I.(Beilage Freitag, 26. September 1926.
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Eine Reise in das Land der Mittemachtsonne.
Von Curt Biging.
Cntf Biging befindei sich zurzeik aus einer Reise w Lapplaud. die ihn in wenig bekannte Gegenden bringen soll. wir beginnen heute mit dem ersten Teil seine« Berichte».
Am Abend sollte das klein« Motorboot nach Norden gehen. Aus den zerstreuten Holzhäuschen, die das Kirchdorf Jnari dar. stellen, fanden sich ein paar Lappen ein, die mitfahren wollten, um irgendwo in einer mehr oder minder verlasienen Gegend Heu zu mähen. Ein steifer Wind blies aus Nordwest, und an der Mün» dungsstelle des Flusses in die Bucht von Jnari war ein ziemlicher Wellengang Der Motor des offenen Bootes war ein merkwürdiges Produkt aus der Zeit Wallenfteins oder Karls des Großen. Es kostete viele Mühe, ihn in Gang zu bringen, uvtd statt um%6 Uhr startete der Postmarm erst nach 8 Uhr. Aber es gibt in Finnland zwei Sprlchworte, die das alles erklären und entschuldigen: .Gott hat keine Eile erschossen"', und .Es gibt in Finnland nichts in solcher Menge, wie Zeit." Die Lappen rauchten und spuckten, der Motor tot endlich desgleichen. und wir tanzten los. Offen« Boote sind bei steifem Nordwest kein restloses Vergnügen. Es gibt viel Wasser im Jnari-See, und ein erheblicher Teil dieler Flüssigkeit sammelt« sich im Boot an. Obwohl ich mit dem Rücken gegen die Fahrtrichtung saß, war meine Brille bald so naß vom Spritzwasser, daß ich kaum noch sehen konnte. All« fünf Minuten setzte der Motor aus; die Männer wechselten ab, ihn anzuwerfen, doch es dauert« länger, ihn in Gang zu bringen, als es ihm beliebt«, in Gang zu bleiben. Hier lernte ich die Virtuosität bewundern, mit der man in Lappland fluchen kann..Perkele*.Satana" und.Helvetti"— Teufel, Satan intd Hätte— das sind die Zauberworte, mit denen man der wider. spenstigen Ding« Herr wird. Man flucht nicht einmal oder zehnmal, es ist notwendig, einen rasselnden Rosenkranz dieser Flüche herzu- donnern, und dabei will keiner zurückstehen. Am besten jedoch schnitt der Postbote ab. ein wettergegerbter Mann von etwa SV Jahnen: er fertigte jeden Ztivalen im Fluchen ab und behiett«inen Dorsprung, der tu alle Ewigkeit nicht einzuholen war. Die Schlafdecke als Segel Trotzdem kündigt« der Motor nach unzähligem Versagen inner- VM , zweier Stunden endgültig den Gehorsam. Er hatte es satt, das Boot dauernd die Wellen hinauf und hinab zu treiben: und er ahnte wahrscheinlich, daß es noch schöner kommen würde. Das führungslos« Boot hopste wie eine Balletteuse der alten Schul« und trieb immer näher auf eine Klippe zu, die am Ausgang der Bucht von Jnari Wach« hält. Da kam einem findigen Mann im Boot die Erleuchtimg: Di« beiden schmalen Riemen, mit denen man dos Boot rudert— Höchstgeschwindigkeit drei Kilometer in der Stund «, falls das Wasser ruhig und der Wind günstig fft— wurden hochgerichtet und festgehalten, meine Schlafdecke dazwischen gebunden, stolz blähte sich da» Segel, u.rd schneller alz wir hinaus gefahren waren, jagte uns der Sturm an die Anlegestelle zurück. Der Pc-stmann war sehr optimistisch: es war.nur" eine Feder im Motor zerbrochen, man konnte beim Kaufmann vielleicht eine neu« bekommen, und wenn der Sturm nachließ, konnte man viel- leicht