2. Beilage zum„Vorwärts" Berliner VoWlati.Nr. 394.Dienstag, den 1�. Dezember 1895.13. Jahrg.Geheimnisteeines ArbeikshÄnfes.Zweiter Verhandluvgstag. Vormittagssitzung vom 14. Dezember.Gegen Uhr vormittags eröffnet der Präsident. Land-gerichls-Direktor Reichensperger wiederum die Sitzung. InfolgeLadung des Vertreters der Nebenkläger, Rechtsanwalt Gammers-dach, ist heute der Geh. Regierungsrath Dr. Krone(Berlin)vom Ministerium des Innern als Zeuge und Sachverständigererschienen.—Rechtsanwalt G a m m e r s b a ch: Ich frage den Herrn Ver-theidiger, ob er zu dem gestern am Schlüsse der Verhandlung ge-stellten Antrag Vollmacht hatte.— Vertheidiger: Jawohl.—Rechtsauwalt Gammersbach: Dann frage ich den Angeklagten, ober sich durch die Bemerkung des Direktors Schellmann, in dervon dem Verfasser des anonymen Briefes die Rede ist, persönlichbeleidigt fühlt?— Angekl.: Ja wohl.— RechtsanwaltG a m m e r s b a ch: Dann beantrage ich, diese Erklärung zu Pro-tokoll zu nehmen. Nachdem dies geschehen, fragt RechtsanwaltG am Melsbach, ob der Angeklagte nach der von ihm ab-gegebenen Erklärung sich als den Verfasser des anonymen Briefesbekenne?— Angekl.: Der Verfasser des anonymen Briesesbin ich nicht. Da ich aber als verantwortlicher Redakteur der„Reinischen Zeitung" den gesammten Inhalt derselben zu ver-treten und zu vertheidigen habe, so fühle ich mich durch die er-wähnte Bemerkung des Herrn Direktors Schellmann beleidigt.—Rechtsanwalt G a in me r s b a ch: Wenn Sie nicht der Verfasserdes Briefes sind, dann können Sie sich durch die Bemerkungauch nicht beleidigt fühlen.— Es wird alsdannmit der Beweisaufnahme fortgefahren. Der erste Zeugeist Schriftsetzer Möller: Er sei seit etwa IVe Jahren in derSetzerei der„Rheinischen Zeitung" beschäftigt. Der anonymeBrief sei auf einem großen Bogen Papier von einer unbekanntenHand geschrieben und mit vielen Korrekturen versehen gewesen.Wie der Bries in die Redaktion gekommen und wer denselben indie Setzerei gesandt, wisse er nicht. Ebenso wenig wisse er sichzu erinnern, wer die Einleitung zu dem inkriminirten Artikelgeschrieben habe.— Es erscheint hierauf als Zeuge der Vor-sreher des Landarmenhauses zu Trier, Z i e t s ch in a n n: Er seivon 1882 bis 18S3 Arbeitsinspektor und stellvertretender Direktorin Brauweiler gewesen. Direktor Schellmann sei wohl ein sehrstrenger, aber ein sehr gerechter Mann gewesen, der ganz besonders wohlwollend gegen die ihm unterstellten Beamten war.Den Häuslingen stand das Beschwerderecht an den DirektorSchellmann zu, es hatten sich täglich Häuslings zum Rapportvor den Direktor führen lassen.— Rechtsanwalt G a m m e r sbach: Diese Bemerknng könnte zu Jrrthümern Veranlassunggeben. Haben sich täglich Korrigenden vorführen lassen, um Be.schwerden vorzubringen, oder waren es nicht zumeist Gesuche,die die Korrigenden vorzutragen hatten?— Z e n g e: In denmeiste» Fällen, raren es allerdings Gesuche. Auf ferneresBefrage» bekundet der Zeuge: Das Arbeilspensum inBrauweiler sei im allgemelnen nicht größer gewesen alsin dem jetzt von ihm in Trier geleiteten Landarmen-Hanse.