<OeiIage Sonnabend, 22. September 1926.
SprÄbimd
SjicUaakfaäe tüti
Leben in der Türkei . Der Charakter des Türken.— Die Landwirtschaft Anatoliens. — Türkisches Arbeiter-Wohnverhältnis.
Der heutig« Türke ist ein Rastengemisch der verschiedensten Völ- kersomilien,— lediglich in dem Volkszweig der Kirgisen ist der tür - tische Urtypus erhalten geblieben. Die Kirgisen haben noch heute wie in grauer Urzeit die gleichen Sitten und Gebräuche, Spe'scn und Getränke. Der Kirgise ähnelt dem Mongolen,— em großer Kopf mit kleinen dunklen Augen, geringem Bartwuchs, schwarzer bis
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Brauner Haarfarbe bei gelblich bis gelber Hautfarbe. Von diesem Urtyp ist der heutige Türke weit entfernt. Die Sittenlehre des Korans setzt keine Grenze bei der Wohl der Frauen, so daß Ver- Bindungen mit armenischen, südslawischen, griechischen, asiatischen, jüdischen, ungarischen Frauen häufig waren und noch sind. Der Durchschnitt des türkischen Volkscharakiers ist bei Betrach- tung seiner rassengeschichllichen Entwicklung nicht auf den ersten Blick verständlich. Der Türke ist sehr zurückhaltend und wirkt trotz größten Entgegenkommens verschlossen. Dazu kommt beim Arbeiter durch den Druck feudalistisch-imperialistischer Machtmechodcn eine Schüch- ternhcit in der Umgangsform und die dauernde Besorgnis, jemand zu verletzen. Diese Würde, Zurückhaltung, Takt, Mäßigung in allem, verbunden mit einer Freundlichkeit, die auch bei Nichterfüllung einer Bitte nicht„Nein" sagen kann, hat den Türken für den ober- slöchlichen Beobachter in den Ruf der Falschheit gebracht. Der Türke ist alles andere denn falsch: er ist auch nicht lang- weilig oder tröge, wie Orientdesücher aus dem in den Strohe«. Kon- stantinopels immerwährend zu hörenden'Rufe„Iawajch, jowasch" (langsam, langsam) oder aus dem türkischen Sprichwort:„Vom Teufel kommt die Eile" herleiten möchten dürfen. Eigenarten, Ge- setzthcit und Würde zu zeigen und zu bewahren:— nichts weiter: aber keine Trägheit. Diese negative Erkenntnis ist im Weg« der geistigen Befreiung des Türken als Fortschritt zu werten. Denn die Staatsmoral lehrte, um sich willig zu leitende Ausbeutungsobjekte zu erhalten, die kismetische Lehre:„Allah wird geben, was er geben will: er wird nehmen, was er nehmen will"— eine seelisch tötende Moral,— und diese Moral steckt heute noch in dem weitaus größten türkischen Volksteil: es ist daher sehr schwer, dem Türken. und besonders dem Arbeiter in seinen rechtlichen und Wirtschaft- lichen Fragen zu helfen. Es wird noch einer längeren Entwicklungs- zeit bedürfen, um aus dem Arbeiter den lethargischen Glauben: „Allah wird's ändern,— und wenn Allah nicht will, was wollen dann wir?" herauszubekommen. Zu diesem äußeren Eharakterbild des Türken kommt ein großer Mangel an Bildung. Die türkischen Arbeiter sind zu gg bis gZ Proz. Analphabeten. Wohl wurden im alten Regime der Sultans- zeit Gelder für das Unterrichtswesen ausgesetzt, diese flössen aber zu einem guten Teil in die Taschen ungetreuer korrupter Beamter und ihrer Freunde. Kemal Pascha errichtete in den letzten Jahren die große, mehrere Tausend« von Schülern umfastende, nach ihm Kemal-
A-r Anaiolisch- türkische Arbeiter- und Bauerntypen. -chule benannte, Lehranstalt in Angara und in den asiatischen itadten wie Evki-Ehöhir, Drusta, Samsun , Adar-Bazar, Smyrna , znia, Trapezunt und anderen kleinere Internate. Da aber die kema- stische Regierung lediglich Ausdruck des bürgerlich-kapitalistischen taote» ist. kommen diese Einrichtungen den Kindern der Arbeiter i gut wie gar nicht zugute, sondern dienen den Bürgern zur nterbringung ihrer Kinder, die dann in den Staatsdienst als Offi» ere oder Beamte treten. Im Grunde genommen hat sich also an :m Zustand der Sultanszest wenig geändert. Auch die internationale Industrie versteht aus der Mentali- it und den Verhältnissen des Türken ihren Profit zu ziehen. In- >lge der mangelnden Schulung hat der Türk« kein Verständnis, für 4 �chnik, die auszuüben er den fremden Gesellschaften überlasse»