am nächsten Morgen weiter fahren. Es kam nicht so sehr darauf an, daß die Post 12 Stunden später anlangte. Eilbriefe kennt man in Lappland nicht. Der Motor hatte recht behalten: Kaum waren nur an Land. da legte sich der Sturm richtig ins Zeug. Es war ein richtiger Theater stürm, mit Heulen und Pfeifen und Brausen, die Wol- ken jagten tief über die Erde, und aus dem Rauschen und Klatschen der Wellen war«in kontmuierliches Dröhnen und Brausen ge» worden. Ich schlief in des Pfarrers Konzlei, und das aus dicken Stämmen festgefügte Haus zitterte. Fahrt in den Morgen, Am frühesten Morgen klopfte mich ein Lappenfunge aus tiefem Schlummer.(Man schläft merkwürdig gründlich in Lappland , wenn einem die Helligkeit der Nächte erst gewohnt geworden fft.) Es war indessen nicht so dringend: als ich eine halbe Stunde am Boot gewartet hatte, kam freundlich grinsend der Postmann, zeigte auf die primitive Speisebude über'm Ufer und sagte.kahvi": ich sollte also erst frühstückm. Solches geschah, und endlich fanden sich all- mählich die Reffeteilnehmer zusammen. Der Motor sah so dreckig aus wie zuvor, aber der Postmann versicherte, es sei ein« neue Feder darin. Dann sagte er ein paar Dutzendmol Perkele. Satana «ad Helvetti , hantierte eifrig am Schwungrad, und wirklich fing nach geraumer Zeit die Schraub« an, sich zu drehen. Der Sturm war mit dem Morgengrauen schlafen gegangen, nur«in starker Wmd war zurückgeblieben und eine hohe Dünung mit romantischen Schaumkäinmen. In etwas verfrorener Stimmung ging es in den grauenden Morgen. Ich weiß nicht, wie spät es war, meine Uhr war seit acht Tagen zerbrochen, inon braucht so ein Ding nicht in dieser Gegend, die Nächte sind gläsern hell und nur am Morgen, ehe die rötlichen Farben spielen, kommt ein grauer Farbton in die Welt, wenn das Wetter schlecht ist. Der Postmann hielt Kurs auf NW., immer«m paar Kilometer vom Ufer entfernt. Inseln und Schären tauchten auf und ver> schwanden, Felsen und Felsblöck«, hohe und niedrige, kahle und mit Kiefern bewachsen«. Ein spitzer Inselrücken ragte im Osten aus der wogenden Flut empor, Ukko, der Altvater, das Heiligtum der alten Lappen-Gottheit. Ein unterirdischer Gang soll« sein Inn «. res mit einem Berg weit im südlichen Festland verbinden, mit dem Berg« Akka(Urmutter). Es versteht sich, daß dieser Gang unter dem zerklüfteten Seeboden nur in der Phantasie besteht. Die alte Lappenpost läßt sich nicht prellen. Der Lappengott Ukko war«in schlauer Herr, der seine Pappen- h«im« kannte. Davon gibt es eine sehr spaßig» Sag«: Fährt Ha«ja alter Lappe mit feinem kl einen Boot über den See und landet
auf einer Insel, ein Feuerchen anzumachen. Während er damit beschäftigt fft, treibt der Wind sein Boot vom Ufer weg, in den See hinaus. Dem alten Knaben wird es angst, er weiß, er muß auf der kahlen, einsamen Insel verhungern, wenn er sein Schifflem nicht wiederbekommt, und er betet zu Ukko und verspricht ihm seinen besten Hammel, wenn er gerettet würde. Ukko hat«in Einsehen, er schickt einen günstigen Wind, der das Boot zum Strande zurück- treibt, und der Loppengreis besteigt erleichtert seinen Kahn und rudert heim. Unterwegs tut ihm jedoch der Handel leid und er de- schließt im stillen, Ukko um den Hammel zu prellen. Aber als er nach Hause kommt, findet