—- Auf Befragen des Rechtsanwalts Gammers-bach deponirt der Zeuge, daß ihn, niemals eine Klage von denBeamten oder Häuslingen über Willkür des Direktors Schell-manil bekannt geworden sei.— Im weiteren bekundet der Zeugeauf Befragen: Es werden Häuslinge auch zu Land- und Straßen-banarbeilen verwendet. Die Häuslinge verrichten diese Arbeitensehr gern, da sie dadurch in frische Luft kommen. Daß dieHäuslinge in großer Kälte in unzulänglicher Kleidung mit nureiner Art Sack bekleidet, im Freien arbeiten mußten, sei un-richtig.— Die Zeugen Gutsbesitzer Pauli und Pin gen er-klären, daß die Häuslinge, die bei ihnen gearbeitet hätten, de»,Direktor nur günstiges nachgesagt hätten. P i n g e n meint, dieHäuslinge hätten es besser als viele freie Arbeiter.— ZeugeLandesrath Brandts(Düsseldorf), der die Anstaltenmit und ohne Vorwisscn des Direktors revidirt hat,weiß über diesen, wie über die Einrichtungen nurgutes zu bekunden. Verth.: War dem Herrn Landesrath vordem Fall Wodtke bekannt, daß, trotz eines Ministerialreskriplsvon 1872, laut welchem die Anlegung des Maulkorbs oder derMundbinde untersagt war, der Korriaendin Wodtke der Maul-korb angelegt wurde?— Z e u g e: Ich vermag hierüber nichtszu bekunde», da der Fall Wodtke im Mai 1393 passirte, ich aberdas Dezernat im Novemher 1833 übernahm.— Verth.: Istes möglich, Herr Landesrath, daß die beabsichtigten Revisionendurch andere Personen in der Vrauwciler Anstalt bekannt geworden sind?— Zeuge: Das kann ich nicht wiffen, möglichist es ja.— Es wird hieraus die Aussage des kommissarischvernommenen Brauweiler Anstaltsarztes Dr. B o d e t verlesen.Dieser hat bekundet: Sobald Mißhandlungen von Häus-lingen seitens der Aufseher gemeldet wurden, habe ergegen die Ausseher sofort Anzeige erstattet. Epileptikerwerden mit Bromkali behandelt. Die Zwangsjacke»verde nurauf seine ausdrückliche Anweisung angelegt. Erst nach dem FallNunst und TvistenstszÄsk.Das Schauspielhaus wollte den Schriftsteller HeinrichKruse, der am Sonnlag seinen 80. Geburtstag feierte, durchWiederausnahme seiner Tragödie Marino Faliero besonders ehren.Befremdlich bleibt es, wie gerade ein Theater zu dieser Ehrungkam. Denn zur Bühne zog den Schriftsteller Kruse stets nur«nerwiderte Sehnsucht hin. Zwar erhielt er einmal für seinDrama„Die Gräfin" zugleich mit Emanuel Geibel(„Sopho-nisbe") den Schillerpreis. Aber seine dramatische Kunstwar damals stets nur Epigonenthum und in gewissemSinne gebildeler Dilettantismus. In literarischen Sammel-werken, die durch unglaubliche Anhäusnna von Namen einerLiteraturgeschichte beinahe so ähnlich sehen, wie Kürschner'sCchriftstellerlerikon einer Uebersicht über die wirklichen Schrift-steller Deutschlands wird Kruse noch mit Ehren genannt. In,übrigen klang die Kunde vom 80. Geburtstag Kruse's zu unsherüber, wie eine Nachricht über einen lang Verschollenen.Vielleicht wollte das Schauspielhaus den PublizistenKruse seiern, den langjährigen Chef und Vertreter der„KölnischenZeitung". In den Zeiten bitterster Reaktion 185S übernahmKruse die Leitung der„Kölnischen Zeitung". Dies Blatt hatteeine schwere Krise zu bestehen. Sein Chef Brüggemann war