Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Montag, 24. September 1928.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Die Lithographen im eigenen Heim.

E

auf einer etwas fahlen Insel zu spazieren, ist's mit einemmal so ein Untier, das mit einem in die Tiefe fährt!

Endlich erreicht man eine Felsenreihe. Bei deren Besteigen be­mertt man eine ,, Gattung von Geschöpfen, deren Formation der menschlichen auf eine auffallende Weise nahekommt. Sie sind etwa 4 Fuß hoch, von schwarzer Farbe, mit einem fugelrunden Kopf, deffen Fassade ein mit pechschwarzer Wolle überbedies menschliches Angesicht bildet. Arme und Beine sind durch florartige, dünne Haut verbunden, mit Hilfe deren sie sich in gewaltigen Luftsprüngen über die. Abgründe hinwegschwingen und durch die betäubenden Stic 7 dämpfe der Höhlen in das Innere ihrer Berstede hindurchschwimmen". Einen Schwanz haben sie, der fast dreimal so lang mie ihr Körper Sist. Sie leben nur paarweise zusammen; treffen sich zwet des gleichen und Geschlechts, fallen fie mit gellendem Geschrei übereinander her und saugen dem Unterliegenden das Blut aus. Vor Flintenschüssen haben fie eine heillose Angst und sind kaum zu fangen!

Der Verband der Lithographen, Steindrucker und verwandten Berufe muß das Metallarbeiterhaus in der Elsässerstraße verlassen, weil der Hauptvorstand des DMV. nach Berlin kommt Die Lithographen haben ein neues Bureauhaus, das nicht dem Mieterschutz unterliegt, Königin- Augusta- Straße 12, gekauft. Im April wird umgezogen werden, einige bauliche Veränderungen werden vorgenommen. Unser Bild zeigt links aie Straßenfront, rechts das Bureauhaus

Die Wunder der Eiswelt.

Was vor hundert Jahren erzählt worden ist.

Nordpol ift Trumpf! Aber daß es dort oben wirklich so un mirtlich, fo talt, freudenarm fein soll, wie uns die Arttisforscher berichten, ist wohl doch nicht so ganz richtig! Entweder sind die lieben Forscher nie über den 85. Grad nördlicher Breite hinaus gekommen, oder aber, wir haben es bei ihnen mit besonders großen Egoisten zu tun, die das herrliche Paradies, das nach dem 85. Grab nördlicher Breite beginnt und bei 88 Grad 1'3" nördlicher Breite überirdisch schön wird, für sich allein behalten wollen. Denn feiner von ihnen brachte uns Kunde von diesen Wundern. Doch halt, ein zu Ende des 18. Jahrhunderts verschollener Forscher, nach dem mir vorliegenden Buch aus dem Jahre 1837 foll es ein französischer Schiffstapitän, Graf de La Perouse mit samt seiner Mann­schaft, gewesen sein, hat durch seinen Wundarztgehilfen Bricer die mahren Wunder der Arktis für die Nachwelt aufschreiben lassen. Dankbar müffen wir auch sein dem englischen Arzt Dr. Reidcliff, der 1835 nördlich von Spitzbergen auf 82 Grad nördlicher Breite eine Insel entbedt und unter Schnee und Eis Papiere und Tagebuch blätter der angeblichen Perouse- Expedition gefunden haben wollte. Diese Insel soll Bricer als einzig Ueberlebender auf der Heimkehr, die auf den Fittichen riesiger Mammut- Kraniche erfolgte, noch erreicht haben, um dann dort zu sterben.

Und nun, lieber Leser und zukünftiger Arttisforscher, staune.

Die Reife auf dem Kranich .

Bis zum 85. Grab nördlicher Breite find allerdings allerlei Schwierigkeiten, wie sie uns auch die heutigen Forscher schildern, zu überwinden. Aber dann wird die Luft milder und es dauert nicht lange, bis eine Inset auftaucht, deren Schönheit zu schildern kaum möglich ist. Hier gibt es Obstbäume von einer Größe, gegen melche unsere ältesten Eichen nur elendes Gestrüppe und unsere Wälder nur Hedenbüsche sind, die lieblichste Früchte zugleich mit duftenden Blüten und hinwelfendem Laubwerke dem Anblid dar bieten". Und im Hintergrunde verlieren majeftatif che Bedernhaine ihre Wipfel in den Wolken." Die Weinbeeren find fo groß, daß einige wenige genügen, den Hunger zu stillen. Bienen aber, so groß wie Sperlinge", machen Dir die Rosinen streitig, die bis zur Dicke eines Taubeneis an den Wurzeln der baumartigen Rebstöde zerstreut liegen"! Die Müden sind ein bißchen unbe haglich, denn sie erreichen Hühnergröße. Falter und Raupen haben den Umfang einer fliegenden Taube", während die Vögel nicht größer als Stubenfliegen sind. Sie prangen in goldenem Gefieder und sind so teď, daß sie sich einem auf die Nase jeten, wie das ja hier bei uns ganz gewöhnliche Stubenfliegen auch tun sollen. Legt man ich an den Strand zum Schlafen nieder, fann man gewiß fein, in den Armen eines schönen Weibes aufzuwachen. Aller­dings darf man sich nicht daran stoßen, daß die Finger durch Schwimmhäute verbunden und anstatt Beine ein Fischschwanz vor­handen ist. Es sind die so wundervoll singenden Meermenschen. Die auf dem Lande selbst lebenden menschen ähnlichen Ge= fchöpfe zeichnen sich gerade nicht durch Schönheit aus. Sie find 14-16 Fuß groß. haben einen Schwanz, find von weißer Hautfarbe, aber teilweise sehr behaart. Sie sind gutmütig, body tut man eines ihrer Sippe etwas zu Leide, rädjen fie fich furchtbar. In der Luft fühlen sie sich sehr wohl, denn oft unternehmen sie auf riesigen Mammut- Kranichen Luftreisen ! Als Wohnung dienen diesen Ge­schöpfen goldene Höhlen, wie Gold auf diefer Insel überhaupt haufenweise zu finden ist!