muß. So sind die größten wesentlichen Bauten, wie z. B. die große Galatabrücke, die Verbindung der Konstantinopeler Stadtteile Peter- Galata und Stamboul , die Wagen der elektrischen Straßenbahn Konstantinopels von deutschen Firmen, der Augsburg-Nürnbergcr Maschinen-A.-G. und dem Siemcns-Konzern ausgeführt worden. Die Elektrizitätswerke Konstantinopels sind eine Fusion deutschen und französischen Kapitals. Die Wurzel der kemalistischen Staatskrast ist nicht in der kleinen Industrie des Landes zu suchen, sondern sie liegt in der Land- Wirtschaft Anatoliens . Die Türkei ist ein reiner Agrar- staat. Um psychologisch propagandistisch diese Agrarkreise noch fester an sich zu ketten, verlegte Kemal Pascha den Sitz der Regierung nach Angora. Die Bodenverhältnisse Anatoliens sind sehr gut. Bei einer kaum zu bewertenden Bodenbearbeitung erzielt der Landwirt bis zu einer hundertfachen Ernte, dagegen sind ober nur 25 Proz. des Gesamtbodens bebaut. Die ungewöhnlich großen Ernteergebnisse er- zielt der Türke ohne Düngerverwendung, den Boden mit dem allen hölzernen Hackpflug bearbeitend. Die Regierung hat Fordpslüge neuerdings eingeführt, aber der konservativ« Bauer bleibt bei seinen alten Werkzeugen. Die Leistungsfähigkeit der anatolischen Landwirt- schast würde bedeutend gesteigert durch die grundlegende Verbesserung der Transportwege. Heute läßt die Regierung Bahnlinien über Bahnlinien projektieren, aber der Bau kommt nur langsam vorwärts. Der Grundbesitz zerfällt in verschiedene Kategorien, und zwar: M Ü l k- L a n d, das ist der Privatbesitz, W a k u f- L a n d, das ist der Kirchenbesitz, der oerpachtet wird, aber weder verkauft, verschenkt, noch hypothekarisch belastet wevden darf: Mirie-Land, das ist der Staatsbesitz, von jedem, auch dem Fremden, vom Staate käuf- lich unter Betrachtung der einschlägigen Gesetze erwerbbar,— als Domäne bewirtschaftet oder verpachtet. Während der Bauer sein Land selbst bewirtschaftet, ziehen die Großgrundbesitzer das Leben in Konstantinopel vor. Eine ähnliche Erscheinung wie beim Land- adel der französischen Königszeit. Diesen Zustand soll die von Kemal zum Frühjahr 1929 angekündigte Agrarreform beseitigen. So tragbar und bei rationeller Bewirtschaftung reich Anatolien auch ist, so arm ist die Türkei an W a l db e st a n d. Infolge des ewigen Geld- mangels früherer Generationen des Großgrundbesitzes wurde Forst- Raubbau getrieben: die Wälder wurden abgeholzt und nicht wieder aufgeforstet. Die noch minimal an der Nordküste Anatoliens be- stehenden Waldgebiete zu schützen, hat die jetzige Regierung im Jahre 1926 ein Gesetz über die Forstpflege erlassen, besten Auswirkung ob- zuwarten bleibt.
Aus dieser wirtschaftlichen Grundlage der Türkei ist die Lage der Arbeiterklaste abzuleiten. Wie das Agrarsystem bis zur Erschöpfung des Bodens Werte saugt, so ist auch die Politik des bür- gerlichcn Kapitalismus dem Arbeiter gegenüber Ausbeutung. Kein Arbeitsschutzgesetz,, keine soziale Gesetzgebung zur Hebung, zur Er- Haltung der Leistungsfähigkeit der Arbeiterklasse Wenngleich die Anfänge gewerkschaftlichen Denkens in der türkischen Arbeiterklasse sich zu regen beginnen, so muß der Arbeiter zunächst seine eigen«
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WA-- Anatolischer Kleinbauer mit typischem Büf felgespann. Mentalität des„Allah will es doch so" Überwinden. Dieser Foto- lismu? in seinem Wesen laßt den türkischen Arbeiter das Wohnen in schlechten, von Ungeziefer durchsetzten Vierteln ertragen. Kleine� schmutzige Holzbauten in engen Stadtvierteln, ohne Kanalisation, ohne Licht, Sonn« und Luft, oftmals nur in einem Straßenviertel eine Brunnenanlage, die bei großer Hitze ein arauschmutziges Wastet liefert, ohne jewede Hygiene und ärztliche Hilfe. Hier durch durch- greifende hygienische und sanitäre Maßnahmen das Umsichgreifen von Endemien zu verhindern, ist von der Regierung nicht einmal versucht worden. Longsam erkennt, sich in seiner Mentalität selbst überwindend. der türkische Arbeiter seine Lage. Die gewerkschaftlichen Anfänge der„Verbandsunion" bestehen— die weiters Entwicklung wird die Befreiung, die Gesundung der türkischen Arbeiterklasse ergeben! Nereb.