einAllliberaler, der sich den verschärften Zensurmaßregeln undanderen rauh-reaktionäre» Bestimmungen nicht fügen wollte. Ermußte gehen, oder der Bestand der„Kölnischen" war gefährdet.Da sprang Heinrich Kruse, der allzeit Gesügige. ein, und ersprang nachher oft genug noch ei» und stets wieder ein, bisdas Blatt an, Rhein zur Wellkloake wurde, als diewir alle es kennen gelernt haben. Unsagbar viel ge-heuchelt wurde in der Presse an Kruse's achtzigstem Geburtstag;das Publikum im Theater aber ließ sich durcvaus nicht einsangen.Es langweilte fich ehrlich und als der polternde Doge von VenedigMarino Faliero endlich enthauptet war, da athmete ein Theildes Publikums erleichtert ans, ein guderer zischte. Der Dogewill mit Hilfe des Volks die unerträgliche venetianische Junker-wirlhschast, das Privileg der Signoria brechen und träumt vonWodtke habe er von dem Ministcrialreskript, wonach die An-wendung der Mundbinde, sowie der Hand- und Fußfesseln unter-sagt sei, Kcnntniß erhalten. Wege» Köstentziehung sei er niemalsbefragt worden. Wenn jedoch mit der Kostentziehung Arrest-strafe verbunden sei, dann nntersuche er vorher den Körper-zustand des betr. Häuslings, um festzustellen, ob derselbe im ständesein werde, die über ihn verhängte Strafe, ohne an seiner Ge-sundheit Schaden zu nehmen, auszuhallen. Es sei ihm nicht be-kannt, daß krankhafte Hänslinge n, eine Arrestzelle statt in dasLazareth geschafft wurden, es sei denn, daß er solche Häft-linge als Simulanten erklärt halte. Er habe stets seine dies-bezüglichen Urtheile selbständig abgegeben. Er lasse sich inseine ärztlichen Gutachten oder Anordnungen nicht hineinreden,allerdings dienen ihn, die Angaben des Direktors oder der Auf-seher zum theil als Grundlage. Es sei ihm nicht bekannt, daßKorrigenden wegen Kostentziehuiig oder Mißhandlungen gestorbenseien. Die Korrigenden seien vielfach durch übermäßigen Alkohol-genuß und durch das unregelmäßige schlechte Leben, das dieselbenvor Einlieferung in die Anstalt gewöhnlich führen, so sehr ge-schwächt, daß der Tod vielfach sehr schnell eintrete. Daß miteinem Gummischlauch oder mit einem Seil in Brauweiler ge-schlagen worden, sei ihm nicht bekannt. Es habe niemals ei»Häusling geklagt, daß ihm Löcher in de» Kopf geschlagen wordenseien. Der Häusling Haarhaus habe ihm allerdings einmal ge-klagt, daß er von dem Aufseher Machler auf den Kopf geschlagenworden sei. Machler sei auf sein(des Zeugen) Anzeige des-halb auch bestraft worden. Er habe niemals an einer LeicheSpure» von Hand- oder Fußfessel,, wahrgenommen. Es sei ein-mal von Häuslingen und eine», Werkmeister über große Kältein, Webcsale Klage geführt worden. Er habe dies dem DirektorSchellmann mitgetheilt. Infolgedessen wurde der Webesaal Tagund Nacht geheizt. Die Bekleidung der Häuslinge war einedurchaus zweckentsprechende.— Es erscheint dann als ZeugeDr. med. Bardenheier. Er sei von Anfang 1883 bisApril 1393 an der Anatomie in Bonn beschäftigt gewesen.Dieser Anatomie seien Leichen aus Werden, Brauweiler undanderen Anstalten eingeliefert worden. Er könne sich nun ansdie aus Brauweiler gekommenen Leichen nicht speziell er-inner». Im allgemeinen könne er aber sagen, daß erbei keiner Leiche wahrgenommen habe, daß der Tod durchKostentziehung oder Mißhandlung erfolgt sei.