Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Montag, 17. September 1928.

Burgen im Bauernland.

Streifzug durch die neue Ostmark.

r. bn. Sauerbrunn  , 10. September. Wie start im alten Fabsburgerreich die ungarische Reichshälfte war, das ist mir jegt an einem neuen Beispiel bewußt geworden. In der Zeit aufgewachsen, da Karl Lueger   gegen Ungarn   wetterte

Mörbisch  , Junges Bauernpaar. und da auch seine freisinnigen Gegner und seine sozialdemokratischen Antipoden den alle zehn Jahre zu erneuernden Ausgleich" als ungeheure Ausbeutung Desterreichs zugunsten des ungarischen Großgrundbesizes, bekämpften, habe ich doch erst jetzt die ge­heime Macht Budapests   im alten Reich nach einer anderen Rich tung erkannt: wir Wiener   Kinder von damals haben in feiner Weise gelernt, daß östlich von Niederösterreich  , auf ungarischem Boden auch noch urdeutsches Land ist! Unter der Ostmart, die Karl der Große   gegen die Einbrüche östlicher Reitervölker ange­legt hat, verstand unsere Schule mur Niederösterreich  , das Land bis zur Leitha. Drüben war eben Ungarn  , das Madjarenland der heiligen Stephansfrone, das zwar nicht verherrlicht oder gefeiert, aber als einwandfrei bestehende Tatsache gelehrt wurde.

Und jetzt, wo wir reichsdeutschen Pressevertreter dieses Land auf den roten offenen Autobussen der sozialdemokratisch geleiteten Industriestadt Wiener- Neustadt   durchstreift haben, fanden wir bis zur neuen Ungarngrenze und über diese hinaus einfach die Fort segung des deutschen Voralpenlandes von Niederösterreich  , mit gleichen Sitten und der gleichen Sprache. Auch die kroatische Min­derheit, in zahlreiche Dörfer zerstreut, und die Madjaren im Süd­bezirk Oberwart   sprechen mühelos deutsch neben ihrer Mutter­

Schloß Forchtenstein.  sprache, und besonders die Kroaten find vollkommen einig mit den deutschen Burgenländern in dem Wunsch, daß ihr Land heimtehre ins Reich

Benig Baffer führt in dieser ungewöhnlichen Septemberhiße bie Leitha die früher Desterreich und Ungarn   voneinander trennte,

Auf einer leichten Holzbrücke fahren die schweren Wagen ins Burgenland   ein, um durch wellige Ebene

Eisenstadt  

zu erreichen. Hier in der Stadt Joseph Haydns, des großen Arztes Joseph Hyrtl  , des Bühnengewaltigen Joseph Rainz wie der Tänzerin beider Welten" Fanny Elßler  , wird jetzt ein gewaltiges Gebäude für die Landesregierung errichtet, die noch in Bad Sauerbrunn   ist, weil zunächst nur dort ge­nügende Räume vorhanden waren. Eisenstadt   wird dann nicht mehr allein von dem Balaft des ungari­schen Grafen Esterhazy   beherrscht werden, dem ein Neuntel des ganzen Landes, seiner Felder, Weinberge und Wälder gehört, während er selbst zumeist in Ungarn   lebt und seine Arbeiter und Diener unter schwerer Ausbeutung, Lohnzurüd­haltung, Spigelei ufm. seufzen. Eisenstadt   zeigt in seinen zwei Museen, dem des Landes und dem des Herrn Szandor Wolf, eine verblüffende Fülle vor­geschichtlicher und späterer Funde und Ausgrabun­gen aus diesem vielumfämpften Ostmarklande, das mindestens seit der Völkerwanderung deutsch   ist. An das südrussische Bolk der Petschenegen, die mit den Awaren im 9. Jahrhundert n. Chr. heran­zogen, erinnert heute noch der Ortsname Pötsching.

