Ttr. 487* 45. Jahrgang
1. Ssisage des Vorwärts
Gonniag. 44. Okiober 4928
3>as leuchtende ffierlin 3)ie Jjiclüermaslte und eine knappe
Jllumimert— die Stadt ist illuminiert— die Bürgerschaft hat illuminiert— ein Ueberfchwang der Gefühle sollte sich in der Licht- fülle ausdrücken: die Nad)t zum Tage machen— was könnte sinnvoll«? sein, um einem„geliebten Fürsten " seine Verehrung auszu- drücken? S o wenigstens sah das Zeitalter des mehr oder weniger brutalen Despotismus die leuchtende vi a s t« an, die sich dann und wann die Stadt vorband: eine gewisser- mähen befohlene Huldigung, der sich die meisten seufzend unterzogen. Und das ging bis in die neuest« Zeit so. Wer sich noch der„Illumination zu Kaiser» Geburtstag" erinnert, der weih, doh nur die öffentlichen Ge- l-äude in gleichem Maße durch- hielten, während die Bürgerschaft >nit den Lichtern an den Fenstern immer sparsamer wurde...„Nur die„Hoflieferanten" haben illuminiert"— im geheimen gingen diese Wort« van Mund zu Mund— öffentlich redete man von der glänz- vollen Illumination. Oie ganz alte Zeit. Früher zählt« das Volk(Plebs!) ja nicht, wenn Bezishungen zum „angestammten Herrscherhause" zum Ausdruck gebracht werden sollten. Di« Herrschenden, die auf dem Standpunkt Ludwigs XIV. standen: der Staat bin � ich— zahlten aus dem vom Volk erpreßten Staatsschah die kosten für die Beleuchtung und Aenerwerkerei: beide flammen- und funkenspeiend« Erscheinungen hingen eng zusammen, und das dritte Element im Bunde war der Knall der'Büchsen, das Echo der„Freudenschüffe". Bon dem Prunk, de» diese Serenissimus-Zeit, etwa im 18. Jahrhundert, entfaltet«, gibt unser Bild vom Jahre 1742 ein« gut« Vorstellung. Der«iherordent- liche russisch« Gesandt« Graf v. Ezernichcu bot den Berlinern eine Beleuchtung seine, Hauses zur Feier der Krönung„Ihrer Siussischcn Kaiserlichen MofestSt Elisabeth Petrowno". Man kann sich vorstellen, -ftifTilter Ausbau dieser vön Küvstlerhand entworfrncn Dekoration und l*,» Leuchten der vielen Flammen einen schönen Batzen Geld per- schlang. Laß unter dem Volk jener Zeit bis zur französischen Reoolu- tion und speziell in Berlin noch weit über diese hinaus, bis zur Ex- plosion des Dolksumvillens im Jahre 1848 der servile Bewunderung vlles. was nach Hosseftlichkeit und Schougepränge aussah, gong und gäbe war. lehren die kritischen Worte über die Trauer unter den ..Kodettenmüttern" und„Kadettenschwestern", die noch 1848 von demokratisch denkenden Schilderern der Berliner Zustände»er- ösfentlicht wurden. Die Feuerwerksrevolution 4885. Ein gewisses Berliner Publikum hott« schon in den dreißiger Jahren, in den Zeiten der schändlichen Verfolgung der wahren Patrioten, die Verehrung des Königs Friedrich Wilhelm Ill„ des
„Gerechten ", in seiner Art betrieben:„Geburtstagsfeier am 3. August mit allerlei Lustbarkeiten und Feuerwerk, wobei es Sitte geworden war, des Abends auf den Straßen mit Schießen Lärm zu machen. Das Ueberhandnehmen dieser patriotischen Gepflogenheiten führt« dazu, daß die Polizei 1835 mit Gendarmen gegen die Unruhestlsler vorging, aber sie erreichte ihren Zweck nicht. Widerstand wurde
geleistet, und„tagelang herrschte— so schreibt Stadtarchivar Claus- witz weiter— die ärgste Unsicherheit in den Straßen. Das Militär mußte einschreiten, und noch noch dem 5. August konnte nur durch Militärpatrouillen die Ruhe aufrechterhalten werden". Dieser Kra- keel ist als unpolitische Feuerwerksrevolution in die Annalen der Geschichte eingetragen worden. Die spätere GaSperwde. Im Jahre 1826 war Berlin mit Dos beschenkt worden— die attiL Oalsbnzel und das Stearinlicht kamen allmählich in Vergessen- hell; das Petroleumlicht erschien erst in den fünfziger Jahren, gewann doNtr allerdings bald die Oberhand. Als 184V Friedrich Wilhelm Tri. gestorben war. hoffte das preußische Volk und mit ihm ganz Deutsch- land aus eine größere Freiheit. Nur zu schnell wurde man ent- täuscht, und bald stellte man den„hochseligen" über den„redseligen" Herrscher. Aber znnächst wurde der Wechsel festlich begangen: am 21. September 1810 war Einholung m Berlin. „Beleuchtung der Stadl abends— schreibt Dörnhagen von Ense — nicht sonderlich glänzend: kein Turm erleuchtet, die meisten öffentlichen Gebäude nicht, ausgenommen das Brandenburger Tor ." Wenig« Wochen später wurde in Berlin gehuldigt: es war ein regnerischer Oktobertag: „Die Beleuchtung der Stadt ist sehr reich, das Theater, das Zeug- haus, die Akademie sehr schön— der Regen aber löscht die Lampen zum Teil aus."
