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Morgenausgabe

Nr. 457

A 232

45.Jahrgang

Böchentlich 85 Pf., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Postbezug 4,32 m. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne ment 6,- m. pro Monat.

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolf und Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen"." Frauen. ftimme"." Technit". Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Donnerstag

27. September 1928

Groß Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etnipalttge Nonpareillezetle 80 Pfennig. Reflamezeile- Reichs mart. Kleine Anzeigen das ettge brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zwet fettgebruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Steuengesuche das erste Wort 15 Bfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. 2orte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden ftraße 3, wochentägl, von 81/2 bis 17 Uhr,

Hentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Namensraub in Südtirol .

Zwangsweise Berwelschung!

Jnnsbrud, 26. September.

In Dolomiten " wurde ein Erlaß des Präfekten von Bozen über eine Rüdführung von Familiennamen in die italienische Form veröffentlicht und eine Liste der mit 2 und B beginnenden Namen in italienischer Form fundgemacht. Darunter befinden sich 3. B. alle Auer, die in Ora umgebildet wurden, fo auch ein gewiffer Dr. Josef Auer, Rechtsanwalt, der aus Böhmen stammt. Auf eigenes Unsuchen wurden die Namen von fünf Per­fonen in italienischer Form gebracht, die übrigen 40 in der Liste fundgemachten Namen find 3 wangsweise italianifiert worden.

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Der Faschismus wendet hier ein Entnationalisierungs mittel an, das zuletzt der halbbarbarische Zarismus gebraucht hat, aber selbst der nicht in so roher Gewaltanwendung. Weder das königliche Preußen, das mit seiner Antipolen­politik soviel Schuld an der Rachepolitik des Polenstaates an den Pommereller Deutschen hat, noch irgendeiner der neuen Staaten, die das Minderheitenrecht dauernd verletzen, hat sich zu dieser brutalen Gemeinheit herabgewürdigt.

Hungerpeitsche gegen Heimatliebe.

3nnsbrud, 26. September.

Die Junsbr. Nachr." melden: Eine deutsche Angestellte der Etschwerke in Bozen , die schon seit zehn Jahren dem Unternehmen angehört, verbrachte ihren Urlaub in Innsbrud. Bon dort aus schrieb sie einem Bureaukollegen eine Ansichtskarte, die außer der Unterschrift nichts als die Worte enthielt herzliche Grüße aus dem Heimatlande. Als das Fräulein vom Urlaub zurüdfam, wurde fie fofort zum Präsidenten der Gesellschaft nach

Meran gerufen, wo ihr eröffnet wurde, daß sie wegen der Ansichts­farte ohne Rüdsicht auf ihre bereits zehn Jahre dauernde An­flellung fristlos entlassen sei.

Der Geburtenrückgang in Italien .

Rom , 26. September.

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Bostichedkonto: Berlin 37 536. Bankkonto: Bant der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkasse Lindenstr. 8

Negative Genfer Bilanz.

Nichts erreicht für die Minderheiten, nichts für die Abrüftung

In der drittlegten Plenarsigung der IX. Genfer Völker­bundsversammlung hat der Vertreter von Venezuela bes antragt, man möge im nächsten Jahre den zehnten Grün­dungstag des Bölkerbundes besonders feierlich begehen. Dieser Vorschlag ist aber sehr schnell irgendwo verschwunden, er wurde, wie man hierzulande in solchen Fällen sagt ,,, als Material überwiesen". Wenn die Venezolaner teine weite­ren Sorgen haben, dann sind sie zu beneiden. Aber die Europäer haben nun einmal andere Sorgen, die ihnen der Weltkrieg hinterlassen hat. Und ihre Delegierten durften am Schluffe gerade dieser Völkerbundstagung empfunden Feierlichkeiten die Ruhmestaten des Völkerbundes im vera strichenen Dezennium zu besingen. Denn, ohne das bisher in Genf , namentlich auf humanitärem, wirtschaftlichem und zuweilen sogar auf politischem Gebiete Vollbrachte zu ver­kleinern, muß doch festgestellt werden: die Leistungen, die die Menschheit vom Völkerbund erwartet, zu deren Erfüllung der Völkerbund eigentlich gegründet wurde, stehen noch

a u s.