Ein Wohnbau nach Wiener   Muster zeigt, daß Eisenstadt   von Sozialdemokraten verwaltet wird. Boul Roller, der rührige Bürgermeister, ist von Beruf Beamter im Bundesheer, aber zur Ausübung seines Zivilamtes beurlaubt.( In Deutschösterreich haben auch die Soldaten das Wahlrecht.)

Dem Esterhazy   gehört auch der ganze lang­gestreckte Neusiedlersee  , an dem eine ganze Anzahl Bäder liegt. Eine Liliputbahn führt von der Autobushaltestelle durch den enorm breiten Schilfrohrgürtel zum Strandbad. Dieses Schilfrohr ist für Rabig- und sonstige Baumerte besonders gesucht. Es wird neuerdings nur im Winter über dem Eis abgeschnitten, was einfacher ist als die Sommerernte. Der See ist ganz flach, nirgends über 1,20 Meter tief hier fann einer nur mit Mühe ertrinken. Das Schwimmen ist da ein geringeres Vergnügen, dafür aber bleiben Motorboote gern steden, wie auch wir erfahren haben. Pressevertreter aller Richtungen zogen es burgfriedlich an einem Strang aus der Patsche, daß es wieder fahren, konnte.

-

Am Neusiedlersee   liegt auch das weinberühmte Rust  . Seine Bewohner erklären einmütig jenen Ruster Ausbruch", der als zuckersüßer Osterreichischer Süßwein" in der ganzen Welt verkauft wird, als ein geschmiertes Zeug, das mit Rust   gar nichts zu tun habe.

In der Wolf- Kellerei in Eisenstadt   aber steht ganz unberühmt ein Faß von 843 Hektolitern, um 290 mehr als das vielbesungene Heidelberger   Faß enthält!

Weiter geht die Fahrt durch altdeutsche Städtchen, an festungs. artig umwallten Dörfern und an 3igeunersiedlungen voll indisch- perficher Kinder und zerlumpter Eltern in traurigen Buden mit janmmervollen Dächern, dafür aber fast ohne Einrichtung. Sauerbrunn

ist noch die alte Landeshauptstadt. Hier begrüßt uns als Bürger­meister Genosse hoffenreich. Die föstliche Paul Quelle-

Hoheit regiert!

In der Deutschen Republik"( Herausgeber Dr. Wirth) finden wir diese reizvolle Geschichte vom Sereniffimus:

1910 war's; ein Hochsommertag. Hoheit Joachim Albrecht  , Regent des Herzogtums Braunschweig  , hielt Hoflager im Schloffe zu Blankenburg.  , Strahlender Sonnenschein hatte ihn in der Frühe vom Lager gescheucht. Hoheit beschloß, sich an dem gesegneten Morgen in seiner getreuen Stadt zu ergehen. Bei Ausführung dieser landes­väterlichen Intention gelangt Hoheit auch an ein grau und nüchtern aussehendes Gebäude Draußen prangt ein Schild mit dem springen­den Pferd und der Inschrift Herzogliches Amtsgericht" Sollit dich einmal mit der Rechtspflege bekannt machen," denkt Hoheit; gehört auch zu deinen Regentenpflichten". Hoheit geruht also das Amtsgericht zu betreten. Der Kastellan ist zuerst verwundert über den frühen Besuch. Schon will er ihn auffordern: er möge sich zum Teufel scheren und in zwei Stunden wieder tommen. Doch ein Blig aus Hoheits Augen, ein Aufdämmern der Erkenntnis in dem Kastellans  - Gehirn: und aus dem selbstbewußten Vertreter" der Justiz wird ein in Demut ersterbender Untertan. Hoheit!!" Wer ift er?" Raftellan des Amtsgerichts, Hoheit." Wo sind meine Richter?" Hoheit, der Dienst beginnt erst um 9 Uhr." ,, Dann führe er mich!" 3u Befehl, Hoheit." Hoheit befieht sich also die Räume, in denen die Blankenburger Justiz waltet. Erhebend ist der Anblick nicht: Dürftiges Inventar, Haufen von Aften, Staub und Langeweile. Schließlich tommt man an eine schwere, eisenbeschlagene Tür. ,, Was ist das?" ,, Die Tür zum Gefängnis, Hoheit." Aufmachen!" Was ist das?" Die Tür zu einer Belie, Hoheit." Aufschließen!" Was ist das?" ,, Ein Gefangener, Hoheit." ,, Rauslassen!" Was ist das?"" Das ist auch eine Zellentür, Hoheit." Aufmachen!" ,, Was ist das?" Das ist auch ein Gefangener, Hoheit." Raus­laffen!" Noch ein paarmal wiederholt sich dieses nedische Frage­und Antwortenspiel: Dann hat Hoheit in landesherrlicher Huld und Gnade das ganze Blankenburger Gefängnis ausgeräumt.

