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Morgenausgabe

Rr. 467

A 237

45.Jahrgang

Böchernich 851. monatlich 3,60 x noraus jahlbar, Boftbezug 4,32 inil. Beftellgeld, Auslandsabonne ment 6,-. pro Monat.

Der Bermarts ericheint medhentag fich zweimal, Sonntags und Montags einmal, ble Abenbausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der benb", Juftrierte Beilagen Belf and Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Bissen". Frauen. timme". Technif", Blid in bie Bücherwelt" und Jugend- Berwärts

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch

3. Oftober 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einipattige Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflame eile 3.- Reichs mart. Aleine Anzeigen das lettge brudte Bort 25 Pfennig( gulässig zwe rettgebrudte Morte), jedes weitere Bort 12 Bfennig. Stelengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Famillenanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen. annahme im Hauptgeschäft Linben Straße 3, wochentägl, von 8 bis 17 Uhr,

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Rebattion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3

Bernsprecher: Dönboff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Die Kritif an Genf .

Deutschnationale Demagogie.

Von Rudolf Breitscheid .

Genf , 1. Oktober.

Die Deutschnationalen haben seit Wochen wieder die Boltsseele tochen laffen. Alles, was hier in Genf geschehen ift, war falsch, widersprach den deutschen Interessen und der deutschen Ehre und mußte als weiterer Beweis für die natio­nale Unzuverlässigkeit eines jeden Kabinetts dienen, an dem die Anhänger des Grafen Westarp nicht beteiligt sind. Briand hat uns beleidigt, und wir sind nicht nur nicht abgereift, fondern haben auch nicht einmal die entsprechende männ liche" Antwort gefunden. Die Rheinlande sind nicht befreit, und wir haben uns im Prinzip zu Verhandlungen über die Reparationen bereit erklärt, ja wir haben unser Einverständ­nis ausgesprochen, daß über die französische Forderung nach Einfegung einer Kontrollkommission diskutiert wird. Bei ber Behandlung des Entwaffnungsproblems ist die deutsche Auf faffung, die natürlich viel zu schlapp vorgetragen wurde, nicht durchgedrungen, und wir haben daraufhin nicht alles furz und klein geschlagen und sind davor zurückgeschreckt, den als­baldigen Beginn der deutschen Ausrüstung anzufündigen. Daß außerdem Angehörige der Linksparteien und insbeson­dere das sozialdemokratische Mitglied der Dele gation durch Besprechungen mit Bertretern des Feind bundes" ein bißchen Landesverrat geübt und dem deutschen Bolt wieder einmal den berühmten Dolchftoß versetzt haben, versteht sich am Rande.

3weifellos werden alle diese Antlagen im Auswärtigen Ausschuß wiederholt merden. Aber, um es gleich zu sagen: mir brauchen fie nicht zu tragis zu nehmen. Hinter all diesem Geschrei und Getue stehen in Wirklichkeit, was die Drahtzieher angeht, nur immer politische Abfichten, und die Mitläufer machen mit, weil sie entweder überhaupt nicht wissen, worum es geht, oder weil sie sich in nölliger Unfennt­nis parüber befinden, was in Genf möglich ist.

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Boftschedkonto: Berlin 37 536.

Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Distonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 8

Der Arbeitertag bedingt erlaubt.

Falls Einigung mit der Heimwehr erfolgt.

Wien , 2. Oftober.( Eigenbericht.)

Der Sozialdemokratischen Partei wurde am Dienstag vom Can­deshauptmann Burefch mitgeteilt, daß das Verbot des Arbeitertages in wiener- Neustadt aufgehoben werde; die hieran geknüpfte Bedingung besteht darin, daß eine Demartationslinie in der Richtung des Wiener- Neustädter fanals zwischen beiden Parteien vereinbart und garantiert werde. Außerdem follen am Mittwoch die staatlichen Behörden mit dem Wiener- Neu­ städter Magistrat über die Abgrenzung der Beranstaltungen be­ftimmte Dereinbarungen treffen, die eine reibungslose Durchführung der beiden kundgebungen ermöglichen. Die Regierung hat also das Berbot der sozialdemokratischen kundgebung aufgehoben; fie fteht aber nach wie vor im Begriff, den Wünschen der Heimwehren in jeder Beziehung Rechnung zu tragen. Der Wiener- Neustädter kanal, der als Demartationslinie gedacht ist, ist doch schon seit Jahren zugeschüttet. Es handelt sich also nur um eine fittive Demarkationslinie, die an dem noch umstrittenen Hauptplah vorbeiläuft. Die Kund­gebung der Heimwehr dürfte danach bis an den Hauptplah reichen. Was mit dem Hauptplah felbft geschehen wird, soll in den Be­fprechungen festgelegt werden. Der Plan des Candeshauptmanns