Die Morgenblätter veröffentlichen einen Artikel des Minister präsidenten Mussolini über die Gefahr des Geburtenrückgangs für die europäischen Nationen. Mussolini , der von Auffäßen Ds- haben, daß es nicht sehr angebracht wäre, in besonderen wald Spenglers ausgeht, schreibt über den Geburtenrückgang in den nord- und den mittelitalienischen Städten: Die Bevölkerung Staliens nimmt zwar zu, aber ausschließlich in den ländlichen Bezirken. Demütigend" dagegen ist es z. B., das Geburten- und Sterberegister der Großstadt Bologna zu prüfen, in dem fast immer die Zahl der Geborenen durch die Zahl der Toten um das Doppelte übertroffen wird. In der Bologna zunächst gelegenen Doppelte übertroffen wird. In der Bologna zunächst gelegenen Großstadt Ferrara ist in den letzten vier Jahren der Geburten­überschuß um 50 Proz. zurückgegangen. Aehnliche Zustände herrschten in Parma , Mantua , Cremona und Modena . In Florenz und in vielen Städten Toscanas ist der Zuwachs der Bevölkerung durch die Geburten gleich Null. In Genua betrug in den letzten vier Monaten dieses Jahres die Zahl der Geburten 3095, die Zahl der Todesfälle 3338. In Turin ist die Bevölkerung regelmäßig seit fünf Jahren zurückgegangen. In Mailand ist dieselbe Tendenz zu bemerken, wenn auch dort in der allerlegten Zeit ein kleiner Anjaz zur Besserung erfolgt ist. Mussolini meist auf die gewaltige Bermehrung der schwarzen und gelben Rasse hin und ermahnt die Faschisten, im Interesse des Vaterlandes dem Ge­burtenrüdgang Einhalt zu tun.

Abschluß mit Verstimmung.

Zieht man die Bilanz der am Mittwoch geschlosses nen IX. Bölkerbundsversammlung, so muß man leider festa stellen, daß sie sehr dürftig ausfällt. Dabei müssen die Räumungsverhandlungen von vornherein und grundsäglich ausgeschaltet werden. Denn sie hängen mit den Arbeiten des Völkerbundes nur soweit zusammen, mun einmal als die verantwortlichen Staatsmänner gleichzeitig in derselben Stadt weilten, aber sie hätten ebenso gut anderswo beginnen tönnen und sie werden vermutlich anderswo fortgeführt werden. Dagegen gehören zwei Fragen unbedingt zum Thema Bölkerbund: A brüstung und Schutz der Minderheiten. Diese beiden Probleme find im Völkerbundsstatut ausdrücklich als. Aufgaben des Bölkers bundes verzeichnet und sie sind im Laufe der letzten Jahre zu Kardina! fragen der Völkerbundspolitik geworden.

Das Problem der. Minderheiten verdankt seine Aufrollung nicht zuletzt den Minderheiten selber, die angesichts der jahrelangen Bassivität des Bölferbundes und vor allem der wachsenden. Unterdrückungs- und Assimilierungspolitik reaktionärer Regierungen zu einer Art Selbsthilfe gea

Polen gegen die deutschen Minderheitsschulen in Oberschlesien .. Kanada als griffen haben: Gie halfen nicht nur eigene Kongreſſe ab, zu­

Helfer Deutschlands .

Genf , 26. September. ( Eigenbericht.)

Der Völkerbund trat am Mittwoch nachmittag zu einer Sigung zusammen, in der alle von der Vollversammlung ange­nommenen und den Rat betreffenden Entschließungen erledigt wurden. Die Versammlung ging mit einem

groben Mißflang

aus, den das Verhalten des polnischen Vertreters zu dem letzten Punkt der Tagesordnung, einer oberschlesischen Min­derheitsbeschwerde, hervorrief.

