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jSeifage Mittwoch, 7. November 1928.
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Tor sehn fahren. SblUslichier vom Zusammenbruch, Ein Muschkote erzählt: Im Oktober wurden wir wieder nach Hause verfrachtet. Aber vorher, am 9. Oktober, hatten wir„zur Belohnung" in Charlevitle Parade beim Kronzrinzen. Wir warteten kompanieweise im Stadtpark vor einem Musikpavillon, noch vierjähriger Besetzung eine traurige Ruine. Di« Bäum « ent- laubten sich, die Blätter lagen in Hausen, schmutzig und verklebt in Pfützen. Eine trostlos« Melancholie umhüllt« die Landschaft und uns. Als der Kronprinz erschien, schrien wir„Hurra!" Er schritt die Front ab, nickte und lächelte nichtssagend. Eine elegante Figur, parfümiert und«in bißchen feminin trotz oller Sportallüren. Well Kaiserliche Hoheit ernsthaft mit uns sprechen wollte, mußten all« Journalisten den Part verlassen. Feldpolizei sperrte ihn ob. Heute, zehn Jahre später, vermag ich den Wortlaut seiner Red« nicht mehr zu konstruieren. Aber einige wesentliche Sätze: „Sagt euren Eltern daheim, daß die Lage sehr, sehr ernst ist... Berzweifeln wir nicht, mein großer Ahn Friedrich hat nach der ver- lorenen Schlacht von Kollin auch weitergekämpft... Wir wollen den Frieden und sind bereit, Opfer zu bringen— selbst Elsaß- Lothringen und einige Kolonien abzutreten. Kommt gut heim, Jungens..." Dann verteilte er Zigaretten und fuhr ab. „Alles Aruch! Htm Tfoierisl!" Ein anderer: „Die Batterie war schon angetreten, seder führt« einen riesigen Segeltuchrucksack mit sich, und der blonde dick« Etatsmäßig«, der Wachtmeister, zog sein Buch aus dem Ucberrock und verlas dos Verzeichnis der Gegenständ«:„Eine Feldbinde,«in« Todesmarke, eine eiserne' Ration— daß mir k e e n Aas die etwa unterwegs auffrißt!— Ein Para bellum!" und dann schrie er:„Nu olle mal das Gebetbuch hochhalten, Gnade Goit dem Saukerl, der keins hat!" Dann trat der Hauptmann vor und hielt«in« Ansprache. Plötzlich neben Paule begann einer loszuweinen wie«in kleines Kind, und ihm selbst war«in bißchen duselig vor den Augen: von der Red« hört« er nur so hin und wieder wie: Standgericht— über'n Haufen schießen— christliche Soldaten— für Kaiser und Reich— mit Gott ! In einer Gruppe junger Leutnants, die abseits standen, sogt« einer verächtlich:„Alles Bruch! Keen Material, die Leute!" Oic Agonie ist da? Aus einem„Kriegstagebuch": Bei der Infanterie sind die Zer- fetzungserscheinungen noch viel schlimmer. Di« Formationen komme» überhaupt nicht mehr in Ruh«.' Kompanien gehen mit zehn, fünf- zehn Gewehren in den Graben! Hinzu kommen Widersetzlichkeiten — auch der Offiziere— bei Patrouillengängen. Ich war bei einem bayerischen Bataillons st ab als Verbindung. All« diese Offiziere sind völlig verzweifelt, mutlos, körperlich, geistig erschöpft, ein Rittmeister hielt sich nur durch fort- gesetztes Trinken aufrecht. Alles schimpft