Dann kam jener denkwürdige Tag, wo das Volk aus eigenen, das Licht anzündete, weil es wähnte, der Freiheit eine Gasse gebohnl zu haben. Wir wollen wieder Varnhagen das Wort geben:„Z« der Nacht vom lg. zum 20. März 1845 war Berlin beleuchtei und hallte von Freudenrufen und Freudenschüssen ob des errungenen Volks. sieges. Den Ueberwundenen war dies natürlich ein Greuel. I» der Näh« des Schlosses war der Jubel am lautesten, zur Berzweif- lung der Schloßbewohner." Und nun folgte eine charakteristische Episode: der König bittet um Einstellung des Schießens wegen der Nerven der Königin. Ihm ward die Antwort: Die Königin habe das mörderische Schießen der Truppen recht gut vertragen: sie möge auch das harmlose Freudenschießen des Volkes ruhig hinnehmen... x Diese Erinnerungen an das alte und das ältere Berlin erscheinen zu den Tagen, da das moderne Berlin sich anschickt, mit den Mittel» der neuen Technik eine Lichtflut über Berlin auszugießen. Ei» Zeichen des Friedens, der Freiheit, der Arbeit— ein Symbol der geistigen Größe der„Lichtstadt" Berlin ! Ein llleer von£icht Wassenandrang In den Stertiner XicMslrafien. Berlin strahlt! Es strahlt im buchstäblichen Sinn« de« Wortes, d. h., wenn man die Höhlen des Dunkels, des Elend« und der menschlichen Not nicht sehen will, die kein Schimmer der tausend kerzigen Sonnenspender berührt. Die Deranstaller können nllt ihren, Erfolg, der ja in erster Linie der Fremdenverkehrswerbung gilt, in hohem Maß« zufrieden sein. Sie haben auch die Berliner Massen in Bewegung gebracht: sie haben sie aus den dunklen Straßen in das offene Meer des Lichtes gezogen, das durch die Hauptadern der Großstadt in ungebrochenen Strömen flutet. Solche Menschenmengen hat man in Berlin bei ähnlichen Gelegen- heilen wohl niemals gesehen. Das schob und drängte sich in unge- hemmter Folg«. Kein Fußbreit ließ sich nach freiem Enneffen passieren, man wurde in der endlosen Kette weitergeschoven. Di« Flut der Lichthungrigen zog vor allem den.Licht- bauten" entgegen: Unter den Linden , Nollendorsplatz und Graßer Stern. Dann kamen die großen Verkehrsstraßen mit den geniein- schasllichen Ausschmückungen der Geschäftswelt. Die T a in e n t z i c n-- ft r a ß e mit den beleuchteten Ballons und den angestrahlten Reklametransparenten, die L e i p z i g e r S t r a ß e mit ihrem Licht- baldachin und das Freiluftkino auf dem Sprcewaldplätz o», Görlitzer Bahnhof. Nicht weniger bildeten die angestrahlten Gebäude Berlins , etwa 5v an Zahl, den stärksten Anziehungspunkt, besonders das Reichstagsgebäude , das Brandenburger Tor , dos Schloß, dessen Apothekenflügel romantisch in der Lichtfint strahlt, dos Ratbaus und Stadthaus, das zarte Filigran des Pctrikirchturms, das schöne vor, Licht umflossene Kreuzbergdenkmal. Illuminierte Straßenbahnwagen der Linien 177, 73. 99, 87 und 187 fuhren durch die Stadt, in deren Straßen die Ladeninhaber und Warenhäuser durch zum Teil sehr effektvolle Schaufensterbeleuchtungen und Dekorationen im Rahme» eines Wettbewerbes zu der recht erfreulichen Gesamtwirkung der