— Verth.: Ichverzichte auf einen weiteren Beweis nach dieser Richtung.—Auf Befragen des Vertreters der Nebenkläger, RechtsanwaltsGammersbach erklärt Direktor Schellmann: Die in Brau-weiler Verstorbenen werden, wenn dieselbe» nicht an ansteckendenKrankheiten gestorben, oder von den Aiigehörigcli nicht reklamirtwerde», sämmtlich der Anatomie in Bonn überwicscn, wenn nichtgerade Universitätsferien seien.— Staatsanwalt: Wirdnun behauptet, daß die wegen Kostentziehung oder MißhandlungVerstorbenen gerade während der Üniversilätsferien gestorbensind?— Verth.: ES wird diesseits behauptet, daß diejenigenLeichen, bei denen der Tod durch Köstentziehung oder Mißhand-luu.g erfolgt war, nicht nach Bonn geschafft wurden.Präs.: Dann behaupten Sie also, daß Direktor Schell-man» die Unwahrheit gesagt hat? Verth.: Allerdings.—Es wird die Aussage des im Juni d. I. vor dem Amtsgerichtzu Dirschau kommissarisch vernoimneuen Werkmeisters Wesselverlesen. Danach hat dieser bekundet: Er sei einige Zeit aufBetreiben seiner Ehefrau, mit der er in Scheidung lag, vomAmtsgericht zu Köln für geisteskrank erklärt und entmündigtworden. Diese Entmündigung sei aber längst wieder ans-gehoben. Er sei eine Zeitlang in Brauweiler als Werkmeisterbeschäftigt gewesen und habe gehört, daß insbesondere vor de»,Eall Wodtke vielfach die Häuslinge geschlagen worden seien.in Aufseher Schiefer habe sich dessen ausdrücklich ge-rühmt.— Der Präsident bemerkt, daß Schiefer als Zeugegeladen und gegen diesen auch ein Strafverfahren schwebe.Wessel hat im weiteren bekundet: Es wurden mehrfach Häus-linge mit Arbeiten ü b e r l a st e t. Konnten diese fdas Pensumnicht leiste», da»,, wurde denselben auf drei Tage die warmeKost entzogen, oftmals trat noch Dunkelarrest hinzu. EinemHäusling, namens Schmidt, der sein Pensum beim besten Willennicht bewältigen konnte, habe der Zeuge gerathe», sich krank zumelden. Dieser sei mit 5i o st e n tz, e h u n g und Arrestb e st r a f t worden. Ein Häusling, namens Schäfer, habe aufihn den zweifellosen Eindruck eines Jnsinnigen gemacht. DerMann habe außerdem an epileptischen Ansällin gelitten. Er habeeinmal»ut einem Meißel nach ihm(dem Zeugen) geworfen, so daßer am Kopfe auch verwundet wurde. Er sei daher geuöthigt ge-wesen, dies dem Direktor Schellmann zu melde». Letzterer habeihn gefragt, ob er die Bestrafung des Mannes verlange. Dieshabe er verneint mit dem Bemerken, daß der Mann augenscheinlichgeisteskrank sei. Auf Anordnung des Direktors Schellmann sei nunSchäfer 8 Wochen in die„Cachotte" gesperrt worden und habenur jeden vierten Tag warme Kost erhalten. Schäfer sei außer-den, geschlagen und gefesselt worden. Er habe indieser Behandlung ein großes Unrecht gesehen, zumal Schäferseiner Meinung nach vollständig geisteskrank war und in eineIrrenanstalt gehörte. Nachdem Schäfer aus der„Cachotte"einer Fürstenkrone aus Goltesgnadenthum. Dem Volk sollendann nicht allzu viel, aber doch etliche konstitutionelle