aufeinander. Manche Kompanien haben gar kein« Offizier« mehr. Hinzu die schlechte Berpflcgung, der Materiolmangel, der miserable Material- ersatz. Sehr„patriotische" Offiziere sind jetzt nicht einmal mehr in Ojfizierskreisen beliebt.» E» herrscht eine allgemein« Stumpfheit— man will nicht mehr... weil man nicht mehr kann. Früh waren wir dann in Bolencienne» und krochen aus den Wagen, standen da wie«in« verflucht« Schar: beschmutzt, besudelt, mit zerrissenen Röcken, grauen, fahlen, übernöchtigten Gesichtern— die ausgelöste Front hatte uns ousgespien. Diel« schrien. All« waren todmüde... Niemand kümmert« sich um uns—«in Feldgendarm brummte:„Wer will d«nn heute noch etwas tun?!" Ich werde das nicht vergessen. Die Agoni« war also offenbar
Das tttit kam über Sacht/ ün Melöer bat Sie Sotschast von b inten gebracht. Mir konnten nicht weinen/ wir konnten nicht lache«/ wir hörten kein Schieß« mehr uoS kein Koachen/ Unö sahen nur stumm in uns selber hinein. Kein Hurra/ kein Hoch/ kein Ja unS kein Lein! Vier Jahre haben wir noch See StunSe gebrüllt/ Nun mSlich ist unser Sehnen erstillt— Doch Sa hebt sich kein Helm/ kein Gewehr/ keine HanS wir sinö ausgebrannt l Das<aSt kam über Nacht/ wir alle haben sie Surchgewacht/ wir hätten so gerne getobt unS geschrieen/ Der Oberst hätt' es unS sicher verziehen— Dach es war Miel auf einmal Nach soviel Opal! Sa nimmt man wortlos Sie Knarr» über
unS marschiert zum Sammelpunkt hinüber. tin Häuflein Muschkoten/ ein Dataillon/ Zwei Kanonier'/ eine tskaöron... Das tobe kam über Nacht/ Da hat feöer von uns noch im stillen gcSacht: wenn Ser Tag graut/ geht wieöer Sas Ächießen an, Das große Rennen von Mann zu Mann/ Die Nacht Scckt uns vor Sen Kanonen nur zu/ Am Morgen aber ist's aus mit Ser Ruh, Und Siese Nacht soll Sie letzte sein--? Llnö wir sahen stumm in uns selbst hinein. Das ltnSe kam über Nacht/ <S hat uns nicht jubelnS froh gemacht. Mir treten an mit zerschlagenen Deinen, Hinter uns zerrinnt Sas ZelS mit leisem weinen, Verloscht Ser Krieg mit seiner Not— Verloscht Ser ToS.«f. ach.
überall eingetreien. Wir mußten uns sewst da» Lszoreit suchen... Man ging in Stellung, buddell«, di« Offiziere wurden von Tag zu Tag kleinlauter— dann stand die Maschine einfach still. Di« Offiziere dachten gar nicht daran, sich mit Gewalt der Ein- setzung der Soldatenröte zu widersetzen. Eine Ossiziersversammlung, deren Entschlüsse mit großer Spannung erwartet wurden, entschied sich für Ablegung der Achselstücke und Anlegung der roten Ab- zeichen. Unterwegs ließ man die Offiziere gewähren, und sie waren froh, wenn man sie unbehelligt ließ. So vollzog sich der Stillstand der Maschinerie an der Front. Oer Heldentod. Nachdem der Kaiser einmal Berlin verlalsen, die Ab- dankung bis über den zulässigen Zeitpunkt hinausgeschoben hotte. blieb ihm aus der Sackgasse des Hauptquartiers außer der Flucht nur«ine Dahl— der Soldatentod an der Spitze der Trupp«, viele
in» Felde.