er das Tier nicht mehr vor; Ukko, der sein« Lappen kennt, hatte sich bereits das versprochene Geschenk gesichert. Nach zehn Kilometern Fahrt hat der M o t o r tnzwffchen wieder so oft versagt, daß des Postmanns Vorrat an Flüchen zu End« fft. Da wir ohnehin an einem verwahrlosten Lappengehöft anlegen müssen, um einen Passagier ab- und einen neu einzuladen, schraubt der tüchtig« Beamte den Benzintank los und entteert feinen Inhalt in emen Milcheimer. Ich begreife jetzt, warum der Motor streifte: Was er zu trinken bekam, war nicht Benzin, sondern ein« mit bräunlichem Schlamm oermengte Flüssigkeit. Nach einer halben Stunde fft der Tank gereinigt, der Betriebsstoff durch einen alten Lumpen filtriert, und nun tut nach gründlicher Schmierung der Motor seine Arbeit, wie man es nur wünschen kann. Bis zur Beendigung der Fahrt am Nachmittag hat der Postmann fortan nur noch einen sehr geringen Verbrauch an Perke! es und Satanos und Helvettis. Zwischen Sandstrand und Klippen. Wetter schaukelt das Boot. Wenn man in den Windschutz von Inseln kommt, geht die Fahrt etwas glatter, aber meistens sprüht mit jeder Well«, die wir schneiden, eimerweise da» Wasser über die Bordwand. Kulissenartig schiebt sich ein Eiland hinter das andere, man weiß meist nicht, was Küste und was Insel ist.
Hin und widder zeigt sich in der Ferne Sandfirand und meist da. wo ein Fluß oder Flüßchen mündet. Im allgemeinen säumen große Felsblöck« da» Ufer und machen die Landung müh- selig und bisweilen nicht»ngesährlich. Einzeln« Klippen tauchen auf, manche liegen dicht unter dem Wasserspiegel und sind nur an der Brandung«rkemrbar, die an diesen aufspritzt. Vorsichtig umfährt sie der Postmann, der seinen W«g genau kennt. Ganz unsichtbare Untiefen und Sandbänke sind durch senkrechte Stangen gekem»- zeichnet, die durch einen Besen oder Bogelflügel leicht« sichtbar gv- macht sind. Bei Tahta-Sammeli, ein« einsamen Fischerhütte, schimmert der Sandstrand dunkel violett: wahrscheinlich ist es Rauch- quarz, der ihn so färbt. Leid« vergesse ich, eine Prob« mitzu- nehmen. Das Boot knirscht aufs Uf«, wir steigen aus, der Postmann, «in Lappe, ein LoppenmAxhen und ich Als wir m die Hütte treten, wird gerade ein« Schlaforgi« gefeiert: Ein Mann liegt im Bettkasten, zwei unter ein« gemeinsamen Decke auf Rennt:«- sellen am Boden, d« dritte aus der bloßen Erde, den zusammen- gerollten Rock als Kopfkissen. Er ist der«ilnzig«, der gleich erwacht, uns gleichmütig zunickt, sich ein« Zigarette ansteckt und mit dem Postboten tropsenweff« ein dürstiges Gespräch beginnt. Die ande- ren blinzeln nur und schlafen weiter. Das Lappenmädchen macht inzwischen Feuer, der Lappe schnitzt die Späne zum Anzünden. Dann hott das Mädchen die Blechbüchse mit Kaffee vom Wandbord, hackt mit dem Messer Zucker klein, schon kocht das Wasser, die Tassen dampfen, ein heißer, nicht erstklassiger, ab« rein« Kaffee wärmt die durchkälteten und durchnäßten Glieder. Aus den Prooianffäcken holt jed« sein Essen, roh« Salzfisch wird streifenweffe von seiner Haut geschnitten und mit Schmatzen verzehrt. Den Kaffee schlürft man möglichst geräuschvoll aus der Untertasse, das gehört sich so. Dann sagt man»Klitoksia" (vielen Dank) und geht ohne weitere Förmlichkelten zur Tür hinaus. (Fortsetzung folgt.)