ift also nicht eine Lösung der frifischen Situation, sondern stellt lediglich den ursprünglichen Zustand wieder her.

Dom

Bayerische Polizei für die Seipelregierung.

München , 2. Oftober.( Eigenbericht.) Am Dienstag find nach der Meldung eines hiesigen Blattes Berladebahnhof München- Laim 500 triegsmarsch= mäßig ausgerüstete Landespolizisten an bie österreichische Grenze abgerollt, wo sie für den 7. Oktober der österreichischen Regierung zur Ver fügung stehen sollen. Mit dem gleichen Ziel sollen auch in an­deren bayerischen Städten Kontingente grüner Polizei verladen worden sein.

Das bayerische Innenministerium gibt den Abtransport von Bolizeimannschaften zu, bestreitet aber, daß das irgend etwas mit den in Wiener- Neustadt geplanten Kundgebungen zu tun habe. 3wed des Transportes sei lediglich die alljährliche Felddienst­ibung der Landespolizei, die dieses Jahr in der Mies­ bacher Gegend, allerdings unweit von der Tiroler Grenze, ab­gehalten werde.

Labour für Abrüftung und Räumung

Auftakt des Parteitages in Birmingham .

Birmingham , 2. Oftober.( Eigenbericht.)

Dem Parteitag der Arbeiterpartei liegt eine von der Exekutive unterbreitete Resolution zur auswärtigen Politik vor, die dem kongreß von dem Führer der Partei Ramsay Macdonald zur Annahme empfohlen werden wird. Die Partei stellt darin mit tiefer Enttäuschung fest, daß die Aechtung des Krieges von vielen Regie­rungen mit Borbehalten begleitet worden wäre, als ob der Patt selbst, das Böllerbundsstatut und das Locarno - Abkommen überhaupt nichts zur Sicherheit der Welt beigetragen hätten. Ein groß Teil der Verantwortung für die gegenwärtigen Schwierig­feiten treffe die britische Regierung, die 1. einen so wichtigen plan für die Organisierung des Weltfriedens wie den Genfer Patt fallen gelassen habe, 2. die Bedeutung des Kellogg - Pattes durch ihre Vorbehalte verringert habe, 3. sich geweigert

Lassen wir noch einmal furz die Tatsachen sprechen. Das beutsche Auswärtige Amt hatte vor ein paar Monaten ver­fchiedenen Regierungen mitgeteilt, daß man gelegentlich der Bälterbundsversammlung über die Rheinlandräumung reden wolle. Gab es nur irgend jemanden, der sich einbilden fonnte, wir würden aus Genf mit der festen Zusage des fofortigen Abzuges der Befagungstruppen zurückkehren? Der deutsche Reichstanzler hat sowohl in Einzelbesprechungen wie in den Beratungen der sechs, die Rheinlandbefreiung sowohl unter Berufung auf unseren Rechtsstandpunkt, sowie unter Hinweis auf durch die politische Situation gegebenen Not mendigkeiten gefordert. Kein denkender Mensch konnte so naiv sein, zu glauben, daß die Gegenseite sich ohne wei teres unseren Ansichten anpassen und unserem Anspruch fügen werde. Wir wußten im Gegenteil seit langem, daß fie die Räumung zum mindeſten mit der endgültigen Rezeichnen, 4. gelung der Reparationsfrage und gewiffen deutschen Bor: leistungen verknüpfen werde. Hier standen sich eben zwei verschiedene Konzeptionen gegenüber.