Bon Geeschlangen, Meermenschen und schönen Mädchen. Doch der wahre Forscher ruhet nimmer! Nachdem also diese Insel genau durchforscht, geht's wieder los. Unterwegs, so bei 87 Grab 35" nördlicher Breite macht man mal die Bekanntschaft mit einer der riesigen Seeschlangen, die bis zu einer Größe Don 900 Fuß und einem Umfang von 18-20 Fuß in den nördlichen Meeren zu finden sind. Zum Glüd hat dieses Ungeheuer aber nur Appetit auf einige Meermenschen, die gerade in dieser Gegend fehr zahlreich herumschwimmen, und das Boot selbst mit feinen In­

faffen fommt ungeschoren davon. Aber auf dem 88. Grab 1'3" nördlicher Breite erblidt man eine wahre Feenwelt! Die muß natürlich befichtigt werden. Also alle Mann heraus aus dem Boot. Raum hat man den Fuß aufs Land gefeßt, tommt einem ein Mammut in sanft schaukelndem Galopp"( also offenbar Beitlupen­tempo), entgegen. Auf seinem breiten Rücken figen fünf Männer, in schneeweiße Gewänder gehüllt, und blasen auf flöten- und schalmeienartigen Instrumenten. Dann folgen zwei Strauße von wunderbarer Pracht des Gefieders und von enormer Größe, einen leichten Wagen ziehend. Darin liegt die liebliche Gestalt eines jungen Weibes auf einem duftenden Lager der buntesten Blumen ausge strect." Umgeben wird diese Gruppe von herrlich singenden Mädchen, die auf Straußen reiten. Troß der Unkenntnis der Sprache feierliche Begrüßung. Größte Gastfreundschaft zeichnet dieses Bolts aus. Was man neugierig betrachtet, wird einem fofort zum Geschenk gemacht. Gold gibt es auch hier furchtbar viel und steht in geringerem Wert, als bei uns das schlechteste Metall! Perlmuschein liegen zu Tausenden am Strande; die Perlen selbst find groß wie Melonen, Diamanten, Safire, Rubinen wie Hühnereier! Und die hübschen Mädchen find gar nicht prüde und lieben gern. Die Königin die Dame aus dem Straußenwagen- allerdings macht sich ein wenig rarer. Aber was schließlich dem Wundarztgehilfen Bricer gelanger wurde der Auserforene der Königin und sollte sogar König des Polarreiches werden wird schließlich einem anderen teden Draufgänger auch gelingen!

-

-

Das Reich der Blutausfauger.

anders. Ueber­

Nachdem nun das Reich der Königin Jhie richtig durchforscht und man doch nur noch so wenige Grade vom Nordpol selbst entfernt ist, macht man fich schließlich auch auf den Weg dorthin. Unter dem 89° 38'17" nördlicher Breite wird's schwengliche Fruchtbarkeit des Bodens wird durch Sterilität des. felben abgelöst." Außer der Seeschlange, deren Bekanntschaft ja schon gemacht, fieht man auch Rraten in Infelgröße. Meint man,

than

Die Magnetmauer um den Krater.

Nach unsäglichen weiteren Gefahren und Strapazen umfängt einem dann aber am sechsten Tag frischer, reiner Odem. Unsere Augen merden von dem milden Leuchten des schönsten ätheri ichen Lichtgewebes getränft." Man sieht die Deffnung eines riesigen Kraters, umgeben von einer Magnetmauer. Aus diesem Krater steigen dauernd Meteorgebilde hervor, die in nebel und blafenartigem Zustande den obersten Schichten des Dunstkreises zu eilen, um in der Atmosphäre sich verdichtend. als Meteorsteine nieder. zufallen oder aber in den leeren Räumen des Als zu immer wachsen. den Nebelmassen versammelt zu den Uranfängen und Fundamenten ganz neuer Himmelsförper werden!"

