, das sich auf dem schmalen UserStreifen zwischen Wachtelberg und Havel aufbaut. Phoben ist eine aralte Fischerfiedelung. Urkundlich wird es zuerst 1313 als Beyben" erwähnt, jedoch ist anzunehmen, daß es schon lange Beit vorher bestand. 1343 murde ,, Beben by der Havele gelegen" dem Kloster Lehnin zugeeignet. An den flöfterlicher Hofmeister in Röplit, auf dem gegenüberliegenden Havelufer gelegen, mußten Epeisefische, in der Fastenzeit täglich, sonst viermal in der Woche, peliefert merden, ebenso Lachs und Stör, die Herrenfische". Nordlich von Phōben, im Phöbener Bruch, liegt eine Ziegeleigrube, die jekt leider ersoffen" ist. Hier wurde der Ton abgebaut, der sich in dem Becken des Stausees am Ende der Eiszeit abgelagert hatte Dieser Ton erreicht eine Mächtigkeit bis zu 10 Meter. Er nimmt weite Flächen des ehemaligen Seegrundes ein und bildete die Urfache für die reiche Ziegelindustrie des Havellandes zwischen hoben, Rekin und Rathenow . In diesen Tonen einges floffen findet sich allerlei„ Urgebein", Geweihe und Tierfnochen fowie Muschelschalen und Schmeckengehäuse. Diese Refte gehören Tieren an, die jetzt in polnahen Ländern leben. Sie zeigen uns, daß in jener Zeit ein arttisches Klima hier geherrscht haben muß, wie es am Ende der Eiszeit auch nicht verwunderlich ist. Der hauptfächlichste Bertreter war das Renn. Außerdem fand man Geräte aus Renngemeih, von Menschenhand angefertigt. Die Feinheit und Zier lichkeit der Arbeit laffen auf eine ziemlich entwickelte Kunstfertigkeit fchließen, wie sie bei den Eiszeitmenschen Südfrankreichs zu finden ift. Als der Eismantel sich nach Norden zurüczog, wanderte das Renntier , und mit ihm der Mensch, in das vom Eise befreite Gebiet. Es sind auch Geräte und Werkzeuge gefunden worden, zu denen man die Geweihe von Rothirsch und Elch verwandte, also von Tieren, die wärmeliebender als das Renn sind. Der Mensch, der nun im
Die Nacht nach dem Verrat.
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Er flüsterte heiser und mürrisch.
Nach Krielow.
hinaus. Linker Hand steigt der Haatberg an, um den herum wir Bon der Kirche in Bhöben wandern wir nach Westen zum Dorf nach Süden wandern. Bei dem Dorf Kemnik, das am Nordufer Bahn und bald darauf den Torfgraben, der den Großen des großen Blessower Sees liegt, überschreiten wir die Magdeburger Bleffower See zur Havel entwäffert, wobei er seinen Weg
Bei Phöben a. d. Havel.
durch die Niederung westlich des Haafberges nimmt. Bon der Torf grabenbrüde menden wir uns rechts. Am Fuß des bis 32 Meter über die Niederung aufsteigenden Krielower Berges führt der Weg hin. Der Berg ist bewaldet. Sein westlicher Ausläufer ist der die Niederung um 34 Meter überragende spizze Berg, dessen Sandmassen abgefahren werden. Als scharfer Grat ist der aus leuchtend weißem Sand bestehende Rücken des Berges stehen geblieben. Wir überschreiten die Bahn wieder und sind min in Rrielom, das in einer fumpfigen Niederung liegt, die sich nördlich bis zu dem von der Havel durchflossenen Trebelsee westlich von Kezzin erstreckt. Biele Häuser des freundlichen Dörfchens zeigen alte Giebelverzierungen. Inmitten der Niederung, etwas nördlich von Krielom, jedoch unmittelbar beim Dorf, liegt ein vorgeschichtlicher Burgwall. Obwohl wesentlich jünger als die im Havelland gefundenen Geräte vom Renntierjäger, erzählt
hinter mir her. Kommandant Gallagher mill mich totschießen. Ich bin aus der Zelle in Bogen Hole geflohen."