"

-

-

-

"

"

Damit glaubt Hoheit, für diesen Tag genug regiert zu haben, und zieht sich in die inneren Räume seines Palais zurüd.. Eine gute Stunde später erscheint der Aufsichtsrichter und Gefängnis­vorstand im Amtsgericht. Der Kastellan meldet, was der Morgen gebracht hat; und der Vorstand tut das, was jeder gute Beamte bei einem so außergewöhnlichen Ereigniffe getan hätte: er gibt die Meldung an seinen höheren Borgefekten, den Oberstaatsanwalt in Braunschweig  , weiter. Der findet dann, daß nach§ x ber braun ichweigischen Berfassungsurtunde landesherrliche Gnadenerweise nur

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

-

natürlich nach einem Esterhazy so geheißen gibt unerschöpflich Mineralwasser zum Trinken und zu Kohlensäurebädern her. Reicher Bergwald, von einem Bach durchzogen, der auch als Fahrbahn für die Baumstämme dient, umgibt den Kurort. Hier sind wir nahe an Wiener- Neustadt   und hier zieht auch die Südbahnstrecke nach der geraubten Landeshauptstadt Dedenburg und nach Süb ungarn  , Kroatien   und Serbien   durch.

Kohlen und Antimonbergwerfe gibt es, besonders bei dem Arbeiterstädtchen Neufeld, das natürlich auch sozialdemokratisch verwaltet wird. Tief unten in der Erde lagert Petroleum  , zu tief, um erschlossen zu werden.

Südlich des Dedenburger 3ipfels hebt sich das Burgenland   auf die Höhe der Budligen Welt". Da stehen Stadt und Grafenburg Bernstein, da liegt der Kurort Tagmannsdorf, an Moor und Quellen dem böhmischen Franzensbad   gleich. In der Nähe das evangelische Ober- Schüßen mit großen Lehran stalten. Im Burgenland   herrscht noch immer, troß mehrmaliger

Eisenstadt  , Partie aus dem Ghetto.

Beschlüsse des Nationalrats in Wien  , die interfonfessionelle Pflich schule einzuführen, die Defterreich seit 1869 haf; das ungarische Schulgesetz, das die Konfessionsschule bevorzugt.

Ueber das ganze Land verteilt sind

Burgen

die einst die Grundherrschaft des Adels befestigten. Forchten. stein im Norden, Lassee   in der Mitte, Bernstein   und Schlaining   im Süden find erst einige bon den vielen, die zum Teil auf römischen Grundmauern ruhen. Aus ihnen spricht vor ben Bergen herab die Bergangenheit unten aber in den Tälern und in der Ebene schafft die Gegenwart, ringen Bauern und Ar beiter hart um das bißchen Leben, fest entschlossen, sich nie wieder unter die madjarische Fremdherrschaft zwingen zu laffen, die alles daran gesezt hat, ihnen ihr Volkstum zu nehmen und die das Grenzland so schmählich vernachlässigt hat.

