Beilage
Montag, 12. November 1928.
Der Abend
Spätausgabe des Vorwärts
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Als der große Feftzug am Erinnerungstag des Sozialistengeleges an der Schloßrampe vorbeizog, gab es ein großes Gelächter. Die„ lieben, alten Bekannten", voran Bismard, wurden stürmisch begrüßt. ,, Wo habt ihr bloß den ollen Jungen aufjetrieben?" Und ebenso gab es bei den alten blauen Schugleuten ein großes Rätselraten darüber, woher mohl alle die lieben alten Uniformen stammen mochten. Die waren echt, die fonnten doch nicht aus der Masten terberleibanſtalt" fein! Am meisten Anhänger fand schließlich die Mei hung, man habe unter den Genossen Umfragen gehalten, und da habe wohl einer oder der andere so ein Ding noch im Schrank gehabt". Ach, es ist alles ganz anders! ,, Jede Dame, die farbig gefleidet eintrat, tam unser Haus in vollständiger Trauerfieidung verlaffen" so stand früher immer über den Anzeigen eines großen Trauermagazins; und so gibt es hier in Berlin einen Baden, ben leder Zivilist nach einer Biertelstunde als fertig eingefleideter Striegersmann verlassen fann, nach Wunsch als tapferer Landsoldat aus den fünfziger Jahren oder als Amerikaner aus dem Weltkrieg, ne einem Geldbeutel ab, ob er etma auch avancieren will, Stapitän, me Leutnant, Fähnrich und Sergeant, und sogar ein ganz hohes Lier ne mit Generalstabsstreifen kann er werden.
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Ja, da liegt in einer der Straßen, in denen die Läden gedeihen, wo man von Savalieren abgelegte Garderobe" ganz billig faufen tann, ein kleines Geschäft mit zwei schmalen Schaufenstern, und für Den flüchtigen Beschauer sieht es wirklich nicht viel anders aus, als to ein ffeiner second- hand- Laden. Neben einigen vertnautschten Uniformstücken stehen einige neue, sehr prächtige Bortiermäntel in cinem Fenster, und in dem anderen liegt der ganze„ Klempnerladen Don Sternen, Kreuzen und Abzeichen, der das zweifarbige Tuch so unwiderstehlich machte. Aber niemand würde auf den Gedanken tommen, daß der fleine, runde Geschäftsinhaber, der sich gerabe bemüht, einem Kunden eine gebrauchte Reithose zu verpassen, mit meidigkeit mehr als ein Regiment aus den Beständen seines Ge ft häfts eintleiden fönnte! Der fleine, winflige Laden verrät nichts er davon, daß unter ihm die Keller voll von Uniformen jeder Waffene. sattung und jeder Nationalität find. Auf Regalen aufgestapelt liegen n hier die Röde der gewöhnlichen Muskoten: Da liegen vier ff. hundert Infanteristen," sagte der Geschäftsinhaber. o hr mögen die wohl liegen, bie man einst in diese Ride mangsweise eintleidete? Denn es sind hier ja alles Originaluniformen. In einem Winkel liegt ein bis zur Reller bede reidender Berg von Stahlheimen; Brotbeutel und Tornister bilden richtige Hügel, und auch das Sattelzeug, es ist schon da, das zu Diensten werde". Die feinen Leute aber triegen sogar hier ie im Altfleiderfeller ein Borred, denn vom Leutnant aufwärts hängt it alles auf Bügeln. Da hängen die Bismardröde, gleich in mehreren te remplaren, denn Bismard und Fridericus sind eine gefragte Bare, da hängen die ,, alten" und die„ neuen" Generale. Immer wieder ts geht es in eine neue Bucht des Rellers, die Uniformen nehmen fein Ende, und bedrückt wende ich mich schließlich an den netten, runden Herrn, seine Begeisterungshymne auf eine besonders schöne Aermeltiderei turz unterbrechend:„ Wer braucht um Gotteswillen jetzt noch all das Zeug?" Aber da tam ich schön an.