Nun gab es zwei Möglichkeiten. Entweder mir ver ließen nach der Ablehnung der sofortigen Gesamträumung den Beratungstisch oder wir fanden uns zu einer Fort­fegung der Berhandlungen auf einer breiteren Bafis bereit. Im ersten Fall wäre zweifellos, Klarheit" geschaffen worden. Aber diese Klarheit hätte unsere auswärtige Bolitik zu be­ſtimmten Ronsequenzen verpflichtet. Sie hätte den Weg des Versuches einer Berständigung mit den West mächten verlassen und andere Bahnen einschlagen müssen. Aber wo waren die neuen Bahnen zu finden, und menn fie gefunden worden wären, würden die befetzten Ge­biete von ihrem Betreten irgendwelche Vorteile gehabt haben? Es war ja nicht allein Frankreich , das nein sagte, sondern England, Italien und die anderen bes fanden und befinden sich mit ihm in voller Uebereinstimmung. Irgendwann hätte Deutschland doch auf die ursprüngliche Straße zurüdtehren müffen, und im besten Fall wäre dann Diel tostbare Zeit verloren gewesen.

Vielleicht ist ein Teil der Erregung darauf zurückzu­führen, daß fich das Auswärtige Amt zunächst auf einem 8u ftarren Geleise bewegte. Seine Formeln, die ja auch der Deffentlichkeit bekannt wurden, waren etwas zu unelastisch, und als man nun etwas beweglicher murde, war das deutsche Bolt auf diese Wendung nicht recht vorbereitet. Der Grundsatz war aufgestellt worden, daß die Räumungs­frage mit teiner anderen Angelegenheit. auch nicht mit der der Reparationen verbunden werden dürfe. Aber da man geneigt war, parallelen" Besprechungen über die finanziellen Wünsche der Franzosen zuzustimmen, ergaben fich Schwierigteiten für die Formulierung, die in Deutschland , wo man noch dazu in weiten Kreisen fein genügendes Verständnis für die absolute Notwendigkeit der Reparationsregelung befigt, nicht ohne weiteres verstanden wurde. Es hat sich eben herausgestellt, daß man zu Ron ferenzen, bie noch dazu in Genf unter dem Scheinwerfer der gesamten internationalen Bresse stattfinden, nicht mit einer

habe, die allgemeine Schiedsgerichtstlaufel zu unter­zeichnen, 4. durch ihre Weigerung, die Rüftungsausgaben in Groß­ britannien zu verringern, den gegenwärtigen Stillstand in den Abrüftungsverhandlungen herbeigeführt habe, 5. die Genfer Seeabrüftungskonferenz durch ihre Forderung, 70 Kreuzer bauen zu dürfen, zum Scheitern verurteilt habe. Der Kongreß for­dert die Regierung auf, den von der Böllerbundsversammlung an­genommenen allgemeinen Schiedsgerichtspakt ohne jegliche Ein­fchränkungen anzunehmen.

Die Entschließung erklärt hierauf, die bestehenden Verhältnisse rechtfertigten eine jofortige energische Herablegung aller Arten von Bewaffnung, wobei betont wird, daß ein Abrüftungsvertrag unwirksam fein würde, falls die ausgebildeten Reserven ausgeschlossen werden würden. Gastrieg und Verwendung

durchaus gebundenen und der Deffentlichkeit vorher bekannt gegebenen Marshroute gehen darf. Die Unterhändler müssen eine gewisse Beweglichkeit befizen, wenn sie nicht sehr bald auf einem toten Bunft enden wollen. Erfreulicherweise haben sie hier diese Beweglichkeit gefunden, ohne daß sie von dem grundsäglichen deutschen Standpunkt etwas aufgegeben hätten, und sie verdienen nicht im geringsten die Bor­würfe, die von den patentierten Hütern der deutschen Ehre gegen sie erhoben werden.