So sieht's also in der Arktis und am Nordpol aus, wie das im Jahre 1837 in Hanau herausgegebene Buch:

-

Letzte Schicksale und Entdeckungen des französischen Schiffs­tapitäns Grafen de La Perouse und der Mannschaft der Fregatte Nach La Boussole " jenseits des 85. Grades nördlicher Breite. den, von Dr. Reidcliff im Jahre 1835 auf der Bricer- Insel auf­gefundenen Schiffstagebücher und Manuskripte" berichtet.

Wie mag es auf den Leser von 1837 gewirft haben? Baren auch bis dahin die geographischen Kenntnisse in weiten Boltstreifen sehr mangelhaft, ist wohl doch nicht anzunehmen, daß der leider un bekannte Berfasser dieser blühenden Phantasien als wirkliche Ent­bedungsergebnisse dem Leserkreise vorschen wollte, sondern eben als Märchen, was sie ja auch find.

Der Zufall gab mir das Buch in die Hand. Ich habe beim Lesen dieser Nordpol- Entdeckung" so viel Spaß gehabt, daß ich glaube, auch dem Leser eine kleine Kostprobe der Phantasien eines Münchhausens des Nordpols reichen zu dürfen. Erna Wissell.

FUNK RUND­

AM ABEND

Montag, 24, September.

16.00 Frauenfragen und Frauensorgen. Dr. Gertrud Haupt: Frau und Kind in der Oeffentlichkeit"( II). 16.30 Ingenieur Joachim Boehmer: Techn. Wochenplauderei 17.00 Uebertragung der Tee- Musik aus dem Hotel Kaiserhof, ausgeführt von der Kapelle Géza Komor.

18.00 Hanns G. Lustig liest eigene Novellen und Skizzen. 18.40. Hans Rhode: Deutsche Forschungs- und Kulturarbeit in Asien ".

19.05 Ministerialrat Dr. Alfred Beyer: Vortragsreihe Schulung des Denkens". VII.: Denkübungen.

19.30 Uebertragung aus dem Stadttheater( Neues Theater) Leipzig Samson und Dalila ", Oper in 3 Akten von Ch. C. Saint Saëns. Musikalische Leitung: Generalmusikdirektor Gustav Brecher .

Königswusterhausen.

16.00 Stud.- Rat Völcker, Lektor Claude Grander: Französisch. 16.30 Johannes Nacht: Der Aphorismus in der Weltliteratur( II). 17.00 Uebertragung des Nachmittagskonzertes Berlin . 18.00 Dr. Hermann Christians: Friedrich Blunck : Märchen von der Niederelbe".

18.30 Stud- Rat Friebel, Lektor Mann: Englisch für Anfänger. 18.55 K Leibl: Braugerstenbau.

19.30 Uebertragung von Berlin .

Phantasie in der Medizin.

Auf einer Düne bei Scheveningen , mit einem schönen Ausblick| Rechnung getragen; organisch verwächst die Form des Gebäudes mit auf großartige Bartanlagen, liegt, wie die Medizinische Welt" den Formen der Landschaft. Nr. 36 mitteilt, die neue Rudolf Steiner Rlinit, die sich das Ziel gesetzt hat, Krankheiten auf der Grundlage dessen zu behandeln, was an der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften am Götheanum in Dornach gelehrt wird".

Das Leitmotiv bei diesem Bau war die Befreiung des Menschen aus der Versklapung an der Maschine. Diesem Gesichtspunkt ist in der freien und lebendigen Linienführung des Hauses weitgehend

-

Jedes Patientenzimmer ist in einer bestimmten Farbe gehalten, wird der Farbe doch dort eine hohe Heilwirkung beige­messen. In anderen Krankenhäusern, Kliniken usw. werde der Farbe so soll Blau z. B. beruhigend, Gelb und Rot aktivierend wirken, viel zu wenig Beachtung geschenkt. Auch daß an Stelle des eisernen oder Meffingbettes, das wie ein Operationstisch aus. sieht, ein Holzbett getreten ist, in der Farbe des Zimmers, ist unter Umständen von nicht zu unterschätzender seelenhygienischer Bedeutung.

Leider aber fann man der Medizin, die in diesem architektonisch so schönen Bau Derzapft wird, nur mit größtem Mißtrauen gegenüberstehen. Rudolf Steiner selbst sprach für die Mediziner immer nur in Bildern: das Krebswachstum beschrieb er als beplazierte Sinnesorganbildung", die Migräne als Ver dauungsprozeß im Nerven". In Bildern, so sagte der Meister von Darnach, werde das Reich des Lebens erschaut, im Zusammenhang mit dem Gesch der Metamorphofe, der steten Formen verwandlung, nicht mit Maß und Zahl begriffen

Ob aber diese Bildersprache den Mediziner weiter bringt und feine Einsicht in die Prozesse des Lebens wahrhaft vertieft erscheint mehr als zweifelhaft: viel eher steht zu befürchten, daß der junge, phantasiereiche Arzt, der nach Steinerschen Prinzipien zu praktizieren versucht, den bornenreichen Weg erafter Forschung bald hinter sich lassen wird, um sich ungehemmt in den Gefilden einer lockenden Bilderwelt zu verlieren. Dr. Lily Herzberg.