Warum wollen sie dich totschießen? Um Gottes willen, warum wollen fie dich totschießen?"
Katie For Stimme war falt und leidenschaftslos, aber Gypo bemerkte es nicht. Auf ihren Lippen war ein dünnes, sonderbares Lächeln, aber Gypo fah ihr Gesicht nicht an. Gypo fagte:„ Was ist los mit dir, Katie? Was hast du In ihren Augen war ein Bligen, während sie sprach, aber da gesagt, ich wär' ein Gespenst?" Gypo hatte es nicht gesehen. Er starrte träumerisch ins Feuer. Er war erschöpft und schläfrig. Es hatte feinen 3wed, noch weiter auf der Hut zu sein. Er war müde, müde, müde. Müde und schläfrig. Was für einen Sinn hatte es, noch länger auf der Hut zu sein? Schlaf, Schlaf Schlaf. Dann wollte er geradenmegs nach Süden gehen. Mit dem Wind würde er nach Süden eilen über alle Hindernisse fort. Schlaf. Schlaf, Schlaf.
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Guter Gott!" rief Ratie aus.
Sie nahm ihre Hände vom Hals herunter und verfchränkte sie hinter dem Rücken, mit einer Bewegung, als rb fie etwas, das man ihr angeboten habe, ablehne. Dann fioh fie in großer Haft zum Feuer. Sie lehnte sich mit dem Rüden an die Band rechts vom Feuer und starrte Gypo an. Sie machte ihm ein Zeichen mit dem Kopf und flüsterte: Mach' doch die Tür zu. Mach' die Tür zu und komm' rein." Gypo wandte fich stumm zur Tür und fing an, den zerriffenen Strid zusammenzutnoten, um sie wieder zu befestigen.
"
Sie flüsterte: Wo bist du gewesen? O Gott! Du hast Gypo band die Tür fest und ging langsam und bedächtig zum Fensterplay. Er stand still, warf einen Blid auf die alte Frau und fah dann mit offenem Mund Katie an. Er murmelte schaudernd: Sie sind hinter mir her, Katie."
mir freuzweise das Herz umgedreht."
Es herrschte Schweigen. Gypo schauderte wieder und fegte fich vor das Feuer hin. Er faß auf der Erde, stützte die Ellbogen auf die Knie und streckte die Hände gegen die Slut aus.
Katie sah ihn mit glänzenden Augen an. Sie stand regungslos gegen die Band gelehnt. Ihr Gesicht war unter ihrem verborgenen roten Hut sehr weiß geworden. Ihre Augen glänzten. Ihre Oberlippe zog sich gefräuselt zujammen.
Die alte Frau im Bett blidte von Gypo zu Rotie und Don Katie zu Gypo. Ihre Augen tanzten ror Vergnügen. Schließlich sagte Katie: Wovon sprichst du?"
Ohne fie anzusehen, murmelte er: Die Organisation ist
Er murmelte: Das ist gleich, warum sie hinter mir
her find.
Wieder herrschte Schweigen. Schlaf, Schlaf, Schlaf.
Er murmelte schwer:" Sie wollen mich aus dem Beg werde hier über Nacht schlafen. Ich werde bis morgen nacht schaffen. Aber sie werden mich nicht friegen. Ratie, ich bleiben. Dann gehe ich nach Süden. Hier ist alles Geld, das ich habe."
Er wühlte in seinen Hosentaschen und brachte auf der flachen Hand vier Schillinge und Sixpence zum Vorschein. Er reichte es ihr. Sie näherte sich und streckte mit einer zögernden Bewegung die rechte Hand danach aus.