Da die Bahnen alle nach Dedenburg ziehen, mußten nun über. all Autostraßen gebaut werden. Die Zentralsparkasse des roten Wien   hat dafür 10 Millionen Schilling( 6 Millionen Mark) hers geliehen. Neben dem Lande verbürgt die Sicherheit des Dar lehens, aber noch mehr den fünftigen Aufstieg des Landes die zähe Festigkeit dieses Boltes von 300 000 Menschen, deren anerkannter Führer und Vertreter ein ungemein fluger und rühriger Sozial. demokrat ist: der Landeshauptmannstellvertreter Genosse Loser.

schriftlich und unter ministerieller Gegenzeichnung erfolgen dürfen. Demgemäß weift er den Gefängnisvorstand an, die von Hoheit Frei gelassenen zur Rückkehr aufzufordern und sie im Weigerungsfalle unter dem gebräuchlichen Ehrengeleit wieder in Numero Sicher zu überführen. So geschah es auch. Das aber ging der Frau eines der Gefangenen über ihren Untertanenverstand: Hoheit, der Landes. herr, hatten in unbegreiflicher Gnade ihren Mann freigelassen, und Oberstaatsanwalt und Aufsichtsrichter holten ihn sich wieder!

"

"

Ein Throngesuch ergeht an Hoheit. Bevor dieses an höchfter Stelle zur Vorlage gelangt, war das Hoflager von Blankenburg   nach Braunschweig   verlegt. Hier liest Hoheit das Gesuch. Die Klingel raft. Der Leiblakai stürzt herein. Hoheit befiehlt: Der Adjutant vom Dienst!" Dieser erscheint. Hoheit befiehlt wieder: Der Oberstaatsanwalt foll aufs Schloß tommen, so wie er geht unb steht!" Der Adjutant flappt die Haden zusammen, stülpt sich den Helm auf und eilt zur Oberstaatsanwaltschaft. Befehl Sr. Hoheit: Herr Oberstaatsanwalt follen, wie Sie gehen und stehen, aufs Schloß tommen." Der packt seine Atten zusammen und folgt dem Adju tanten zum Schloffe. Dann steht er vor Hoheit. Höchstdieser mustert ihn zunächst von oben bis unten mit durchbohrendem Blicke, richtet fich in ganzer Heldengröße auf und spricht: Herr Oberstaatsanwalt, mie fönnen Sie es wagen vor Ihrem Landesherrn im Straßenanzuge zu erscheinen!" Hoheit haben befohlen, ich solle tommen, wie ich gehe und stehe; und zur Arbeit pflege ich Frack und Bylinder nicht zu tragen." Hoheit sieht das halbwegs ein und fährt fort: Das ist noch nicht das Schlimmste. Sie es wagen, Gefangene, die Ich begnadigt habe, wieder einsperren 3u laffen!" Darauf versucht der Oberstaatsanwait. Sr. Hoheit den §x der Landesverfassung auseinanderzusehen. Solche verfassungs. rechtlichen Vorträge pflegen hohe Herren zu langweilen. Hoheit unterbricht also bei der ersten passenden Gelegenheit: ,, Danke, Herr Oberstaatsanwalt; Sie tönnen aehen."

-

Wie aber fönnen

Allein mit sich überlegt Hoheit nochmals den Fall. Sollte er wohl einen Minister finden, der den Generalpardon für Blanken burg gegenzeichnete? Das scheint selbst Hoheit zweifelhaft: Aber was läßt man dem Weibe auf das Throngesuch antworten? Man tann ihr doch nicht sagen, daß man etwas getan habe, was max nach der Berfassung nicht tun dürfte. Eine findige Hoffchranze weiß Rat: Hoheit hatte die Gefangenen nicht begnadigt, sondern nur vorübergehend beurlaubt. So wurde die Gesuchstellerin beschieden: Damit war die Autorität des Landesherrn gewahrt, ein Berfassungs. fonflitt vermieben, und Hoheit hatten in Blankenburg   doch nicht gang vergebens regiert.

Heila