Rechtegewährt werden. Diese Weisheit wird in lehrhaft-trockenemStil vorgetragen; und unbewegt blieb man durch die steis-würde-volle Darstellung des Dogen durch Herrn N e s p e r.Die Gesellschaft deutscher Dramatiker. Es hat ja offen-bar sein Gutes in der Weltstadt Berlin, daß das Genie, solangees von der großen Menge noch nicht anerkannt worden ist.gleichverkannte Seelen siudet, mit denen es zum Zwecke möglichstgleichmäßigen Applaudissements in aller Form einen Gegen-seitigkeitsvertrag eingehen kann. Dies bleibt eine unschuldigeFreude, solange die Vertreter des Genies ganz unter sich bleibe»;bösartig wird die Geschichte aber, wen» die Herrschaften ver-suchen, arglose Leute des schönen Sonntag,, achmittags zu berauben.Solche Tücke würde den Leute» unvergessen bleiben, auch wennsie minder große Unthatc» begangen hätten, als man sie in dervorgestrigen Nachmittagsvorstellung imZentraltheater erleben mußte.Dre, Stücke wurden„versucht", zwar nur Einakter, aber dennochschwere Jungen. Das erste hieß„Das Recht der Meinung. Einealt-babylonische Legende". An diesem waren wenigstens dieVerse leicht und flüssig, wenn der Dichter auch seinen Vorwurfmit bezaubernder Naivität behandelte. Die Legende führt uns ineine Umsturzvorlage hinein, die der Exilarch des Original-Sünden-babel erlassen hat und über deren Werth er sich mit den damaligenSchmierfinken auf offener Straße so gemüthlich wie den Umständenangeinessen unterhält. Der Knoten wird mit rührender Genialitätgelöst. Die Schmierfinken bringen dem Potentaten die lieber-zengung bei, daß sein Minister ein ganz infamigtcr Kerl sei.Der Minister wird lukanisirt. Allgemeine Umarmung. Als Ver-sasfer bekannte sich ein Berliner Kaufiua»», dem wir in seinemeigenen Interesse wünschen wolle», daß er in der rauhen Prosades Lebens die Dinge weniger naiv ansieht, als in feinenpoetischen Leistungen. Nachdem sämmtliche Vereinsmitgliederdem Dichter seine Genialität durch unermüdlichen Beifallbezeugt hatten, trat dank der geniale» Regie einehalbstündige Pause ein. Dann kam ein Drama„Tyrannen",das alle» gnlgesinnlen Unternehmer», Befehlshabern von katholi-herauskam, sei er einige Tage darauf versiorbe».— Es erscheintdanach als Zeuge Sanitätsrath Dr. L a u d a. Dieser! bekundet:Werkmeister Wessel sei infolge Anzeige feiner Frau von ihmuntersucht und beobachtet worden. Wessel, der nach Angabeseiner Frau die unglaublichsten Dinge gemacht, sei infolge über»mäßigen Alkoholgenusses Epileptiker geworden. Er habe den-selben als dauernd für geisteskrank erklärt, und sei der Ueber-zeugnng, daß er auch jetzt noch geisteskrank sei.In der Nachmittagssitzung bekundet Sanitälsrath Dr. Lau daweiter, daß Wessel zu Dr. Ndcnthal einmal sagte:„Wenn ichSie ersteche, so kann mir nichts po.ssiren, denn ich bin ja alsgeisteskrank erklärt."— Verth.: U't dieser Dr. Udenlhal nichtderselbe, den Wessel im Verdacht hatte, daß er mit seiner Frauvervotenen Verkehr unterhalte?