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Was die Prüf stellen bisher verboten haben.
Seit der Errichtung der Prüfstellen Berlin und München und der Obcrprüfstclle Leipzig in Ausführung des„Gesetzes zur� Be- wahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschristen" vor etwa Jahresfrist sind, wie die„Beko" mitteilt, nachstehende Zeilschristen und Broschüren auf die Reichsvcrbotsliste gesetzt worden(PSt.— Prüfstclle). 1. Hermann Abels Nachtpost, 1927, Nr. 213— 215. Die Druckschrift selbst ab 15. Dezember 1927 auf die Dauer von 6 Monaten. OPSt. Leipzig , 14. Dezember 1927. 2. Die schöne Krankenschwester. PSt. Berlin , 22. November 1927. 3. Die Bettelgräfin. PSt. Berlin , 6. Dezember 1927. 4. Die blinde Gräfin. SSt. Berlin , 6. Dezember 1927. 5. Die Freundin, 1927, Nr. 17—19. PSt. Berlin , 6. Dezem- der 1927. 6. Frauenliebe. Jahrgang 2. Nr. 36, 37. 41. Die Druckschrist selbst am 16. Februar 1928 auf die Dauer eines Jahres. PSt. Berlin , 19. Januar 1928. 7. Großstadtmädel oder das Vermächtnis des Dollarkönigs. OPSt. Leipzig , 22. Februar.1927. 8. Groß-Bcrlincr Neueste Nachrichten, 1927, Nr. 26, 27, 39, 31, 59. Die Zeitschrift selbst am 28. März 1928 auf die Dauer von 12 Monaten. OPSt. Leipzig , 28. März 1928. 9. Maria, ein Kind der Liebe. OPSt. Leipzig . 25. April 1928. 19. Die Braut von Venedig . OPSt. Berlin , 19. April 1928. 11. Vertrieben am Hochzeitsabend. OPSt. Berlin , 11. Mai 1928. 12. Klettermaxe. OPSt. Leipzig , 11. Mai 1928. 13. Der Ladenprinz oder Das Märchen vom Kommis. PSt. Mün- che«, 27. März 1928. 14. Das Gift der Lippen. PSt. München . 39.. April 1928. 15. Ein armes Blumenmädchen. PSt. Berlin , 8. Mai 1928. 16. Asa, Das Magazin für Körper, Kunst und neues Leben. 2. Jahrg.. Nr. 1. OPSt. Leipzig , 6. Juni 1928. 17. Kölner Gerichtszeitung, 39. Jahrgang. Nr. 49. OPSt. Leipzig . 6. Juni 1928. 18. Röschen, das Grafenkind oder Verschleppt ins Irrenhaus. OPSt. Leipzig , 6. Juni 1928. 19. Der Bund der Drei. Heft 11 der Sammlung Jack Nelson von Tric-Trac-Trio. PSt. Berlin , 22. Mai 1928. 29. Ein Staatsgeheimnis. Heft 2 von der Serie Die Abenteuer des John Halifax, PSt. Berlin , 22. Mai 1928. 21. Das gestohlene Haus. Heft 1 der Serie Die Abenteuer des John Halifax. PSt. Berlin , 22. Mai 1928. 22. Die Freundin. 3. Jahrg.. Nr. 16. 21. 22. 23. 24. 4. Jahrg. Nr. 1, 2, 3, 5. Die ganze Zeitschrift auf die Dauer von 12 Monaten ab 19. Juni 1928. OPSt. Leipzig , 19. Juni 1928. 23. Die Freundschaft. 9. Jahrgang, Nr. 19, 11, 12. 19. Jahrg. Nr. 1. OPSt. Leipzig , 19. Juni 1928. 24. Neue Freundschast. 9. Jahrg. Nr. 1—4. Beide Zeitschriften Nr. 23 und 24) ab 19. Juni 1923 auf die Dauer von 12 Monaten verboten. OPSt. Leipzig , 19. Juni 1928. ZV. Pari« Plaißrs, Jahrg. ¥11« Rr. 67. PSt. Berlin , S. Ä«t 192S.