Aber nun die Kontrollfommission". Erstens einmal haben auch die Franzofen an teine militärische Rommiffion gedacht, sondern ihre Idee ging dahin, ein Kollegium aus 3ivilpersonen unter zuziehung eines deutschen Bertreters zu schaffen, das von Fall zu Fall zusammentreten solle, um etwaige Berstöße gegen den Lo carnopatt zu fonstatieren und gleichzeitig als erste Aus­vor Anrufung des Böllerbundsrats gleichsinstanz- wirksam zu werden. Der Streit ging um die Existenzdauer dieser Kommission. Die deutschen Bertreter hielten an der Grenze von 1935 feft, die Gegenseite wollte diese Befristung nicht gelten laffen. Es gab private Besprechungen, in denen theoretisch die Frage der weiseitigteit einer folchen Rommiffion von längerer Dauer erörtert wurde, das heißt, daß man sich darüber unterhielt, ob es denkbar fei, nicht nur bie entmilitarisierte Zone in Deutschland , sondern auch ent

von giftigen Batterien im Kriege müßten völlig verboten werden. Es wird des ferneren im Hinblick auf die Gerüchte über neue ge­heime Abkommen erklärt, daß eine Arbeiterregierung bei Ueber­nahme ihres Amtes alle etwaigen geheimen Abkom­men veröffentlichen und ihre weitere Wirksamkeit von einer Parlamentsentscheidung abhängig machen werde. Die Resolution schließt mit einer Forderung der fofortigen und be. dingungslosen Zurückziehung aller ausländischen Truppen aus dem Rheinland .

Die außenpolitische Debatte.

Birmingham , 2. Oftober.( Eigenbericht.) Der Parteitag der Arbeiterpartei hatte am Dienstag eine große

außenpolitische Aussprache. Dabei kam allgemein die Besorgnis über Ausnahme die Hauptschuld für die eingetretene Verschlechterung der die internationale Lage zum Ausdruck, wobei sämtliche Redner ohne internationalen Lage der gegenwärtigen konservativen Regierung Englands zuschoben.

In der Rede, mit der Macdonald die Annahme der vor­liegenden Resolution empfahl, betonte er, daß die von den ehe­maligen Alliierten seit 1924 gewählten Methoden zur Herbeiführung der Abrüstung auf einem fundamentalen Mißverständnis der Notwendigkeiten der Situation beruhen. Jeder Staat gehe bei den Genfer Verhandlungen von der Annahme aus, daß ein Krieg ausbrechen werde und sei lediglich bereit, nach einem Schlüffel abzurüften, der ihm seine militärische Stärke im Ver­hältnis zu den anderen weiter sichere. Ein Ausweg aus dieſem

[ prechende Gebiete in Frankreich und Bel­ gien zu fontrollieren. Es wurde auch darüber diskutiert, ob ein derartiger Ausschuß nicht etwa für alle zwischen den in Betracht kommenden Staaten strittigen Fragen für zu­Diese Unterhaltungen ständig erklärt werden könne. waren es, die den Anlaß zu dem Geschrei über den Landes­verrat der Sozialisten und anderer vaterlandslofer Elemente bildeten! Schließlich ist in das Kommuniqué der Satz auf­genommen worden, daß man prinzipiell die Angelegen heit für erwägenswert halte, aber wiederum wurde der deutsche Standpunkt in feiner Weise preisgegeben.

Bestehen bleibt also, daß zum erstenmal die Gegen­seite die frühere Rheinlandräumung offiziell als dis­fussionsfähig anerkannt hat und daß die Tore zu dieser Dis­fussion geöffnet sind. Wir fragen: Haben die Deutsch­nationalen, als fie in der Regierung waren, und haben fie, als im vorigen Jahr der Abgeordnete Hoeßsch der deutschen Delegation angehörte, einen ähnlichen Er­folg aufzuweisen gehabt? Sie wissen sehr wohl, daß dem nicht so ist. Sie wissen vielleicht auch, daß Bertreter der Westmächte ihre größere Berhandlungsbereitschaft aus­drücklich mit dem Ausfall der legten deutschen Wahlen begründet haben. Ihre Kritit ist Demagogie, und hinter ihren Anflagen verbirgt sich der Wunsch, die eigene Erfolglofigteit in Bergessenheit zu bringen.