Das Märkische Museum (links) in der Wallstraße ist gefährdet. Infolge der Senkung des Grundwasserspiegels sind seine Pfahl-Fundamente bereis 2,90 Meter aus-dem Grundwasser heraus und beginnen zu faulen.— Der Turm des schönen Neuköllner Rathauses erhält eine zweite Uhr, die durch elektrisch erleuchtete Zahlen jeden Minutenwechsel ziffernmäßig anzeigt. Während bei Tage die alte Turmuhr weiter ihren Dienst verrichtet, wird sie bei Dunkelheit durch die neue Uhr abgelöst.
Die Gnadige und die Hausangestellte. Eigenartige Bilder ans Sowjetrnfjland. Man sollte meinen, daß im Sowjetstaat«, der die Herrschaft des arbeitenden Volkes als absolut proklamiert, die Hausangestellten neben allen anderen Arbeitenden ihr Recht auf wirtschaftliche Selbst- bestimmung, auf persönliche Freiheit und Unverletzlichkeit, auf Zu- sammenschluß zum Ausbau und zur Verbesserung ihrer Arbetts- Verhältnisse in namhaftem Maße errungen hätten. Allein au» einem Berichte der.Lrasnaja Gazeta" geht hervor, daß sie. trotz aller krampfhaften Versuche in dieser Richtung, von einer rationellen Organisierung noch weit entfernt sind. Die Hausfrau wird noch vielfach mit„Gnädige Frau" angeredet. Der achfftündige Arbeits- tag wird von beiden Seiten totgeschwiegen. Die Angestellte fft ftoh, wenn sie im Laufe des bis in die Nacht hinein währenden Arbeitstage» ein paar Ruhestunden für sich erobern kann. Der Eintritt in den Angestelltenverband zieht sehr häufig Entlassungen nach sich, so daß er nach Möglichkett verHeim- licht oder lieber ganz unt«lassen wird. Zwar zähst der Verband in Moskau . 20(XX) Hausangestellte, doch wechseln seine Mitglieder ständig. Nur unter Vorwänden gelingt«s, sich für öffentliche Vor- sammlungen od« Verbandsabende freizumachen. Hat aber«ine Angestellte da» Amt einer Delegierten übernommen, so verfäw sie fast unvermeidlich dem Ultimatum:„Entweder öffentlich« An
gelegenheiten od« die Arbeit?" Die Besuche d« Arbeitsgenossinnen in der Küche verraten sie. Ein Kleinkampf wird geführt um die Arbeitskleidung, die der Hausangestellten tarifmäßig zusteht: ein Kattunkleid, ein Paar Schuhe und zwei Schürzen im Jahr. Gekämpft wird aiSh um die zweiwöchige Kündigungsfrist. Wohl wäre dieser Kampf durch Vermittlung des Verbandes beizulegen, doch die Aussicht, wieder an der„Schwarzen Börse" Reihe stehen zu müssen, wirkt ab- schreckend. So verzichtet man auf jedwede Hilfe. Deshalb verbringt man stillschweigend die kalte, russische Winternacht in der ungeheiz- ten Küche, die tagsüber verräuchert wird von einem halben Dutzend lärmender Pettoleumküchen der Kommunalwohnung: arbeitet ohne zu murren bis zu 18 Stunden am Tage: geht stillschweigend hinweg üb« die Vorschriften der Angestelltenoersicherung. des Urlaubs, der Arbestskleidung: läßt ohne zu murren sich behandeln„wie einen Hund", dem man die Abfälle der Mahlzeit überläßt. D« Angestelltenverband hat auch einen harten Kampf zu führen um Einhaltung des monatlichen Entlohnungs- Minimums. Die meist übliche Entlohnung nach freier Ver- einbarung beträgt 7 bis 8 Rubel im Monat. Trotz der von der Gruppenkommission gegründeten Schreib- und Lese-, der Bildungs- und Sowjetrechtsgruppen, der Näh-, Sanstäts- und Körperkuttur- gruppen bleibt die Lage d« Hausangestellten äußerst schwierig. In Leningrad allein unt«liegen Zehntausende von Hausangestellten vorrevoluttonSreo Zuständen in herrschaftlichen Haushalten,