— Sanitätsrath Dr. Lauda:Das hat er in Abrede gestellt. Es wird hierauf von demDolmetscher der englischen Sprache, Kanzleigehilfen G o t t s ch a l k,die Aussage des in London kommissarisch vernommenen Zeitungs-korrespoudenten P o l i t t verlesen. Danach hat dieser bekundet:Er habe sich mit Hilfe eines Dolmetschers dem DirektorSchellmann als englischer Journalist vorgestellt und diesengebeten, ihm die Einrichtungen der Anstalt zu zeigen.Direktor Schellmann habe ihn sehr freundlich empfange»,Er habe ihm mitgetheilt, daß die Männer inmelsZwangsjacke undeiser neu Fesseln, die Weiber durchAnlegung eines Maulkorbs bestrast werden. Er habe diesfür kau», glaublich gehalten. Er habe alsdann dieLeute beim Essen beobachtet und von Schellmann gehört.daß diejenigen Korrigenden, die ihr Morgenpcnsum nicht auf-gearbeitet habe», kein Mittagsmahl erhalten. Schell-man habe ihm milgelheilt, daß die Korrigenden Gefangene seren.Er habe, wenn die Korrigenden nach ihrer Entlassung keineArbeit finde», das Recht der Wiederarretirung. Schellmann habeihn n. a. in eine Zelle geführt, wo ein junger Man» mit derFabrikation von Slrohhülen beschäftigt war. Direktor Schellmannhabe den jungen Mann wie einen Schulbuben am Ohr ge-n omme n und ihm mitgetheilt, daß der junge Mann andemselben Morgen gezüchtigt worden sei. Er(Zeuge) habeim Hose der Anstalt Leute arbeiten sehen, die mit einem sack-artige» Gegenstände bekleidet waren, so daß man die Haut sehe»konnte. Es war damals gerade sehr kalt und er gewann denEindruck, daß die Leute sehr unter der Kälte litten. Im Uebrigenhabe er nicht wahrgenomnien, daß die Korrigenden init Rohheilund Hartherzigkeit behandelt wurden, zumal wenn n>an erwäge,daß eme strenge Ordnung doch aufrecht erhalten werden müsse.Es erscheint hierauf als Zeugin die achtzehnjährige Kor-rigendin Anna Zimmer. Auf Antrag des Vertheidigers ersuchtder Präsident den Direktor Schellmann, während der Ver-nehmung dieser Zeugin den Saal zu verlassen. Die Zeugin.die einen sehr»»sicheren und befangenen Eindruck macht, bekundetauf Befrage» des Präsidenten: Sie sei seit 17 Monaten in derBrauweiler Arbeitsaustalt. Sie sei zunächst mit Henidennähenbeschäftigt gewesen. Sie sollte täglich 6 Hemden nähen, d. b.nur„reihen", sie habe das Pensum aber nur zur Hälfte erledige»können, deshalb sei sie drei Tage mit Kostentziehung bestraftworden. Alsdann habe sie Düten machen gelernt und solltetäglich 7ö0 Düten machen. Da sie auch dies Pensum nicht er-ledige» konnte, so sei sie wiederum mit drei Tagen Kost-entziehung bestrast worden. Daraus habe sie das Bürstcnmachenund zuletzt das Spulen gelernt und habe auch dabei das Pensumnicht machen können. Sie sei auch deshalb mit Kostentziehungund Arrest, das letzte Mal mit 36 Stunde», bestraftworden.— Präs.: Sind Sie nicht auch wegen anderer Ver-gehe» bestrast worden?— Zeugin(nach längerem Zögern):Ich habe schließlich die Arbeit verweigert.— Präs.: Weshalbverweigerten Sie die Arbeit?— Zeugin: Weil ich imnier einso großes Pensum zu arbeiten bekam.— Die Zeugin bekundeti», weiteren aus Befragen: Sie habe einmal ans Versehe» eineFensterscheibe zerbrochen, deshalb sei sie von dem P a st o rP e i n e r mit einem Seil geschlagen worden.Pastor Peiner habe dies außerdem dem Direktor Schellmannangezeigt. Dieser habe sie zu 5 Tagen Arrest verurtheilt undihr auch noch die Kosten für die zerbrochene Scheibe abgezogen.HerrenWußtenZeugin: Ja.