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BERLIN 909

Sonnabend, 29. September

1928

Der Abend

Ericheint täglich außer Sonntags. Fualeich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Vi. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Erpedition: Berlin SW68, Lindenfir. 3

Spätausgabe des Vorwärts

6.

10 Pi.

Nr. 462

B 229 45. Jahrgang.

angelgenreis: Die einfraltige Nonpareillegeile 80 Vf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Doftfchecktonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37 536. Fernfprecher: Denboff 292 bis 297

Einsturzunglück in Stralfund.

Zwei Häuser in sich zusammengebrochen.

In Stralsund hat sich gestern abend ein schweres Einsturzunglüc ereignet, das an die un­gleich folgenschwere Katastrophe in der Landsberger Allee am 5. Januar 1928 erinnert. Das Stral­funder Unglück forderte wie durch ein Wunder keine Todesopfer.

Stralfund, 29. September. ( Eigenbericht.)

In der Langen Straße 44/45 zu Stralsund wird seit einiger Zeit ein größerer Umbau von der Firma Schurig für das Möbelhaus Stein ausgeführt. Dir Firma Stein beabsichtigt, die beiden Häuser zu einem großen Geschäftslotal zu vereinigen. Seit Wochen werden mächtige Träger eingezogen, die die beiden Häuser miteinander verbinden. In den letzten Tagen hatte man damit begonnen, die Brandmauer zwischen beiden Häusern zu durch brechen und auf ihre Fundamente neue Träger gesetzt.

Wahrscheinlich fonnte das Jahrhunderte alte Mauerwerk dem mächtigen Gewicht nicht standhalten. Die beiden Gebäude fielen buchstäblich in sich zusammen.

Das Gebäude war bis unter das Dach als Lagerraum mit Möbelstücken gefüllt. Raum mar bas Unglüd geschehen, als unter den Rettern mit an erster Stelle die Arbeiterfamariter erschienen, um die verschütteten Bewohner zu retten. Im ersten Stock wohnten zwei Lehrerinnen. Eine der Damen wurde von einem stürzenden Schrank zu Boden geschlagen und begraben, während die andere mit dem Mauerwerk bis tief in den Keller hin­abstürzte. Dort blieb sie wie durch ein Wunder unter einem Sofa in hodkender Stellung liegen. Gegen 11 Uhr nachts gelang es erst, die Verschüttete zu befreien. Sie hatte bis auf geringe Hautabschürfungen feine Verlegungen er­litten. Die Rettungsmannschaften mußten bis zu den Knien im Waffer stehen, da die Wasserleitungen beschädigt waren. An erster Stelle waren auch bei dieser Rettungsaktion die Arbeitersamariter hervorragend beteiligt. Nach verhältnismäßig furzer Zeit gelang es, zwei weifere Verschüttete, die Tapezierer Schemmel und Wiesenberg, die zum Teil Knochenbrüche und Kopfverlegungen erlitten hatten, zu bergen. Unter den Trümmern auf der Straße wurde eine Reinemachefrau Pietut ebenfalls mit nur leichten Berlegungen geborgen. Daß das Unglüd nicht größer murde, ist darauf zurückzuführen, daß einer der Angestellten der Möbelfirma zufällig auf der Straße war und durch das Springen einer Fenster­fdjeibe auf das Herabsinken des Mauerwerks aufmerksam murde. Es gelang ihm noh, den Inhaber der Firma und das Personal zu warnen, so daß es sich in letzter Sekunde retten fonnte. Raum hatten die Angestellten den Laden verlassen, als auch schon die mächtigen eisernen Träger sich langsam nach hinten sentten und unter der drüber liegenden Laft des Gebäudes zu fammentrachten. Wüftes Durcheinander bedeckt den Schauplatz der Katastrophe. Da die Gasleitungen zerstört waren, war der Schutt berg start mit ausströmendem Gas durchsetzt. Die Feuerwehr mußte daher mit größter Borsicht vorgehen, um nicht durch Funken bildung einen Brand zu entfachen.

Die Aufräumungsarbeiten fonnten noch nicht in Angriff genommen werden, da die Schuld. fonnten noch nicht in Angriff genommen werden, da die Schuld. frage noch nicht genügend geklärt ist. Die Rettungsmannschaften waren während der ganzen Nacht in dauernder Lebensgefahr, da ein Teil des Giebels noch stehengeblieben ist, aber derartige tiefe Risse zeigt, daß er jeden Augenblick nachstürzen kann. Bei dieser Gelegenheit hat sich herausgestellt, wie berechtigt die Forderung der Sozialdemokraten im Stadtparlament war, einen Baukontrolleur anzustellen. Trotzdem hat die bürgerliche Mehrheit des Stadtpar. laments diese wiederholt gestellte Forderung immer abgelehnt. Die Schuld liegt zweifellos bei der Bauleitung, die scheinbar nicht alle Maßnahmen getroffen hat, um ein solches Unglück zu verhindern. Schon seit Tagen hat man bemerkt, daß die Fenster und Türen sich nicht mehr richtig schlossen und Risse in den Wänden entstanden. 3ur Hilfeleistung der Feuerwehr wurde eine halbe Rom pagnie Militär aufgeboten, die mit den Aufräumungsarbeiten be­ginnen. Als ein großes Glüd ist zu bezeichnen, daß kein Feuer ausbrach, da in diesem Falle an eine Retfung der Verletzten gar nicht zu denken gewesen wäre.