Der Deutsche Volfsbund flagt seit Monaten über die Schließung von 16 Minderheitsschulen. Diese Klage wurde an den Böllerbund geleitet, weil der Präsident der gemischten Kommiffion in Oberschlesien , Calonder, sich bis zum November in Urlaub befindet und die Schulen schon mit dem neuen Schuljahr Anfang September hätten wieder eröffnet werden müssen. Als Bericht erstatter über die Petition war der Vertreter Japans , Adatci, be­stimmt worden. Der Japaner forderte die Bertagung der Frage mit der an sich richtigen Begründung, daß er teine Zeit ge­habt habe, die Aeußerung der polnischen Regierung zur Beschwerde, Die erst am 21. September in seinen Besitz gelangt ist durchzu­arbeiten. Der ständige Bertreter Bolens in Gent , Sotal, begnügte sich in einer heftigen Rede gegen den Deutschen Boltsbund mit einer freudigen Zustimmung zur Bertagung. Auch Staatssekretär v. Schubert erkannte an, daß die sachliche Er­ledigung der Frage im Augenblick schwer möglich sei, er erinnerte aber gleichzeitig daran, daß die Kinder bei einer Bertagung bis zum Dezember gezwungen feien, Unterricht in den polnischen Schulen zu nehmen. Würden die deutschen Minder­heitsschulen dann wieder geöffnet, so wären sie noch einmal um­zuschulen, was nicht nur die ganze Erziehung der Kinder gefährden, sondern für sie bittere und tragische Erlebnisse be= deuten würde. Der Rat solle daran denken. was es für die Kinder heiße, aus der Muttersprache herausgerifien und in eine Schule geschickt zu werden, deren Sprache und Unterrichtsgang ihnen vollkommen fremd sind. Schubert forderte darum. daß die Minder­heitsschulen prcoisorisch wieder geöffnet werden und geöffnet bleiben, bis eine Entscheidung des Rats über die Angelegenheit ge fällt fei. Der Pole Sokal beschwerte sich in seiner Antwort barüber, daß der Volksbund so oft den Völkerbundrat belästige und nannte die Petition fünftlich tonftruiert. Da erstand Deutschland ein un erwarteter Helfer in dem Bertreter Kanadas , bem Ge­nator Dandurand, einem Angehörigen des französischen Voltsteiles Kanadas . Er erklärte, mit großer Bewegung von dem deutschen

Vertreter das Schicksal der armen oberschlesischen Kinder vernommen

zu haben. In Kanada errichte man separate Schulen, wenn die Eltern von 10 Kindern es wünschten. Der Deutsche habe recht: wichtiger als die juristische Entscheidung sei das Schicksal der

Kinder. Es wäre

unerhört und grausam, die Kinder aus ihrer gewohnten Schule herauszureißen.

Mit diesen warmen Worten schloß sich der Kanadier dem deutschen Verlangen nach der Eröffnung der Schulen an, das er seinerseits als Bitte an Polen formulierte. Der Widerstand Polens war aber nicht zu brechen. In einer viertelstündigen Unterbrechung der Sigung gelangte man schließlich zu dem Kompromiß, zwar die Angelegenheit zu vertagen, aber den Präsidenten Calonder auf­zufordern, fich unverzüglich mit der Angelegenheit zu beschäftigen und sich für die geregelte Weitererziehung der Kinder einzusetzen. Eine juristische Kommission, bestehend aus den Vertretern Japans und Finnlands , soll währenddessen bis zur nächsten Rats­tagung die juristische Seite der Angelegenheit prüfen.

Deutschland nahm diese Entscheidung an, mie v. Schubert ausführte, in der ganz bestimmten Erwartung, daß die endgültige Entscheidung mit größter Beschleunigung erfolge. Die Sigung hätte damit, nicht befriedigend, aber auch nicht besonders verletzend für Deutschland abschließen können, doch ließ sich der Bole das letzte Wort nicht nehmen. Mit unsäglich höhnischer Betonung lehnte er den deutschen Anspruch, sich in die polnischen Schulverhältnisse zu mischen, prinzipiell a b. Es sei Sache der Polen , was sie mit den oberschlesischen Kindern machten!