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zum Nachdenken läßt man mir hier nicht. Schon führt mich der Inhaber zurüd zu seinen Bracht und Glanzstücken. Hier habe ich den Regenmantel, den der alte Kaiser Wilhelm 1864, 1866 und 1870 im Kriege getragen hat." Und er holt aus dem sorgsam ver. schnürten Bappfarton einen dunklen Mantel, an dem das tnallrote Staatssiegel die Echtheit bestätigt. Wie furios und unscheinbar sich Der alte Mantel neben ben hechtgrauen, neuen Offiziersmänteln auswimmt! Mit denen war nicht viel los, jeder Tropfen war drauf zu sehen. Bir laffen viele von ihnen färben, braunrot ober grün, und machen Bortiermäntel daraus." Also daher die schönen Livree mäntel! Immerhin so tommt das Tuch wenigstens einmal mit richtiger Arbeit in Berührung.„ Sie missen nich' immer so scharf sein... jagt mißbilligend der fleine, freundliche Inhaber zu mir. Ach ja, auch er ist vom Geist der Uniform besessen. Könnte es auch anders sein? Ein böser Geist sitzt in diesen alten Sachen, und ich wundere mich gar nicht, daß ein Bild, den Tod des deutschen Helden Schlageter" darstellend, hinten an der Küchenwand hängt, trotzdem der Inhaber des Geschäfts dem friedlich gewordenen Bolte der Matlabäer angehört...
Der ftolze Lumpenfram.
Aber zu den wirklichen Glanzstüden tommen wir erst. Ein
tiefer Schrant nimmt die ganze Breite des hinteren Raumes ein. die Galaröde vor mir ausbreiten. Herr Gott , wie groß ist dein Da hängen die Hofchargen, und bereitwilligst läßt der kleine Herr Tiergarten ! Jedes unserer deutschen Baterländer hatte eine eigene Uniform für seinen Oberforstmeister( oder war das ein Oberjägermeister?) und feine Kammerberren. Und für die Miniſter gab es fo einem Ministerfrad wiegt allein acht Pfund! Bor mir liegt das einen ,, Meinen" Rod und eine große Gala", und die Goldstiderei auf Brachtstück, das der Inhaber selbst von dem früheren Staatsminister Bejeler einhandelte, und das hat noch alt dreihundert Mart getostet! Immer noch fliegen nur goldgefticte Galaröde um die Ohren, malteserritier und alles, was zu einem richtigen beutschen Hof gehört.
Es ist eine geradezu gespenstische Parade. Und mozu waren die
Dinge gut?„ Die wurden meistens doch nur ein- oder zweimal im Jahr getragen, fühlen Sie einmal, bas Tuch ist wie neu!" Birklich, es ist ein Tuch son einer uns märchenhaft anmutenden Qualität.
Schwer liegt mir der Galaroc auf dem Arm. Alt und billig gekauft hat er noch dreihundert Mark gekostet. Was mag er neu gekostet haben? Wieviel Kapital steckt hier in diesen alten Uniformen, vom Musfoten bis zum Minister! Wozu sind sie nun gut? Dafür, daß der teine, freundliche Herr sie verleiht an Leute, die das Soldat spielen nicht lassen tönnen und an die, die Soldat spielen müssen, damit ein Filmkonzern oder ein Theaterdirektor Geld machen fann. Fünf Mark kostet der Muskote, zwanzig Marf der Minister, denn hier wie andersmo geht es nach dem, was auf dem Rock, nicht nach dem, was darunter ist. Und plötzlich scheint mir die Luft in bem fleinen Laden eng und brüdend, als hingen da nicht alte Röde, sondern als starrten mich aus gläsernen Augen Gespenster der Bergangenheit an: madyigierige und menschenhungrige Dämonen. Ein
Ein kleiner Teil des Riesenlagers.
böser Geist fist in diesen alten Sachen! Auf meiner Schulter liegt
der Aermel eines blauen Krefelder Tanzhufaren", als wollte er
mich zu einem gespenstischen Totentanz loden. Schnell nehme ichy Abschied und eile hinaus, und die mussige Luft der engen Straße scheint mir der Freiheitsodem selbst zu sein.
Rose Ewald.
Im Waffenstillstandswagen.
Einer der Teilnehmer der deutschen Waffenstillstands, fommission 1918 übermittelt uns dieses Stimmungsbild von ben Berhandlungen im Balde von Compiègne , Der europäische Herentessel brobelte unter der feinigen Glut brodelte, bis er überlief. Die Gelegenheit, das des Weltkrieges
fchweigsam. Inzwischen war ihm auch mohl flar geworden, daß man auch ohne Bunttsieg mit 27 Bunften siegen fann. Immer hin quälten ihn die Deutschen drei iange Stun ben lang. Die Uhr zeigte schon auf 5 Uhr 12 minuten. Bald graute der Morgen. Foch erschien die Zeit zu tompliziert. Er
Feuer beizeiten auszublajen, mar längst verpaßt. Die Frühjahrsschlug vor, man folle 5 Uhr morgens als die Beit des Abschlusses offensive 1918 hielt nicht, was sie versprach. Aber erst Ende September tam die Götterdämmerung bei Ludendorff . Jetzt follte schleunigst das Feuer ausgeblasen werden, Abmarich, nach Sofort Boffenftillstand und Frieben! Das alles in 24 Stunden!