Konflikt bei Aschinger.

Ein Anleiheschicber verhaftet.

Berichte 2. Seite.

Mehrere Verletzte.

Das Züchtungsinstitut in Müncheberg .

In der märkischen Kleinstadt Müncheberg wurde das neue Institut für Züchtungslehre feierlich eingeweiht. Das Institut dient dem Ziel, die wissenschaftlichen Grundlagen für die Weiterentwicklung der Pflanzenzüchtung zu liefern und praktische Züchtungsaufgaben so weit vorzubereiten, bis sie von Privatbetrieben weitergeführt werden können. Unser Bild gibt einen Blick auf die Gebäude des Instituts.

Bolfskultur im Norden.

Die Einweihung der Arbeiter Volkshochschule in Harrisleefeld.

Flensburg , 29. September. ( Eigenbericht.) Heute vormittag wurde im Beisein des Reichskanzlers er mann Müller und unter starker Anteilnahme der Staats: und Provinzbehörden die feierliche Einweihung der Arbeiter Dolfshochschule Harrisleefeld bollzogen. Man sah, in Doltshochschule Harrisleefeld bollzogen. Man sah, in dem festlich geschmückten Saal der, Schule u. a. den Oberpräsidenten der Proving Schleswig- Holstein , Kürbis, den Regierungspräsidenten Dr. Abegg, den Bevollmächtigten zum Reichsrat Dr. Schifferer, sowie die Oberbürgermeister von Flensburg und Kiel . Nachdem die Rhythmen des zweiten Eozes von Beethovens Streichtonzert Opus 18,5 verflungen waren und der Schülerchor das Lied ,, Brüder reicht die Hand zum Bunde" wirkungsvoll zu Gehör gebracht hatte, ergriff die Vorsitzende des Kuratoriums Landtagsabgeordnete Frau Toni Jensen das Wort. Sie begrüßte besonders den Reichs­fanzler, der durch sein Erscheinen nach den Tagen von Genf ein be­sonderes Opfer gebracht habe. In furzen programmatischen Er­flärungen umriß fie, nachdem sie den beteiligten Behörden und fördernden Parteien ihren Dank ausgesprochen hatte, die Auf gaben der Schule und betonte deren staatspolitische

Die Arbeiterhochschule in Harrisleefeld.

Bedeutung. Gelte es doch, den Satz der Verfassung: ,, Alle Ge­malt geht vom Bolte, aus", auch in diesem Wirkungskreis mit wahrem Leben zu erfüllen.

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Reichstanzler Hermann Müller wies darauf hin, daß in Schleswig- Holstein zunächst und zumeist Volkshochschulen ge= gründet worden seien, Wenn mit der Harrisleefelder Ar­beitervolkshochschule etwas Besonderes ins Leben gerufen worden sei, so sei es dies, daß sich die Schule die Aufgabe stelle, jeden einzelnen zu seinen staatsbürgerlichen Pflichten zu erziehen. Gerade der neue Staat der alte sei ja von weiten Kreisen verneint worden Kreisen verneint worden ist darauf angewiesen, daß jeder ein­zelne auch die Pflichten erfüllt, die die Verfassung ihm auferlegt. Es gelte daher, mit allen Mitteln staatsbürgerliches Denten in die weitesten Kreise, insbesondere in die Arbeiter- und Angestelltenschaft, hineinzutragen. Der Reichskanzler gab schließ­lich der Ueberzeugung Ausdruck, daß diese Schule kein Experiment fei. Er hoffe, daß ihr Beispiel Echule mache und daß auch sie zu ihrem Teil an dem Aufstieg des deutschen Vaterlandes, den wir alle erleben wollten, mitarbeiten werde.

Nach einer kurzen Ansprache des Oberpräsidenten Kürbis gab der Leiter der Schule, Studienrat Erwin Marquardt , den zur Eröffnung Erschienenen einige wertvolle Erläuterungen über die beabsichtigte Arbeitsweise in Harrisleefeld.

Vier Todesopfer der Arbeit. Beim Zeeren einer Hamburger Gasleitung erfict. Ein furchtbarers Arbeitsunglück, das in wenigen Minuten vier Menschenleben forderte, hat sich bei Ham. burg zugetragen. Auf dem Terrain der Hamburger Gaswerke in Tiefstaak wurden heute morgen vier Arbeiter, die mit dem Teeren einer unterirdischen Rohrleitung beschäftigt waren, durch ausströmende Gase getötet. Bei den Rettungsarbeiten erlitten drei Feuerwehrleute schwere Gasvergif tungen.