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Abendausgabe

Nr. 476

B 236

45.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt e

Montag 8. Oftober 1928

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Der Anstifter gezüchtigt!

Die Nachwirkungen des kommunistischen Banditenstreichs.

Während des Sonntags hatte die Kriminalpolizei nach dem tommunistischen Landtagsabgeordneten Schulz- Neu­kölln gefahndet, der, falls man ihn binnen 24 Stunden er­griffen hätte, wegen Teilnahme an dem Bandenüber fall und der Freiheitsberaubung verhaftet werden fonnte. Natürlich blieben die Nachforschungen ergebnislos, da fich Schulz, wie man inzwischen erfährt, während der ganzen Zwischenzeit im Reichstag verborgen hatte. Ganz ftraffrei ist er indeffen nicht ausgegangen. Durch einen fonder­baren Zufall wurde er turz nach Mitternacht in der Nordfüd­bahn von einem anderen Vorwärts"-Redakteur, dem Ge­noffen Bittor Schiff, erfannt, der ihm nach einem furzen Wortwechsel einen Fauftschlag ins Geficht verfekte. Darüber erhalten wir vom Genossen Bittor Schiff folgende Darstellung:

Gegen Mitternacht stieg ich in der Nordsüdbahn am Bahnhof Hallesches Tor aus, als zufällig durch die gleiche Tür ein Mann ein. stieg, den ich sofort als den Abgeordneten Schulz- Neukölln era farmte, deffen Antlig mir seit irgendeiner kommunistischen Küpel zene im Bandtag, an der er hervorragend beteiligt gewesen war, in der Erinnerung haftete. Sturz entschlossen tehrte ich in den Bagen zurüd und fuhr weiter. Ich überlegte, was zu tun sei. Eine Verhaftung tam nicht mehr in Frage. Andererseits war mir der Gedanke unerträglich, daß dieser. Mann, der als Anstifter und Mittäter an der Revolveraftion gegen meinen Kollegen 233r Bolfgang Shwarz beteiligt gewesen war, min unter dem Schutz seiner wiedergewonnenen Immunität gänzlich straffrei hervorgehen sollte.

Schulz fühlte sich offenbar von mir beobachtet, tannte mich aber nicht. Am Bahnhof Hermannplatz leerte sich der bis dahin dicht besetzte Wagen. Auch Schulz schien zunächst aussteigen zu wollen, morauf ich gleichfalls zur Tür schritt. Darauf blieb er im Wagen ftehen. Nun trat ich auf ihn zu und sagte zu ihm:

Herr Schulz, Sie gehen mir heute nicht mehr durch die Finger!" Schulz nahm bei dieser Anrede offenbar an, daß ich ein Krimi­nalbeamter sei und antwortete halb barsch, halb höhnisch mit einer deutlichen Anspielung auf seine( von ihm so schnöde miß­brauchte) Immunität:

Sie fömmen mir nichts mehr machen!"

Auf diese Antwort war ich vorbereitet und fuhr fort: " Jawohl, ich bin im Bilde, Sie vertrieden sich hinter Ihre Immunität. Gegen eine Verhaftung sind Sie zwar jetzt immun, aber nicht gegen meine- Faust!"

Nach diesen Worten versetzte ich ihm einen Schlagins Ge liht. Im fahrenden Zug entspann sich ein heftiges Ringen, wobei mir beide auf die Bant direkt an der Ausgangstür fielen und ich feine Brille ergriff, die dabei entzwei ging.

Inzwischen war der Zug im Bahnhof Rathaus Neukölln eingelaufen. Es erschien ein U- Bahnbeamter, der sich als Hilfs polizeiorgan legitimierte und uns aufforderte, ihm zu folgen, was ich viel bereitwilliger tat als Schulz. Unterwegs zum Dienftraum brachte Schulz einen schier unerschöpflichen Vorrat von Schimpfwörtern an, und machte wiederholt Miene, sich auf mich zu stürzen, aber es blicb jedesmal bei einem höchst komischen Anlauf. Als indessen der Beamte ihn aufforderte, sich ruhig zu ver­halten und von Widerstand gegen die Staatsgewalt" sprach, wurde er shon manierlicher. Wir legitimierten uns beide im Dienstraum. Ich erklärte dem Beamten, daß ich mich zu meinem Angriff aus­brücklich bekenne, und daß ich es für unerläßlich gehalten hätte, den von der Polizei gesuchten Anstifter zu einer Straftat zu züchtigen, nachdem er jetzt nicht mehr verhaftet werden könne. Um so mehr fetzte Schulz dem Beamten sehr eifrig auseinander, daß er nur auf frischer Tat bzw. 24 Stunden nach einem begangenen Berbrechen verhaftet werden könnte, daß seine Tat aber kein Verbrechen sei und die 24 Stunden vorüber seien. Ich bestätigte das ausdrücklich und als der Beamte mih nochmals fragte, ob ich die Herbeirufung der Bolizei wünschte, fagte ich, daß ich es weder verlangte, noch ihm da zu raten könnte, da es unter den gegebenen Umständen doch zwed. los märe. Im übrigen hätte idy meinen 3wed erreicht.

Zwischendurch beschimpfte mich Schulz weiter, als aber die an­gesammelte Menge von mir erfuhr, mer er sei und aus welchen persönlichen Solidaritätsgründen ich gehandelt hatte, nahm sie

Der Schauplatz der Tragödie Treiber.