Hause! Parole:
Die Wilhelmstraße, zu sierjährigem zwangsmeisen Scheintod und Winterschlaf verurteilt, mußte fich wenigstens zunächst die Augen reiben. Hatte sich denn wirklich inzwischen soviel geändert? In ganz Mitteleuropa noch deutsches Rommande; Rußland , Ru mänien , Serbien zerschmettert am Boden; im Besten deutsche Trup
pen im feindlichen Land...
Aber Gehorsam ist der Regierung erste Pflicht. Darum heraus mit dem Angebot an Wilson. Die 27 Bunfte wurden angenommen. Am 3. Oftober 1918. Biljon jaß weit vom Schuß. Er hielt uns für frant und verschrieb die bittersten Billen. Er riet immer deutlicher zur Beseitigung des alten Regimes. Die deutschen Hinweise, daß es in diesem Bunfte schon beffer ginge, befriedigten ihn nicht. Er forderte schließlich am 23. Oftober 1918 recht deutlich die Befeitigung der alten Autorität! Im übrigen wollte er allerhand Amputationen! Marschall Foch sollte die Waffenstillstandsverhandlun gen führen. Also hin zu ihm! Reiner in Deutschland drängte sich bazu. Man brängte Erzberger , der auch nicht wollte, aber dann doch den Weg nach Ranossa ging. Er fuhr nach Compiègne . Dort faß Marshall Foch im Eisenbahnwaggon auf Eisenbahnschienen im Walde, so daß er jederzeit verschoben werden fonnte. Deutsche Flieger und Borstöße hatten ihn zur Beweglichkeit erzogen. Er hatte auch viel von Moltke gelesen, auch über jenen Moltke, der gern schwieg. So machte auch Foch nicht viel Worte, jah ernst aus und ließ seinen Assistenten, General Weygand, die Einzelheiten der Waffenstillstandsbedingungen verlesen. Diese maren selbst für die stärksten Nerven zu viel. Aber was tun? Umfallen, chlappmachen, den Weltkrieg noch einmal beginnen, von neuem annommen hatten, und die schließlich einmal wieder irgendwo zum
Die Rüfftammern des Films und der Theater. Aber zu mir fommen doch alle Leute, wenn sie im Film und im Theater Soldaten brauchen! Alle Soldatenfilme dieses Jahres habe ich ausgestattet, jogar für Alt- Heidelberg habe ich bis nach Amerika die Livreen und Hofchargen geliefert, den Schweit" und alles, was der Piscator rausgebracht hat, habe ich beliefert... Es gibt doch keine Revue und fein Theater, bei dem man nicht doch einmal Uniformen brauchi! Und bei mir friegt man echte Soldaten, 4. Chaffepots bis auf die Bewaffnung: Zündnadelgewehre, Steinschloßflinten, alles, bis zum modernsten französischen Gewehr mit bem dreifantigen, stilettartigen Seitengewehr als Bajonett. Sehen Sie sich mal die Helme an!" und richtig, er holt aus dem einen und aus dem nächsten den zitronenförmig in die Höhe gezogenen, tomischen Heim der preußischen Infanterie um 1850, und als ich, um eine Brobe auf das Erempel zu machen, die Müge eines belgischen Artilleristen verlange, wird sie sofort aus dem Karton ge zogen. Und im ledernen Futter steht noch der Name ihres ehemaligen Eigentümers. Bo mag der jetzt wohl sein?... Das bringt mich auf eine Frage:„ Sagen Sie mir doch, Herr 23., wo beziehen Sie bloß all die Sachen her?" Und ich höre, daß man die gewöhn- fangen? Es waren boch die 27 Punkte, die wir und sie angelichen Soldaten" schon immer im großen Ramich haben fonnte. Nach der Revolution verkauften viele Offiziere ihre Uniformen, die Offiziersvereine nahmen ihnen das peinliche Geschäft ab, mit dem Händler persönlich zu verhandeln, ein fleiner Teil wurde auch von den haufierenden Altkleideraufläufern hereingebracht. Aber jetzt ist bas anders geworden. Renaissance der Uniform.