"
Das alte Weib versuchte sich aufzusehen und freischte aus dem Bett: Gib mir das Geld. Gib mir das Geld." Sich halb zu ihr mendend, brummte Gypo über die Schulter: Halt's Maul, Louisa. Hall's Maul oder ich schlag' dich zu Brei."
Grinsend fiel die alte Frau zurück. Dann griff fie nach einem Stod, der neben ihr im Bett lag. Sie schüttelte den Stod gegen Katie For.
Sie jammerte mit dünner, geborstener Stimme: Gie raubt mich aus, sie raubt mich aus."
Gypo fagte: Ich werde hier auf der Erde schlafen,
Sonnabend, 15. September 1928
auch er uns aus der Geschichte längst vergangener Tage. Wir sehen hieraus auch, daß das havelländische Gebiet in vorgeschichtlichen Tagen durchaus nicht spärlich besiedelt gemesen sein tann, sondern daß eine verhältnismäßig zahlreiche Bevölkerung hier bereits seßhaft gewesen sein muß.
Wir verlassen Krielom in westlicher Richtung und haben bald den Bahnhof Groß Kreuz erreicht. Von hier treten wir die Heimfahrt an; um Fahrgeld zu sparen, benußen wir den Fernzug mur bis Werder und von da den Vorortzug. Weglänge etwa 16 Kilometer.
Der Probst und die Reichsflagge.
Die alten Dokumente fino geprüft...
In dem Prozeß, den das Bezirksamt Mitte namens der Stadi gegen den Probst von Berlin , Superintendent D. Haendier und strengt hatte, weil sich der Probst gegen die Hissung der Reichs. die Gemeindefirchenräte von St. Marien und St. Nicolai angefarben anläßlich des Geburtstages des Reichspräsidenten gewehrt hatte, scheint jetzt vor der Entscheidung zu stehen.
Bei der letzten Verhandlung vor dem Landgericht I mar befanntlich von dem Rechtsbeistand des Probstes, Justizrat Dr. Willy Hahn, durch Borlegung zahlreichen Materials aus den Kirchenaften und dem Stadtarchiv, die bis in das 17. Jahrhundert zurüdreichten, der Beweis dafür zu erbringen versucht worden, daß auf Grund der rechtlichen Entwicklung und der Stellung des Probftes diesem ein völliges Nuhungs- und Nießbauchsrecht an dem Probsteigebäude zustehe, obwohl dies unbestrittenes Eigentum der Stadt sei. Dies war durch zahlreiche historische und äußerst interessante Dofumente aus den Stadt- und Kirchenarchiven erhärtet worden, und es wurde vom Verteidiger des Probstes daraus gefolgert, daß der Probst allein darüber zu entscheiden habe, welche Flagge man hiffen werde, eine Frage, die durch die Schaffung einer besonderen Kirchenfahne, durch die Synode als dem Selbstverwaltungskörper der Evangelischen Kirche gelöst sei. Obwohl der Bertreter des Bezirksamtes, Rechtsanwalt Dr. Lindner, in der Berhandlung erklärt hatte, daß es auf alle diese Atten überhaupt nicht antomme, da die Stadt als Eigentümer des Gebäudes grundbuchlich einge= tragen sei, gab das Gericht der Klägerin eine Frist, um zu dem großen Urfundenmaterial Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme ist inzwischen erfolgt und zwar hat sich das Bezirksamt auf den bisher vertretenen Standpunkt gestellt, daß auch das herbeigezogene Urfundenmaterial nicht seine Auffassung erschüttern tönne, daß die Stadt als Eigentümer des Probsteigebäudes die Hissung der Reichsflagge neben der der Kirchenflagge verlangen fönne und daß man ihr auch das Recht zugestehen müsse, an der Fassade des Gebäudes bei besonderen festlichen Gelegenheiten Schmuck sowie Fahnenstangen ar bringen zu lassen. Das Gericht hat jetzt einen neuen Termin anberaumt, der Mitte des Monats stattfindet, und in dera höchstwahrscheinlich die Entscheidung über den interessanten Rechtsstreit gefällt werden wird.