— Präs.: Wer hatte Ihne» das gesagt?— Zeugin:Herr Direktor Schellmann.— Präs.: Sie haben sich aber trotzdemnicht beschwert?— Zeugin: Nein.— Präs.: Hielte» Sie IhreBestrafung für gerecht?— Zeugin: Ja.— AngeklagterH o s r i ch t e r: Haben Sie nicht befürchtet, daß Sie sich dnrcheine Beschwerde bei den Düsseldorfer Herren U„ a n n e h n, l i ch«leiten machen könnten?— Z e u g i n: I a w o h l.— P r ä-s i d e n t: Erhielten Sie, wenn Sie nicht Kostentziehung hatten?zur genüge zu esse»?— Zeugin: Jawohl.— Präsident:War die Kleidung ausreichend?— Zeugin: Jawohl.—R.-A. Gümmers back: Ich überreich« hier die Personalaklen.Danach ist die Zeugin nicht mit 5 Tagen, sondern mit 24 Stundenbestraft worden.— Direktor Schellmann, der hieraufwieder in den Saal gerufen wird, bemerkt: Die Zimmer sei nichtscheu„Arbeitervereinen" und sonstigen Leuten, die ein dringendesBedürfuiß zur Vernichtung des Unisturzes in sich spüren, garnichtlebhaft genug empfohlen werden kann. Es schildert die ganzeSchuftigkeit eines sozialdemokratische» Agitators, der im Berg-arbeiterrevier nicht allein die Streikenden aufhetzt, sondernauch Urkunden stiehlt und die von ihm entführte Frau einesPastors elend im Stiche läßt. Aber die Sache nimmt ein gutesEnde: Der Kerl wird von de» Bergleuten, die noch zur rechten Zeitinne geworden sind, was für Goldherzen sie an ihren Ausbeuternhabe», jämmerlich durchgeprügelt. Mit«ine», Dankgebet desguten Pastors schließt das Stück, das ein Oberlehrer des Städt-chens Köthel, pflichtschuldigst verfaßt hat. Abermaliger anhaltenderBeifall und abermalig- halbstündige Pause. Dann kam eineMärchenkomödie„Prinzessin Sida", in der ein preußischer Patent-Schneidiger einer indischen Fürstin zeigt, wie er mit Prostituirtenumzugehen gewohnt ist. Die Idee wäre nicht so übel; wenn derVerfasser nur vom Theater und dramatischen Lebe» eine Ahnunggehabt hätte. Selbstverständlich nochmals rasender Beifall. II»,K>/4 Uhr abends war die Qual zu Ende. Möge die Gesellschaftdeutscher Dramatiker nicht länger die Mitwelt behelligen.Das Alrxandcrplati-Thcatcr hat sich„Fortunios Lied".Meister Offenbach's reizende Operette zugelegt. Die Wieder-aufführung des Singspiels mit der lieblichen Melodicnfüllc ließabermals mit Wehmuth erkennen, wie sehr doch die Operette inder Gegenwart herunter gekommen ist. Was würde ein Kom-.ponist von heule wohl darum gebe», wein, ihm dieSchätze für einige Dreiakter zu Gebote stünden, dieder Altmeister sich hier genial für ein leicht hingeworfenesSingspiel aus dem Aermel geschüttelt hat! Die Aufführungzeigte sich, von einigen Unsicherheiten abgesehen, auf der Höhe.Herr Hoffinann war der eifersüchtige Brummbart, wie er rmBuche steht, und die Damen Szilassig und Michetti waren gesanglich und im Spiel völlig in ihren Hosenrollen am Platze.Auch die junge Advokatengatlin fand in Frl. Milte,, eine braveVertreterin, desgleichen war die Köchin Babette bei Fr. Pauletgut ausgehoben. Recht»insicher erwies sich steflemveise noch dasEnsemble.