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Soldat Suhren Z�oraau von Georg von der Vring Copyright 1927 hy J. M. Spaeth Verlag, Berlin . D«» Kasernenhof« winterlicher Blumenstrauß. Von Westen nach Osten erstreckt sich die breite, rote Front der Kaserne, davor liegt, ein schwarzes Quadrat, der Exerzierplatz. Ebenfalls genau westöstlich wie die Kasernen» front, die Gesichter ihr zugewandt, stehen acht Rekruten in Linie angetreten, das Gewehr bei Fuß. Es erklingt das Kommando:'..Tuchfühlung Sieben dieser Rekruten beginnen sofort hastig mit den Stiefeln zu scharren und mit dem rechten Ellbogen vor und rückwärts zu flattern, sie möchten das Tuch des rechten Nach- barn streifen: der achte aber, jener Mann am rechten Flügel, Musketier Lurtjebom, bewegt sich nicht, weil er keinen rechten Nachbarn hat. außer dem Winterwind, der von rechts über den Kosernenplatz bläst, und seinem Gewehr, dessen eisiger Lauf ihm den Daumen beißt. Der Gefreite geht hinter die Front, um die Tuchfühlung �Pfeltter hatte natürlich nicht die richtige Tuchfühlung, Pfeiffer war auch nicht vorschriftsmäßig angezogen, denn sein Koppel soß nicht im Haken: Pfeiffer war auch nicht al,- gebürstet— Pfeiffer ist nie etwas. Endlich ist Tuchfühlung da. Der Unteroffizier kom» mandiert:„Richt— euch!" Die Köpfe von sieben Rekruten fliegen w««n Se« ge- zogen nach rechts.......... Pfeiffer klappt«ach. die Mechanik ist«cht m Ordnung, und es wird wiederholt. Indessen: Pfeiffer klappt ober- mals nach. Der Unteroffizier ist auf ihn nicht bös«,« tut nur so: auch kann er nicht alles bis ws unendliche Wiederhofen lassen, denn der Krieg wartet nicht. Auch der Vizefeldwebel wartet nicht— olle fühlen ihn in dem roten Tor des Kasernen- Hofes stehen, noch fern und Nein, aber schon ungeduldig. Der Unteroffizier und der Gefreite machen verzweifelt hastige Schritt«. Der erster« übersteht also Pfeiffers Nach klappen,«st an da» rechten Flügel und fpüht unter gurtjebams Vrille hm-
durch die Front hinunter. Vierzehn Stiefel scharren, sieben Gewehrkolben pendeln vor und zurück: die Augen aber suchen einzig Lurtjebams obersten Rockknopf zu erfassen. Der Gefreite stopft Pfcisters Halsbinde in den Kragen und knotet, leise zischend die Vänder von Alberings Brustschoner zu einer Schleife.■- Der Unteroffizier am rechten Flügel schreit: „Klees zurück!— Noch mehr!— Noch mehr!— Meyer folgen!— Suhren zurück!— Der ganze linke Flügel raus?— Hahn raus!— Folgen!— Folgen!—" Der Feldwebel, fühlen wir, setzt sich in Bewegung.— Der Gefreste berichtigt, indem er mit der Stiefelspitze gegen einige Hocken klopft.— der Unteroffizier schreit, klagt beinahe: „Raus!— Raus doch!—* In diesem Tumult steht nur einer bewegungslos, steil wie ein Mast, an dem die Korporalschaft als Flagge rauscht — Lurtjebam, der Flügelmann: er beobachtet durch seine vor- zügliche Brille die Fensterreihen der roten Kaserne: hinter einer Scheibe steht ein Weib mit einer Schnapsflasche... Lurtjebam ist trotz seiner Länge kein schöner Flügelmann, denn er hat den Rücken eines Pwgistratsbeamten: über seinem Herzen wölbt sich keine Soldatenbrust, aber— über seinem Herzen wölbt sich«in zauberhafter Himmel mit Sternen aus Niespuloer und erner Mondsichel wie das leidenschaftlichste Fragezeichen. „Augen gerade— die