Der Totschlag an der Aufwartefrau. Anflageerhebung gegen Erna Anthony.
Gegen die Kontoristin Erna Anthony, die im März die Aufwartefrau Schüler erstochen hat, ist jetzt Anklage wegen Totschlags erhoben worden. Die Ermordete hatte von galanten Beziehungen der Angeklagten Kenntnis erhalten und foll Die Anthony will aus diese zu Erpressungen ausgenutzt haben. Furcht, durch Indiskretionen der Frau Schüler ihre Stellung verlieren zu können, die furchtbare Tat begangen haben. Da sich bei der Mörderin gewisse Anormalitäten ergeben haben. verneint die Anklage die flare Ueberlegung bei
der Ausführung der Tat und lautet deshalb nicht auf Mord. Die Verhandlung findet am 3. Oktober vor dem Schwurgericht des Land gerichts I unter Leitung des neuernannten Vorsitzenden Landgerichtsdirektor Fielitz statt.
Sperrung der Avus. Infolge des am Sonntag, dem 16. September, auf der Avus stattfindenden Motorradrennens des Deutschen Motorradfahrer- Verbandes wird die Avus für sämtliche Kraftfahrzeuge, mit Ausnahme der Rennfahrzeuge, am Freitag, dem 14. September, von 10,45 bis 16 Uhr, und am Sonntag, dem 16. September, von 11 bis 18% Uhr gesperrt.
| Ratie. He, Katie. Ich werde hier vor dem Feuer schlafen. Katie, was ist los mit dir? Warum red'st du nicht mit mir?" Katie brach in Lachen aus. Nachdem sie das Geld betommen hatte, hatte sie sich links vom Feuer auf einen niedrigen Schemel gesezt. Jetzt sprang fie auf die Füße und lachte. Es war ein sonderbares, trockenes Lachen. In ihren Augen war ein träumerischer Ausdruck. In Gedanken verloren blickte sie zu Boden.
dir los?"
Gypo grollte: Bist du betrunken oder was ist mit Noch immer zu Boden blidend, murmelte Katie verträumt: ,, Gar nichts ist los mit mir."
Dann holte sie tief Atem und schüttelte sich. Sie wurde wieder lebendig und energisch, vollkommen wach mit durchdringenden Augen. Sie begann mit erstaunlicher Schnelligfeit zu sprechen und freuzte die Arme über der Brust.
Mit einer lauten, fröhlichen Stimme sagte sie:„ Aber ficher, Gypo, du fannst hier schlafen bis zum Jüngsten Gericht, wenn du Luft hast. Connemara Maggie hat mir's ja erzählt, wie Bartly Mulholland gekommen ist, dich zu holen. Sie tam zu Biddy Brute' rein, betrunken wie'n Lord, und volver vor den Kopf gehalten hat und dich dann vor sich her fam dann' raus mit der Geschichte, mie Bartly dir' nen Reauf die Straße trieb.
aber-
Gnpo richtete sich etwas auf: Du lügst!" grollte er. ,, Kann sein, daß sie das nicht genau so gesagt hat, ,, Hat sie dir das Pfund gegeben, das sie dir von mir geben sollte?"
,, Ein Pfund? Hast du ihr ein Bfund für mich gegeben? Na, so ein Lügenpad! So eine Räuberbande! Oh, diese dreckige Brut von pockennarbigen Flickschneidern! Die nimmt den gefochten Kuchen! Wenn du die Wahrheit wissen willſt: zehn Schilling hat sie mir gegeben, und um die mußte ich noch fämpfen. Ich will ja nichts sagen über Dinge, über die ich' ne ganze Masse sagen fönnte, aber
,, Oh, hör auf mit dem Geschwäß" Gnpo groffte und taftete mit der Hand hinter sich nach dem Boden ,,, ich bin nicht in der Laune für dein Gejabbel, Katie."
Fortseßung folgt.)