Heiligenblut , 1297 Meter über dem Meere, ist das höchstgelegene Kirchdorf Kärntens . Seinen Namen führt es nach einem Fläsch chen Blute Christi", das als größtes Heiligtum in der im Jahre 1483 erbauten Kirche aufbewahrt wird. Rings um die Kirche liegt der kleine Bergfriedhof, auf dem viele Opfer der Berge ihre letzte Ruhe gefunden haben, auch die Frau Treiber, bekannt aus dem am Sonnabend zu Ende gegangenen Prozeß. Umgeben von gewal tigen Bergen, ist Heiligenblut der Ausgangspunkt für viele Hoch­touren. Zahlreiche Hütten auf den Höhen erleichtern den Touristen

die Besteigung der Gipfel. Nordwestlich erhebt sich, in ewiges Eis und Schnee gehüllt, die schlanke Pyramide des Großglodner. Unter ihm zieht sich zu seinen Füßen die 10 Kilometer lange Pasterze, der größte Gletscher der Ostalpen, bis zum Glodner­haus hinunter. Noch vor etwa 200 Jahren schob sich seine Zunge bis dicht an die Bauernhäuser von Heiligenblut . Hier zweigt auch das Fleißtal ab, das nach dem Hohen Sonnblick und dem Goldzech­horn führt, an dessen steilen Wänden sich die Tragödie Treibers abspielte.

Ruhe in Wiener Neustadt .

Blamage der Faschisten- Triumph der Abwehraktion.

Wien , 8. Oftober.( Eigenbericht.)

Der Sonntag war fowohl in Wiener - neuftamt wie in Leoben ein großer Triumph für die sozialdemokratische Arbeiterschaft. Der Aufmarsch der Heimwehr in Wiener- Neustadt , mit solcher Reklame angekündigt, war eine Blamage. Die Heimwehr hatte 18 000 Heimwehrleute angekündigt, es find aber trotz aller Agitation höchstens 12 000 gekommen. Der Aufmarsch ist der vollständigen Gleichgültigkeit der Bevölkerung begegnet.

Die Abteilungen der Heimwehr marschierten in Viererreihen mit großen 3wischenräumen, damit der Bug länger aussehen sollte, schweigend und ohne Musik durch die Straßen zwischen ganz dünnen Spalieren, die hauptsächlich aus Kriminalbeamten und Journalisten bestanden. Die Straßen, durch die die Heimwehr zog, waren von roten Fahnen ein­gesäumt. In den Zügen der Heimwehr marschierten auch mon monarchistische Frontfämpfer", flerifale Studenten und ehemalige Offiziere mit ihren habsburgischen Auszeichnungen. Kurz nach 11 1hr, noch früher, als man angenommen hatte, war der Zug Der Heimwehr vorüber. Um% 12 Uhr trat

der Zug der Sozialdemokraten

den Marsch an. Er wurde eröffnet von einem Aufgebot des Schuß bundes mit Stahlheimen. Dann folgten Fahnen, Sänger

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und Musikkapellen und eine riesige Menge Arbeiter, aud) besonders viele Frauen. Die Nachhut bildeten uniformierte Schutzbündler. Um 12 Uhr hatte der Zug der sozialdemokratischen Arbeiter des Industriegebiets von Wiener Neustadt begonnen. Dieser Aufmarsch dauerte bis 41 Uhr. Dann wurde auf dem Hauptplaß eine Massen­versammlung abgehalten, in der u. a. Abg. Dr. Renner erklärte: Alle Wege führen nach Rom, aber für Herrn Steidle führt kein Weg nach Wien . Die sozialdemokratische Arbeiterschaft ist eine unüber. steigbare Mauer gegen den Faschismus. Wiener Neustadt ist ein unüberwindliches Vorwerk von Wien !

Die Versammlung dauerte nicht lange, und der Jug ging weiter. Dann erfolgte der Aufmarsch der Arbeitersportverbände. An der Spize Motor- und Radfahrer. Um 2 begann dann

der Aufmarsch der 20 000 Schutzbündler. Eine unübersehbare Menge, die von dem Spalier der Arbeiterschaft stürmisch bejubelt wurde. Zuerst die Schußbündler des Industrie­gebietes, dahinter die Schutzbündler von Wien . Der Aufmarsch des Schutzbundes dauerte volle zwei Stunden. Auf dem Haupt­plaz begann gegen 4 Uhr eine neue Versammlung Abg. Julius Deutsch erklärte, daß jeder Versuch, etne faschistische oder eine andere Diktatur aufzurichten, nur mit dem vollständigen Zusammena bruch enden könne. Einer von den drei Delegierten der bel. gischen Arbeitermiliz fagte, daß die belgischen Arbeiter das Beispiel des Republikanischen Schußbundes nachahmen würden. Als

geradezu einmütig Partei für mich und belegte Schulz mit höhnischen Die Tragödie der Hausangestellten. Lester pradh Abg. Paul Richter Wien , der den Schußbündlern

Burufen: Der nennt sich Boltsvertreter! Bfui Teufel!" Mehrere Arbeiter, die die Szene im Wagen zunächst verständnislos be­abachtet hatten und mit uns ausgestiegen waren, machten mir dann Borwürfe weil ich nicht früher im Zuge ganz laut auf Schulz

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( Forthegung auf der 2. Seite.)

Bericht Beilage 1. Seite.

Verkehrsunfälle am Sonntag.

Bericht 2. Seite.

den Dank der ganzen sozialdemokratischen Arbeiter Desterreichs über­mittelte. Im Namen der Wiener- Neustädter dankte Vizebürgermeister Büchler.

Um 4 Uhr nachmittags war der legte Heimwehrmann bereits am Biehbahnhof verladen. Etwa um 6 Uhr, als die Ver.