r In d«s«n Tagen, da vor zehn Jahren die Hölle, des Krieges veritummte. scheint es nützlich, sich seiner Abscheulichkeiten von neuem bewußt zu werden. Tagebuchblätter bringen es mir in Erinne- rung, wie dos im Feld« gelehrt wurde, was man so Gottes Wort nennt Ein Hochsommerabend. Wir köimnen huichemüd« von vorn. Dom Schanz«». Hauen uns aufs Drahtzestecht. „Hallo!" brüllt da der Feldwebel.„Mal zehn Mann raus- trete», den Altar herrichten! Morgen früh ist Predigt!" Ich Hab« das Pech, mich unter den zehn Mann zu befinden, die aus ihrer Huridemüdigkcit gescheucht werden. Drei sind Zimmer- leut«. Sie nageln in zwei Stunden— Ueberstunden—«in paar Bretter und einig« Balken zu einem Gerüst, der Kanzel, zusammen. Dies« Kanzel wird mit schwarzweißrotem Tuch behangen und ab- gezupfte Blütenzweige werden auf die Oberränder der Estrade gc- legt. Bier andere Kameraden des Kommandos gehen zur Ma- schinengewehrkompagm« hinüber und leihen sich zwei Mordmafchinen aus, die mit Blüten bestreut und rechts und links vom Altar aufge- stellt werden. Der nächste Tag ist Sonntag: der einzige Tag. an dem wir ge- meinhin nicht schon um fünf aufstehen müssen, an dem wir auch mal bis um acht oder um neun die zerschlagenen Glieder ruhen lassen könne». Ader an einem Gottesdienstsonntag gilt diese Regel nicht- Schon um sieben gellt da» Somnwndo: Aufftehen! durch das Lager und weiter« Befehle folgen ihm: Tipptopp dl« Schuh « putzen! TadeUp» den Anzug ausbürsten! Den Stahlhelm aussetzen! Drei- viertel acht werden wir(sieben.Kilometer vor den Franzosen!) ovj Schuhputz und Anzugsitz gemustert. Es wird«in Biertel neun. Für halb neun ist der Pastor angemeldet. Wir warten... warten... Es wird halb neun. Es wird dreiviertel neun. Der Stahlhelm drückt. Es wird um neun.... Fünf Minuten nach neun kommt der Pastor in schneidigem Galopp angesprengt. Unser Leutnant nimmt stramm« Haltung«in und„meldet": Kompagnie zur Predigt angetreten! Der Pastor, ein schwarzoermummrer, wohlgenährter Herr, pjirst«trat gnädigen Blick auf uns. besteigt die Kanzel trrb läßt
uns einen Ders aus unserem Fcldgesongbuch singen. Dorm beginnt er sein« Rede. Hin und wieder platzen in einiger Entfernung Schrop- nelle, grölt das dumpie Gedröhn einschlagender Granaten zu uns herüber. Der Pastor schrickt dabei immer stark zusanmien: wie oll« zusammenschrecken, denen Kanon«ndonn«r«in« ungewohnte Musik bedeutet. .. Zusainmenwerfen wird er di« Trugbilder der Feind« und ausrichten das neu«, größer« Vaterland!" klingt es an unser Ohr. „Nicht kleingläubig werden, ist dos Gebot der Stunde? Glaube», Glanben! Gerade jetzt glauben!" Herrlich funkelt der Ardennenhimmel. In saftigem Grün leuch- len di« Wiesen. Der hat gut reden! denken wir... Der. der aus seiner Ewpp« mal hier vorgekommen ist... der den Schützengraben und seine Trostlosigkeit nicht kennt.... „... Wollet den Segen der Trübsal nicht durch Murren ver- derben...!" fährt er jetzt sort. Ich lasse mir das durch den Kopf gehen. Trübsal: die besteht aus den Graupen und dem Dörrgemüse, womit wir uns tagaus tagein zufrieden geben müisen. Di« besteht darin, daß wir jeden Morgen um fünf schanzen gehen müsse», daß wir immer In Gefahr sind, daß wir an keinem Morgenrot wisien, ob es das letzt« ist Nicht durch Murren verderben: dos heißt, daß wir das olles in der Ordnung finden, daß wir da» für gut und richtig halten, daß wir uns damit bescheiden sollen. Ein feiner Rot! Ein« famos« Vereinfachung der Situation! Vorn wird dos Feuer immer stärker. Di« Wirkung auf den Pastor ist eigenartig genug. Er hat es plötzlich recht eilig, mit seiner Predigt zu Ende zu kommen. Rasch ist er am Schluß angelangt. Wir singen«inen Abschlußvers. Dann schwingt sich der Seelsorger auf seinen feinen geschniegelten Braunen, und während unser Leut- nant nochmal Männchen vor ihm macht, entwetzt da« Pfcidchen in hurtigen Galoppsprüngen in die stark rückwäriize Position der Be- Häufung seines Herrn. Einige von un» werden zum Abbau der Kanzel und der lieber- bringung der Maschinengewehre a» ihr« Besitzer kommandiert. Das Gros der Kompagnie marschiert inzwischen in sein Lager zurück, an di« Dörrgemüsenäpf« heran./" Huts Bauer.