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Was man nicht hat, friegt man nicht mehr herein!" so flagt
er fleine Herr.„ Die alten Offiziere dürfen doch alle wieder ihre Uniform tragen, und wenn jest in irgendeiner Kleinstadt mas los ift, fieht man in der Gesellschaft mehr Uniformen als Gehröde. Bloß hier in Berlin merfen wir weniger davon." Ja, es ist nicht zu be treiten, die„ Affenjade", die wir 1918 so gerne ausgezogen haben, lie erlebt ihre fröhliche Urstand. Militärstücke, Militärfilme und die alte Fallchmünzerin Erinnerung ist schon dabei, die etferne Beit ganz gehörig gu Legieren. Und es ist das Elenb, daß manchem lieben Mitmenschen die Solidarität der Uniform immer noch eher ingent, als die Solidarität des Arbeitsrodes. Aber allzuviel Zeit
Borschein kommen mußten. Hinter diesen stand ja Biljon. Bilson, immerhin idealer Mensch, Präsident der Bereinigten Staaten DOR Amerita, zwar Geschichtsprofessor von Hause aus und nicht Jurist, aber durch seine 27 Buntte würde er sich wohl stets noch durch finden. So überlegte man auf deutscher Seite. Also Unterschreiben"!
Go fprech's die Oberste Heeresleitung, und so funfte die Rebrei Tage mit seinen deutschen Begleitern als Nachbar Fochs auch in einem Eisenbahnwaggon deprimiert gehauft hatte. So flopfte man denn nachts um 2 Uhr an Fochs Wagentur und fletterte das Trittbrett berauf, um das Dokument zu unterschreiben, aber vorerst noch einige Milderungen feiner Bedingungen zu erhalten. Dazu mußte man inzwischen hatte man's auch schriftlich schon verfucht- jest natürlich reden. Damit war bei dem Molttejlinger och jedoch nicht viel zu machen. Foch blieb in wesentlichen Buntien hart und
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in den Bertrag einsehen, dann fönne sechs Stunden später, d. h. genau um 11 Uhr französische Zeit, der Waffenstilstand beginnen und wirtfam merden. Da die Anfertigung der Abschriften mit Berücksichtigung der Benderungen noch mehrere Stunden be anspruchen würde, schlägt der Marschall vor, einfach die legte Geite des Abkommens zu unterschreiben.
Die Unterzeichnung beginnt um 5 Uhr 20 Minuten. 3wei
Exemplare werden ausgefertigt. Es unterschreibt zuerst Marschall Foch und der Engländer Admiral Memys, bann Erzberger, Graf Oberndorff , General von Winterfeldt und als legter Kapitän Ban
Selom. Zehn Minuten später entstiegen die Deutschen dem Siegesagen. Die Stenotypisten und Telegraphisten hatten nun das Wort, die Runde vom Waffenstillstand ging durch die Belt. Und jenseits der Gewässer jaß Wilson und fand, daß alles so E. M.
gut war.
Das Gesetz des Wilden."
Unter dieser Ueberschrift gloffiert die Prawda" den Beschluß eines Dorfvollzugsrats im fernen Dargestan. Im Brotokoll der Vollzugsratssigung heißt es: Da für die Mädchen kein bestimmter Raufpreis festgelegt ist, so fordern die Eltern vom Bräutigam große Summen und viele Gegenstände, und zwingen auf diese Beise die
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armen und unvermögenden Bürger, unverheiratet zu bleiben. Aus diefem Grunde beschließt der Vollzugsrat, daß in Zukunft folgender Raufpreis gezahlt werde: für das allerbeste Mädchen dürfen nicht mehr als 120 Rubel, zwei Betten, zwei Decken und zwei Rissen gezahlt werden; alles genannte geht in den Besitz des Mädchens über; für ein Mädchen niederen Standes, dergleichen auch für eine Witwe ist der Kaufpreis je nach Bereinbarung, jedoch
nicht höher als oben angezeigt.
Man glaube aber nicht, daß die Gitte des Brautkaufs bloß im
fernen Often fortbesteht: selbst in Moskau ist sie unter den Oft
völkern noch gang und gäbe. So berichtete die Prawda" fürzlich, daß unter den 5000 in Moskau lebenden Syriern deren heimischen Sitten und Bräuche noch volle Geltung haben. Frau und Kinder find nicht mehr als Sklaven des Mannes resp. des Baters. Die Rinder werden einfach wie Bare vertauft. Ein 14 bis 15jähriges Mädchen wird an einen 60jährigen Mann verhandelt, der Preis
für eine Braut schwankt zwischen 800 und 2000 Rubeln.
Das Interessante dabei ist aber, daß dies alles geschieht, obgleich das sowjetrussische Strafgesetzbuch erst am 3. April d. 3. durch einen besonderen zehnten Abschnitt ergänzt wurde, der den Bräuchen und Sitten der Dstoölterschaften Kampf anfagt. Unter anderem wird die Erstattung eines Kaufpreises für die Frau mit einer Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre bebroht, und zwar für beide Telle. Das Leben ist eben mächtiger als das geschriebene Gefeß und seit Jahr. hunderten bestehende Bräuche und Sitten fönnen nicht über Nacht ausgerottet werden.