Merifos neuer Präsident.

Calles bleibt in der Politif.

Megifo- City, 26. September. ( Eigenbericht.) Das Problem der Amtsnachfolge des Präsidenten Calles ist nun mehr gelöst. Das Bundesparlament wählte einstimmig Innen­minifter Bortes Bis zum provisorischen Präsiden ten für die Amtsperiode Dezember 1928 bis Dezember 1930, und schreibt gleichzeitig die Neuwahlen für den verfassungsmäßigen Präsidenten im November 1929 vor. Der dann gewählte Präsi­bent wird sein Amt im Februar 1930 antreten und bis Dezember 1934 auf seinem Poften verbleiben. Es wird die Bildung einer neuen ,, national- revolutionären" Parteiloalition einschließlich der Arbeiterparteien auf Initiative pon Calles hin erwartet.

meist in Genf selbst und unmittelbar vor der Bölterbunds­versammlung, sondern sie haben es darüber hinaus vers standen, die nationalen Böllerbundsgesellschaften und sogar einige Regierungen für die Vertretung ihrer berechtigten Wünsche und Ziele zu gewinnen. Es war die hollän­dische Delegation, die als erste einen Vorstoß zugunsten der Minderheiten unternahm und die Forderung der Schaffung einer Ständigen Minderheitenfommission im Bölkerbundssekretariat( nach dem Muster der Ständigen Mandatskommission) erhob. Die Vertreter der Schweiz , Deutschlands und Desterreichs haben in der Generaldebatte diese Anregung befürwortet. Der Vorstoß ist aber einstweilen völlig gescheitert.

- in

Er mußte scheitern, weil das geschriebene Recht- diesem Falle das Unrecht der Friedensverträge auf seiten derer steht, die fein Interesse an einem wirksamen Es war internationalen Schutz der Minderheiten haben. charakteristisch, wie nacheinander Bolen und die Tschech o- ihrem militärischen Bundesgenossen Iowakei, von Frankreich wirksam unterstüht, aufmarschierten, um mit juristischen Argumenten zu beweisen, daß die Schaffung einer Ständigen Minderheitenkommission unstatthaft sei. In der Tat, das Völkerbundsstatut sieht nichts dergleichen vor; und überdies haben die Friedensverträge zweierlei Minderheitenrecht geschaffen Sie gingen von der Heuchelei aus, daß die bereits bestehenden Staaten von lauter politischen Engeln regiert seien und immer regiert werden würden. Die neuen Staaten dagegen, die dem Sieg der Entente ihr Entstehen verdankten, die wollte man gewisser­maßen unter Kuratel stellen, weil man ihnen um so weniger traute, als die in ihnen vorherrschenden Nationen selber als Minderheiten unter den Hohenzollern, Habsburgern und Ro manows Drangfalierungen erduldet hatten und die Ver­fuchung, Rache zu üben, nur allzu nahe lag. So hat man den Minderheiten in Polen, in den baltischen Staaten, in der Tschechoslowakei einen gewissen Schuh angedeihen laffen, der übrigens in der Praxis sehr ungleichmäßig ausgeübt wird, während z. B. die Minderheiten in Italien vogelfrei wurden.

Und nun ftellten sich die Herren 3alesti und Ofusty hin und erklärten: Schuß der Minderheiten? Ständige Minderheitenfommission? Wo steht das geschrieben? Aber wir wollen großmütig sein und dennoch einwilligen- jedoch nur unter der Voraussetzung der Gleichheit aller Staaten, die ja eine der Grundbedingungen des Böller­bundes ist." Damit war die Angelegenheit erledigt: denn jeder wußte, daß zumindest das faschistische Italien und neuerdings sogar Frankreich wegen der elsässischen Autono­