Sieben mucksen nicht mehr,— „aus! Die Augen— links!" Alle Acht schmeißen ihre Augen nach links ins Zfel. in den kleinen, runden Feldwebel. Der Gestelle ist vor den rechten Flügel gesprungen und hat ebenfalls die Augen „links" genommen. Der Unteroffizier meldet dem Feldwebel die 10. Korporalschaft. Der Feldwebel ist jetzt Trumpf. Cr kommt langsam vor der Front her und ermahnt uns, ihn mst den Augen zu verfolgen- Er ermahnt jedesmal— es scheint, daß es uns immer noch nicht lückenlos gelingt. Musketier Meysr gibt sich so gefesselte Mühe, daß ihm seine Kinnmuskeln zu zittern begmnen. Der FeSnvebel ist zufrieden, er bestehst dem Unteroffizier: „Lassen Sie rühren!" Sodann macht er den Dienst bekannt, und wir hören ihn sagen:„ „Lassen Sie die Leute Handschuhe anziehen!"— Em angenehmes Wort,, wenn es durch die eisige Ianuarluft er- klingt.
Der Feldwebel war Knecht bei einem Bauern, hat Finger wie mittelgroße rote Rüben und verschmäht Handschuhe— wenn der Feldwebelleutnant es nicht steht. Seine langen, blonden Schnurbartenden nnd sein langes nachschleppendes Schwert stechen ins Weite, doch sein Körper ist geschlossen und rund wie eine übergroße blau? Rübe. Lurtjebam hat für ihn den Namen Rosenhald erdacht, mit welchem Recht, ist mir nicht klar— ich habe nicht die Fähigkeit, aus Steckrüben Rosen zu ziehen! Rosenhold!— Oh, Rosenhold ist der Mittelpunkt des Kafernenvlotzes, auf dem eben außer der unsrigen noch neun Korporalschaften mit Ladeübungen beginnen. Die Messing- Patronen klirren zu Boden, die Gewehrschlösser klappern... Rosenhold ist der Mittelpunkt eines Kreises, wir aber sind der Umfang: und wie der Umfang nie zum Mittelpunkt ge- langen kann, so können wir nie zu Rasenhold gelangen, um seine Rübenhände zu tätscheln. Und die Unteroffiziere und Gefreiten sind-- da erweist sich schon die Fehlerhaftig- kell meines Vergleichs, und ich lasse gern die Finger davon, zumal gerufen wird: „Musketier Suhren zu Herrn Feldwebelleutnant!" Denn Suhren— das bin ich. Es gab eine Zeit, wo ich mir auf meinen Namen etwas einbildete, obwohl er säuerlich klingt. Das ist vorbei. denn jetzt klingt er wie Essig mit Pfeffer, weil ich doch ein Rekrut geworden bin. Es geschah ohne mein Zutun, ohne meinen Wunsch— ich wurde eingezogen. Wenn es nur nicht überall so stark riechen würde in dieser Kaserne! Es riecht, es stinkt nach Schweiß, Karbol, Urin und Gemüsesuppen, die im Keller in Riesentöpfen gurgeln: sodann nach diesen uralten verbeulten Blechkannen. tn denen Kaffee geholt wird: nach Menschen, die ewig Kom nnßbrot mit Honig essen; nach Lederfett: und— Montag- morgens besonders— nach dem, was die Bezechten in di? Papierkörbe gekotzt haben. Alles zusammen ergibt einen Geruch, de« Gott nicht geschaffen hat. Ueberall ist er, dieser Gestank, und du kannst ihm nicht entfliehen. Er bläst durch die zugig« Gänge, über die Treppen, steht in den Sälen nnd strömt aus dem Spind. In der Kaserne stinkt der Teufel.— Mein Name ist Suhren, und der Herr Feldweb elleut- nant hat mich zu sich befohlen. Er steht in einer Eck« des Platze« neben einem Papierkorb,«nch hier ist der Gestank, trotz des saufenden Winde«. 1 G»rq«tz»mg folgt.)