26. Das mondäne Magazin. Jahrg. II, Nr. 2 und 3. PSt. Berlin , 5. Juni 1928. 27. Rosa Scaris Liebesabenteuer. PSt. München , 13. Juni 1928. 28. Die Hochschule der Liebeskultur. PSt. Berlin , 19. Juni 1928. 29. Vemis in Indien oder Liebesabenteuer in Hindostan. PSt. Berlin . 19. Juni 1923. 39. Reigen. Internationale Revue für Kunst und Satire. 9. Jahr- gang, Februar-März-Hcft 1928. PSt. Berlin , 5. Juni 1928. Was ist also durch das„Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften " prattisch erreicht worden? Die Zluf- stellung zeigt, daß das Verbot ausschließlich widerlichen Liebestilsch und sogenannte mondäne Zeilschriften erfaßt hat.„Das mondäne Magazin",„Vertrieben am Hochzeitsabend",„Freie Liebe ", ,/ioch- schule der Liebeskultur" lasten in ihrer Titelankündigung erkennen, daß es sich um zweifelsfreien Schund handelt. Die Aufzählungen zeigen aber auch, daß diese Lektüre sich nicht an die I u:g e n d wendet, sondern ausgesprochen« E r w a ch s e n« n i i t e r a t u r ist. Der 12- und 13jährige Junge weiß nichts von den Zweideutigkeiten der aufgeführten Schundserien und versteht nichts von den Pcrvcr- filäten krankhafr veranlagter Schreibkulis. Ihm ist ein Lord-Percy- Stuart-, ein Frank-Allan-Schmökcr die begehrenswerte Literatur. Somit scheint das Gesetz unter falscher Flagge zu segeln. Es gibt an. dem Schutz« der Jugend zu dienen, währendes doch in Wirklichkeit Anwendung gegen alle findet, besonders aber Er- wachs« n en-L iterat ur trissl. Auch rein zahlenmäßig hat das Gesetz völlig versagt. Einer der Hauptkämpfer für das Zustandekommen, Herr Dr. Mumm, zitier:« bei der zweiten Lesung im Reichstag Herrn Dr. Popert, ker die Zahl der umlaufenden Schundheste allein für das Deutsche Reich mit 2 Milliarden beziffert hat. Mag man ruhig bei einer weniger ängstlichen Einstellung einen Abstrich von einer Milliarde machen, so wird man zugeben müssen, daß selbst dann auch das vorbezeichnet« Ergebnis— 30 Schriften als Erfolg einer einjährigen Tätigkeit— als kläglich bezeichnet werden muh. Selbst von den 299 Num- mern, die von kuliurtreibenden und kutturfördern- den Verbänden im Jahre 1925 als Schundheflreihcn«ingereicht worden find, wurden bisher nur fünf Nummern vom Gesetz erfaßt. Das Gesetz will Kultur mit P ol i ze i m a ß n a h me n er- zwingen. Es verbietet und b e st r a f t, ohne die aufbauenden und positiven Seiten des Problems zu sehen. Warum wird nichts gesagt über die erziehlich« Pflicht der Gemeinde, Bibliotheken, im besonderen Jugendbüchereien zu schaffen? Man gebe der Jugend die Freiheit und die Möglichkeit, in gemütlichen Heimen reine Luft zu atmen. Man treibe Jugendpflege und hemme nicht die Jugend- bewegung, denn Freiheit ist die Kraftquelle der Sitt- l i ch k e i t. Man beseitige das B i l d u n g s m o n o p o l und schaffe freie Bahn für die Persönlichkeit, dann wird die Jugend mit Energie und Rücksichtslosigkeit, gestützt auf gesund« Sinne und reine Instinkte, den Kampf gegen Schund und Schmutz führen. Juristische Definitionen über das Wesen von Schund- und Schmutzliteratur werden nicht mehr. notwendig sein, well die Jugend im Vertrauen zu. sich selbst die Kraft besitzt, die sittlichen Gefahren und Hemmungen � befeitÄe«./•......__/....___..