«rworseten es. Nowak berichtet es van- Groener: v. Delbrück , der Chef de» Zioilkobinetts, fuhr nach Spa. um an seiner Seite zu fallen, weil er glaubte, sein Amt. das ihn in«in besonderes Ver- trauensoerhältnis zum Monarchen brachte, erfordere es. „Aus Andeutungen, Gebärden und Mienen Eulenbergs"(dss Ministers des königlichen Hauses), so schreibt S o l s.„mußte ich schließen, daß er glaubte und hoffte, der Kaiser wolle zum Heer zurück, um sich an die Spitze seines Lcibregimcnts zu stellen und einen Heldentod zu finden. Andere haben ähnliches gedacht und für di« Zukunft des Hohenzollernhauses gewünscht, und berechtigt war in solchen Stimmungen das Grundgefühl, daß nur persönliche Auf- opferung des Kaisers fein« Dynastie erhalten konnte... Der Kaiser selbst stand aus dem entgegengesetzten Standpunkt." (Ludwig Herz in„Die Abdankung".) Oer Hofzog. Plätzlich, noch während er seine kleine Festung verproviantiert, sieht der Kaiser den Hofzug draußen stehen oder er denkt an ihn. Hot er ihn nicht dürch alle Länder getragen, ein immer gehorsames Pferd? Da steht er, blendend, weiß und golden, gewaschen, geölt, mit Kohle versehen, elastisch, federnd, immer geräuschlos, immer bereit: dt« wahre Heimat des Kaisers. Nur wenn Bewegung rauscht und rollt, im Fohren ist dos Leben schön. Jetzt gibt er alles auf, geht in den Zug zum Schlafen, sagt Hintze, er fahre morgen noch Holland hinüber. Als Niemann, den Plessen zur möglichen Abfahrt„noch heute abend" in den Zug gerufen, mit Gepäck ankommt,— wie findet er seinen Sri«gsh«rren?„Im H o f z u g e sind« ich den Kaiser im Kreis« seines Gefolges bereits bei Tafel. Ich hob« ge- fürchtet, die Erregung der vorhergegangenen Stunden würde bei ihm«ine Lethargie auslösen. Das ist jedoch nicht der Fall. Voller Lebensenergi« blickt er mich an: ruhige Entschlossen- heil liegt auf dem Antlitz. Man sagt mir, der Kaiser habe das Ansinnen, nach Holland abzureisen, ganz entschieden zurückgewiesen." Um diese Zeit, d. h. seit 24 Stunden, weiß die ganze Umgebung längst, daß er fliehengwird: aber das Dekorum wird ge- wahrt. Als dann abends um 10 Grünau„im Austrage des Feld- Marschalls" gemeinsam mit Plessen und Marscholl bittet: sofort nach Holland , heißt es plötzlich und ohne Uebcrgang:„Nach kurzer Ueberlegung willigte der Kaiser ein." Al» der Sohn den Vater andern morgens ouffucht, ist er ver- schwunden. Niemand hiell den Kaiser zurück, als er sein Land verließ.(Au» Emil Ludwig „Wilhelm II.") « Er ißt zu Abend und fährt. Seit 24 Siunden weiß e» dos ganze Hauptquartier von selbst, weil es ihn kennt— atmet auf und lacht. �- Da draußen aber' im Novemberncbel kämpft noch zwei Tag« seine Arm««, sein Offizierskorps und der..»nbe- kannte Soldat"._ Hcrrcnsöhnchcn serviert Erinnerungen. „An den 9. November erinnere Ich mich genau, meine Damen! Papa war nicht in di« Bank gefahren, sondern stand auf dem Balkon und schwenkte«Ine rote Fahne. Pordon, keine Miß» Verständnisse, bitte: er wollte lediglich dadurch andeuten, daß er dos ekelhaft« Symbol an die frische Luft befördert ipissen wollte!" (Aus dem„Wahren Jacob".)